Mercedes 300 SL Flügeltürer und Hoffmann-Anwesen
Villa Flügel vom 300 SL-Initiator

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Max Hoffman war mächtig. So mächtig, dass er Mercedes dazu brachte, den 300 SL in Serie zu bauen – von der er als US-Importeur einen Großteil gewinnbringend verkaufen konnte. Und das Geld? Steckte er unter anderem in ein teures Haus.

Mercedes 300 SL, Max Hoffman, Seitenansicht
Foto: Daniel Byrne

Wie das wohl vonstattenging, damals 1955, in New York, in einer Gesellschaftsschicht, in der Männer leichte Sommeranzüge tragen und sich in Clubs treffen? Max Hoffman: „Geschätzter Mister Wright, Ihr Entwurf für mein Haus – traumhaft, wirklich.“ Frank Lloyd Wright: „Danke, lieber Mister Hoffman, vielen Dank. Es wird allerdings ein wenig aufwendig, wenn Sie verstehen, was ich meine?“ „Nun, da sehe ich kein Problem, die Geschäfte laufen gut. Doch Banknoten, wie sie wissen, sind vergänglich. Darf ich Ihnen also einen Mercedes 300 SL und eine 300 Limousine ausliefern lassen?“ „Warum nicht?“ Die Gentlemen lächeln, Gläser klirren, Bourbon schwappt darin.

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Stararchitekt Frank Lloyd Wright baut Traumvilla

Wie auch immer, 1954 lief das Leben des österreichischen Auswanderers Max Hoffman jedenfalls auf Hochtouren. Der erfolgreiche Importeur europäischer Automarken sah, wie am 6. Februar auf der Auto Show in New York der Mercedes 300 SL enthüllt wurde, der auf sein Drängen hin entstanden war – und der seine Kassen weiter füllte. Und seine von Stararchitekt Frank Lloyd Wright entworfene Villa näherte sich der Vollendung. Lloyd baute nur wenige Privatanwesen, dafür aber das Guggenheim-Museum, dessen runde Massigkeit seinen Ruf manifestierte. Und für exklusive Automobile hatte der damals 88-jährige Wright schon immer etwas übrig, weshalb der obige Dialog nicht allzu weit von der Realität entfernt sein dürfte.

Jetzt knirscht ein Mercedes 300 SL Baujahr 1958 in die Einfahrt, verdrängt eine patinierte Pagode von ihrem Stellplatz unter dem Carport-artigen Vordach. Eine Garage gibt es nicht mehr, sie wurde zum Gäste-Apartment umfunktioniert. Scott bewegt den 280 SL, er verwaltet die Liegenschaften der Tisch-Familie, der das Anwesen heute gehört. Immer mal wieder telefoniert er aufgeregt mit seinem Boss, berichtet begeistert von dem groß artigen Sportwagen, der hier abgelichtet wird, richtet Grüße des Millionärs aus. Der Eigner des SL hingegen verdient sein Geld vermutlich auch nicht an einem der zahl losen Hot-Dog-Stände im nahen Manhattan, vielleicht mit ihnen, man weiß es nicht.

Nicht ganz original? Was soll’s

Jedenfalls ließ er die Chromstoßstangen seines Flügeltürers entfernen und ein zeitgenössisches Holzlenkrad montieren. Abklappen? Das geht nun nicht mehr, der Ausstieg gleicht nun einer Partie Mikado. Im halb offenen Atrium glänzen die Rundungen der Aluminiumkarosserie in der Sonne, stehen in krassem Gegensatz zur streng rechtwinkligen Geometrie des eingeschossigen Hauses. Erst im Detail sieht man dem Gebäude seine Jahre an, entdeckt angegrabbelte Schalter, Einbauschränke und Spuren einiger Modernisierungsversuche.

Auf den ersten Blick scheint es jedoch, als wurde erst vor wenigen Monaten Richtfest gefeiert. Das hätte hier im noblen Wohnviertel in Seelage übrigens um 17 Uhr zu Ende sein müssen, denn ab dann darf kein Handwerker mit seinem schnöden Nutzfahrzeug den akustischen und optischen Frieden stören, dafür sorgt der Sicherheitsdienst.

Reihensechszylinder röchelt hektisch-metallisch

Also trollt sich der Mercedes 300 SL auch bald wieder, so gar nicht zurückhaltend, sprotzt beherzt aus seinem Endrohr. Noch immer dringt aus seinem Gitterrohrrahmen, der besonders leicht und steif ausfiel und die Flügeltüren erforderte, jene Unglaublichkeit, die seit der Weltpremiere des SL 1954 anhält. Mag sein, dass heute weder Benzindirekteinspritzung noch Trockensumpfschmierung oder gar die Fahrleistungen Auto-Enthusiasten den Unterkiefer aushängen. Doch allein wie der um 40 Grad schräg eingebaute Reihensechszylinder hektisch und metallisch röchelt, lässt die Kompromisslosigkeit erahnen.

Bis 6.600 Umdrehungen jubelt das mit 8,55:1 verdichtete Triebwerk des Mercedes 300 SL, begeistert damalige Tester mit seinem Schub, der bei 4.500/min einsetzt. Noch heute legt der Sportwagen energisch los, verlangt schnell nach dem nächsten Gang, doch davon gibt es nicht viele, gerade einmal vier.

300 SL fahren ist Arbeit, sie zu verkaufen nicht

Der Mercedes 300 SL wirkt daher noch leichter als er eigentlich ist (über 1,3 Tonnen), zumindest solange weder gebremst noch gelenkt werden muss. Selbst in den USA lässt sich das allerdings kaum vermeiden, und dann steigt die Temperatur in der engen Cockpit-Kanzel: SL-Fahren bedeutet Arbeit.

Mercedes 300 SL zu verkaufen hingegen nicht, weder 1954 noch 1957, als der Roadster kam – und heute schon gleich gar nicht. Hoffman vergrößerte sein Auto-Imperium, und Mercedes ließ sich nicht lange bitten, als er nach einem SL für die Masse verlangte – und baute den 190 SL. Der 300er bummelt derweil mit seinen schmalen 15-Zoll-Rädern über schlecht geflickte Pisten, die noch immer ungestraft Highway heißen dürfen. Die müden Bremsen verlangen eine vorausschauende Fahrweise, das taten sie schon damals, ebenso wie das, nun ja, agile Fahrverhalten.

Das plötzliche Ausbrechen bei höheren Kurvengeschwindigkeiten sollte Mercedes erst mit dem 300 SL Roadster beseitigen, dessen Eingelenk-Pendelachse über einen tieferen Drehpunkt verfügte. „Nicht empfehlenswert jedoch ist es, wie die meisten Sportfahrer es von der Fahrweise mit ihren schwachen Motoren gewohnt sind, zu schnell in eine Kurve hineinzugehen und einen Powerslide zu provozieren. Der SL kann dann plötzlich ausbrechen und ist in diesem Fall nur schwer zu regieren“, warnt Heinz-Ulrich Wieselmann in auto motor sport 21/1955. So war das eben damals, 1955. Frank Lloyd Wright wird es wohl kaum ausprobiert haben.

Die Faszination des Mercedes SL in einem Heft

Vom 300 SL über den Dauerläufer R107 bis hin zum aktuellen 630 PS starken SL 65 AMG – im edlen Editions-Heft finden sich auf 164 Seiten zahlreiche Geschichten über den Klassiker im Mercedes-Programm. Dabei wird die Wandlung des SL vom puristischen Sportwagen hin zum kraftvoll-komfortablen Roadster ebenso betrachtet wie die volksnäheren Ableitungen 190 SL und SLK. Die Edition ist ab sofort für 9,50 Euro am Kiosk erhältlich oder unter www.ams-webshop.de.

Technische Daten
Mercedes 300 SL
Grundpreis14.829 €
Außenmaße4520 x 1790 x 1300 mm
Kofferraumvolumen99 l
Hubraum / Motor2996 cm³ / 6-Zylinder
Leistung158 kW / 215 PS bei 5800 U/min
Höchstgeschwindigkeit260 km/h
Verbrauch16,1 l/100 km