Scheuer fordert härteres Vorgehen
Was Sie über Elektro-Tretroller wissen müssen

Elektro-Tretroller und Co. sind in Deutschland inzwischen legal. Die vom Verkehrsministerium auf den Weg gebrachte Verordnung erlaubt jedoch nicht so viele Freiheiten wie ursprünglich gedacht. Nun fordert Scheuer ein härteres Vorgehen gegen Verkehrsverstöße der Rollerfahrer.

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Foto: Malte Buls

Elektrisch betriebene Kleinstfahrzeuge mit an der Steckdose aufladbarem Akku sollen bei der Mobilitätswende eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem in Innenstädten gelten sie als sinnvolle Alternative zum Auto. Vielerorts sind sie schon länger unterwegs, in Europa unter anderem in Österreich, der Schweiz, Belgien, Frankreich, Dänemark und Finnland. Ihre Vorteile: Sie lassen sich dank kompakter Größe gut in öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren. Außerdem lässt sich mit ihnen wegen ihres Elektroantriebs die sogenannte letzte Meile schnell, ohne große Anstrengung und einigermaßen komfortabel absolvieren. Sie vernetzen also die verschiedenen Verkehrsträger und fahren obendrein lokal emissionsfrei und geräuschlos.

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Bundesrat macht Weg frei

Nun dürfte auch Deutschland zum Elektro-Scooter-Land werden. Der Bundesrat hat der „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung“ (eKFV) zugestimmt, seit 15. Juni dürfen sie offiziell im Straßenverkehr genutzt werden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht in den Gefährten so großes Potenzial, dass er die Verordnung mit großem persönlichen Eifer vorangetrieben hat. „Damit ebnen wir den Weg für die Mobilität der Zukunft und sorgen gleichzeitig für Sicherheit auf unseren Straßen“, sagt Scheuer.

Vor allem der letzte Punkt ist jedoch fraglich. Seit Inkrafttreten der Verordnung gab es bereits zahlreiche Unfälle mit Schwerverletzten. Das nahm der Verkehrsminister nun zum Anlass, die Kommunen dazu aufzufordern, härter gegen Fahrer von E-Tretrollern vorzugehen, sollten diese Verkehrsvorschriften missachten. „Um den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer jederzeit zu gewährleisten, sind wir auf die Mitwirkung der Städte und Kommunen angewiesen“, heißt es in einem Brief an den Präsidenten des Deutschen Städtetags, den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der der Funke Mediengruppe vorliegt. Die sonstigen Grundregeln des Straßenverkehrs gelten ebenfalls für Elektrokleinstfahrzeuge, so der Minister weiter.

Scheuer fordert konsequente Bestrafung von Verkehrsverstößen

Scheuer fordert die Kommunen auf, die Möglichkeiten der eKF-Verordnung „für eine sichere und sachgemäße Nutzung in vollem Rahmen auszuschöpfen“. Bedeutet: Fahrer, die weitere Personen auf ihrem Tretroller mitnehmen oder auf nicht zugelassenen Bereichen wie in Fußgängerzonen oder auf Gehwegen unterwegs sind, sollen konsequent bestraft werden. Vor allem sollen die Maßgaben des Bußgeldkatalogs angewendet werden, wenn die Fahrer von Elektro-Kleinstfahrzeugen alkoholisiert unterwegs sind.

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Die Promillegrenzen sind dieselben wie bei Autofahrern: In der Regel gilt die 0,5-Promille-Grenze; Fahranfänger dürfen jedoch gar kein Alkohol trinken, wenn sie sich mit einem Elektro-Tretroller fortbewegen. Verursachen Rollerfahrer unter Alkoholeinfluss einen Unfall, kann sie die Versicherung auch bei geringen Mengen in Mithaftung nehmen. Der Auto Club Europa (ACE) weist darauf hin, dass Regressforderungen bereits ab 0,3 Promille möglich sind.

Diese Regeln schreibt die eKFV vor

Generell ist die eKF-Verordnung aber recht freizügig gestaltet. Beispielsweise gibt es keine Führerscheinpflicht. Einzige Bedingung ist, dass für die Fahrzeuge eine Versicherungspflicht besteht (mehr dazu später im Text). Wer dieser Pflicht nicht nachkommt oder ein Fahrzeug führt, das nicht den Regeln entspricht, handelt ordnungswidrig nach Paragraf 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes und kann mit bis zu 2.000 Euro Geldbuße bestraft werden. Wer einen Unfall verursacht, kann außerdem – wie andere Fahrzeugführer auch – strafrechtlich belangt werden, sagen Fachanwälte für Verkehrsrecht. Wer zum Beispiel einen Fußgänger auf einem Gehweg anfährt und verletzt, kann wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft werden, was sogar Freiheitsentzug nach sich ziehen kann.

Der Bundesrat setzte aber einige Verschärfungen durch. Ursprünglich war geplant, das die Fahrer eines maximal 12 km/h schnellen Scooters mindestens das 12. Lebensjahr vollendet haben müssen. Nun gilt aber für alle Gefährte ein Mindestalter von vollendeten 14 Jahren. Dies war zuvor nur für E-Scooter mit einer Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h geplant. E-Scooter dürfen und sollen denselben Verkehrsraum nutzen wie Fahrräder. Sie sind also auf Fahrradwegen und Radfahrstreifen erlaubt. Wenn diese nicht vorhanden sind, darf die Straße genutzt werden.

Keine einheitliche ÖPNV-Mitnahme-Regelung

Zur Mitnahme im öffentlichen Personennahverkehr gibt es derzeit noch keine einheitlichen Regeln. Ob ein Elektro-Tretroller in Bus oder Bahn mitgenommen werden darf, entscheiden die Verkehrsunternehmen oder -verbünde für sich. Welche Regelung gilt, hängt dabei vor allem Gewicht, Radgröße und Maßen des jeweiligen Scooters ab. Nutzer der Elektrokleinstfahrzeuge müssen sich also vorerst jeweils neu informieren, was im ÖPNV der jeweiligen Stadt oder Region erlaubt ist und was nicht.

04/2019, Freigegeben für Elektro-Kleinstfahrzeuge
BMVI
Mit diesem Schild können Gehsteige, Fußgängerzonen und dergleichen für Elektro-Kleinstfahrzeuge freigegeben werden.

Die Unterteilung in zwei Kategorien (bis 12 bzw. 20 km/h) wurde komplett aus der Verordnung gestrichen. E-Scooter, deren Spitzengeschwindigkeit langsamer als 12 km/h ist, sollten sich in der ursprünglichen eKFV-Fassung den Bürgersteig mit den Fußgängern teilen. Dieser Passus stieß bei vielen Sicherheitsexperten auf Kritik. Vor allem der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) und dem Fußgängerverband Fuss e.V. forderten, Gehwege nicht für die Elektro-Tretroller freizugeben. Auch einige Verkehrsminister der Bundesländer sahen darin ein Problem. Deshalb strich Scheuer diese Erlaubnis aus der Verordnung. „Mir geht es darum, neue Formen der Fortbewegung so zu ermöglichen, dass sie niemanden gefährden“, so der Bundesverkehrsminister laut spiegel.de. Gehwege sind selbst dann tabu, wenn sie das Zusatzschild „Fahrrad frei“ für Velos freigibt; E-Tretroller müssen in diesem Fall auf die Straße ausweichen. Nur wenn das über diesem Absatz gezeigte Zusatzzeichen angebracht ist, dürfen Rollerfahrer auch den Gehweg nutzen.

Wie Elektro-Tretroller versichert werden müssen

Um nach der neuen Verordnung als Elektrokleinstfahrzeug zu gelten, müssen E-Scooter eine Lenk- oder Haltestange besitzen. Sie müssen außerdem über ein Vorder-, Rück- und Bremslicht verfügen sowie zwei unabhängig voneinander wirkende Bremsen und eine Klingel. Damit wäre eine weitere zentrale DVR-Forderung erfüllt. Helmpflicht besteht hingegen nicht. Auch Blinker muss der Elektro-Tretroller nicht haben, die Richtung wird wie beim Fahrradfahren per Handzeichen angezeigt. Zudem gibt es technische Vorgaben für E-Scooter: Sie dürfen maximal bis 70 cm breit, bis 140 cm hoch und bis 200 cm lang sein, während das Gewicht nicht die 55 Kilo-Marke übersteigen darf. Die Dauerleistung darf maximal 500 Watt betragen, 1.400 Watt, wenn 60 Prozent der Leistung zur Ausbalancierung (gyroskopische Systeme) verwendet werden.

Die Versicherung der Kleinstfahrzeuge lehnt sich an die Regelung für Mofas und Mopeds mit Hubräumen bis 50 Kubikzentimeter an. Es gibt allerdings kein klassisches Schild, sondern einen Aufkleber, der nach dem Ende des jeweiligen Versicherungsjahres erneuert werden muss. Die Periode startet wie bei Mopeds im März eines jeden Jahres. Was wiederum bedeutet: Wer im September eine Versicherung abschließt, braucht im folgenden März einen neuen Aufkleber. Die Versicherung kann im Rahmen des Taschengeld-Paragrafen auch von Minderjährigen abgeschlossen werden und kostet etwas weniger als eine Moped-Versicherung. Bei der HUK-Coburg starten die Tarife beispielsweise bei 15 Euro im Jahr. Statt mit Schadenfreiheitsrabatten wie bei der Auto-Haftpflicht bieten die Versicherer eher Selbstbehalt-Modelle an. Verursacht ein Elektro-Tretroller-Pilot also einen Unfall, wird er nicht hochgestuft, sondern muss einen zuvor vereinbarten Anteil des Schadens selbst bezahlen.

Nicht nur gute Erfahrungen beim Roller-Sharing

Schon vor Scheuers Initiative und der positiven Bundesrats-Entscheidung wuchs der Markt für Elektro-Tretroller rasant. In immer kürzeren Abständen bringen weiterhin nicht nur spezialisierte Firmen und Start-ups, sondern auch immer mehr Fahrrad- und Autohersteller elektrische Tretroller auf den Markt. Segway mischt ebenso mit wie Seat, Ford und BMW. Der Münchner Autokonzern, der bei modernen Mobilitätslösungen seit geraumer Zeit mit dem Konkurrenten Daimler gemeinsame Sache macht, dürfte längst an einem Sharing-Modell für elektrische Tretroller arbeiten. Für eine geteilte Nutzung eignen sich die Fortbewegungsmittel nämlich hervorragend.

Das haben auch die städtischen Verkehrsbetriebe erkannt. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen plant für viele deutsche Städte Ausleih-Programme ähnlich denen, die es bereits für Fahrräder gibt. „Wir bieten nicht nur eine Fahrt mit U-Bahn, Tram-Bahn, Bus von einer Haltestelle zur anderen an, sondern wir bieten Mobilität von Haustür zu Haustür an“, sagte Verbandschef Ingo Wortmann der dpa. Wahrscheinlich werden die Verkehrsbetriebe dabei meist mit privaten Sharing-Anbietern zusammenarbeiten. Zuerst sollen geliehene Elektro-Tretroller extra kosten, später könnten sie auch in die ÖPNV-Tarifesysteme der Städte integriert werden.

Chaos und steigende Unfallzahlen in den USA

In Berlin, Hamburg, Köln, München und anderen Städten drängen bereits die ersten Sharing-Anbieter auf den Markt. Per Smartphone-App reservieren, auf- und abschließen sowie bezahlen: Derartiges gibt es in vielen Städten ja schon mit Fahrrädern und dürfte schon bald auch mit den Rollern umgesetzt werden. Doch dabei gilt es alte Fehler zu vermeiden. In manchen Städten sind die Leihrad-Desaster noch präsent, als sie von asiatische Anbietern wie Obike mit Billig-Velos geflutet wurden, die letztlich öfter kaputt am Straßenrand und auf den Wiesen herumlagen, denn als vernünftiges Verkehrsmittel eingesetzt zu werden.

Ähnliches passiert derzeit in den USA, wo die Marktführer Lime und Bird E-Kickroller zum Leihen anbieten. In San Francisco musste der Markt schnell reguliert werden, um dem entstandenen Chaos Herr zu werden. Auch seien dort die Unfallzahlen in die Höhe geschnellt. Ein weiteres Problem ist die kurze Haltbarkeit der Fortbewegungsmittel im Sharing-Betrieb. Den Anbietern zufolge landet ein Exemplar nach etwa drei Monaten auf dem Müll – eine sehr kurze Zeitspanne für ein Fahrzeug mit E-Motor und Akku und deshalb alles andere als nachhaltig. Dass die ausländischen Firmen der Share-Economy oft den strengen deutschen Datenschutz nicht so ernst nehmen, kommt noch hinzu. Aber bislang scheint sich alles in weitgehend geordneten Bahnen abzuspielen. Offensichtlich haben die Sharing-Anbieter verstanden, dass sich Elektro-Tretroller nur dann als vollwertiges Verkehrsmittel etablieren, wenn ihr Nerv-Faktor für andere Verkehrsteilnehmer möglichst gering ist.

Fazit

Es ist gut, dass die „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung“ endlich in Kraft ist. Und es ist noch besser, dass die zuvor drohende Überregulierung verhindert wurde. In ihrer endgültigen Fassung scheint die eKFV einen guten Mix aus Vernunft und liberaler Haltung zu treffen. Nun haben es deren (Sharing-)Anbieter und Nutzer selbst in der Hand, innerhalb der Regeln die Sinnhaftigkeit der E-Tretroller zu beweisen. Denn nur wenn die Unfallzahlen nicht signifikant steigen, wird die Verordnung ein Erfolg.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten