Mercedes 300 SL und SLS AMG
Der AMG-Flügeltürer trifft auf seinen Urahn

Strahlende Sterne in der Nacht: Der Mercedes SLS AMG trifft seinen Urahn 300 SL zum gemeinsamen Flügelschlagen an der Côte d´Azur. Der eine ist Legende, der andere will es erst noch werden.

Mercedes 300 SL und SLS AMG
Foto: Hans-Dieter Seufert

Monsieur Acat ist schuld. Der Sportkommissar des Automobile Club de l’Ouest teilte am 14. März 1952 Daimler-Benz mit, wie die Türen abzuändern seien, damit sie seinen Segen für das Rennen in Le Mans bekämen. Er also verlieh dem Mercedes 300 SL seine extravaganteste Attraktion, die großen Flügeltüren, und ließ die Träume der Automobilfans fliegen - bis heute. Als der 300 SL im Februar 1954 als Straßensportwagen in New York debütierte, muss man sich die Sensation in etwa so vorstellen, als hätte man Mitte der achtziger Jahre neben ein Wählscheiben-Telefon mit Häkelbezug ein iPhone geknallt.

Der Mercedes 300 SL darf als automobiles Wunder bezeichnet werden

Was damals in Untertürkheim in notdürftig wiederaufgebauten Entwicklungs- und Produktionsstätten entstand, darf getrost als automobiles Wunder bezeichnet werden. Noch bevor sich Deutschland in Goggomobil und Isetta zwängte, brauste der Meredes 300 SL (Sport Leicht) mit seinen 215 PS mehr als 220 km/h schnell über die leeren Autobahnen. Theoretisch waren sogar 267 km/h mit der längsten Hinterachsübersetzung möglich. Ausprobiert soll es keiner haben. Was für ein Affront gegen die spießbürgerliche Bescheidenheit der fünfziger Jahre. Eine Zeit, in der auf der einen Seite völlig selbstverständlich auf dem Titelbild von "das auto motor und sport" ein begeisterter kleiner Nackedei vor dem Kühlerschlund des Mercedes 300 SL posierte. Dafür wäre den Deutschen damals beim Anblick einer Frauenbrust wohl die Hausmacherwurst-Dose in der Hand explodiert.

Mercedes 300 SL vs Mercedes SLS AMG: Kraftstoffeinspritzung - die erste in Serie bei einem Viertakter

56 Jahre später steht er da, der Meredes 300 SL in perfektem Zustand und blinkendem Bordeauxrot, als wäre er gerade eben mit einem letzten Handschuhklaps von der Produktionsstraße gerollt. Es muss damals ein verdammt guter Stern über dem Schwabenland geleuchtet haben, um dieses Meisterwerk an sportlicher Eleganz zu entwerfen. Lässig schwingen die Türen hoch, und für einen kurzen Moment blitzen die Loren und die Gabor auf, als sie mit diesem typisch knieverklemmten Damen-Schwung in ihr Auto gleiten. Als der Motor auf einem Dreh am "Briefkasten"-Schlüssel anstandslos anspringt, scheinen die Zylinder unter der Motorhaube provokant zu flüstern: "Na SLS, kein Direkteinspritzer?"

Der Spruch sitzt. Das Standgas-Bollern des nebenan dösenden Mercedes SLS AMG wird lauter. Soll sich der mit viel Tamtam eingeführte dynamische Jungspund vom automobilen Rentner etwa erklären lassen, was moderne Automobiltechnik ist? Ja, schräg liegender Reihensechszylinder mit drei Liter Hubraum und direkter Kraftstoffeinspritzung - die erste in Serie bei einem Viertakter. M 198 ist sein Name. Der alte Kerl legt nach: "Schon Rennerfolge gehabt? Wie sieht es mit Nordschleife, Mille Miglia und Le Mans aus? Die hab ich nacheinander gewonnen."

Der SLS AMG ist kein simpler Retro-Abklatsch

Der 6,2-Liter-Saugrohr-V8 des Mercedes SLS AMG brüllt wütend auf, als wehre er sich gegen diesen Vergleich. Der scheidende AMG-Chef Volker Mornhinweg hatte doch klar gesagt, der SLS sei kein simpler Retro-Abklatsch. Was nichts daran ändert, dass er sich im gigantischen Flügelschatten des Altmeisters bewegt. Er muss sich an der Legende, dem Sportwagen des Jahrhunderts (Wahl einer Jury 1999) messen lassen. "Wie siehts mit Leichtbau aus?" Der Alte zwickt weiter. Zwölf Zentimeter kürzer, 15 schmaler, mit Gitterrohrrahmen, handgeschaltet und mit der Sicherheitstechnik einer doppelt gestrickten Pudelmütze lässt es sich leicht mit zarten 1.295 Kilogramm protzen. Der Mercedes SLS AMG wiegt einen drittel Smart Fortwo mehr. "Und was ist mit Rundumsicht?"

Der Mercedes 300 SL vergibt keinen Übermut

Das Einlegen des ersten Gangs fokussiert den keifenden Nachkriegs-Beau aufs Fahren. Und während der Sechszylinder sämig aus den 2.000ern herausdreht, die 4.000er mit wohligen Vibrationen hinter sich lässt, die nächste Kurve erstaunlich zügig heranzoomt, schlagen beim Piloten die Worte des Mercedes-Technikers ein wie der Geier auf dem Mercedes 300 SL von Karl Kling bei der Carrera Panamericana: vier Trommelbremsen und Pendelachse. Was das bedeutet, können sich selbst Besitzer von Kleinstwagen kaum noch vorstellen. Dort, wo man heute hochschalten würde, muss der Fuß beim SL schon die Bremse knutschen. In die Kurve hinein sollte tunlichst die Verzögerung abgeschlossen, das Tempo massiv gedrosselt und das dürre Lkw-Lenkrad in festem Griff sein, sonst passiert das, was auto motor und sport damals noch überaus nett mit "Der Mercedes 300 SL kann dann plötzlich ausbrechen und vergibt keinen Übermut" beschrieb.

Scheibenbremsen für den Mercedes 300 SL gab es erst ab 1961

Als wäre irgendein Übermut angesagt bei einer 650.000-Euro-Ikone (1955: 29.000 D-Mark), die schon bei normalem Tempo mit der Hinterachse um den Popo schwingt wie ein Petticoat beim Rock´n´Roll. Hut ab vor den Helden, die dieses Luxusgefährt im Renntempo bewegten. Erst der Roadster von 1957 erhielt eine bessere Eingelenk-Pendelachse und ab 1961 wenigstens vorn Scheibenbremsen. Noch sind die 6.000er aber nicht erklommen. Sie klängen böse, hart, berauschend, versprach auto motor und sport schon 1955. Es hat sich nichts geändert. Das geniale Untertürkheimer Sixpack brüllt und sägt einem bei bis zu 6.600/min das Trommelfell in Stücke. Untenrum Trollinger, oben Remstäler Birnenbrand - so wirkt der 300 SL.

Der Mercedes SLS AMG muss sich noch beweisen

Benebelt von dem grandiosen Auftritt, schwingt sich der Autor in den 2010er Mercedes SLS.
Fühlt die Kopfstützen, den Seitenhalt, das grandiose Bang & Olufsen-Soundsystem. Das Lenkrad schrumpft schlagartig, und rund um den Fahrer poppen überall ergonomisch korrekt beschriftete Knöpfe auf. Doch das unnachahmliche Flair des Originals, dieses feiste Klicken der Vollmetallschalter und das Glänzen des in Wagenfarbe lackierten Armaturenbretts, sind verschwunden und mit ihnen auch die immer noch spürbare "Jetzt-erst-recht"-Mentalität der damaligen Ingenieure. Der Mercedes SLS AMG feuert die Berge empor, dringt quer in Beschleunigungsdimensionen vor, die der Alte kaum längs schafft. Stoppt tierisch, bollert magenerschütternd und legt ein beeindruckendes Zeugnis dafür ab, was sich in einem halben Jahrhundert Automobilbau getan hat. Er muss sich eben noch beweisen - das braucht der Mercedes 300 SL schon lange nicht mehr.

Umfrage
Wie gefällt Ihnen der Innenraum des Mercedes SLS AMG?
30 Mal abgestimmt
Wow, das Design haut mich vom Hocker!
Puh, zuviele bekannte Mercedes-Elemente!
Altbacken, gediegen, langweilig