Alpine A110 im Test
Der Retro-Franzose auf der Rennstrecke

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Wir sind verliebt. Hals über Kopf! In sie hier, die Alpine.Sie ist leicht, vorwitzig motorisiert, sieht entzückend aus, und im Gegensatz zu vielen anderen dieser Art schafft sie es, einem auch den Alltag zu versüßen.

Alpine A110, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

Der Tag nach dem Südkorea-Spiel. Alle waren bissl depri drauf, und so sind wir beim Quatschen von der einfältigen Spielweise der deutschen Nationalmannschaft – keinen Schimmer wieso – auf die hiesigen Autohersteller gekommen. Bei denen – so die einhellige Meinung – würden in letzter Zeit immer nur noch bestehende Modelle wiedergekäut. Neues komme so gut wie gar nicht mehr. Und wenn doch, dann werde es aus derart vielen Gleichteilen zusammengestöpselt, dass es eigentlich wieder genau dasselbe sei, bloß eben in Grün.

Unsere Highlights

Zuerst war das alles einfach nur so dahingedacht. Kramt man sich jedoch mal durchs Oberstübchen, stellt man fest, dass da so viel Innova-tives tatsächlich nicht war. Das letzte Modell im Sportwagensegment, das nicht direkt an irgendwas anknüpft, aus irgendwas hervorgeht oder sich abspaltet von irgendwas anderem, war – korrigieren Sie mich – der BMW i8. Das allein ist schon dürftig und wird dann tragisch, wenn man hört, was der i8 hätte werden können beziehungsweise ursprünglich hätte werden sollen, wenn nicht der Elektro-Hype dazwischengekommen wäre. Aber gut, das gehört hier gar nicht her.

Alpine A110, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
1961 erschien das gleichnamige Original - nun stellt sich Renault als Drahtzieher hinter den wiedergeborenen Markennamen.

Diese Geschichte dreht sich um etwas anderes. Um ein anderes Etwas, um das gewisse, das uns hierzulande immer mehr abhandenzukommen droht. Es heißt Alpine A110 und stammt aus Frankreich, wo man aktuell nicht nur den erfolgreicheren Fußball spielt, sondern auch Komponenten in die Wertschöpfungskette von Autos investiert, die sich nun mal nicht in Modularbaukästen hinterlegen lassen. Die Rede ist von Willen, von Kreativität, von Konsequenz – und von guter Laune, die die A110 durch ihre bloße Anwesenheit bereits so großflächig versprüht, dass wir uns in der Hockenheimer Boxengasse fast um sie raufen.

Am Ende läuft es auf Schnick-Schnack-Schnuck hinaus. Bis drei. Dann schlägt Stein die Schere. Platz da! Und Platz ist – Surprise, Surprise – sogar reichlich vorhanden. Sitze? Zwei an der Zahl, beide von Sabelt, beide exakt 13,1 Kilo leicht, beide vorzüglich geschalt und perfekt geneigt. Verstellung gibt’s nur längs. Ritsch, Lenkrad rausziehen. Ratsch. Passt wie angegossen. Umgucken, aber dalli, hinter der Südtribüne kommt’s schwarz. Paddel am Lenkstock, Knöpfe für N, R und D. Alles klar, Doppelkupplung. Finden wir erst furchtbar doof, wird später aber wurst sein. Gleiches gilt für das Display, das sich dem Fahrmodus entsprechend animiert, die Drehzahl in 50er-Schritten mitzählen kann, bei Dunkelheit Sterne funkeln lässt und trotzdem nicht mithalten kann mit der Romantik lebensechter Rundinstrumente. An den Türen mischt Wagenfarbe die Hartplastiklandschaft auf, diverse Trikoloren wehen.Die Kippschalterklaviatur ist ganz niedlich, der Berührbildschirm des Infotainments etwas stumpfsinnig, das Navi von vorvorgestern, zumindest grafisch. Aber wir wissen ja ungefähr, wo’s langgeht.

Freches Frotzeln zur Begrüßung

Startknopf. Der Achtzehnhunderter rüttelt kurz das ganze Auto durch, dann frotzelt er los. Lausbübisch, aber authentisch. Erster Gedanke: Endlich mal wieder einer, der nicht versucht, etwas zu sein, was er eh nie werden wird. Im Sport- und Trackmodus wird über einen Resonator zwar – poppoperopopp – etwas Lastwechsel-Popcorn in die Auspuffakustik gestreut, das gurgelige Hochdreh-Krakeelen der vier Zylinder bleibt aber unverfälscht. Zu jeder Zeit. Bien!

Alpine A110, Interieur
Hans-Dieter Seufert
Der Sport-Knopf am Lenkrad schärft die Gasannahme und streut etwas Lastwechsel- Popcorn in die Auspuffakustik, das gurgelige Hochdreh-Krakeelen der vier Zylinder bleibt aber unverfälscht.

Raus aus der Box, rum um die Ameisenkurve. Viertausend, Fünftausend, Sechseinhalb. Mademoiselle wetzt die Querspange entlang und will sich gerade über den schnellenLinksknick hermachen, als die Gewitterwolke platzt. Erst ein paar Tropfen, dann duscht’s sodermaßen, dass wir lieber noch mal die Box anlaufen.

Wo waren wir vorhin? Ach ja, Konsequenz, Kreativität und so. Beides erklärt sich auch dadurch, dass Renault als Drahtzieher hinter dem wiedergeborenen Markennamen steckt. Derselbst ernannte Créateur d’Automobiles gehörte nie zu den großen Zauderern der Branche. Markenmotto: Erst mal bauen, dann schauen, warum und weshalb. Die Trefferquote ist dementsprechend. Manche Kreation war für Menschen gemacht, die es nicht gab. Nicht mal in Frankreich. Ein anderes Auto geriet so weit vorausgedacht, dass die Zeit auch Jahrzehnte nach seinem Ende noch Mühe hat, es einzuholen. Sein Name: Avantime. Selbstironie.

Doch wehe, die Entwicklungsabteilung hatte was Sportliches ausgeheckt, dann kamen eigentlich fast immer rattenscharfe Geräte heraus. Ich darf an den Renault Spyder erinnern, eine zweisitzige Fahrspaßtablette ohne Windschutzscheibe. Oder auch schön: der Clio V6. Vorher ein außerordentlich mittelmäßiger Kleinwagen, danach ein richtiges Miststück mit Mittelmotor und freundlichsten Grüßen vom R5 Turbo, der einst in dieselbe Kerbe schlug –jedoch nicht aus Jux und Tollerei, sondern zwecks Homologation.

Alpine A110, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Damals wechselten sich im Heck Motoren von Renault 8 und 12 mit bis zu 138 PS ab, nun zieht ein vierzylindriger 1,8-Liter-Turbo als Mittelmotor ein, der die Hinterachse mit 252 PS und 320 Nm malträtiert.

Auch die Alpine hat ihren Anknüpfungspunkt in der Vergangenheit, und auch bei ihr schwingt Motorsporthistorie mit. 1961 erschien das gleichnamige Original: im Heck wechselnde Motoren von Renault 8 und 12 mit bis zu 138 PS, vorne das Froschgesicht, dazwischen ein enges Kabuff, drüber eine labbrige Kunststoffhaut. Es ist, als würdest du einen Handschuh anziehen und damit losrasen, hat mal einer gesagt. Recht hatte er! Das minimalistische Konzept ging auf. Als die A110 Mitte der Siebziger abtritt, ist sie zweifache Monte-Siegerin, Rallye-Weltmeisterin und eine Sportwagenlegende. Die erste französische, die einzige.

Mit Profisport hat ihre Reinkarnation nichts mehr am Hut. Ein bisschen Markenpokal macht sie noch, ansonsten dient sie rein der Unterhaltung. Und ja, sie ist das, was man ein Retro- Auto nennt. Retro? Da gehen bei manch einem sofort alle Lampen an angesichts der Grausamkeiten, die unter diesem Deckmantel begangen wurden. Im Gegensatz zu vielen Stilverbrechen schafft es die Alpine jedoch, die eigene Historie zu zitieren, anstatt sie zu karikieren. Okay, der Motor steckt nicht mehr in der Schwanzflosse, stattdessen zwängt sie ihn sich zwischen die Radbacken der Hinterachse. Darüber mokieren? Auf keinen Fall, zumindest solange VW ungestraft frontgetriebene Beetle mit Käfer-Schriftzug verkaufen darf.

Korrekt zitiert statt karikiert

Gebaut wird die Alpine übrigens genau wie damals im nordfranzösischen Dieppe. Und auch die Proportionen wurden historisch korrekt ins 21. Jahrhundert übersetzt. Die frühere A110 war leicht, flach und winzig, die neue ist nicht zu schwer, alles andere als hoch und bestimmt nicht üppig dimensioniert. Oberste Maxime bei der Entwicklung: das Gewicht. 1.100 Kilo wurden als Richtschnur gelegt. Dafür entwickelte man ein eigenes Leichtbauchassis, das ebenso wie die Karosseriekomponenten und weite Teile des Fahrwerks aus Aluminium besteht. Marketing-Blablubb? Mais non, 1.114 Kilo sagt unsere Waage. Mit Drum-und-Dran- Ausstattung und randvollem 45-Liter-Tank. Es geht also, wenn man will: Die Alpine ist der lebende Beweis.

Alpine A110, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Sowohl der 1,8-Liter-Turbo als auch der Siebengang-Doppel- kuppler sind einfache Angestellte von Renault und von Haus aus nicht die großen Halli-Gallier. Dennoch ist die Antriebskombo hier kaum wiederzuerkennen.

Und noch was beweist sie: Dass Gleichteile keine Ausrede sind für Monotonie. Sowohl der 1,8-Liter-Turbo als auch der Siebengang-Doppelkuppler sind einfache Angestellte von Renault und von Haus aus nicht die großen Halli-Gallier. Doch obwohl die Alpine nur Details wie Ansaugung und Abgasanlage optimiert, ist die Antriebskombo hier kaum wiederzuerkennen. Die Trantütigkeit, die sie in einem nominell stärkeren Mégane R.S. umgibt, ist restlos wegappliziert und/oder durch das niedrige Gewicht kaschiert. Die Druckaufbauphase des Direkteinspritzers verdichtet sich zu einem kurzen Schnappatmer, dann stehen 2000/min auf der Digitaluhr, die 320 Nm sind voll aufgeplustert, und die Alpine sprudelt vorwärts. Die Drehfreude ist ungebrochen, der Punch kräftig genug, um einen in fünf Sekunden auf 100 zu schubsen. Dabei schnippt das Getriebe ohne durchzuatmen die Gänge durch, der Lader schnorchelt, während man von Kurve zu Kurve schwirrt – den Hosenboden mitten im Schwerpunkt, den Dachhimmel voller Geigen und im Hinterkopf diese Weißbier-Werbung, wo es ja „so schön ’at geprickelt in mein Bauchnabel“.

Paddelboot featuring Gokart

Libido runterregeln, zurück nach Hockenheim, wo sich der Schauer inzwischen verzogen hat. Über der Strecke wabert der Dunst abziehender Feuchtigkeit. Dann zeichnet sie sich ab, die Ideallinie, die von der A110 gleich so dermaßen lockig gefahren werden wird, dass die Streckenposten wohl noch immer damit beschäftigt sind, die Knoten wieder rauszupopeln.

Im Ernst: Das hier ist ein echtes Fahrerauto.Eines, das wie ein Zäpfchen in die Kurven schlüpft, deren Verläufe aber viel lieber zerzaust. Statt sich mit einer Armee an Systemen bis zu irgendeinem fernen Limit durchzuboxen, nimmt sich die Alpine an manchen Stellen sogar bewusst zurück – zugunsten des Fahrverhaltens, das eine weitere Entwicklungsmaxime darstellte. So fallen die Reifen schmaler aus, als sie müssten, und auch die Federn könnten straffer sein. Die Folgen: durchweg positiv. Dennoch? Nein, deswegen! Einerseits braucht man auf der Landstraße nicht sämtliche Gesetze zu brechen, um das Auto auch mal zu spüren, andererseits hat man auf der Rennstrecke noch genügend Spielraum, um sich selbst aktiv in die Performance einzubringen.

Alpine A110, Rundenzeiten Hockenheim
Hans-Dieter Seufert
Woher die Topzeit kommt? Eines der Geheimnisse ist ein recht offensichtliches: das geringe Gewicht. Es entzieht der Fliehkraft Angriffsfläche und erhöht beim Beschleunigen die Wertigkeit der Leistung.

Die Alpine wedelt um den Kurs, tänzelt beim Anbremsen, schlenzt mit dem Heck, wirft sich wie ein Frisbee in Ecken oder schenkelt per Schleppgas hindurch. Kraftentfaltung und Traktion liegen voll auf einer Wellenlänge, die hyperdirekte Lenkung lässt einen die Leichtigkeit in den Fingerspitzen spüren, die zierliche Bremse verzögert kolossal. Kurz vorm Begrenzer ertönt ein Piiieeep, damit man die Schaltpunkte nicht verpennt. Und wenn man sich etwas Zeit nimmt für die filigranen Handlingstränge, sich reinfuchst in dieses leicht zappelige Aktions-Reaktions-Geflecht, hat man den richtigen Dreh irgendwann raus – und eine Topzeit hingeknallt.

Woher die kommt? Eines der Geheimnisse ist ein recht offensichtliches: das geringe Gewicht. Es entzieht der Fliehkraft Angriffsfläche und erhöht beim Beschleunigen die Wertigkeit der Leistung. Klar! Der Rest des Potenzials kommt von der perfekten Melange aus seriöser

Sportlichkeit und Laisser-faire. Die A110 kombiniert ihren verhältnismäßig niedrigen Grip und den schunkeligen Aufbau nämlich mit hoher Steifigkeit in der Karosserie sowie – vielleicht entscheidend – einer recht aufwendigen Doppelquerlenker-Konstruktion an beiden Achsen. Deren Vorteil besteht darin, dass die Räder beim Einlenken nicht ins Positive stürzen wie etwa beim McPherson-Prinzip. Stattdessen wird die Aufstandsfläche der Reifen stets plan auf die Fahrbahn gepresst – je höher die Querbeschleunigung, desto fester. Dadurch erhöhen sich laut Alpine die Haftung, ihre Konstanz und die Kontrollierbarkeit, falls die Seitenführung dann doch mal überwunden wird. Das Ergebnis: Ein Sport-Coupé́ irgendwo zwischen Paddelboot und Gokart. Freizeitsportlich, unmittelbar, aber nie übereifrig oder maßgeregelt. Gibt es was Besseres? Haben wir uns auch gefragt. Antwort: Ja, aber nur nach Punkten!

Alpine A110, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Gebaut wie damals im nordfranzösischen Dieppe bietet die Reinkarnation ab 58.000€ nahezu kompromisslosen Fahrspaß, begonnen beim schlichten Einstieg - ganz ohne Strapazen.

Aber Sie werden lachen: Das Beste an der Alpine ist etwas, das gar nicht direkt mit unseren sport auto-Kriterien zusammenhängt und vielleicht gerade deshalb so heraussticht. Lassen Sie mich kurz ausholen: Alle Autos, die selbst keine Kompromisse eingehen, fordern selbige in aller Regel von ihren Fahrern ein. Schöne Beispiele sind Alfa 4C und Lotus Elise, die konzeptionell ja in eine ähnliche Richtung tendieren wie die A110. Beide sind leicht, klein und auch extrem pfiffig zu fahren. Im täglichen Miteinander jedoch kommst du mit ihnen ganz unweigerlich mal an einen Punkt, an dem du sie auf einem Autobahnparkplatz aussetzen willst. Aus Wut. Der Alpine hingegen kannst du nicht mal an einem nebligen Montagmorgen böse sein, einfach, weil sie einem keinen Grund dazu gibt. Nicht einen einzigen.

Das fängt schon beim Einsteigen an. Es gibt keinen Schweller, der erst überwunden werden muss, kein Dach, das dir die Schädeldecke malträtiert, nein, man kann einfach reinschlüpfen. Einfach so: rechter Fuß voran, Allerwertester hinterher, dann der Rest. Versuchen Sie das mal beim 4C, da brauchen sie danach einen Orthopädentrupp samt Rettungsschere

Obendrein gibt’s drinnen sogar Komfort. Und nein, liebe Lotus-Freunde, dazu gehört mehr als die Tatsache, dass es nicht reinregnet. Man sitzt nicht nur in einer Blechpfanne, sondern in einem vollwertigen Auto, das zwar etwas noddelig dämpft, aber anständig federt und dank seiner ausgefeilten Aerodynamik auch bei Topspeed nicht davonzuflattern droht. Kofferraum? Vorhanden! Zwei sogar, wobei Koffer ehrlich gesagt nicht so wirklich Raum finden darin. Der vordere ist breit und flach, der hintere nur wenig tiefer, dafür eng ausgeschnitten. Doch da wir Deutschen ja Großmeister im Kombinieren von Modulbausteinen sind, sollte es daran auch nicht scheitern.

Fazit

Glück kann nicht nur einfach sein, in diesem Fall liegt es sogar in der Einfachheit. Die Alpine ist kein Auto, das dich ins Delirium beschleunigt und keines, das jemals irgendwo irgendeinen Rekord knacken wird. Ihr Grundprinzip läuft der aktuellen Sportwagenentwicklung komplett zuwider, ist genau genommen über 50 Jahre alt und heutzutage wahrscheinlich gerade deswegen so wunderbar: geringes Gewicht, pfiffiger Mittelmotor, Hinterradantrieb, Schlawiner-Handling, Platz für zwei, eine Prise Alltagskompetenz. Alles, was man sonst noch braucht: ein einsames Stück Straße die Hügel hinauf und leider auch diese verflixten 58.000 Euro.