Aurora-Mitgründer Chris Urmson im Interview
Der künstliche Fahrer

Das amerikanische Start-up Aurora arbeitet mit Volkswagen, Hyundai, Amazon und dem chinesischen E-Auto-Start-up Byton an einem „künstlichen Chauffeur“. Die drei Gründer von Aurora gelten in der Roboterauto-Szene als Koryphäen.

Wie sind Sie auf den Namen „Aurora“ gekommen?

„Aurora“ ist der lateinische Name für „Morgenröte“ – also diese rötliche Färbung des Himmels vor dem Sonnenaufgang. Wir fanden den Namen ziemlich passend für das Unternehmen, weil die Bezeichnung im übertragenen Sinne für eine Art „Neuanfang“ steht. Das autonome Fahren steht für die Transformation und Revolution der Automobilindustrie und der Mobilität. Die Bedeutung wird fundamental sein. Und wir stehen ja noch ganz am Anfang.

Unsere Highlights
Liegt das nicht allein an der teuren Lasertechnologie?

Stimmt, es wird viel über teure Lasertechnik gesprochen und geschrieben. Wenn man aber in den Laser schaut und sich die Bestandteile betrachtet, dann ist da gar nichts Exotisches drin. Der hohe Preis liegt eigentlich eher daran, dass bis dato einfach sehr wenige produziert werden. Da bleiben die Kosten im Verhältnis zum Volumen halt einfach sehr hoch.

Wann, glauben Sie, werden wir autonom fahren?

Wir versuchen, so schnell wie möglich zu sein. Wir glauben, dass wir die großen Herausforderungen des autonomen Fahrens nicht nur erkannt und analysiert, sondern auch verstanden haben. Aber wir sind sehr zurückhaltend damit, ein Datum an unser Vorhaben zu heften.

Aurora Testwagen, Lincoln MKZ
Aurora schickt seine Systeme in einem Lincoln MKZ zum Testen aud öffentlicher Straße.
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Unternehmen Aurora ganz konkret?

Aurora fokussiert sich darauf, für künftige Fahrzeuge eine Art „künstlichen Fahrer“ zu entwickeln. Solche Systeme gibt es noch nicht auf dem Markt – diese Technologie beginnt gerade erst, sich in Richtung Serienreife zu bewegen. Aurora macht es sich zur Aufgabe, das autonome Fahren so schnell wie möglich und so sicher wie möglich für einen breiten Markt zu entwickeln. Wir sagen: Lasst uns das tun, was wir vielleicht am besten auf der Welt können – einen sicheren Fahrzeugchauffeur bauen. Wir können vielen Leuten dadurch die Mobilität schenken, die sie schätzen. Keiner steckt gerne morgens auf dem Weg zur Arbeit im Stau. Also lasst uns doch diesen Part angenehmer und sicherer machen als jemals zuvor. Aurora will einen „künstlichen Fahrer“ entwickeln. Das wird noch ein paar Jahre dauern.

Damit muss Ihr „künstlicher Fahrer“ also auch wirklich als vollwertiger Fahrer einsetzbar sein, damit sich so ein teures System auch als Business Case rechnet?

Ja, absolut richtig. Es gibt für das System und den künstlichen Fahrer einen Markt, und der ist ziemlich attraktiv.

Verraten Sie uns, wie weit dieser „künstliche Fahrer“ schon entwickelt ist und was er noch lernen muss, bevor er serienreif ist?

Nehmen wir mal einen VW Golf. Sie haben einen Prototyp, der wahrscheinlich 100.000 Euro pro Stück kostet. Das ist auch heute noch so. Aber diese Prototypen sind Unikate und viel zu teuer, um sie so tausendfach zu produzieren. Und bei uns ist es so ähnlich: Wir sind auch im Prototypen-Stadium; die Technik kann so noch nicht in die Serie gehen, aber man ist kurz davor. Wir erwarten, dass die Kosten in der Massenproduktion noch ganz erheblich nach unten gehen, wenn wir ins Volumengeschäft einsteigen.

Soll Ihr System eher in privaten Fahrzeugen Einzug halten oder eher in kommerziellen Shuttle-Services?

Wir wollen diesen „künstlichen Fahrer“ entwickeln, den unsere Kunden einsetzen können, wo immer sie ihn für nützlich und wertvoll halten. Einige möchten ihn vielleicht eher in Shuttle-Services einsetzen oder für Taxidienste. Für andere Kunden ist es womöglich interessanter, ihn in Fahrzeuge für den privaten Gebrauch einzubauen, damit der Besitzer dann einen Chauffeur hat, der ihn umherfährt. Wir bleiben bei dem, was wir am besten können: diesen künstlichen Fahrer zu entwickeln. Wir schauen uns dann mit unseren Kunden zusammen – zum Beispiel Volkswagen – an, wie wir das System am besten einsetzen können, und entwickeln Visionen.

Die Experten sind sich ziemlich einig, dass ein autonomes System in den kommenden Jahren nicht unter 10.000 Euro oder Dollar darstellbar sein wird. Korrekt?

Absolut. Der Meinung sind wir auch.

Macht es für das System einen Unterschied, wie viele Menschen transportiert werden?

Wir können nicht sagen, wie unsere Technologie letztendlich eingesetzt wird. In welchen Fahrzeugen, Transportmitteln oder in welchen Kontexten diese Technologie verwendet wird, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Und auch, in welchen Fällen sie sich auszahlt. Das werden auch unsere Kunden erst herausfinden müssen.

Sie sind der Meinung, dass man die Qualität eines Systems nicht alleine an der Anzahl der Testkilometer und seiner Fehleranfälligkeit ablesen kann. Warum?

Der Wert des Testens liegt meiner Ansicht nach nicht in der Anzahl der Kilometer, sondern darin, die Dinge und Situationen zu erkennen, die zu einem Fehler führen. Wir lernen nicht durch die Anzahl der erfolgreichen Kilometer, sondern durch die vielen Fehler und ihre Ursachen während der Testfahrten. Für uns ist also am wichtigsten, wie wir schnell die Problematik hinter einem Fehler erkennen, um ihn beheben zu können. Wir suchen daher eher Umgebungen, wo sich das System nicht so einfach zurechtfindet.

Was sind die größten Probleme, die Sie durch Ihre Testfahrten erkannt haben?

Wir stehen noch am Anfang dieser Technologie und machen schon enorme Entwicklungsschritte. Wir testen alle möglichen Situationen zunächst in der Simulation und dann erst auf der Straße. Bei den Testdrives ist die größte Herausforderung, das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer vorherzusagen. Das ist wirklich die allergrößte Herausforderung. Die meiste Zeit ist es nicht so schwer, zu definieren, wie sich andere Menschen im Verkehr verhalten: Sie bleiben meistens in ihrer Spur, die Passanten bleiben meistens auf dem Gehsteig, und wenn sich alle an die Regeln halten, läuft es ganz gut. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann wird es schwer, eine Voraussage zu treffen. Denn jede Aktion kann auch zu einer Reaktion von Dritten führen. Das ist die größte Schwierigkeit, hier dem System Folgeregeln zu geben, die auch wirklich die Situation treffen.

Aurora, VW Studie Sedric
2017 zeigt VW mit der Studie Sedric ein autonom fahrendes Fahrzeug in VW-Bus-Größe.
Was machen Sie zusammen mit Volkswagen?

Unser Ziel ist es, die Technologie marktreif zu machen. Ganz unabhängig vom jeweiligen Partner. Wir arbeiten also mit den Partnern an Konzepten und Plänen, wie man die Technologie in deren Sinne einsetzen und integrieren kann.

Wo stehen Ihrer Meinung nach die deutschen Autohersteller?

Wir arbeiten ja mit Volkswagen zusammen. VW hat ein ziemlich großes Portfolio und somit theoretisch viele Einsatzmöglichkeiten – sogar bis hin zu Lastkraftwagen. Nach dem Dieselgate haben sie sich viele Gedanken gemacht, wohin sie mit dem Unternehmen gehen wollen. Es war eine schlechte Zeit für das Unternehmen, und es waren schlechte Dinge, die da passiert sind. Aber das hat sie dazu gebracht, mit wesentlich höherer Intensität zu definieren, wohin sie wollen. Wir hatten die Gelegenheit, zu dieser Zeit mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das war wirklich aufregend.

Welche fünf Unternehmen liegen im Rennen um so einen „künstlichen Fahrer“ gleichauf?

Wir hoffen, Aurora ist eines dieser fünf Unternehmen. Aber es ist wirklich noch zu früh, um die restlichen Wettbewerber zu benennen. Wenn ich meine ehemaligen Kollegen von Google treffe und mit ihnen spreche, die haben auch wirklich viele und tiefe Erfahrungen gesammelt zu dem Thema. Und es gibt auch unter den Autoherstellern einige, die schon sehr weit gekommen sind.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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