Die Lithium-Ionen-Zellen leer gesogen, die Augen müde, die Fahreindrücke stark, der Espresso ebenso – da gerät man nach einer Vergleichsfahrt schon mal ins Sinnieren. An diesem Tag über die Frage, was eine Marke eigentlich ausmacht. Porsche? Natürlich ein 911er. Oder doch ein Cayman oder gar der Taycan? Mazda mit seinem MX-5? In München eher der 3er als ein 5er. Und wie schaut’s aus mit den beiden E-Wagen vor der Tür? Mit dem mattgrauen EV6 sind wir uns schnell einig. Längst verblassen die gern gekauften Wagen wie ein Sportage oder Ceed angesichts des optisch wie technisch eindrucksvollen EV6. Kia und Elektromobilität? Passt.
Audi? Schwierig. Denn bei allem Respekt vor dem gewiss vorzüglichen E-Tron GT: Mit dem eigentlichen Quotenbringer, dem Q4, sind die Ingolstädter noch lange nicht im grünen Bereich. Eher überzeugt die Marke mit Kombi-Kompetenz, am besten mit RS-Logo am Heck; zumal Audi Sport hier kräftig nachschärfen durfte.
Unterschiedliche Charaktere
Die Espresso-Tassen sind geleert, müssen Platz machen für das große A3-Blatt mit allen Daten und Messwerten beider Kontrahenten. Ein erster Faktencheck zeigt, dass sich der Sportback gewaltig strecken muss, um unbesiegt aus diesem Vergleich zu kommen. Starten wir mit Abmessungen, Gewicht und Raumangebot. Mit einem Leergewicht von 2237 Kilogramm bringt der Audi 131 Kilo mehr auf die Waage als der Kia. Uff. Der wiederum ist flacher, dafür elf Zentimeter länger und gesegnet mit einem Radstand von 2,9 Metern. Entsprechend offeriert der Kia im Fond einen dermaßen üppigen Normsitzraum, dass aussteigende Kinder locker durch den Fußraum rüber zur sicheren Beifahrerseite wandern können. Verstellbare Fondlehnen erhöhen den Reisekomfort. USB-Buchsen finden sich jeweils an den hinteren Seitenwangen der elektrisch verstellbaren Vordersitze.
Für den höheren und doch enger geschnittenen Audi spricht seine kräftiger ausgeformte Rückbank mit einer breiten Durchlade, leichter zugänglichen Isofix-Bügeln plus einer dritten Klimazone. Zudem kann er mit 535 bis 1.460 Litern mehr Gepäck mitnehmen (Kia: 490 bis 1.300 Liter). Wobei beide E-SUV angesichts ihrer schrägen Heckpartien für den Transport sperriger Güter reichlich ungeeignet sind. Dafür klappt der Kia seine Lehnen via Fernentriegelung vor und vermag bis zu 1,6, der Audi bis zu 1,2 Tonnen schwere Hänger ziehen. Die Haken kosten 780 beziehungsweise 950 Euro Aufpreis.
Audi Q4 E-Tron: Fahrdynamisch unterlegen
Mit Unterbodenfächern für Lade-Equipment können beide, mit einem zusätzlichen Stauraum (20 Liter) unter der Motorhaube nur der EV6 dienen. Hier fällt auf, dass Kia ihm zwei Gasdruckfedern gönnt. Audi belässt es bei einem Stab. Ohnehin vermeidet (auch) dieser Sportback, mit hoher Material- und Verarbeitungsqualität zu verwöhnen. Wer genauer hinguckt, entdeckt viel tristen Kunststoff, und auf unserer Holperstrecke, die wir mit jedem Testwagen befahren, kann er sich ein deutliches Knarzen nicht verkneifen. Wobei die Knarzerei auch auf das Konto der überaus straffen Fahrwerksabstimmung und der 21 Zoll großen Mischbereifung (1340 Euro) geht.
Trotz adaptiver Stoßdämpfer für weitere 980 Euro erlaubt sich der SUV deftige Klopper, kopiert insbesondere kurze Wellen sehr nachhaltig. Entspannt cruisen? Nur auf topfebenen Strecken. Belohnt er dafür mit freudvollem Handling? Nicht wirklich. Dazu liefert die leichtgängige und gefühllose Lenkung zu wenig Feedback, während der gesamte Audi mehr wankt als der Kia und früh untersteuert.
Kia EV6: Sport heißt auch Sport
Der EV6, im Vergleich zu seinem Plattformbruder Ioniq gewiss keine Sänfte, stresst da weniger, bleibt auf Rumpelstrecken ruhiger und bei flotter Fahrt auf der Autobahn souverän. Da die mit Kunstleder bezogenen Sitze behaglich geraten sind, die Bedienung leichtfällt und das tiefgründige Infotainment schnell erkundet ist, steht längeren Trips wenig entgegen.
Dennoch erfrischt der Kia auf kurvigen Strecken mit einer direkten, präzisen Lenkung und verlässlicher Neutralität. Oder er legt – auf "Sport" gestellt – eine Schippe drauf, lenkt bissig ein, tritt spontan an und provoziert den Fahrer mit einem kecken Heck. Wo "Sport" draufsteht, ist bei diesem Tiefflieger auch Sport drin.
Nun warte doch auf mich
Auf der Geraden kann der Audi trotz seiner beiden E-Motoren, die im Peak zusammen auf 220 kW kommen, wenig reißen. Sein Body-Mass-Index hat es ja schon angedeutet. Gewichtiger und zugleich 19 kW und 145 Newtonmeter schwächer als der EV6, lässt er diesen ruckzuck außer Sicht geraten. Wenn der Kia schon mit 70 km/h unterwegs ist, entnimmt der Audi-Fahrer seinen exzellenten Instrumenten vielleicht eine 60. Ein fernreisetaugliches Tempo von 140 km/h erreicht der Q4 nach 11,4 Sekunden.
Der Kia bleibt knapp unter zehn Sekunden. Für den aktuell sportlichsten Q4 keine Meisterleistung. Auch die Verzögerung geht der Audi leidenschaftslos an. Diffuser Druckpunkt, weniger geschmeidiges Blending zwischen Rekuperations- und hydraulischer Bremse sowie viel zu lange Bremswege – übrigens trotz üppiger Bereifung und kein Einzelfall. In nahezu jedem Test verlor der Q4 über die Bremse Punkte.
Laden: Kia im Vorteil
Dabei bleibt es nicht, schließlich spielt der Kia in puncto Laden in einer völlig anderen Liga. Dank 800-Volt-Technik und 240 kW maximaler Ladeleistung bunkert er am HPC-Lader innerhalb von neun Minuten Energie für die nächsten 150 Kilometer. Die Q4-Insassen stehen da weitaus länger. Sehr in Grenzen halten sich dafür die Unterschiede beim Testverbrauch (26,3 zu 24,9 kWh).
Als Testreichweite ergibt sich für den Audi eine Strecke von 307 Kilometern. Der Kia schafft mit ähnlicher Akkukapazität 325. Möglichst sparsam bewegt packen beide E-SUV rund 100 Kilometer drauf. Kleiner Trost für den Audi: Via 11-kW-Bordlader füllt er all seine Zellen in 7:15 Stunden wieder voll. Der Kia, gleichfalls mit 11 kW, folgt einer gemäßigteren Ladestrategie und benötigt über zwei Stunden länger.
Gute Serienausstattung vs. Aufpreispolitik
Zum Schluss bemühen wir die beiden Rivalen noch zum Kassensturz. Kann der Q4 über einen günstigen Preis wieder aufholen? Nein, im Gegenteil. Der Rückstand wird größer. 59.900 Euro gilt es mindestens zu berappen. Die Förderung liegt bei 7.975 Euro. Der EV6, für den Kia sieben Jahre Garantie gewährt, ist nur 990 Euro teurer, kräftiger gefördert (9.570 Euro) und als GT-Line top ausstaffiert.
Die forsche Hülle, das feine Interieur inklusive elektrisch verstellbarer Sitze (beheizt und belüftet), das gesamte Entertainment (inklusive Navi), adaptive LED-Scheinwerfer, Assistenzsysteme – alles da. Die montierten 20-Zöller kosten nur 490 Euro. Extras, für die ein Q4-Besitzer mindestens 8.000 Euro mehr zahlen muss. Wohlgemerkt, exklusive des verzichtbaren Radsatzes und der Adaptivdämpfer. Das S-line-Interieur, das dem Audi zu top ausgeformten Sportsitzen und einem ebenbürtigen Innenleben verhilft, kommt gleichfalls on top. Mit einem 800-Volt-Bordnetz oder dem V2D-Lader, mit dem der Kia als Stromspender funktioniert, kann der Q4 überhaupt nicht dienen.
Es bleibt also dabei – der EV6 ist klar das bessere E-Auto. Umso mehr bestätigt sich unser Eindruck, wie wichtig dieser Charismatiker für Kia ist, wie nachdrücklich er den Konzern in Richtung Elektromobilität pusht, ohne dem Image zu schaden.
Fazit
Stärker, schneller, sparsamer, dazu komfortabler und zugleich vergnüglich über Land. Alle Achtung: Dieser EV6 ist ein vorzüglicher Wagen; auch für die lange Strecke. Sperriges Gepäck kann nicht allzu viel mit.
Träger auf der Straße und am HPC-Lader, teurer und ruppiger im Umgang, muss der Q4 e-tron zumindest mit Qualität und Agilität überzeugen. Schafft er aber nicht, lieber bremst er nachlässig. Das geht besser.
Audi Q4 Sportback 50 e-tron Quattro | Kia EV6 77,4 kWh 4WD Paket GT-Line | |
Grundpreis | 59.900 € | 63.990 € |
Außenmaße | 4588 x 1865 x 1614 mm | 4695 x 1890 x 1550 mm |
Kofferraumvolumen | 535 bis 1460 l | 510 bis 1320 l |
Höchstgeschwindigkeit | 180 km/h | 185 km/h |
0-100 km/h | 6,3 s | 5,1 s |
Verbrauch | 0,0 kWh/100 km | 0,0 kWh/100 km |
Testverbrauch | 26,3 kWh/100 km | 24,9 kWh/100 km |