Zu Besuch in der Crashhalle
So macht Mercedes seine E-Autos sicher

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Ob E-Motor oder Verbrenner: Autos müssen sicher sein! Beim Besuch im Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit von Mercedes erklären die Experten, worauf es ankommt.

Crashtest Mercedes EQS Seitenaufprall
Foto: Mercedes

Der 18. September 2020 war ein dunkler Tag. 936 Autounfälle ermittelte das Statistische Bundesamt. An keinem Tag des Jahres gab es mehr. Rund dreimal so viele Verkehrsunfälle endeten 2020 gar mit Todesfolge. Um diese Zahl so niedrig wie möglich zu halten, arbeiten Autobauer und Sicherheitsforscher an Lösungen, die den Verkehr sicherer machen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit heißen zum Beispiel Airbag, Knautschzone und Gurtstraffer.

Sicherheit wird für E-Autos weitergedacht

"Für Elektroautos ergeben sich aber ganz neue Fragestellungen", erzählt Matthias Struck von der Fahrzeugsicherheit bei Mercedes. Etwa wenn geladen wird. "Während des Ladevorgangs bleibt beispielsweise das Airbag-Steuergerät aktiv", erklärt er, als wir ihn in der Crashhalle im Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit von Mercedes besuchen, "allerdings nicht, um die Airbags zu zünden." Stattdessen überwacht die sensible Sensorik, ob es im Stillstand zu einem Unfall kommt, etwa durch das Ausparken eines anderen Autos. Wird eine bestimmte Unfallschwere registriert, stoppt das Steuergerät zur Sicherheit den Ladevorgang für den Fall, dass die Ladesäule oder Wallbox ihn nicht selbst bereits abgebrochen hat. Ist der Einschlag besonders stark, wird die Batterie sogar dauerhaft über eine Pyrosicherung getrennt, die dann in der Werkstatt erneuert werden muss. Sicher ist sicher.

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Dasselbe passiert auch bei einem schweren Unfall während der Fahrt – dann aber mit Airbags. Damit auch Rettungskräfte verletzte Insassen gefahrlos bergen und versorgen können, gibt es sogenannte Rettungskarten für Verbrenner und Stromer. Alternativ sind diese Rettungskarten auch auf den Websites der Hersteller zu finden. Bei Mercedes beispielsweise unter: https://rk.mb-qr.com/de/.

Rettungskarte Mercedes EQS W297 Hochvolttrennstellen
Mercedes
Das Beispiel einer Rettungskarte des Mercedes EQS W297, auf der Airbags und Hochvolttrennstellen vermerkt sind. So können Rettungskräfte verunfallte Autofahrer befreien , ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.

Auf den Rettungskarten ist eingezeichnet, wo sich Airbags und Gurtstraffer befinden, wo die Rettungskräfte mit ihren Maschinen am besten ansetzen können und wo die Stromversorgung des E-Fahrzeugs getrennt werden kann. "Beim EQS liegen die Hochvolt-Trennstellen auf der Beifahrerseite unter der A-Säule und auf der Fahrerseite unter der Abdeckung links am Cockpit", erklärt Struck. "Dort kann man mit zwei Schnitten gefahrlos ein 12-Volt-Kabel durchtrennen, das über eine Art Relais den Stromkreis des Hochvoltsystems unterbricht." Apropos Kabel: Die sind natürlich auch anders dimensioniert als bei einem Auto ohne Hochvolttechnik und beispielsweise mit einem widerstandsfähigeren Isolationsmantel versehen.

Die Batterie muss geschützt sein

Aber auch bei klassischen Crashtests gibt es jede Menge Unterschiede. Denn Bauteile wie die Traktionsbatterie müssen besonders vor den Crashauswirkungen geschützt werden. "Wir suchen bei unseren Fahrzeugen deshalb nach einem Ort, den wir gut vor Deformation schützen können – oder ohnehin schon schützen", berichtet der Experte. Ein solcher Ort sei etwa die Fahrgastzelle. "Es ist also nicht nur den fahrdynamischen Eigenschaften geschuldet, dass die Akkus bei den meisten E-Autos direkt darunter liegen", so Struck.

Über 150 Crashversuche fahren er und seine Kollegen für jedes neue Modell – mehr als die 40 Lastfälle, die für Zulassung, Euro-NCAP-Ratings oder interne Richtlinien vorgeschrieben sind. 70 verschiedene Crashtest-Konfigurationen können in der Halle erprobt werden. Rund 900 Crashs werden im Jahr durchgeführt, hinzu kommen etwa 1700 Schlittenversuche – rechnerisch kracht es alle 3,5 Stunden.

In Serie geht nur, was den Crashtest besteht

Denn hier wird alles getestet – vom Kleinwagen bis zum schweren Lkw. Es werden verschiedene Materialien auf ihre Eigenschaften überprüft und einzelne Komponenten auf Schlitten mit bis zu 120 g beschleunigt oder verzögert. Hinzu kommen aufwendige Simulationen. Am Ende entscheidet aber der reale Crash auf einer der drei Bahnen in der über 200 Meter langen Crashhalle, ob das, was die Ingenieure erarbeitet haben, auch tatsächlich in Serie geht.

Die sogenannte Crashfuge sorgt mit durch gezielt nachgiebige Halterungen dafür, dass sich der Kotflügel beim Unfall außen an der Tür vorbei schiebt und sie so nicht blockiert.
Maximilian Balász
Die sogenannte Crashfuge sorgt durch gezielt nachgiebige Halterungen dafür, dass sich der Kotflügel beim Unfall außen an der Tür vorbei schiebt und sie so nicht blockiert.

Über die Jahre kam hier einiges zusammen – wobei es oft die Kleinigkeiten seien, die den Unterschied machten, weiß Struck. Im Foyer des TFS steht eine aktuelle S-Klasse nach dem Crashversuch (Bild oben). Obwohl von der Front nach dem 60-km/h-Aufprall nicht mehr viel übrig ist, öffnet die Fahrertür problemlos. Das Geheimnis: die sogenannte Crashfuge. Sie wird durch gezielt nachgiebige Halterungen für den Kotflügel erreicht. Der schiebt beim Unfall außen an der Türe vorbei und blockiert sie so nicht.

"Wir untersuchen aber nicht nur das Vorher-nachher-Bild", erklärt Struck. "Mit Aufnahmen von Hochgeschwindigkeitskameras können wir auch die Deformation des Fahrzeugs und die Bewegung der Dummys während des Aufpralls untersuchen und digitalisieren." Dafür werden die Autos mit vielen Markierungen versehen. Denn nur so könne man auch die Daten der Tests mit der Simulation vergleichen.

S-Klasse-Crash-Vermessungspunkte-Foyer-Mercedes-TFS-Sindelfingen-Matthias-Struck-
Maximilian Balász
Mit diesen Vermessungspunkten wie hier auf der S-Klasse im Foyer des Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit können nicht nur Vorher- und Nachher-Aufnahmen des Crashfahrzeugs mit einander verglichen werden, sondern auch, wie sich die Autos während des Crashtests verhalten und bewegen.

Master of Puppets

Die wertvollsten Daten liefert aber Hanna Paul mit ihrer Truppe. Sie trägt die Verantwortung für ein ganz besonderes Team im TFS, zu dem auch die 120 Crashtest-Dummys gehören. Mit diesen Puppen wird gemessen, worauf es ankommt, genauer: wie viel beim Passagier ankommt.

Pauls Dummy-Ensemble reicht von rund 3,5 Kilo schweren Säuglingen über Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersstufen bis hin zur sogenannten Fünf-Perzentil-Frau – um alle Facetten der Menschen abzubilden. In diesem Fall ist eine 152 cm große und 54 kg schwere Frau gemeint; nur fünf Prozent der Frauen sind kleiner und leichter. Es gibt auch den 50-Perzentil-Mann. Er ist 78 kg schwer und 175 cm hochgewachsen – 50 Prozent aller Männer sind größer und schwerer bzw. kleiner und leichter.

Vom kleinen 3,5 Kilo schweren Säuglingen über Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersstufen bis hin zur sogenannten Fünf-Perzentil-Frau und den klassischen 50 Perzentil-Mann mit 78 Kilo ist alles dabei, um alle Facetten der Menschen abzubilden.
Maximilian Balász
Von kleinen 3,5 Kilo schweren Säuglingen über Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersstufen bis hin zur sogenannten Fünf-Perzentil-Frau und dem klassischen 50 Perzentil-Mann mit 78 Kilo ist alles dabei, um alle Facetten der Menschen abzubilden.

Über 700.000 Euro für moderne Dummys

Damit den Technikern aus Pauls Team nichts entgeht, sind moderne Dummys wie das Modell THOR mit bis zu 220 Messstellen ausgestattet. Allein in der Brust sind vier Sensoren verbaut, im Bauch zwei weitere, die die Eindrückung bei einem Unfall messen. Bei alten Modellen war es dort nur ein Sensor. "Zudem bringt die biofidelere Konstruktion der Rippenbögen oder aufwendigeren Schultergelenke die modernen Dummys deutlich näher an die menschliche Anatomie", erklärt Paul. Die Genauigkeit kostet: Ein solcher Dummys liegt bei über 700.000 Euro.

All diese Sensoren sind aber wertlos, wenn sie nicht exakt arbeiten. Einer der wichtigsten Jobs sei daher die Überprüfung der mechanischen Komponenten und verbauten Sensoren, erzählt Paul. Dafür müssen die Dummys regelmäßig auf den Prüfstand – und diese Tests sind nicht weniger martialisch als die Crashtests selbst.

Crashtest Dummy Mercedes beim Hammer-Test auf der Brust
Maximilian Balász
Crashtest Dummy Mercedes beim Test mit dem Pendelhammer auf der Brust, um die Funktion der verbauten Sensorik zu überprüfen.

An einem langen Gerüst wird der große Pendelhammer nach oben gezogen. Unten auf dem Tisch sitzt der Dummy mit ausgestreckten Armen. Das Startsignal ertönt, der Hammer fällt und schmettert den Dummy in die blaue Schaumstoffwand. Passiert ist ihm zwar nichts, doch die Auswertung zeigt, einer der Messwerte liegt außerhalb des Normbereichs. "Es ist zwar nicht viel, aber da muss etwas ausgetauscht werden", erklärt Hanna Paul. Sicher ist sicher. Denn das erklärte Ziel von allen hier ist klar: Die Zahl von rund 3000 Verkehrstoten im Jahr muss weiter sinken.

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Ohne Bedenken. Der Arbeit der Hersteller vertraue ich da voll und ganz.Mit Vorsicht zu genießen. Da ist noch Entwicklulngsarbeit nötig.

Fazit

Bei Mercedes wird das Thema Sicherheit für E-Autos in der Crashhalle im Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit weitergedacht. Die Stuttgarter wissen, worauf es dabei ankommt. Das Hauptaugenmerk bei der Sicherheit der Stromer liegt auf sicheren Ladevorgängen, der Möglichkeit, Insassen nach Unfällen gefahrlos zu bergen, dem Batterieschutz und der Crashsicherheit. In Serie gehen Modelle nur, wenn sie dahingehend alle wichtigen Tests bestehen.