Interview mit Audi-Entwicklungsvorstand Hoffmann
„Noch mindestens 10 Jahre Verbrennungsmotoren“

Oliver Hoffmann ist seit März 2021 Vorstand für Technische Entwicklung bei Audi. Im Interview spricht der Maschinenbauer über den Spagat zwischen Verbrennern und E-Mobilität, über Euro 7 und das typische Audi-Fahrgefühl der Zukunft und autonomes Fahren.

Oliver Hoffmann, Entwicklungsvorstand Audi
Foto: Audi
Wie geht es aktuell dem Projekt Artemis?

Mit dem Projekt Artemis werden wir 2024 ein superinnovatives Fahrzeugkonzept vorstellen und im darauffolgenden Jahr zu unseren Kunden bringen. Wir haben es erstmalig aus dem Innenraum heraus gedacht und sind es mit schnellen Entwicklungsmethoden angegangen. Kürzlich haben wir das Projekt zur Serienumsetzung in die Technische Entwicklung bei Audi überführt und arbeiten aktuell mit Vollgas an der Realisierung.

Unsere Highlights
Wenn das Fahrzeug vom "Interieur aus gedacht" wurde, steht das also auf einer komplett neuen Architektur?

Nein, Artemis fußt auf unserer PPE-Architektur. Zudem wird das Fahrzeug das Pilotprojekt für die Einheits-Batteriezelle des Konzerns sein. Dabei handelt es sich um ein einheitliches, prismatisches Zellformat. Die PPE-Architektur mit vielen vordefinierten Modulen und Komponenten ermöglicht es uns, den Fokus stärker auf die Themen Interieur und Bedienkonzept zu legen.

Es bleibt also bei unterschiedlichen Architekturen? Es soll ja innerhalb des Volkswagen-Konzerns Bestrebungen geben, die Anzahl der Architekturen zu reduzieren.

Heute sind wir mit MEB und PPE in der Elektromobilität klar strukturiert und damit Vorreiter in der Automobilindustrie. Mit dem Q4 e-tron und dem Q4 Sportback e-tron hat nun auch Audi seine ersten Modelle auf MEB-Basis. Mit den Kompakt-SUVs werden wir hohe Volumen generieren, da sie den Einstieg in die Elektromobilität bei Audi ermöglichen. Der nächste Schritt sind dann die Fahrzeuge auf PPE-Basis. Das Concept Car von Shanghai hat gezeigt, wo da eine Richtung hingeht. Gemeinsam mit Porsche werden wir da nochmal einen echten Sprung machen. Nur zum Verständnis: Wir haben die zwei Baukästen MEB und PPE. Innerhalb dieser gibt es Plattformen für jedes Segment, welche sich bei den kostenintensiven Modulen aus den Baukästen bedienen. Mit dem Projekt Artemis kommt nun noch die Einheitszelle hinzu, die unseren Weg in die Zukunft begleiten wird.

Audi Q4 E-Tron
Audi
Mit dem Q4 e-tron (hier die Sportback-Variante) startet Audi in einem bezahlbareren Elektro-Segment. Basis: der MEB des Volkswagen-Konzerns.
Was zeichnet die Einheitszelle aus?

Zunächst geht es um Skaleneffekte. Der E-Tron auf Basis des Modularen Längsbaukastens (MLB) nutzt beispielsweise noch Zellen von zwei unterschiedlichen Lieferanten in zwei unterschiedlichen Formaten. Denn einer allein wäre gar nicht in der Lage gewesen, die entsprechenden Stückzahlen zur Verfügung zu stellen. Wir haben also Pouch- und prismatische Zellen. Für die Einheitszelle haben wir in einem langen Prozess die Formate und die chemische Zusammensetzung der Zellen analysiert, unter anderem nach unseren Leistungsanforderungen und den gesetzlichen Vorgaben. Im nächsten Schritt haben wir die Zellen hinsichtlich Geometrie und Abmessungen vereinheitlicht, um uns Flexibilität und unseren Lieferanten Planungssicherheit zu geben.

Doch diese Zelle wird nicht alle Anforderungen abdecken können, oder?

Speziell wenn wir High-Performance-Fahrzeuge im Konzern elektrifizieren, werden wir Sonderformate benötigen. Sonst würde es den Baukasten zu stark aufweiten. Diese Spezialanwendungen bei der Einheitszelle zu berücksichtigen, würde deren Kosten zu sehr in die Höhe treiben.

Eben erwähnten Sie nebenbei, dass das Projekt Artemis autonomes Fahren nach Level 4 beherrschen soll. Noch funktioniert nicht einmal Level 3. Woher nehmen Sie die Zuversicht?

Wir waren ja beim A8 schon sehr optimistisch hinsichtlich Level 3. Da haben wir, wie alle Hersteller, Lehrgeld bezahlt, da die Gesetzesanforderungen nicht klar waren und erst langsam Gestalt angenommen haben. Und das noch in jedem Markt unterschiedlich. Gleichzeitig haben wir sehr viel Erfahrung gesammelt und Know-how aufgebaut. Darauf setzen wir jetzt auf. Wir werden Level 3- und Level 4-Fahrfunktionen erst freigeben, wenn wir überzeugt davon sind, dass sie unseren Kunden einen adäquaten Nutzen bringen und vor allem, dass sie sicher sind. Das unterscheidet uns von Newcomern auf dem Markt. Wir stehen für Sicherheit. Die Technik, also die Sensorik, ist das eine. Das andere ist, welcher Freigabe- sowie Erprobungsprozess dahintersteckt und welche Gesetzesanforderungen wir haben. Mit Artemis setzen wir das von Beginn an sehr konsequent auf. Dafür haben wir uns auch organisatorisch neu aufgestellt. Das macht mich sehr zuversichtlich, dass wir unseren Kunden das Fahrzeug mit der Technologie anbieten können.

Und was ist mit Level 3?

Das planen wir ebenfalls für ausgewählte Fahrzeuge auf der PPE-Plattform.

Wie wollen Sie in ihrer neuen Funktion der Herausforderung begegnen, einerseits den Verbrennungsmotor bis zu seinem Ende weiterzuentwickeln und andererseits die E-Mobilität voranbringen zu müssen?

Zusammen mit unserem CEO Markus Duesmann sind wir uns einig, dass wir die besten Verbrennungsmotoren und zugleich die besten E-Fahrzeuge auf den Markt bringen. Das ist unser Anspruch und den werden wir auch umsetzen. Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, die Innovationskraft des Audi-Teams zu stärken. Da gibt es wahnsinnig viel Potenzial. Das müssen wir nun auf die Straße bringen. Wir müssen aus unseren Ideen kundenrelevante Innovationen entwickeln. Dafür definieren wir gerade das Innovationsmanagement von Audi mit Prozessen und Strukturen komplett neu. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen, unseren Produkten eine klare DNA zu geben. Daher habe ich das Projekt "Audi-DNA" ins Leben gerufen. Dabei gehen wir tief in technische Details wie Lenkwinkelbedarf, Handmoment und Akustik. Wir wollen eindeutig definieren, wie sich ein Audi beim Fahren anfühlen muss. Das gilt übrigens auch für das hochautomatisierte Fahren. Weitere Punkte, die ich weiter verbessern möchte, sind Teamkultur und Zusammenarbeit. Ein High-Performance-Team werden funktioniert nur mit gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und einer souveränen Fehlerkultur. Man spürt im Team schon jetzt eine Aufbruchstimmung. Ich bin ja ein Audi-Gewächs, durfte zu Beginn meiner Karriere den Hochdrehzahlmotor des R8 mitentwickeln. Mich hat schon immer diese intrinsische Motivation, der Stolz auf die Marke fasziniert. Das ist in den letzten Jahren an der einen oder anderen Stelle zu sehr in den Hintergrund getreten. Das müssen wir wieder ändern.

Oliver Hoffmann, Entwicklungsvorstand Audi, DTM-Pilot Nico Müller
Audi
Oliver Hoffmann mit DTM-Pilot Nico Müller beim Finale in Hockenheim. Speziell der Kundenmotorsport ist ein profitables Geschäft für die Marke.
Können Sie die angesprochene DNA womöglich schon etwas präzisieren? Bislang sitzen Audi-Modelle beim Fahrcharakter oft zwischen den Stühlen.

Zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Nur so viel: Wir haben die Fahrzeuge erst einmal geclustert. Jedes Fahrzeug wird dann in seinem Eigenschaftsspektrum beschrieben. Und dann geht es von dort in die Tiefe, wie ich es eben schon beschrieben habe, bis hin zu Schaltzeiten, Gasannahme, Drehmoment-Aufbau oder Schubmomente und Rekuperationsverhalten bei den E-Fahrzeugen.

Wie wollen und können Sie den Verbrennungsmotor so entwickeln, dass er für den Kunden weiterhin attraktiv bleibt und er keine Angst vor hohem Wertverlust haben muss?

Ehrlich gesagt, mache ich mir beim Verbrenner aktuell weniger Sorgen um den Wertverlust. Klar ist zwar: Elektro ist die Zukunft – das wird sich durchsetzen und diejenigen, die einmal in einem E-Auto gefahren sind, machen in der Regel nicht mehr den Schritt zurück zum Verbrenner. Dennoch glaube ich, dass wir in diesem Jahrzehnt noch eine hohe Anzahl an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren verkaufen werden. Das Geschäft ist aktuell aber sehr volatil. Vor ein paar Jahren waren wir überzeugt, dass in China in Kürze niemand mehr mit einem Verbrenner in die Innenstädte darf. Dann kam der Green Deal der EU, wodurch wir nun hier in Europa eine Vorreiterrolle einnehmen. Heute sehen wir in unseren Prognosen, dass in China und in den USA im Jahr 2030 voraussichtlich immer noch rund 50 Prozent aller Neuzulassungen auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor entfallen werden. Aber auch das kann sich schnell ändern. Daher haben wir entschieden, unsere Verbrennungsmotoren weiterzuentwickeln, hin zu noch mehr Effizienz und Performance. Es kommt ja auch die neue Abgasnorm Euro 7, die aktuell noch stark diskutiert wird. Abgesehen davon, gibt es in den vielen heterogenen Märkten auf der Welt auch noch viele Verbrenner-Fans und eine große Nachfrage, wofür wir die besten Motoren anbieten wollen.

Stichwort Euro 7: Wie würden Sie es sich wünschen, dass die Politik hinsichtlich der Antriebe agiert?

Wir haben einen klaren Plan, um die Transformation hinzubekommen. Wir wollen die Elektromobilität. Das müssen wir leisten, wissen aber auch, dass wir mindestens in den nächsten zehn Jahren noch Verbrennungsmotoren anbieten werden. Bei Euro 7 soll es um die Verbesserung der Luftqualität gehen. In der Vergangenheit hat es auf diesem Gebiet schon deutliche Fortschritte durch unsere modernen Euro-6-Motoren gegeben. Dazu kommt der kontinuierlich steigende Anteil an E-Mobilität. Mein Wunsch an die Politik ist, eine Euro-7-Norm umzusetzen, die technisch und physikalisch machbar ist und die nicht durch die Hintertür das Ende des Verbrennungsmotors zur Folge hat. Die Politik sollte zu ihrer Zusicherung stehen, dass Euro 7 durch eine Weiterentwicklung des reinen Verbrennungsmotors erreicht werden kann. Grundsätzlich glaube ich, dass uns niemand mehr über Regularien zur E-Mobilität zwingen muss, wir haben uns längst dem Wandel verschrieben.

Warum also sollte sich jemand 2025 noch einen A3 mit Verbrennungsmotor kaufen?

Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind in den Märkten der Welt nach wie vor hochgeschätzt, in einigen sogar die einzige realistische Option, da es zum Beispiel für E-Mobilität noch gar keine ausreichende Infrastruktur gibt. Wir werden sie daher auch weiter anbieten. Ja, die viel diskutierten Verbote von Verbrennern schüren Ängste. Stattdessen müsste es schneller attraktive Angebote bei der E-Mobilität und dort vor allem bei der Infrastruktur geben, dann ergibt sich das von selbst. Verbote schaffen nur Verunsicherung. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass unsere Elektro-Fahrzeuge eine lange Lebensdauer haben werden und daher auch der Restwert stabil bleibt.

Was macht denn einen Audi-Verbrennungsmotor zu besten der Welt, so wie Sie das zuvor sagten?

Zunächst steht die Elektrifizierung im Vordergrund. Und ja, wir entwickeln keinen komplett neuen Grundmotor mehr. Aber wir verbessern unsere aktuellen Aggregate weiter, um sie noch effizienter und für unsere Kunden noch attraktiver zu machen. Da sind wir mit den Vierzylinder-Motoren aber auch den V-Triebwerken sehr modern aufgestellt.

Audi Manufaktur Böllinger Höfe
Audi
In der Manufaktur Böllinger Höfe nahe Heilbronn entstehen die Elektro-Limousine E-Tron GT und der Sportwagen-Klassiker R8 parallel. Die nächste Generation des Mittelmotor-Zweisitzers erhält ein elektrifiziertes Turbotriebwerk.
Derzeit gefallen sich einige Hersteller darin, sehr früh die Abkehr vom Verbrenner zu verkünden. Wie sehen Sie das?

Davon halte ich nichts. Natürlich ist Nachhaltigkeit für uns als Unternehmen ein wichtiges Thema, und es ist viel mehr als ein gesellschaftlicher Trend. Das bilden wir auch in unserem Portfolio schon ab. Gerade Kunden, die es sich leisten können, legen verstärkt Wert auf Nachhaltigkeit. Sie ist sozusagen ein Aspekt des neuen Premium. Daher suchen wir nach Möglichkeiten, nachhaltige Materialien einzusetzen, wie zum Beispiel bei den Stoffen im Audi e-tron GT, aber auch das Recycling der Batterien voranzutreiben.

Bleibt nur noch die Frage nach dem R8, der das Image von Audi stark geprägt hat. Wie geht es mit dem Sportwagen weiter?

Klar ist: Es wird keinen rein konventionell angetriebenen Sportwagen mehr geben. Wir schauen gerade verschiedene Konzepte an, mit einem hohen oder gar einem hundertprozentigen Elektrifizierungsgrad. Da könnte es auch Synergien mit anderen Konzernmarken geben. Der R8 hat unserer Marke sehr gut getan, das ist ein hoch-emotionales Produkt. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Unabhängig von der Elektrifizierung: Sauger oder Turbo?

So sehr ich Ansprechverhalten und Sound des Saugers liebe, lässt uns die weltweite Gesetzgebung keine andere Wahl, als einen hochaufgeladenen Motor einzusetzen oder ein vollelektrisches Antriebskonzept zu wählen. Wir werden Sportwagen anders denken. Damit werden wir auch unserem Anspruch an "Vorsprung durch Technik" gerecht werden.

Vita

Oliver Hoffmann, Jahrgang 1977, absolvierte ein Maschinen[1]bau-Studium an der Leibniz[1]Universität in seiner Heimatstadt Hannover. Danach begann er seine Karriere bei Volkswagen, wechselte 2005 zu Audi. Dort war er unter anderem in der Quali[1]tätssicherung bei Lamborghini und im Motorenwerk Györ sowie in der V-Motoren-Entwicklung tätig. Ab 2014 leitete Hoffmann die Antriebsentwicklung, wechselte 2017 zur Audi Sport GmbH, deren Geschäftsführung er im Juni 2018 übernahm. Seit März 2021 ist Hoffmann nun der siebte Entwicklungsvorstand der Marke seit 2007.