Audi R8 Performance vs. McLaren 600LT
Optimierte Mittelmotor-Sportwagen im Duell

Audi und McLaren packen die große Feile aus, wollen für die Rennstrecke optimierte Mittelmotorsportler an den Start bringen. Höchste Zeit also für einen 600-PS-plus-Wettkampf – auch auf der Landstraße.

Audi R8 Performance, McLaren 600LT, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Die fieseste Rolle im Leben spielt ja gerne das Leben selbst. Es neigt dazu, gerade dann, wenn alles besonders dufte läuft, zielsicher den schnellen Vorlauf zu betätigen. Der Audi R8 ließ sich beinahe zwei vollständige Modellgenerationen Zeit, sich zwar erfolgreich als Aushängeschild der Marke zu positionieren, aber eben vorwiegend aufgrund von Optik und Antriebsdramatik, nicht jedoch wegen Sportwagen-gemäßer Fahreigenschaften.

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Also: vorspulen. Kaum nachdem der R8 im Einzeltest volle fünf Sterne kassierte, füllt die diabolisch grinsende Frontpartie des McLaren 600LT seinen Rückspiegel. Im Vergleich zum Basismodell 570S fahrwerksgestrafft, leistungsgesteigert, gewichtsreduziert und gemäß seiner Bezeichnung („LT“ steht für „long tail“, also „langes Heck“; kommt aus der Motorsport-Historie der Briten) um 4,5 Zentimeter heckverlängert, will er dem Audi mal zeigen, wo es auf der Rennstrecke so langgeht. Rennstrecke? Ja. Sportwagen-Wertung. Keine Kofferraumvolumina und Normsitzräume heute. Wohl aber: Landstraßen-Fahrspaß. Und Triebwerkseffizienz.

Audi R8 Performance, McLaren 600LT, Exterieur
Rossen Gargolov
Farbenlehre: Luminaire Green hinten und Kemoragrau vorne.

Da packt der McLaren schon zu, packt dich, vakuumiert dich in sein Carbon-Chassis, umklammert dich bis hoch zu den Schultern mit seinen ebenfalls aus Carbon gefertigten Sitzschalen. Sie zählen zu den Leichtbau-Optionen im Wert von – Achtung – 47.940 Euro, die das Fahrzeuggewicht um 9,2 Kilogramm senken, und ermahnen den Fahrer, sich an seinen Ernährungsplan zu halten.

So weit musst du erst einmal kommen, dich an vorne angeschlagenen, aber nach oben öffnenden Türen vorbeiwursteln, halbwegs elegant über den Schweller in die Schale rutschen. Dann: sitzt du. Und wie. Holst dir das kleine, struppige Lenkrad vor die Brust, schiebst den Sitz eine Raste nach vorne, startest per Knopfdruck in der Mittelkonsole den 3,8-Liter-V8-Motor, Werkscode M838TE.

Der Weg nach oben

Hinter dir posaunt es trocken gen Himmel, im wahren Wortsinn gar, weil McLaren die Abgasanlage des 600LT zwecks optimierten Temperaturhaushalts, geringeren Materialeinsatzes und damit niedrigeren Gewichts vor dem starren Heckflügel nach oben ausleitet.

McLaren 600LT, Exterieur
Rossen Gargolov
Eine Runde Leistungsübersteuern? Bitte, gerne. Die 620 Nm des V8 wirken einzig auf die Hinterräder

Donnernde Achtzylinderbässe? Nein. Weil: Kurbelwelle mit 180 Grad Hubzapfenversatz. Also zorniger Rennwagenklang. Wie alles im 600LT irgendwie zornig, mindestens aber rennwagenmäßig wirkt. Er fordert ein, fordert dich, will, dass du zupackst, auch ein bisschen einstecken kannst. Vor allem dann, wenn du die Flucht aufs Land als Aufputschmittel schätzt. Dort sieht sich der McLaren permanent Anregungen der teils sehr aufgewühlten Fahrbahnoberfläche ausgesetzt, reicht sie unverblümt in die um acht Millimeter tiefergelegte Karosserie weiter, knarzt mal hier, zirpt mal dort, zuweilen klötert es auch in den Lagern der geschmiedeten Aluminium-Doppelquerlenker. Alles Geräusche, die du in einem Sportwagen zum Grundpreis von 230.000 Euro nicht haben möchtest, erst recht nicht das permanente Fiepen der Servopumpe.

Ja, eine Servopumpe, denn McLaren ordnet dem letzten Zehntel Verbrauchs- und Emissionseinsparung eine ähnliche Relevanz zu wie John Bercow dezenten Krawatten – Sie wissen schon, der Sprecher des britischen Unterhauses. Also keine elektromechanische Konstruktion. Kurzer Einschub: Natürlich erfahren Sie hier dennoch, was McLaren und Audi verbrauchen. Mit durchschnittlich 13,5 Litern fährt der 600LT etwas sparsamer als der R8 (14,8 l/100 km).

Zurück zur Lenkung, wobei das im Fall des 600LT ein zu geringes Wort wäre. „Seele“ trifft es wohl schon eher. Das Lenkgefühl reißt dich ebenso mit wie der gesamte Antrieb, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, denkst du, als du mal wieder versuchst, dich aus dem Sumpf der Anfahrschwäche des Biturbo-Triebwerkes freizuschwimmen. Jedenfalls lenkt der McLaren nicht nur so hastig ein, als würde die entsprechende Ecke der Fahrzeugfront kurzzeitig mit Medizinbällen beschossen. Er lässt dich dabei keine Millisekunde darüber im Unklaren, was gerade mit und unter den Vorderrädern passiert.

McLaren 600LT, Motor
Rossen Gargolov
McLaren 600LT: Maßstab für exaltierte Abgasanlagen - die nach oben geführten endrohre für besten Wärmehaushalt

Wie der Audi abbiegt? Kaum weniger enthusiastisch, allerdings deutlich weniger kommunikativ, bei aller Güte, mit der die Überlagerungslenkung inzwischen rückzumelden vermag. Dagegen würde Imbissbuden-Philosoph Dittsche wohl über die LT-Lenkung sagen: Sie perlt. Und nachdem du vorne den Richtungsimpuls gesetzt hast, gibt dir der 600er das Gefühl, das Heck nur durch Anspannen der entsprechenden Pobacke folgen zu lassen. Dabei erledigt das Fahrwerk das natürlich alleine, zusammen mit den kleisterigen, arg temperaturempfindlichen Reifen.

Schön jedoch, dass der Fahrer eine so essenzielle Komponente der Fahrdynamik sein darf. Vorne lenkt’s, hinten drückt’s, und dazwischen tobt’s. Der V8-Biturbomotor, wie bereits erwähnt. Ungeachtet seines Aufladungskonzeptes entwickelt das 3,8-Liter-Aggregat sein maximales Drehmoment von 620 Nm bei späten 5.500/min – und will exakt so genutzt werden. Denn erst knapp unterhalb der 3.000er-Marke schießt der Stein von der Schleuder, pfeifend explodiert der Kurzhuber (Bohrung mal Hub 93,0 x 69,9 mm), tobt weiter in Richtung 8000 Umdrehungen. Dann: Gangwechsel, per Paddel am liebsten, weil es so schön klickt. Klar, das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe kommt alleine ebenfalls prima zurecht, selbst auf der Rennstrecke. Schnell lädt es nach, in die eine wie in die andere Richtung.

Cowboy von der Insel

Für die Show zwischendurch: Im Track-Modus schnalzt es mit lautem Knall aus der Abgasanlage – ein Cowboy, der in die Luft ballert. Jetzt wieder: einlenken. Irre. Bis zum Scheitelpunkt neigt der McLaren schon mal zu leichtem Untersteuern, das sich bei mutig-progressivem Gaseinsatz in Leistungsübersteuern flüchtet. Mittelmotor-Brummkreisel-Eskapaden? Nicht bei engagierter, wohl aber pubertärer Fahrweise.

Audi R8 Performance, Exterieur
Rossen Gargolov
Audi R8 Performance: Ganze 20 PS hat der R8 mehr unter der Haube. Wie sein Konkurrent benötigt er dennoch genau 3 Sekunden von 0 auf Tempo 100.

Übrigens: Auf ein mechanisches Sperrdifferenzial verzichten die Briten weiterhin, nutzen stattdessen stabilisierende Bremseingriffe an der Hinterachse. Auf die Verzögerung wirkt sich die höhere Beanspruchung nicht aus, die Anlage mit Carbon-Keramik-Scheiben ist entsprechend groß dimensioniert, hält also tapfer, ebenso wie die Bremsanlage des Audi. Genauso hilfreich: der Dynamik-Modus der Fahrdynamikregelung. Ließe sich abschalten, doch wenn die Elektronik mit perfekter Choreografie von Nullen und Einsen selbst auf der Rennstrecke mehr Vertrauen schafft, ohne zu früh den Schwimmwinkel zu kappen – warum nicht?

Das gilt in gleichem Maße für das System des Audi, also dann, wenn die Taste mit der Zielflagge links unten am Pralltopf des Lenkrads gedrückt und der Drehregler drum herum auf „dry“ geklickt wird. Mal ganz abgesehen vom haptischen Erlebnis, für das der 600LT seine erhebliche Menge an penibel vernähtem Alcantara aufbieten muss, um zu kontern, beeindruckt die Arbeitsweise der Traktionskontrolle: sanfte Impulse an der Eskalationsschwelle, vehemente, wenn du sie übertrittst.

Nichts jedoch verhindert die Eskalation, wenn du zu viel Anlauf nimmst. Bislang schubste der R8 mit einem Grenzbereich, so schmal wie der Geldbeutel zum Monatsende, und in der Folge aufbrausenden Lastwechselreaktionen die Eskalation nahe an den Fahrer heran. Mit dem 5.900 Euro teuren Gewindefahrwerk (in Druck-und Zugstufe verstellbar) aus dem Performance-Parts-Programm reagiert der R8 weniger panisch. Weiteres Zubehör: Schmiedefelgen mit Semislick-Reifen und Bremsbeläge mit Titan- statt Stahlrückenplatten.

Audi R8 Performance, Exterieur
Rossen Gargolov
Da wir gerade beim Thema Kosten sind: Der Grundpreis des Audi R8 Performance beträgt 200.000 Euro. Im Vergleich zum McLaren beinahme ein "Schnäppchen".

Diese Konfiguration schafft tatsächlich einen Mehrwert, addiert sie zur spektakulären Optik doch endlich eine spektakulär hohe Dynamik. Ah, nein, korrigiere: Nun lässt sich die spektakulär hohe Dynamik des Top-R8 gefahrloser und länger erleben. Okay, du solltest noch immer nicht zu eckig einlenken (aber wer macht das schon, hm?), doch das zuvor praktisch immer reproduzierbare Leistungsuntersteuern, das nur bei minimalem Gaspedalweg zurück in kitzeliges Übersteuern, nein, nicht glitt, sondern umschlug – weg.

Karma-Vertreter

Stattdessen: eine neue Ausgeglichenheit, ein angenehm sediertes Karma, verstärkt durch die gripstarken Reifen. Erst wenn die aus ihrem Temperaturfenster nach oben herauspurzeln, kommt das Biest zurück. Das spürbar verbesserte Lenkgefühl schenkt selbst dann mehr Vertrauen, du kannst noch ein bisschen arbeiten, um das Schlimmste zu verhindern – es wird gelingen. Zumal, wie gesagt, die Elektronik gerne und überzeugend hilft.

Ja, jetzt wanzt sich der R8 an seinen Fahrer und damit an das Ideal des Supersportwagens heran. Natürlich teilt das sozusagen nur manuell adaptive Fahrwerk aus, strafft den Audi, der zuvor ja eher ein bisschen zu entspannt in seinen Federn hing. Die neue Härte passt gut zu ihm, zumal der gelungenen Abstimmung nur im Extremfall die Bodenhaftung abhandenkommt, sie das Gripniveau hoch hält. Den Rest besorgt der Allradantrieb, mitverantwortlich für den Gewichtsnachteil, ebenso wie das oberklassig ausgeführte Interieur.

Audi R8 Performance, Interieur
Rossen Gargolov
Ja, hinter der Zielflaggen-Lenkradtaste steckt Technik, die hilft, schneller anzukommen

Die Ergonomie des Cockpits wahrt zwar etwas mehr Distanz zum Fahrer, doch dafür klebt der 5,2-Liter-Motor direkt unter der rechten Sohle, so sehr, dass du selbst diesseits der Rennstrecken mit sinnloser Linksbremserei anfängst. Einfach weil du den ultrakurzen Draht zu den Einspritzdüsen nicht kappen willst.

Er ist immer noch da

Saugmotoren verblassen im gleißenden Rampenlicht der Turbotriebwerke? Nicht dieser V10. Mag sein, dass er jenseits von 100 km/h den McLaren ziehen lassen muss. Das Gefühl der Demütigung schreit das 620 PS starke Aggregat choral in die Flucht, und es schreit lange, aus voller, voluminöser Brust, bis 8.700 Umdrehungen, ach du liebes bisschen.

Auf dem Weg dorthin, bei etwa 6.000/min, schmeißt der mit 12,7 : 1 verdichtete Langhuber noch ein paar Drops zusätzlich ein, steigert die Intensität der Leistungsentfaltung. Noch mal! Bitte! Immer wieder! Die zackigen Spitzen des Dramas schliff zwar die Homologation nach Euro 6d-Temp weg, auch die Schaltvorgänge verzichten auf rabiate Wut, nicht aber auf Schnelligkeit. Auch hier bringt Selbstschalten mehr Grinse- als weniger Rundenzeit – so sei es.

Während du da also auf die Kurven zufliegst, jubelst du ihnen schon zu, weil du weißt, wie elegant neutral bis leicht übersteuernd der R8 durch ihren Verlauf feuert. Ja, noch einmal zum Mitschreiben: auf der Rennstrecke. Auf der Landstraße kommst du nicht auf entsprechendes Tempo, registrierst jedoch, dass sich der Audi leichter und stressfreier führen lässt als der wildere McLaren.

Sie gehören beide nicht hierhin, zu breit, zu stark, zu provokant. Sie schleudern ein Ass nach dem anderen auf den Rennstreckenasphalt, mit differenzierter Ausprägung, aber ähnlich effektiv. Möge der schnelle Vorlauf jetzt stoppen, jetzt, da beide zum Besten und Schnellsten zählen, was einem im Auto-Leben über den Weg fahren kann.

Fazit

1. Audi R8 V10 Performance
226 von 1000 Punkte

Der Audi zeigt sich so engagiert wie noch nie, fährt nun irre präzise, angetrieben von einem Triebwerk, dessen Bild schon heute Auto-Freaks anbeten. Dass sich der R8 auf der Landstraße leichter konsumieren lässt und der brillante Motor verhelfen ihm noch nicht zum knappen Sieg. Den verzockt der McLaren letzlich durch den absurden Preis.

2. McLaren 600LT
224 von 1000 Punkte

Mit dem 600LT beweist McLaren, wie breit sich die Einstiegsbaureihe auffächern lässt. Nur bedingt kompromissbereit, leistungs- und traktionsstark, extrem kommunikativ, stellt er den Fahrer ins Zentrum und will speziell auf der Rennstrecke dem Audi eins überbraten

Technische Daten
Audi R8 Coupé Performance 5.2 FSI Quattro McLaren 600LT
Grundpreis215.000 €230.000 €
Außenmaße4429 x 1940 x 1236 mm4604 x 1930 x 1194 mm
Kofferraumvolumen112 l150 l
Hubraum / Motor5204 cm³ / 10-Zylinder3799 cm³ / 8-Zylinder
Leistung456 kW / 620 PS bei 8000 U/min441 kW / 600 PS bei 7500 U/min
Höchstgeschwindigkeit331 km/h328 km/h
0-100 km/h3,0 s3,0 s
Verbrauch11,7 l/100 km
Testverbrauch14,8 l/100 km13,5 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten