Richard Attwood im Interview zum 80.
Le Mans 1970, Hans Herrmann und der Porsche 917

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Richard "Dick" Attwood saß 1969 zum ersten Mal in einem Porsche 917 – im Qualifiying zu Le Mans. Am 4. April 2020 wurde der Rennfahrer 80 Jahre alt. Im Interview spricht er über seinen Weg zu Porsche, Hans Herrmann als Teamkollegen, wie gefährlich der 917 war und warum er 1978 trotzdem einen gekauft hat.

Goodwood Memebers Meeting Porsche 917-001 Richard Attwood
Foto: Porsche
Mr. Attwood, wie feiern Sie ihren runden Geburtstag? Sicher anders als ursprünglich geplant.


Wir wollten im Kreis der Familie feiern, gemeinsam mit unseren drei Kindern, die an verschiedenen Orten leben. Aber das können wir jetzt nicht. Wir haben den Lockdown wie Sie auch. Also kann die Party nicht steigen, fürchte ich.

Gab es in Ihrer Rennfahrer-Karriere eine ähnlich schwierige Situation, die Sie überwinden mussten?


Eine solche Situation natürlich nicht. Aber ich erinnere mich an meine Anfänge im Motorsport. In den ersten drei Jahren war mein Vater Harry der größte Sponsor. Er besaß eine große Werkstatt in den Midlands. Meine ersten Rennwagen kamen aus der eigenen Werkstatt, also kostete ihn das kein Geld. Dann bin ich für drei Jahre in die Formel Junior eingestiegen. Dafür musste er bis 1963 bezahlen. Ich musste mir finanziell keine Sorgen machen, weil er es sehr gerne sah, dass ich Rennen fuhr. Er hat selbst ein paar Rennen bestritten. Um 1935 in Brooklands muss das gewesen sein. Dort fuhr er MG Midget und Magnette. Aber es blieb bei nur wenigen Einsätze, weil sein Geld selbst verdienen musste.

Unsere Highlights
Was war das wichtigste Rennen Ihrer Karriere?


Das muss ich vorwegschicken, dass es für mich einen großen Unterschied zwischen Rennen mit Monoposti und Sportwagen gibt. Im Sportwagenrennen hat man gewöhnlich zwei Fahrer auf einem Auto, aber in der Formel 1 oder anderen Formeln bist Du ganz auf Dich allein gestellt. Meiner Meinung nach bedeutet es Dir das als Fahrer mehr als auf einen Teamkollegen zu vertrauen. Andererseits musst man in einem Team gut zusammenarbeiten. Bei Porsche hatten wir eine gute Gemeinschaft. Wir hatten alle für dasselbe Ziel im Visier. Wir wollten das Beste herausholen oder sogar gewinnen. Aber in der Formel 1 steht der einzelne Fahrer im Mittelpunkt.

Richard Attwood Goodwood
Porsche
Richard Attwood fuhr in seiner Karriere auch Monoposto-Rennwagen. Nicht nur im historischen Motorsport, wie hier in Goodwood.
Und was war Ihr größter Erfolg in einem Monoposto?


Das war sicher 1968 in Monte Carlo in einem BRM (P126). Dort wurde ich hinter Graham Hill (Lotus 49) Zweiter. Sicher, ich war in der Formel 1, aber ich hatte fast nie das beste Auto. Nur einmal fuhr ich einem, das war 1969 wieder in Monte Carlo. Das war ein Lotus 49. Das war das beste Auto seiner Zeit mit diesem fantastischen DFV-Motor. Ich fuhr ein gutes Rennen und wurde Vierter hinter drei anderen Autos mit diesem Motor. Das war ein einziger Einsatz mit Colin Chapman, zugleich mein letztes Formel-1-Rennen.

Dieser Lotus existiert ja noch. Er gehört dem Formel-1-Konstrukteur Adrian Newey.


Ja, er hat ihn auf einer Auktion gekauft. Er hat noch nicht mal viel Geld dafür bezahlt. Das ist drei oder vier Jahre her. Er wird ihn sehr vorsichtig behandeln, hoffe ich.

Neben Vic Elford sind Sie der einzige Fahrer, der alle drei Le-Mans-Rennen ab 1969 mit einem Porsche 917 bestritten hat. Wie war es, mit dem allerersten 917 zu fahren?


Das Auto wurde vor den ersten Einsätzen zwar viel getestet. Das habe ich erst vor zehn, zwölf Jahren erfahren. Aber dazu wurde ein asphaltierter Flugplatz genutzt. Dort konnte man wegen der kurzen Landebahn aber nie die hohen Geschwindigkeiten erreichen. Aber speziell im Hochgeschwindigkeitsbereich war das Auto schwierig zu fahren. Als Porsche nach Le Mans kam, wussten Sie, dass ihr Auto sehr schnell war. Das war es tatsächlich. Aber es war gleichermaßen sehr instabil. Die Karosserie war sehr windschlüpfig. Die Silhouette war genau die gleiche wie beim 908 Langheck. Der 908 erreichte rund 320 km/h (Der 917 wurde mit rund 380 km/h gemessen). Dabei wurde das Auto sehr leicht und hätte Abtrieb gebraucht. Ich wusste, dass der 917 sich bei hohen Geschwindigkeiten genauso verhalten würde. Ich hatte das Auto nie getestet. Zum ersten Mal sass ich beim Qualifying in Le Mans 1969 im Cockpit, um mich mit Vic Elford für einen Startplatz zu qualifizieren. Es war das erste Mal, dass ich das Auto überhaupt gefahren bin und ich war erschrocken, wie es sich verhielt.

24h Le Mans 1969 Nr 12 Vic Elford Richard Attwood Porsche 917 LH Coupé
Porsche
Beim Qualifying zu Le Mans 1969 saß Attwood zum ersten Mal überhaupt im Porsche 917.
Aber sie haben das Rennen beinahe gewonnen.


In der ersten Phase des Rennens lagen Jo Siffert und Brian Redman in einem offenen Porsche 908/2 Langheck-Spyder vor uns. Sie machten einen sehr guten Job. Ihr Auto hatte eine sehr stabile Straßenlage. Auf der Geraden waren sie zwar langsamer als wir, aber in den Kurven sind sie uns wieder davon gezogen. Sie sind dann irgendwann ausgefallen. Dann führten wir viele Stunden lang. Den 917 zu fahren hat mich mental zermürbt. Mit dem Auto musstest Du so vorsichtig umgehen. Du musstest es beherrschen. Als wir dann selbst ausgefallen sind, dachte ich nicht daran, dass ich Le Mans hätte gewinnen können. Mich hat das Fahren mit dem Auto unter enormen Stress gesetzt, wissen Sie. Das war massiver Stress, weil der 917 so schwierig zu fahren war. Und als er iegenblieb, war ich so erleichtert, dass ich ihn nicht weiter fahren musste. Das ist die Wahrheit. Ich hatte aufgehört, daran zu denken, dass ich jemals in Le Mans gewinnen würde. So nah war ich noch nie dran gewesen. Aber in dieser Situation war ich einfach nur erleichtert. Als Fahrer hatte ich mein bestes gegeben. Ich war so fertig und mental ausgelaugt, dass es mir gar nichts ausgemacht hat, aus dem Auto zu steigen. Daran können Sie erkennen, wie schwierig dieses Auto war. Ich wollte wirklich nie mehr mit dem Wagen fahren. Aber Vic (Elford) liebte den 917 und er wollte mich als seinen Teamkollegen. Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich das nicht. Ich habe es erst viel später erfahren.

Wie sind Sie Porsche-Werksfahrer geworden?


Das passierte, da bin ich mir sicher, durch Huschke von Hanstein. Er agierte, wenn Sie so wollen, immer wie ein Scout für Porsche. Er wusste natürlich, dass Porsche 1969 viele Läufe der Sportwagen-Weltmeisterschaft gewinnen wollte. 1968 luden sie mich nach Watkins Glen ein, wo ich einen 908 fuhr. Wie sich später zeigte, war das offensichtlich ein Test für mich. Offenbar waren sie sehr zufrieden mit dem, was ich gezeigt hatte. So begann das. Zur gleichen Zeit machte mir John Wyer ein Angebot. Also musste ich mich entscheiden. Bei Porsche sah ich eine bessere Zukunft, weil sie viel Geld ausgaben, um den Bau schneller Rennwagen zu ermöglichen. Das gab den Ausschlag. Die Ford GT40 waren zu dem Zeitpunkt bereits fünf oder sechs Jahre alt. Also wählte ich Porsche.

War der 917 von 1970 immer noch so ein Monster oder ein perfekter Rennwagen?


Es war ein völlig anderes Auto. Im Februar 1970 rief jemand aus dem Porsche-Werk an. Es war entweder Professor Bott oder Rico Steinemann. Ich wurde gefragt, welches Auto ich fahren wollte. Ich antwortete: Ich will kein Langheck und keinen Fünfliter-Motor, weil im Jahr zuvor die Getriebe nicht gehalten hatten. Der Fünfliter belastete die Getriebe zu stark. Also wählte ich ein Auto mit 4,5 Litern und Kurzheck. Als drittes wünschte ich mir Hans Herrmann als Teamkollegen. Er war der Senior im Team und sehr reif. Die Tatsache, dass er im Vorjahr Zweiter geworden war, interessierte mich gar nicht. Ich dachte in dem Moment gar nicht daran. Aber ich wusste, dass er genau der richtige war, mit so vielen Zielankünften in Le Mans. Mit ihm war es eine sichere Sache. Er brachte so viel Erfahrung mit und behandelte das Auto gut. Für mich war Le Mans damals kein Sprintrennen, sondern ein Ausdauerwettbewerb. Er setzte es um und am Ende gewannen wir. Aber es war ein verrücktes Rennen. Wenn Sie den Verlauf zum Beispiel für ein Filmskript aufschreiben würden, glaubte jeder, das wäre ein Fake. Das kann gar nicht wahr sein.

24h Le Mans 1969 Nr. 12 Richard Attwood  Porsche 917 LH Coupé links im T-Shirt
Porsche
Attwood (links im T-Shirt) gewann 1970 mit Hans Herrmann und Porsche in Le Mans. Gegen alle Wahrscheinlichkeit.
Warum?


Vor dem Start zum Rennen sagte ich meiner Frau, dass wir nicht den Hauch einer Chance hätten, das Rennen zu gewinnen. Unmöglich. Wir verloren in jeder Runde so viel Zeit mit unserem 4,5-Liter-Kurzheck und waren langsamer als alle anderen. Hans Herrmann fuhr den Start und ich schaute zu. Ich konnte nicht glauben, wie schnell alle fuhren. Wie bei einem Grand Prix. Einfach lächerlich. Jeder in einem Ferrari oder 917 hatte die Chance, das Rennen zu gewinnen. Das war wie ein Kurzstreckenrennen und so konnte es nicht weitergehen. Wir verloren so viel Zeit, vor allem eingangs und ausgangs der beiden langsamen Kurven Mulsanne und Arnage. Das Drehmoment des Fünfliter-Motors war so viel besser. 1970 hatten wir das Vierganggetriebe im Gegensatz zum Jahr davor mit Fünfgang. Wir durften den ersten Gang nicht verwenden, um das Getriebe zu schonen. Also konnten wir nur bis in den zweiten Gang herunterschalten. Dadurch verloren wir in jeder langsamen Kurve drei bis vier Sekunden und kamen so auf keine guten Rundenzeiten. Wir lagen so weit zurück. Wir waren von der 15. Position aus gestartet. Aber nach zehn Stunden lagen wir plötzlich in Führung. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Idee, wo wir lagen. Beim Boxenstopp sagten sie mir: Wir liegen in Führung. Ich konnte das gar nicht glauben. All diese schnelleren Autos hatten Probleme, meist durch Fehler der Fahrer. Wir hatten nichts gemacht, und konnten auch gar nichts tun, weil wir eigentlich kein Auto für den Gesamtsieg hatten. Wir wollten es nur ins Ziel bringen. Die Weise, wie wir in Führung lagen, wirkte wie ein Traum für uns – und ein Alptraum für all die anderen Fahrer, die viel leichter hätten gewinnen können. Unsere einzige Sorge war der immense Regen, der in die Elektrik eindrang und Fehlzündungen verursachte. Wir fürchteten, dass das Wasser den Motor stoppen könnte. Aber das passierte zum Glück nicht. Heutzutage hätte man das Rennen abgebrochen.

1971 sind sie zusammen mit Herbert Müller Zweiter geworden. Aber nach zwei weiteren Rennen haben sie ihre Karriere beendet. Warum?


Da gab es eine ganze Reihe von Gründen. Ich hatte meinem Vater schon Ende 1963 versprochen, ihn in seiner Werkstatt zu unterstützen. Aber durch die Verträge damals mit BRM und Ford of America habe ich zunächst meine Rennfahrerkarriere fortgesetzt. Dann war ich seit 1969 verheiratet und ich wollte keine Kinder, während ich noch Rennen fuhr. Außerdem hatte ich schon 1970 entschieden, in der kommenden Saison nur noch wenige Rennen zu fahren. Ich wollte mich langsam abseilen, um das Rennen fahren nach 1971 nicht zu vermissen. Ich hatte keinen festen Vertrag mehr. Insgesamt hatte mich John Wyer drei Mal verpflichtet. Meist rief er mich kurzfristig an, weil er noch einen Fahrer brauchte. In Le Mans wollten sie zum Beispiel noch ein drittes Auto einsetzen und in Zeltweg fuhr ich mit Pedro Rodriguez und gewann das 1000-Kilometer-Rennen dort. Als ich mich dann dem Geschäft widmete, habe ich nicht mehr an Autorennen gedacht. Noch nicht mal ein Automagazin habe ich mir gekauft. So konzentriert war ich auf das Geschäft. Noch ein Grund fällt mir ein: Ich hatte eine schöne Zeit und ich habe überlebt. Einige andere Fahrer haben das nicht geschafft. Das war ein ebenfalls ganz guter Grund.

Aber so ganz haben Sie den Helm danach nicht an den Nagel gehängt? Sie fahren noch historische Rennen.


Das kam durch David Piper. Er betreute damals eine Serie namens Supersports. Ich hatte einen Porsche 917 und bin damit in den 80er- und frühen 90er-Jahren gestartet. Das Auto habe ich von Brian Redman gekauft, der es 1974 einer deutschen Werkstatt abgekauft hatte. Damals sagte ich ihm, wenn Du es je verkauftst, sprichst Du mich bitte als ersten an. So rief er eines Tages an und ich übernahm das Auto. Zunächst brauchte ich noch neun Monate, um den Kaufpreis aufzutreiben. Zunächst hatte ich gar nicht vor, das Auto einzusetzen. Aber dann fragte mich David, ob ich nicht in seiner Serie starten könnte. Also sagte ich zu und hatte eine wirklich schöne Zeit. Der 917 ist so leicht einzusetzen. Selbst nach längerer Standzeit klemmst Du die Batterie an, startest und fährst los. Zwar ist der Kaufpreis hoch, aber der Einsatz ist nicht teuer. Als ich den 917 gekauft habe, interessierte sich niemand für die Geschichte. Auch ich kannte die von meinem Auto nicht. Jahre später hat mir ein Spezialist verraten, dass es das Kameraauto von Steve McQueen und Solar Productions für die Dreharbeiten von "Le Mans" war. Ich bin dieses Auto damals sehr viel gefahren. Vorne auf dem Chassis war eine Kamera befestigt. Das ist heute noch zu sehen. Heute gehört das Auto Jerry Seinfeld. Es ist Chassisnummer 022 und damit die Nummer direkt vor der unseres Siegerautos von Le Mans 1970 (Chassis 023).

Richard Attwood Le Mans Film
Porsche
Attwood kaufte 1978 von Brian Redman einen 917. Erst später stellte sich heraus, dass es der Kamerawagen aus Steve McQueens Film "Le Mans" war.
Wenn Sie sich selbst einen Geburtstagswunsch erfüllen könnten: Welchen Rennwagen würden Sie gerne fahren?


Das wäre ein Vorkriegsautos mit Mittelmotor, einer von den Auto Union-Rennwagen. Für einen Rennfahrer ist es sehr reizvoll, ein solches Auto mit viel Motorleistung und wenig Grip zu fahren. Diese schmalen Reifen und ein Motor mit zwölf oder sogar sechszehn Zylindern. Ein unglaubliches Stück genialer Ingenieurskunst. Ferdinand Porsche hatte sehr großen Anteil daran. Ein modernes Auto möchte ich dagegen nie fahren. Bei den Kräften, die da auf den Fahrer wirken, würde ich vielleicht zwei Minuten aushalten. Das wäre eine zu gewaltsame Erfahrung. Also ich bleibe beim Auto Union, ja, das wärs. Aber ich brauche wahrscheinlich viel Platz. Dafür wäre die Start- und Landebahn eines Flugplatzes wirklich nicht schlecht.