Günstige Assistenzsysteme
Ist günstig auch gut?

Lang gab es Fahrerassistenzsysteme nur in der Oberklasse. Jetzt kommen sie in Klein- und Kompaktwagen, und das zu erstaunlich niedrigen Aufpreisen. Was können sie?

VW Golf, Assistenzsysteme
Foto: Achim Hartmann

Notbremsassistenten und Spurverlassenswarner heißen heute City Safety oder Lane Assist. Einst hießen sie Oma Else oder Tante Ulla und warnten sowohl akustisch (mit Wortneuschöpfungen wie "Huhdaslebtag" und "Wernerpassauf") als auch gestengesteuert vor Spurabweichungen oder Stauenden hinter Kuppen. So richtig bekannt wurde die technische Fahrerassistenz 2004, als Citroën AFIL in den C5 einbaute. Erkannten die Infrarotsensoren ein Abweichen von der Spur, vibrierte als Warnung das Polster des Fahrersitzes, was der, ähm, Popularität des Systems ebenso abträglich war wie der hohe Preis.

Inzwischen haben sich Assistenzsysteme bis in die Kleinwagenklasse etabliert. Wobei die Hersteller unterschiedliche Möglichkeiten gefunden haben, die Preise zu senken.

Renault warnt statt einzugreifen

390 Euro kostet der Spurhalteassistent im Renault Twingo. Die Kamera hinter dem Innenspiegel erkennt selbst bei Regen und Dunkelheit die seitliche Fahrbahnbegrenzung und die Mittellinie sicher, warnt zuverlässig schon, wenn der Twingo sie ohne vorheriges Blinken zu überfahren droht. Allerdings bleibt es beim Warnen, dem kurzen Piepsen und einem Aufblinken des Spurhaltesymbols im Tacho.

Einen Lenkeingriff gibt es nicht. Was sich nicht mit hohen Kosten für die Technik erklärt – ein Steuergerät könnte auf die elektrische Servounterstützung der Lenkung zugreifen. Richtig teuer ist aber die Abstimmung, also den Lenkeingriff so zu optimieren, dass der Wagen nach einer Korrektur sauber in der Linie und nicht wegen permanenter Nachkorrekturen im Zickzack auf der Spur fährt.

Nissan setzt auf Funktionsbündelung

Das Safety Shield genannte Assistenzpaket von Nissan spart sich ebenfalls Lenkeingriffe. Den Sicherheitsschild gibt es für Note, Qashqai, X-Trail und den getesteten Pulsar – hier für 1.600 Euro im Paket mit Navi in der mittleren Ausstattung Acenta, serienmäßig für die Topversion Tekna. Wichtigstes Element ist die Kamera am Heck. Mit ihr detektiert das System Autos im toten Winkel, erkennt, ob der Wagen die Spur zu verlassen droht, und beim Ausparken Fußgänger hinter dem Auto. Darüber hinaus projiziert sie ihre Bilder als Rückfahrkamera auf den Monitor im Cockpit. Weil die Kamera für das Gesamtsystem so wichtig ist, verfügt sie über eine automatische Reinigungs- und Trocknungsfunktion.

In der Praxis hat die Funktionsbündelung einige Nachteile. Die Idee, den toten Winkel per Kamera zu überwachen, haben andere Hersteller lange aufgegeben – wegen der knappen Reichweite des Geräts und weil es keine Geschwindigkeiten erkennen kann. Vor allem bei hohen Tempounterschieden kommt die Warnung vor herannahenden Autos erst, wenn sie nur noch eine Wagenlänge entfernt sind. Und obwohl die Spurhaltung selbst bei schlechtem Wetter gut funktionierte, kann es passieren, dass der Pulsar mit der Front schon eine Linie überfährt, bevor das die Kamera am Heck merkt.

Opel mit Schwächen beim Totwinkelassistent

Auch die Frontkamera beim Corsa übernimmt mehrere Aufgaben. Sie sitzt am Innenspiegel und liefert die Daten für Abstands-und Kollisionswarner, Spurhalteassistent sowie Verkehrszeichenerkennung. Wobei das mit Schildern und Abständen deutlich besser klappt als mit dem Spurhalten. So erkennt das System die breiten Seitenlinien zuverlässig, merkt aber oft nicht, wenn der Mittelstreifen ohne vorheriges Blinken überfahren wurde.

Schwächen zeigt auch der Totwinkelassistent. Er ist Teil des Parkassistenten für 580 Euro und nutzt die Ultraschall-Parksensoren im Heckstoßfänger, um Autos zu detektieren – von 10 bis 140 km/h. Das klappt in der Stadt gut, da leuchten die Warnsymbole im Rückspiegel rechtzeitig auf. Mit höheren Geschwindigkeitsunterschieden auf der Autobahn ist das System überfordert, weil die Reichweite der Ultraschallsensoren nur vier Meter beträgt – radarbasierte Totwinkelwarner reichen 50 bis 80 Meter weit. So können die Parksensoren nicht rechtzeitig vor schnell herannahenden Autos warnen, der Hinweis im Außenspiegel kommt oft erst, wenn das andere Auto schon auf der Höhe der B-Säule ist.

VW überzeugt bis 160 km/h

Beim Adaptivtempomaten des Golf spart VW nicht an Funktionen, sondern an Reichweite. Die des 77-Gigahertz-Radars liegt bei 120 Metern – das reicht für Geschwindigkeiten bis 160 km/h und die Kompaktklasse. Für höhere Tempi müsste der Radar über 200 Meter abdecken.

Die Beschränkung der Regelgeschwindigkeit auf 160 km/h bleibt die einzige des Systems. Es hält zuverlässig den Abstand zum Vorausfahrenden, regelt ruckfrei, bremst sanft ab und beschleunigt entschlossen wieder. Darüber hinaus integriert VW ein City- Notbremssystem ins ACC, das in Kombination mit dem Doppelkupplungsgetriebe das Staufolgefahren beherrscht, sowie den Kollisionswarner, der per Bremsruck erst vor einem drohenden Unfall warnt und notfalls eine Vollbremsung einleitet. Und damit viel wirkungsvoller ist als Oma Else oder Tante Ulla, die früher meist nur hektisch im Beifahrerfußraum herumstampften.

Renault Twingo mit Spurhalteassistent für 390 Euro

Mit der Kamera auf den Spuren der Autobahn

Wer beim Twingo das Sicherheitspaket mit Tempopilot, Geschwindigkeitsbegrenzer und eben dem Spurhalteassistenten ordert, sollte nicht auch noch das Sound-Paket mit Subwoofer und leistungsstärkeren Lautsprechern bestellen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der sachte Piepton, mit dem das System vor dem Verlassen der Fahrspur warnt, von wummernden Bässen und klirrenden Höhen übertönt wird. Sehr dezent fällt auch die optische Warnung im Instrumentendisplay aus.

Etwas vehementer dürfte sich der Spurhalter also melden, erkennt aber zuverlässig die Spuren, warnt rechtzeitig und lässt sich dabei selbst von schlechtem Wetter oder verblassten Markierungen nicht irritieren. Es bleibt allerdings bei der Warnung, korrigieren muss der Fahrer selbst, Lenkeingriff hat das System nicht.

Vorzüge: Zuverlässige Spurerkennung auch bei schlechter Witterung und ausgeblichenen Markierungen, einfache Bedienung, günstiger Preis.

Nachteile: Kein Lenkeingriff, nur kleines Warnsymbol bei Spurverlassen im Instrumentendisplay, zu dezenter Warnton.

Opel Corsa mit Spurhalte- und -wechselassistent für 580/700 Euro

Mit Parksensoren gegen den toten Winkel

Für den neuen Corsa bietet Opel gleich zwei Assistenzsysteme. Der Totwinkelwarner kommt aus dem kleineren Adam und ist auch im größeren Corsa Teil des automatischen Parkassistenten. Das System nutzt die Ultraschall-Parksensoren im Heckstoßfänger und warnt mit einem aufblinkenden Symbol im Außenspiegel vor Autos im toten Winkel.

Das klappt zwar zuverlässig, doch weil die Sensoren nur vier Meter Reichweite haben, werden von hinten herannahende Autos erst spät erkannt. Für Stadttempo reicht es noch, aber bei höheren Geschwindigkeitsunterschieden auf der Autobahn ist das System überfordert.

Als zweites System gibt es Opel Eye, eine Frontkamera, die Verkehrszeichen und den Abstand zum Vorausfahrenden zuverlässig angibt und sicher vor Kollisionen warnt, aber Spurverlassen oft nicht bemerkt.

Vorzüge: Für Stadtgeschwindigkeiten ausreichendes Totwinkel-Warnsystem, zuverlässige Verkehrszeichen- und Abstandsanzeige.

Nachteile: Zu geringe Sensorreichweite des Totwinkelwarners für Autobahngeschwindigkeit. Opel Eye erkennt oft nicht, wenn Fahrspur verlassen wird.

Nissan Pulsar mit 360-Grad-Sicherheitsschild für 1.600 Euro (Paket)

Von allen Seiten voll im Bilde

Klären wir erst den Preis des Systems im Pulsar. Weil das Topmodell Tekna den Sicherheitsschild serienmäßig mitbringt, gilt der Betrag nur für die mittlere Linie Acenta und beinhaltet noch Navi und Digitalradio. Neben der Spurhalte-, -wechsel- und Ausparkwarnung kümmert sich das System um Komfortbelange – so projiziert die Heckkamera ihr Bild beim Ausparken auf den Touchscreen, mit den Bildern von drei weiteren Kameras ergibt sich eine Aufsichtsperspektive zum Rangieren.

Die Heckkamera liefert die Daten für den Totwinkelwarner, der zuverlässig, aber wegen der knappen Reichweite der Kamera etwas spät herannahende Autos meldet. Auch die Spurhaltehilfe (ohne Lenkeingriff) nutzt die Heckkamera. Klappt gut, doch in Vorzüge: Einfach konfigurierbares System, zuverlässige Spurhaltefunktion, sehr praktische Rückfahr- und Ausnahmefällen kann es passieren, dass der Pulsar die Spur mit der Front schon verlässt, bevor es die Kamera am Heck bemerkt.

Vorzüge: Ausnahmefällen kann es passieren, dass der Pulsar die Spur mit der Front schon verlässt, bevor es die Kamera am Heck bemerkt.

Nachteile: Auf Autobahn mit hohen Geschwindigkeitsdifferenzen späte Warnung vor nahenden Autos, Personenerkennung bei Ausparken nicht zuverlässig.

VW Golf mit Adaptivtempomat mit Notbremssystem für 565 Euro

Immer schön auf Abstand bleiben

Bei 565 Euro bleibt es nicht, weil es ACC nur mit Multifunktionslenkrad (355 Euro) und -anzeige Plus (52 Euro) sowie Müdigkeitswarner (25 Euro) gibt. Doch auch 997 Euro sind für solch ein System vergleichsweise günstig.

Der Preis erklärt sich über die Beschränkung der maximalen Regelgeschwindigkeit auf 160 km/h. Für höheres Tempo bräuchte der Radar mehr als die 120 Meter Reichweite. Dafür beherrscht ACC in Kombination mit dem Doppelkupplungsgetriebe sogar Staufolgefahren, bringt den Golf also komplett zum Stillstand und fährt dann wieder an. Beim Handschalter funktioniert der Abstandstempomat ab 30 km/h – und zwar hervorragend. Das System bremst vorausschauend, hält den Abstand konstant und beschleunigt nach dem Abbremsen nicht zu zögerlich wieder auf das Ausgangstempo zurück. So wie es sein soll.

Vorzüge: Fein abgestimmter Abstandstempomat, bremst sacht, beschleunigt nicht zu zögerlich, zuverlässiger Kollisionswarner mit guter Notbremsfunktion.

Nachteile: Etwas komplizierte Bedienung des Abstandstempomaten über Lenkradtasten, regelt nur bei Geschwindigkeiten von 30 bis 160 km/h (Schalter).

Fazit

Obwohl nur der Adaptivtempomat des VW Golf komplett überzeugen kann, ist jedes der Assistenzsysteme ein sinnvolles Extra – sinnvoller als Aluräder, ein Soundsystem oder Lederpolster, die oft mehr kosten. Allerdings dürfen Assistenzsysteme nicht nur Nebenfunktionen sein – wie der unzuverlässige Spurhalter und der autobahnuntaugliche Totwinkelwarner per Ultraschall im Corsa oder der veraltete kamerabasierte Totwinkelwarner im Nissan.