Kommentar von Marcus Schurig
Qualifying-Format in der Sportwagen-WM

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Marcus Schurig über das faszinierende Qualifying-Duell Mann und Maschine gegen die Uhr, und warum das zu Saisonbeginn eingeführte Qualifying-Format in der Sportwagen-WM einfach nur Mumpitz ist.

Sportwagen-WM, Porsche
Foto: Brooks

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schnellste im ganzen Land? Darum ging es immer im Motorsport, und darum sollte es auch heute noch gehen. Der Motorsport bietet hier gleich zwei attraktive Disziplinen an: das Zeittraining (wer ist der Schnellste über eine Runde?) und das Rennen (wer ist der Schnellste über die Distanz?). Das ist so selbsterklärend wie die meisten Regeln im Fußball – man versteht es auf Anhieb, und es macht Sinn.

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Nun gibt es im modernen Motorsport die fatale Tendenz, die simple Logik des Sports aufzulösen – durch künstliche Elemente, die alles besser machen sollen, die aber in Wahrheit die Sache nur unnötig komplizieren.

Sportwagen-WM hat das klassische Qualifying-Format beerdigt

Die Sportwagen-WM hat zu Saisonbeginn das klassische Qualifying-Format ohne Not beerdigt: Es zählt nun nicht mehr eine Runde, sondern eine krude Addition von vier gezeiteten Runden von zwei Piloten pro Auto, woraus sich eine durchschnittliche Rundenzeit ergibt, die über die Startaufstellung entscheidet.

Als Folge interessiert sich nun wirklich niemand mehr fürs Qualifying. Während des Zeittrainings sitzen die Medienvertreter mit gesenktem Haupt vor ihren Rechnern, die Spannung ist raus, ein Produkt ist entstanden, dass man nicht verkaufen kann. Kein Fahrer kann mehr mit leuchtenden Augen über seine Heldentaten auf der einen, alles entscheidenden schnellen Runde berichten.

Mit dem alten Qualifying-System starb das "Heldentum“ im Motorsport. Dabei wäre die Aufgabenteilung so einfach: Im Zeittraining wirft man den schnellsten Fahrer ins Gefecht, der auch die Lorbeeren einstreichen darf. Im Rennen zählt dagegen die Team-Performance stärker: Fahrer, Boxencrew, Techniker und Strategen erringen den Sieg gemeinsam.

Viel wurde geändert, nichts gewonnen

Und warum hat man alles geändert? Angeblich, damit die Fans mehr zu sehen bekommen von den Autos, denn nun müssen ja zwei Fahrer mit einem Auto jeweils vier Runden absolvieren. Ist mehr Verkehr auf der Strecke wirklich das, was den Rennfan auf der Tribüne interessiert? Oder war wieder mal das Fernsehen schuld? Wohl kaum, denn die Einschaltquoten bei den WEC-Qualifyings sind überschaubar, auch mit dem neuen Format.

Mann und Maschine im Qualifying gegen die Uhr

Jetzt hat man also viel geändert, nichts gewonnen – dafür aber viel verloren. Fragt man die Piloten, so ist das Qualifying für sie von herausragender Bedeutung: Mann (oder Frau) und Maschine gegen die Rennstrecke und die Uhr. Rennfahrer sind Egoisten, die beweisen wollen, was sie können. Je schneller und spektakulärer die Strecke, desto größer die Intensität und Faszination des Zeittrainings für die Fahrer – und die Fans und Medien.
Bezeichnenderweise wurde der Mythos der schnellen Runde, exekutiert durch einen Fahrer, in Le Mans beibehalten, obwohl das 24h-Rennen ja auch zur WM zählt.

Aus gutem Grund, denn dort wurden in den letzten Jahren immer die wahren Speed-Könige der Branche gekürt, und zwar in den GT- und den LMP-Klassen: Stéphane Sarrazin stand im Peugeot drei Mal hintereinander auf der Pole. Anthony Davidson, André Lotterer und Loïc Duval drückten dem Speed-Contest ebenso ihren Stempel auf wie früher Tomáš Enge, der den GT1-Aston Martin prinzipiell kurz vor Mitternacht auf die Pole knallte.

Schneller als die Simulation

Die Faszination des Qualifyings wurde gekillt. Ich kann nicht erkennen, dass man jetzt mehr übers Qualifying schreibt, im Gegenteil, die Heldengeschichten sind verloren gegangen. Ich erinnere mich, dass ein Audi-Pilot vor einigen Jahren in Le Mans eine halbe Sekunde schneller war, als die interne Simulation vorausberechnet hatte. Das war mir einen Extra-Kasten in meiner Le-Mans-Story wert. Heute verkneife ich mir jede Zeile übers Qualifying. Eigentlich schade.