Steigende Leergewichte bei Pkw-Modellen
Autos mit Adipositas

Es wird immer mehr zur Regel, dass Pkw-Modelle ein zulässiges Gesamtgewicht von mehr als drei Tonnen aufweisen. So manche Baureihe darf gerade noch so mit dem B-Klasse-Führerschein gefahren werden. Die Elektrifizierung ist nicht das alleinige Problem, sie verschärft es aber.

Ineos Grenadier
Foto: Ineos

Der 1. Januar 1999 war in Sachen Führerschein ein einschneidendes Datum. Damals, vor gut 24 Jahren, wurden die deutschen Fahrerlaubnisklassen in die EU-Logik überführt. Was vor allem die Rechte von Menschen mit Pkw-Fahrerlaubnis stark beschnitt: Wer zuvor den Klasse-3-Führerschein erwarb, konnte damit nicht nur normale Autos fahren. Sondern auch Lastwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von maximal 7,5 Tonnen oder Züge mit nicht mehr als drei Achsen. Für Menschen mit der nachfolgenden Klasse-B-Fahrerlaubnis liegt das Limit in puncto zulässiger Gesamtmasse dagegen bei 3,5 Tonnen.

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Der Privilegienverlust war für die meisten Autofahrerinnen und -fahrer verkraftbar. Ein Mercedes S 500 der Baureihe W220, seinerzeit eines der größten Pkw-Modelle, wog selbst in der Langversion nur 1.875 Kilogramm. Das zulässige Gesamtgewicht? 2,4 Tonnen, weshalb es sogar noch möglich war, bis zu 1,1 Tonnen schwere Anhänger zu ziehen. Dieser Spielraum war beim BMW 750iL (Werks-Code E38), der sich rund um die Zwei-Tonnen-Marke bewegte, zwar etwas kleiner, aber immer noch ausreichend bemessen.

Nah dran am 3,5-Tonnen-Limit

Bei den modernen, rein elektrisch angetriebenen Nachfolgern der beiden genannten Oberklasse-Limousinen sieht die Sache anders aus. Der BMW i7 xDrive60 wiegt leer deutlich mehr als der Urahn aus den späten Neunzigern: Das Leergewicht von 2.715 Kilogramm (nach EU-Norm) toppt die zulässige Gesamtmasse von damals klar und eindeutig. Bei dieser kommt der bayerische Elektriker dem Klasse-B-Führerscheinlimit mit 3.250 Kilogramm schon ziemlich nah. Kaum besser sieht es beim Mercedes-AMG EQS 53 4Matic+ aus: Er wiegt leer 2.655 Kilogramm und darf bis zu 570 Kilogramm zuladen; macht ein zulässiges Gesamtgewicht von 3.225 Kilogramm.

BMW 750il E38 James Bond Der Morgen stirbt nie
Uwe Fischer/BMW
Ein BMW 750 iL der Baureihe E38 - hier ein Filmauto aus einem James-Bond-Streifen - war etwa 27 Zentimeter kürzer als der heutige i7.

Das Phänomen immer gewichtigerer Autos ist nicht neu und hat viele Ursachen. Immer bessere Sicherheitssysteme bringen ebenso mehr Masse ins Auto wie das Kundenbedürfnis nach immer komfortableren Ausstattungen und immer mehr digitaler Technik. Hinzu kommt das Größenwachstum, das – um bei den Beispielen zu bleiben – den EQS im Vergleich zum S-Klasse-Vorfahren um gut 16 Zentimeter hat wachsen lassen. Beim BMW geht das Längenwachstum gar in Richtung 27 Zentimeter. Dabei – um dies noch einmal zu betonen – handelt es sich bei den alten Oberklassemodellen um die Langversionen ihrer Baureihen. Der anhaltende SUV-Boom tut in Sachen Gewichtszunahme sein Übriges.

Allein der Akku wiegt fast 700 Kilogramm

Die Haupttreiber bei diesem Thema sind jedoch die XXL-Akkus mit einer nutzbaren Kapazität von jeweils über 100 Kilowattstunden, die EQS und i7 mit sich herumschleppen. Allein der Energiespeicher des Mercedes soll 692 Kilogramm wiegen; jener des BMW dürfte sich in ähnlichen Regionen bewegen. Damit sind diese Batterien sogar noch verhältnismäßig leicht: Der Akku des Audi E-Tron S Quattro bot eine Netto-Kapazität von lediglich 86 Kilowattstunden, wog aber 699 Kilogramm. Kein Wunder, dass der Elektro-SUV mit 2.730 (Leergewicht) beziehungsweise 3.245 Kilogramm (zulässiges Gesamtgewicht) zu den Schwersten im Lande gehörte. Immerhin hat Audi bei der Modellpflege, im Zuge derer die Baureihe zum Q8 E-Tron mutierte, ein bisschen Gewicht wegfeilen können.

Nun könnte man meinen: Alles im grünen Bereich, das Klasse-B-3,5-Tonnen-Limit ist noch ein paar Kilo weg. Das stimmt zwar. Aber auch nur so lange, bis ein Hänger gezogen werden soll. Das dürfte beim i7 und EQS ein eher nebensächliches Thema sein. Anders beim neuen Elektro-SUV Volvo EX90, der – sobald er Ende 2023 auf den Markt kommt – neuer Gewichts-Spitzenreiter unter allen in Deutschland angebotenen Pkw-Modellen sein wird. Schließlich sind SUV beliebte Zugfahrzeuge für Wohn- und Pferdeanhänger.

Künftig höheres Klasse-B-Gewichtslimit

Inhaberinnen und Inhaber eines Klasse-B-Führerscheins müssen hier schnell passen; viel mehr als der Transport von Gartenabfällen im Leichtgewicht-Trailer aus dem Baumarkt ist für sie mit diesem Auto nicht möglich. Es sei denn, man verfügt über einen Hängerführerschein. Für den sind fünf Pflichtfahrstunden vorgeschrieben – und im Zweifel so viele darüber hinaus, wie der Fahrschüler oder die Fahrschülerin braucht, um die entsprechenden Manöver zu erlernen. Da erreichen die Kosten schnell vierstellige Eurobeträge. Oder Mama und Papa müssen ran – samt Klasse-3-Fahrerlaubnis.

Zwar reagiert der Gesetzgeber bald: Die Europäische Union plant im Verlauf des Jahres 2023, eine neue Führerscheinrichtlinie zu verabschieden, nach der das Klasse-B-Führerscheinlimit auf 4,25 Tonnen (zulässiges Gesamtgewicht) angehoben wird. Das entspannt die Situation ein wenig und führt obendrein dazu, dass mit der Pkw-Fahrerlaubnis künftig zudem größere Wohnmobile bewegt werden können. Doch die Neuerung bekämpft eben auch nur die Symptome, nicht die Ursache.

Elektro, PHEV oder Luxusklasse

Schaut man sich die schwersten aktuellen Automodelle an, sehen sich vor allem E-Auto-Kritiker in ihrer Argumentation bestätigt. Neben reinen Elektro-Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden (PHEV) liegen in dieser Rangliste lediglich Vertreter aus der absoluten Luxusklasse an der Spitze. Sie stehen aufgrund minimaler Stückzahlen für sich und eher nicht exemplarisch für das beschriebene Gesamtbild. Hinzu kommen mit dem neuen Ineos Grenadier sowie dem Land Rover Defender waschechte Geländewagen. Ein Mercedes EQV oder ein GLE fallen dagegen in die Kategorie "Familienauto" und kommen auf relevante Absatzzahlen.

Autos mit den höchsten Leergewichten in Deutschland (Stand 24.03.2023)

Platz

Hersteller

Modell

Leergewicht in Kilogramm

1

Volvo

EX90 Twin Motor und Twin Performance AWD

2.818

2

Ineos

Grenadier 3.0 Station Wagon

2.811

3

Land Rover

Range Rover P510e

2.810

3

Mercedes-Benz

EQS SUV 580 4Matic

2.810

5

Mercedes-Benz

Maybach GLS 600 4Matic

2.785

5

BMW

XM

2.785

7

Mercedes-Benz

EQV 300 Extralang

2.783

8

Mercedes-Benz

GLE Coupé 350 de 4Matic

2.730

8

BMW-Alpina

XB7

2.730

10

BMW

i7 xDrive60

2.715

11

Land Rover

Defender 110 P525

2.678

12

BMW

X7 M60i

2.675

13

BMW

iX xDrive M60

2.670

14

Rolls-Royce

Cullinan

2.660

15

Mercedes-Benz

AMG EQS 53 4MATIC+

2.655

16

Bentley

Bentayga Hybrid

2.648

17

Lotus

Eletre

2.640

18

Rolls-Royce

Phantom EWB

2.610

18

Porsche

Cayenne Coupé Turbo S E-Hybrid

2.610

20

Mercedes-Benz

AMG EQE SUV 43 4Matic

2.600

Bleibt die Frage nach der Perspektive: In welche Gewichtsklassen werden die Autos noch abdriften? Perspektivisch soll, insbesondere getrieben von verbesserter Zellchemie für die Batterien, der Umkehrschwung erfolgen. Bleibt zu hoffen, dass die Fortschritte nicht durch andere Effekte aufgefressen werden. Wenn leichtere Batterien von weiter wachsenden Dimensionen und zusätzlichen Komfort-Features konterkariert werden, ist nichts gewonnen.

Umfrage
Ist das zu hohe Gewicht vor allem ein Elektroauto-Problem?
6711 Mal abgestimmt
Ja. Bis die Akkus nicht deutlich leichter sind, kommt ein E-Auto für mich nicht infrage.Nein. Auch zuvor wurden unsere Autos immer schwerer. Es muss sich generell etwas tun.

Fazit

Obwohl die Neuregelung in Sachen Führerschein etwas Druck vom Thema Auto-Adipositas nimmt, steht außer Frage, dass die Autoindustrie Wege finden muss, ihre Produkte wieder abspecken zu lassen. Hoffen wir, dass die technische Entwicklung hier die nötigen Fortschritte bringt. Und dass auch die Kundschaft einsieht, dass weniger Komfort- und Digital-Chichi in dieser Hinsicht mehr ist.