Interview mit Kai Grünitz
„E-Mobilität ergibt Sinn und macht Spaß“

Der VW-Entwicklungsvorstand im Interview mit auto motor und sport über die Zukunft des Unternehmens.

Kai Grünitz
Foto: Volkswagen AG
VW hat innerhalb kürzester Zeit die limitierte Auflage eines über 70.000 Euro teuren, 333 PS starken Golf R verkaufen können, obwohl doch eigentlich die Transformation zu E-Fahrzeugen beschleunigt werden sollte. Wie passt das zusammen?

Mich hat das riesig gefreut, dass das Auto schneller ausverkauft war, als es eine Runde auf der Nordschleife hätte drehen können – in unter 8 Minuten. Das zeigt, dass der Bedarf da ist, dass Emotionen für ein Produkt vorhanden sind, das in einem kleinen Teil der Bevölkerung kritisch gesehen wird.

Der große E-Ratgeber
Aber ist es nicht schizophren, dass in einer Zeit, in der die Öffentlichkeit E-Mobilität jetzt sofort für alle fordert, leistungsstarke Verbrenner bei vielen Herstellern extrem nachgefragt werden?

Abgesehen vom angesprochenen Golf R sind leistungsstarke Verbrenner nicht unbedingt ein VW-Kernthema. Die Early Adopters bei der E-Mobilität sind jetzt versorgt, nicht nur bei uns, sondern bei allen Herstellern. Der sprunghafte Anstieg mit großen zweistelligen Zuwachsraten flacht daher ab. Jetzt geht es darum, das Gros der Bevölkerung mitzunehmen, Ihnen glaubhaft zu machen, dass E-Mobilität Sinn ergibt und Spaß macht. Dazu bedarf es einer besseren Infrastruktur und grünen Strom. Wenn beides vorhanden ist und zugleich auch die Autos den Geschmack der breiten Masse treffen, funktioniert das.

Was müssen das für Autos sein?

Die Branche hat sich bislang ja bemüht, die Fahrzeuge betont futuristisch aussehen zu lassen und vom klassischen Verbrenner zu differenzieren. Jetzt geht es darum, die Autos in die Zukunft zu führen. Die Autos müssen ins Lebensbild und in den Alltag passen, dann wird der Absatz auch ein stabiles Niveau erreichen. Auf dem Weg dahin hat der Verbrenner eine Daseinsberechtigung, weshalb wir ja mit Tiguan und Passat auch noch mal kräftig in die Technik investieren. Das ist nötig, um die breite Masse auf dem Weg in die Elektromobilität mitzunehmen. Gleichzeitig hat die Infrastruktur Zeit mitwachsen.

Verstehe ich Sie richtig, dass also nach den betont futuristisch auftretenden ID-Modelle VW jetzt ein Auto bräuchte, das aussieht wie – sagen wir mal – ein Tiguan, in dem aber ein ID-Antrieb steckt?

Ja, rein vom Design-Aspekt betrachtet, wäre das nicht verkehrt. Der ID. 2all geht in diese Richtung, wenn auch in einem anderen Segment. Der tritt deutlich klassischer auf als unsere aktuellen ID.-Modelle. Darauf haben wir sehr positive Rückmeldungen erhalten, von Medien und Kunden. Die breite Masse kann sich mit diesem etwas konservativeren Design identifizieren. In China allerdings wollen die Kunden ein bewusst anderes Aussehen für Elektrofahrzeuge, weil sie sich klar vom Verbrenner abgrenzen wollen. Der chinesische Markt befindet sich eher noch in einer frühen Phase. In Europa und Nordamerika sieht das inzwischen anders aus. Das haben wir auch beim "ID. GTI Concept" berücksichtigt – bei dem sich viele Elemente klassischer GTI wiederfinden.

China tickt als Markt nicht nur anders, sondern drängt mit eigenen Produkten nach Europa. Sie müssen aber nicht nur neue E-Modelle entwickeln, sondern vorerst auch den Verbrenner weiterlaufen lassen. Wie sehr hemmt VW diese Doppelbelastung im Vergleich zur neuen Konkurrenz?

Für uns ist es wichtig, die Kunden nicht durch zu schnelle Schritte in die E-Mobilität zu überfordern. Deshalb ergeben unsere Verbrenner Sinn. Und es ist kein Geheimnis, dass wir damit das Geld verdienen, um die Transformation zu finanzieren. Bei Wettbewerben sieht man, dass der Fokus auf günstige Autos mit Elektroantrieb dazu führt, dass sie kein Geld verdienen. Die Transformation ist ein langsamer Prozess. Ich sehe das aber nicht als Hemmnis, sondern als Möglichkeit, das gelernte aus der Entwicklung der neuen Fahrzeuge mit Verbrenner, beispielsweise bei Qualität und Bedienung, in die nächste Generation der E-Fahrzeuge mitzunehmen.

Auf diesem Weg müssen Sie sich allerdings auch mit neuen Wettbewerbern aus China auseinandersetzen, die auf den europäischen Markt kommen. Wo sehen Sie deren Vor- und Nachteile?

VW war immer stark, wenn wir herausgefordert wurden. So ist das auch jetzt. Ich habe großen Respekt vor der Schnelligkeit, mit der die neuen Wettbewerber agieren. Die Entwicklungsgeschwindigkeit ist teils atemberaubend. Deshalb haben wir in China eine Tech-Company gegründet, die mit chinesisch schnellen Prozessen entwickeln wird, die wir auch hier übernehmen wollen. Außerdem zeigen die chinesischen Wettbewerber Mut zu Entscheidungen. Sie haben eine Vision, brechen diese auf Arbeitspakete herunter und setzen das um. In Deutschland wird viel diskutiert, kein spezielles VW-Problem, sondern eher ein allgemeines, kulturelles. Wir wissen dafür sehr gut, wie man Plattformen skaliert, können einen ID.3 ebenso wie einen ID.7 auf einer Basis kostendiszipliniert darstellen. Dazu kommen Top-Assistenzsysteme wie unser E-Routenplaner und der neue Sprachassistent. Nicht zu vergessen: die Fahreigenschaften und die Liebe zum Detail bei unseren Modellen. Das ist in Summe ein echt schlagkräftiges Paket, mit dem wir uns vor niemandem verstecken müssen. Zumal wenn die neuen Wettbewerber nach Europa kommen, sie am Ende gar nicht mal so günstig sind.

Wäre VW überhaupt in der Lage, in deutlich kürzerer Zeit ein Fahrzeug zu entwickeln, das auch den eigenen Ansprüchen gerecht wird?

Ja, VW ist dazu in der Lage. Der erste wird der ID. 2all sein. Wir haben das Konzept in diesem Frühjahr vorgestellt und Ende 2025 wird er starten. Drei Jahre bräuchte ein chinesischer Wettbewerber auch.

Was muss noch alles passieren, damit das zum neuen Standard wird?

Wir haben dazu einen Plan entwickelt und den auch mit chinesischen Wettbewerbern abgeglichen, um zu sehen, wo wir lernen können. Lernen, nicht kopieren, wohlgemerkt. Was ergibt Sinn und wo sollte man es aus gutem Grund anders machen? Wir haben nun einige Pilotprojekte definiert und werden dabei auch lernen, wo es Optimierungspotenzial gibt. Wir fangen jetzt an, und werden im Laufen lernen, ob das alles richtig ist, tasten uns dabei an das Optimum heran. Das können wir dann als Standard definieren.

Der ID.2all soll mit einem Grundpreis von höchstens 25.000 Euro auf den Markt kommen. Allerdings sinken die Batteriekosten derzeit nicht, ganz im Gegenteil. Ist das Ziel noch zu halten?

Als wir den Preis definiert haben, basierte das nicht auf Wunschdenken. Wir haben klare Maßnahmen auch auf Batterieebene definiert, damit wir den Preis auch erreichen. Die Randbedingungen ändern sich beinahe wöchentlich, das ist richtig. Das muss man adaptieren.

Nun sind 25.000 Euro dennoch recht viel Geld, vergleichen mit Fahrzeugen dieser Klasse, die mit Verbrenner fahren. Wie ließen sich die Kosten weiter drücken?

Das ist machbar. Für elektrische Einstiegsmobilität verfolgen wir gerade einige Projektideen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Fahrzeugpreise generell inflationsbedingt gestiegen sind. Und ja, wir sind Volkswagen. Wir denken bereits über ein E-Auto für um 20.000 Euro nach.

Ist dann schon im nächsten Entwicklungsschritt, also sagen wir mal bei einem Start im Jahr 2028, ein E-Auto für unter 20.000 Euro realistisch?

In dieser Größenordnung dürfte das der Fall sein. Ich glaube sogar, dass das schon früher kommen könnte.

Jetzt zeigt VW auf der IAA erstmals einen elektrischen GTI. Unabhängig von der Größe: Was muss ein elektrischer GTI können?

Er muss in erster Linie authentisch sein. Er muss agil, sportlich, aber eben auch voll alltagstauglich sein. Ein bisschen so, wie ein Lieblings-Sneaker, den sie auch in der Arbeit tragen können. Er braucht dieses Gesamtpaket. Und dabei kommt es nicht auf maximale Leistung oder maximales Drehmoment an. Ein GTI hatte immer Frontantrieb, da gibt es ohnehin fahrdynamische Grenzen. Was er aber definitiv braucht, sind Merkmale wie unseren elektronischen Fahrdynamikmanager und eine Vorderachs-Quersperre.

…und darüber kommt dann mal ein elektrischer R?

Das wird definitiv ein Schritt sein. R wird eine elektrische Zukunft haben.

Zurück in die Gegenwart: Wie können sie die aktuellen ID-Modelle bis hin zum gerade startenden ID.7 für die nächsten Jahre technisch attraktiv halten, damit der Absatz wieder passt? Immerhin musste VW beim ID.4 die Produktion drosseln.

Ich sehe derzeit keine Kaufzurückhaltung beim ID.4. Im ersten Halbjahr haben wir als Volkswagen-Konzern rund 320.000 E-Fahrzeuge abgesetzt, knapp 50 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Ein Drittel davon entfiel auf den ID.4. Was er braucht, wie alle anderen Modelle auch, sind regelmäßige Updates, beispielsweise das aus dem ID.7 bekannte Infotainmentsystem und auch den Performance-Antrieb aus dieser Baureihe. Die Ladeleistung steigt auf 175 kW. Dieses Update haben wir eben auf der IAA vorgestellt.

Die Antriebe von Tiguan und Passat hingegen trifft womöglich Euro7. Wie ist dazu ihr Informationsstand?

Ich gehe davon aus, dass EU7 kommt und Ende des Jahres werden wir die Bedingungen kennen. Das geht über den Motor hinaus, auch Geräuschemissionen und Reifen- und Bremsenabrieb zählen dazu. Das trifft auch E-Fahrzeuge.

Wie können Sie in dieser Ungewissheit die Verbrennungsmotoren entsprechend auslegen? Oder sterben die unter Umständen noch früher als geplant, wenn EU7 Überraschungen irgendeiner Art bereithält?

Das glaube ich nicht. Wir haben bei der Entwicklung der Antriebe Annahmen dahingehend getroffen, was die maximal möglichen Forderungen sein könnten und alles entsprechend vorbereitet. Ende des Jahres werden wir Klarheit haben.

Wenn Sie einen Grünitz-VW bauen dürfte, Ihr Chef gibt Ihnen freie Hand, wie sähe der aus?

Ich bin Freund des Golf I GTI, das ist mein Traumauto. Und den werde ich bauen, werden ihn in die Elektromobilität überführen. Glücklicherweise teilt mein Chef diese Vorliebe.

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