Schaeffler Automotive-Chef Matthias Zink
„Das Gehirn wandert aus dem Auto in die Cloud!“

Schaefflers Automotive-Chef Matthias Zink über das Potenzial alternativer Energieträger, den Sinn von Rennsport im Elektro-Zeitalter sowie die Herausforderung, mitten im Strukturwandel auch noch die Covid-19-Pandemie meistern zu müssen.

Interview Matthias Zink
Foto: Schaeffler
Herr Zink, wie steuert man ein Unternehmen wie Schaeffler durch die Coronakrise und managt gleichzeitig noch den Transformationsprozess in der Autoindustrie?

Corona hat alles noch anspruchsvoller gemacht. Wenn man sich anschaut, dass 2017 weltweit 90 Millionen Autos gebaut wurden und wir für 2020 von 73 Millionen Autos sprechen, sieht man, wo das Problem liegt. Wir sind daher bei der Weiterführung unserer Projekte sehr flexibel vorgegangen. So haben wir einige Projekte heruntergefahren, da, wo es für die Kunden verantwortbar war. Wir haben aber bei Elektro- und Hybridantrieben Gas gegeben, teilweise auch da, wo unsere Kunden die Kapazitäten gedrosselt haben. Daher glauben wir schon, dass wir gut durch die Krise kommen. Wir als Schaeffler haben den Vorteil, nicht nur eine Sparte Automotive Technologies, sondern auch noch eine Industrie- und Aftermarket-Sparte zu haben.

Unsere Highlights
Hilft es Ihnen, dass Sie als Traditionsunternehmen schneller den Schalter Richtung E-Mobilität und Hybride umlegen können?

Bedingt. Uns hat geholfen, dass wir uns sehr früh, also so vor drei, vier Jahren, mit unserem Antriebsszenario schon selbst veränderungsbereit gemacht haben. Wir sind damals bereits davon ausgegangen, dass der Markt 2030 schon zu 40 Prozent aus Hybriden und weiteren 30 Prozent aus vollelektrischen Fahrzeugen bestehen wird. Die genaue Aufteilung kann sich noch verändern, uns selbst zu provozieren, war dennoch wohl der größte Schritt.

Sind Sie auf allen Weltmärkten gleich stark vertreten?

Wir werden immer balancierter, was uns ebenfalls hilft. Wir erwirtschaften derzeit knapp über 20 Prozent in China, knapp 20 Prozent in Nord- und Südamerika, 12 Prozent in Asien und dem Pazifikraum und den Rest in Europa.

Gibt es bei den Verbrenner-Komponenten Bereiche, von denen Sie sich in absehbarer Zeit trennen werden?

Das müssen wir uns schon genau ansehen: Wenn es sich herausstellen sollte, dass der Verbrenner 2035 oder 2040 vom Markt geht, müssen wir nach und nach schon sehen, wo wir besonders gut sind und wo wir nur einer unter vielen sind. Wir werden nicht auf Dauer alle Felder in der gleichen Intensität bespielen. Auch bei den Elektromotoren achten wir auf die Wertschöpfung. Wenn wir was machen, dann richtig.

Glauben Sie, dass E-Autos und Plug-in-Hybride bald so günstig werden wie Verbrenner?

Bis zum Jahr 2025 könnte das knapp werden. Wir sehen ja gerade, dass der Markt aktuell noch stark von Kaufprämien abhängt. Ob die alternativen Antriebe bis zum Jahr 2025 preislich mithalten können, muss sich noch zeigen. Trotzdem sieht man, dass die Akzeptanz der Elektromobilität massiv steigt. Mit dem VW ID.3 geht es ja jetzt so richtig los, jetzt beginnt die spannende Zeit. Hier kommt es meiner Meinung nach stark auf die Rahmenbedingungen an: Gibt es genügend Ladepunkte, sinkt die Ladezeit, ist die richtige Infrastruktur da? All das muss passen, damit eine Kaufentscheidung des Endkunden dauerhaft in Richtung E-Mobilität geht.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Ich würde mir eine Diskussion wünschen, die nach wie vor alle Technologien miteinbezieht, auch wenn ich grundsätzlich von der Elektromobilität überzeugt bin. Momentan fahren 1,4 Milliarden Autos über den Planeten. Den CO2-Ausstoß nur über Elektro-Neufahrzeuge zu senken, dauert sehr lang. E-Fuels sind in bestimmten Anwendungsfällen, wie im Lkw oder dem Flugzeug, durchaus eine Option. Auch Wasserstoff ist für uns sehr interessant, nicht nur wegen der Brennstoffzelle. Bipolar-Platten für Brennstoffzellen entwickeln wir natürlich ebenfalls, durch unsere Industrie-Sparte sind wir aber auch nah an der Energietechnik dran und arbeiten hier speziell an Technologien für Elektrolyseuranlagen für die Produktion von Wasserstoff.

Interview Matthias Zink
Schaeffler
Elektroantriebe sind weniger komplex als Verbrennungsmotoren, sie sind jedoch längst noch nicht ausentwickelt. Auch deshalb engagiert sich Schaeffler im Motorsport, unter anderem in der Formel E.
Sie haben sich sehr früh bei der Formula E engagiert. Hat Ihnen das geholfen?

Ja, auf jeden Fall. Die Serie hatte von Anfang an viel Aufmerksamkeit, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei uns. Wir haben uns dadurch früh mit Elektrik und Elektronik beschäftigt, mit Hochleistungsmotoren, Leistungselektronik, Kühlung etc. Daraus können wir viel mitnehmen für unsere E-Motoren, was Leistungsdichte betrifft, wie man die Magnete besser ausnutzt oder die Wicklungen kühlt. Das hat uns bereits geholfen, ganz neue Kunden zu gewinnen. Zudem soll ja die DTM ab 2023 elektrisch fahren. Hierfür haben wir bereits ein Demo-Fahrzeug mit 1.200 PS und 10.000 Nm Drehmoment entwickelt.

Definiert sich das Fahrzeug außer beim Antrieb auch noch über andere Bereiche?

Ja, es kommt beispielsweise ein Steer-by-Wire-System zum Einsatz, also unsere Lenkung, die ohne mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Lenkgetriebe auskommt. Die Steuerbefehle werden per Kabel an E-Motoren übertragen. Wenn ein Rennfahrer, der höchste Ansprüche an Lenkpräzision und Rückmeldung stellt, damit zufrieden ist, dann sind wir am Ziel. Das Großartige an der Lenkung ist, dass sich die Charakteristik per Software ändern lässt. Wir haben quasi viele neue Freiheitsgrade bei der Abstimmung. Das System kommt von unserem Joint-Venture-Partner Paravan und wurde ursprünglich für die Behindertenmobilität entwickelt. Menschen mit motorischen Handicaps können damit ein Auto per Joystick fahren. Wir haben schon früh das Potenzial der Lenkung für das autonome Fahren gesehen, wo ja auch kein Fahrer mehr ein Lenkrad bedient.

Ist es denn so revolutionär, einen Stellmotor ans Lenkgetriebe zu setzen?

Das nicht, aber unser System ist sowohl bei der Elektronik als auch bei der Software dreifach redundant, sprich, selbst wenn einzelne Teile ausfallen, lässt sich das Auto immer noch sicher lenken. Dies ist für die Zulassung selbstfahrender Autos eine Grundbedingung. Und Paravan beweist seit Jahren, dass die Lenkung absolut sicher ist, Zulassungshürden in zahlreichen Ländern sind längst genommen, es fahren Tausende Autos völlig problemlos auf den Straßen. Wir kommen auf über eine Milliarde unfallfreie Kilometer mit dem System. Solche Referenzen haben andere nicht.

Die Entwicklung beim autonomen Fahren scheint derzeit zu stocken. Ist der Hype schon vorüber?

Das würde ich nicht sagen, die Begehrlichkeiten sind da. Aber momentan sind in Europa einfach die Gelder für die Entwicklung knapper. In China und den USA geht es nach meinem Empfinden jedoch weiter, da können wir nicht stehen bleiben. Wie wollen wir sonst unserem Premium-Anspruch gerecht werden? Was ist in Zukunft überhaupt Premium, wenn alle elektrisch fahren? Da bin ich schnell bei den automatisierten Fahrfunktionen.

Schaeffler hat schon oft über den Tellerrand hinausgesehen, etwa mit dem Bio-Hybrid, dem vierrädrigen E-Bike. Warum haben Sie sich jetzt von Ihren Anteilen getrennt?

Wir haben das Projekt früh außerhalb der Unternehmensstruktur angelegt. Für den unternehmerischen Erfolg eines Start-ups ist es entscheidend, dass es absolut frei agieren kann. Dafür haben wir uns entschieden. Wir glauben aber immer noch an diese Art der Mobilität, die sich jenseits vom klassischen Auto bewegt, daran werden wir auch in Zukunft anknüpfen, auch mit der Start-up-Mentalität.

Vita

Geboren 1969 in Offenburg

1994 Nach Maschinenbau-Studium in Karlsruhe Start als Versuchsingenieur bei LuK

2006 Leitung Kupplungssysteme

2012 Leitung Automotive Schaeffler Asien/Pazifik

2014 Geschäftsführer des Bereichs Getriebesysteme

Seit 2017 leitet er als CEO Automotive unter anderem die Bereiche Getriebe, E-Mobilität, Motor- und Fahrwerkssysteme sowie Forschung und Entwicklung