Lucid Air Schnelllade-Rekord
Wie geht eigentlich Highspeed-Laden?

Lucid hat mit dem Air einen Lade-Rekord aufgestellt. Alex Bloch erklärt, warum manche E-Autos schneller laden als andere und was ein Akku können muss.

Alexander Bloch erklärt Akku laden Lucid Air Batterie
Foto: ams / Lucid / Patrick Lang

Die Kollegen von InsideEV haben die Ladegeschwindigkeit des Luxus-E-Autos Lucid Air (siehe Bildergalerie) gemessen. Mit erstaunlichem Rekord-Ergebnis: In nur 22 Minuten zapft die Limousine Strom für 480 Kilometer Reichweite. Dabei schnellt die maximale Ladeleistung auf bis zu 304 kW nach oben. Diese beeindruckenden Werte nimmt Chefreporter Alex Bloch zum Anlass, um das Prinzip des Schnellladens zu erklären. Woran liegt es, dass manche E-Autos flinker Saft ziehen als andere und welche Voraussetzungen muss ein Akku dafür erfüllen? Antworten auf diese und noch mehr Fragen erhalten Sie hier im Artikel – und im Video.

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Die grundlegenden Faktoren

Was die Batterie betrifft, sind mehrere Aspekte entscheidend fürs schnelle Laden. Darunter ist der erste und wichtigste die schiere Größe des Akkus. Je größer das Paket, desto schneller die Ladung (im Vergleich mit kleineren Varianten, die mit derselben Zellchemie arbeiten). Doch was passiert innerhalb so eines Lithium-Ionen-Akkus? Zum Erkenntnisgewinn braucht es einen Blick auf die Einzelteile. Innerhalb der Batteriezelle gibt es, durch einen Separator getrennt, eine Anode und eine Kathode. Die Anode ist aus Kohlenstoff gebaut; sie besteht aus einem Kupferstab oder aus Kupferfolie darin, umgeben von feinem Graphit. Der Kathode dient gewöhnlich Aluminium als Träger für die Kathodenmaterialien, Nickel, Mangan und Kobalt, in die sich das Lithium einlagert. Was nun beim Ladevorgang passiert, ist nichts anderes als eine (Lithium-)Ionen-Übertragung von Kathode zu Anode. Je größer also das Akkupaket ist, desto mehr Batteriezellen stecken drin und desto mehr Ionen können gleichzeitig übertragen werden. Die Folge: Ladeleistung und -geschwindigkeit steigen eben mit der Anzahl der Zellen bzw. der Batteriegröße.

Lucid Air
Lucid
Der Akku des Lucid Air verfügt über eine Kapazität von 118 kWh.

Weitere wichtige Faktoren für die LAdegeschwindigkeit sind die Steuerelektronik und die Temperatur des Akkus. Erstere ist quasi als Türsteher dafür verantwortlich, wie viel Strom in den Akku fließen kann. Doch so ein Lithium-Ionen-Akku muss auch wohlig warm sein, um flink "betankt" zu werden. Bei geringen Temperaturen (schon unterhalb von 20 Grad) agiert die Batterie träge, weil die elektrochemischen Vorgänge sehr viel langsamer ablaufen – gut sind 30 bis 40 Grad in der Batterie. Wer mit hohen Strömen bei eisigen Temperaturen lädt, fügt seinem Akku gar Schaden zu, weil sich so metallisches Lithium an der Anode ablagert. Das ist auch der Grund, warum Wärmepumpen in modernen Elektroautos ein so wichtiges Extra sind, denn sie bringen die Zellen vor einem Ladevorgang in ein optimales Temperaturfenster. Übrigens: Bei mehr als 50 Grad droht dann wiederum die Überhitzung.

Temperatur und SOC

Wie schnell geladen wird, hängt freilich auch mit der Leistung der Ladestation zusammen. Dabei ist die kW-Angabe gar nicht mal so entscheidend. Viel wichtiger ist, wie viel Strom tatsächlich ins Auto fließt, also die Ampere-Angabe. So rauschen an einer Standard-Ionity-Säule beispielsweise 200 Ampere durchs Kabel, womit Ladeleistungen von 80 kW (bei Autos mit 400-Volt-Bordnetz) und 160 kW (Autos mit 800-Volt-Bordnetz) möglich sind. Soll die elektrische Stromstärke gesteigert werden, braucht es flüssigkeitsgekühlte Kabel, sonst droht eine Überhitzung.

Auch entscheidend für die Ladegeschwindigkeit: der Ladestand des Akkus, also der "SOC" (State of charge). Dieser Effekt lässt sich mit einem Wasserglas vergleichen. Beim Befüllen eines leeren Glases kann mit hoher Geschwindigkeit viel Wasser eingekippt werden, doch je voller das Glas wird, desto mehr muss das Einflusstempo verringert werden, um am Ende ein Überschwappen zu verhindern. Übertragen auf einen Akku würde das Folgendes bedeuten: Presse ich mit hoher Geschwindigkeit Strom in einen bereits zu 80 Prozent gefüllten Akku, finden nicht mehr alle Ionen leicht einen Platz an der Anode. Es kommt entsprechend zu Ionen-Kollisionen, die sich als metallische Ablagerung an der Anode niederschlagen (vgl. hohe Ströme bei niedriger Akku-Temperatur) und die Batterie nimmt Schaden.

Lucid Air
Lucid
Eine Reichweite von 406 Meilen (653 Kilometer) hatte Lucid für den Air angestrebt. Die US-Behörde EPA bescheinigt der Limousine nach offiziellen Messungen nun sogar eine Reichweite von 520 Meilen (837 Kilometer).

Der Lade-Rekord von Lucid

Wie haben sie es denn jetzt bei Lucid angestellt? Der US-Hersteller hat mit der E-Limousine Air die höchste je bei einem Serienauto gemessene Ladeleistung erreicht. 304 kW wurden in der Spitze erreicht. Auf Platz Zwei der Rangliste steht erst mit einigem Abstand (270 kW) der Porsche Taycan Turbo S. Die Werte beschreiben aber jeweils nur die Peak-Leistung, die anliegt, wenn der Akku nur zu 10 Prozent oder weniger gefüllt ist. Im Verlauf des Ladevorgangs fällt die Ladeleistung ab, im Falle des Lucid landet sie bei einem SOC von 80 Prozent bei unter 100 kW. Durchschnittlich erreicht die Limousine beim Laden von 10 auf 80 Prozent eine Leistung von 191 kW und setzt sich auch damit die Krone auf (vgl. Taycan Turbo S im Schnitt 182 KW).

Ladeleistung Kurve Verlauf Lucid Air
ams
Im Schnitt (von 10 auf 80 Prozent SOC) schafft der Lucid Air eine Ladeleistung von 191 kW.

Der Akku des Rekord-Autos verfügt über eine Kapazität von 118 kW, das Fahrzeug setzt zudem auf eine 900-Volt-Ladetechnologie. Durch die größere Spannung im Lucid muss die Stromstärke der Ladestation nicht so hoch sein, um mehr Ladeleistung zu erreichen. Es wird also das Tempo des Stromflusses erhöht, nicht die Durchsatz-Menge. Relevanter als Peak- und Durchschnittsladeleistung sind im automobilen Alltag aber die Reichweiten-Kilometer, die ich pro Zeiteinheit an der Säule gewinne. Für diese Angabe ist entsprechend auch die Effizienz eines E-Autos wichtig. Laut der US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) saugt der Lucid Air innerhalb von 4,5 Minuten Strom für 100 Kilometer Reichweite. Auf Platz Zwei landet hier das sparsame Tesla Model 3 Long Range mit 6,1 Minuten für 100 Reichweiten-Kilometer.

Was es mit dem c-Wert auf sich hat

Betrachtet man allerdings den Lucid-Akku, losgelöst von seiner bloßen Größe, vor dem Hintergrund von Steuerelektronik und Zellchemie, dann ist die US-Limo losgelöst vom Energieinhalt nicht der schnellste Lader der Welt. Der entscheidende Faktor dabei ist der sogenannte c-Wert. Ein Beispiel: Sind für einen Akku 3,6 Ampere-Stunden angegeben, dann braucht es mit einer Stromstärke 3,6 Ampere eine Stunde für die komplette Ladung. In diesem Fall sind 3,6 Ampere 1 c. Lege ich 7,2 Ampere an, ist der Akku schon nach einer halben Stunde voll – das entspräche dann 2 c. Je höher der c-Wert ist, desto mehr Strom kann ein Akku unabhängig von seiner Größe verkraften.

Übertragen auf Auto-Akkus lässt sich der c-Wert ebenfalls darstellen. Fülle ich eine 100-kWh-Kapazität mit 100 kW Ladeleistung in einer Stunde komplett auf, ist auch hier c = 1. Kann ich mit 300 kW in einem Drittel der Zeit aufladen, ist c = 3. In einer Tabelle, der dieses c-Verhältnis zugrunde liegt, steht der Lucid Air plötzlich nicht mehr an erster Stelle. Diesen Platz nimmt mit 3,3 das Tesla Model 3 Long Range ein, gefolgt von Hyundai Ioniq 5 (3), Porsche Taycan Turbo S (2,9) und dann schließlich dem Rekord-Stromer mit 2,6. Diese Werte beziehen sich allerdings auf die Peak-Ladeleistung und lassen sich wie die Ladeleistung selbst auch in einem Durchschnitt von 10 bis 80 SOC darstellen.

Best Cars 2022, Hyundai Ioniq 5
Dino Eisele
Mit Blick auf den durchschnittlichen c-Wert von 10 auf 80 Prozent SOC landet der Hyundai Ioniq 5 mit 2,4 auf dem ersten Platz.

Daraus ergibt sich dann folgendes Bild: Platz 1 Hyundai Ioniq 5 (2,4), Platz 2 Porsche Taycan Turbo S (2), Platz 3 Audi E-Tron 55 gleichauf mit dem Tesla Model 3 Long Range (1,7), und schließlich auf Platz 4 der Lucid Air mit 1,6. Der Hyundai lädt also von 10 auf 80 Prozent SOC mit dem 2,4-fachen an Leistung im Verhältnis zur Größe des Akkus selbst und ist damit der schnellste im Feld. Erreicht haben die Koreaner diesen Wert durch ein optimales Zusammenspiel von Spannungslage und Zellchemie. Wäre der Akku im Ioniq 5 also so groß wie jener im Lucid Air, würde der Hyundai seinen US-Konkurrenten locker übertrumpfen.

Fakt ist: Beim Schnellladen ist nicht nur eine Vielzahl von Faktoren entscheidend, sondern auch deren Verhältnis zueinander. In der kompletten "Bloch erklärt"-Folge zu diesem Thema (das Video finden Sie weiter oben im Artikel) erfahren Sie noch weitere Details, beispielsweise über die Ladeverluste von 800- und 900-Volt-Systemen, was in puncto Ladeleistungen noch zu erwarten ist und wie sie geändert werden kann und wer eigentlich aktuell das in Summe beste Ladesystem an Bord hat. In unserer Fotoshow können Sie sich zudem den Lucid Air von allen Seiten genauer anschauen.

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Fazit

Was Lucid mit dem Air gelungen ist, beeindruckt auf ganzer Linie. Doch auch andere Hersteller beherrschen das Thema "Schnelladung" ausgezeichnet, wie ein detaillierter Blick beweist. Der aktuelle Stand der Technik zeigt in jedem Fall sehr eindrucksvoll, welche Entwicklungssprünge bei den Akkus bereits vollzogen wurden und macht Lust auf das, was noch kommen mag.