Lamborghini Huracán Evo
Die neue Ausbaustufe mit 640 PS im Test

Vom Stier zum Bullen? Das Jugendalter hat der Lamborghini Huracán nach fünfjähriger Produktionsphase längst hinter sich. Zeit für eine Modellpflege. Was die neue Ausbaustufe namens Evo draufhat, klären wir in Hockenheim.

Lamborghini Huracan Evo, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Bullen und einem Stier?„, fragt unser Grafiker Wolfgang Brettschneider locker aus der Hüfte beim Texten der Überschrift für diese Geschichte. Besserwissermodus an: “Im Jugendalter wird das männliche Rind mit Jung oder geläufiger Stier bezeichnet; wenn das Tier mannbar – zeugungsfähig – ist, heißt es Bulle. Der beschnittene Bulle ist der Ochse. Weitläufig wird heute ein Stier als wilder oder halbwilder Bulle angesehen.„ Besserwissermodus aus.

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Und wie wir alle wissen, tragen die Sportwagen von Lamborghini einen Stier im Markenlogo und werden nach ehemaligen Kampfstieren benannt. Doch hat sich der Lamborghini Huracán in seiner jüngsten Ausbaustufe namens Evo nicht mittlerweile vom Stier zum Bullen entwickelt? Auf geht’s zum Bullriding.

Das Jugendalter hat das Zehnzylindermodell von Lamborghini in seiner mittlerweile fünfjährigen Lebenszeit bereits deutlich hinter sich gelassen. Grund genug für die italienische Sportwagenschmiede aus Sant’Agata Bolognese, den Mittelmotorhelden einer gründlichen Modellpflege zu unterziehen. Ob sie wirklich so gründlich ist oder nur eine geschickte Optikretusche, das klären wir – wo auch sonst? – auf dem Hockenheimring.

Lamborghini Huracan Evo, Interieur
Achim Hartmann
„Strada“, „Sport“, „Corsa“ – wie gewohnt justiert man über den Klickschalter am unteren Lenkradkranz die Fahrprogramme.

“Strada„, “Sport„, “Corsa„ – wie gewohnt justiert man über den Klickschalter am unteren Lenkradkranz die Fahrprogramme. “Im Corsa-Modus ist der Huracán Evo präzise, reaktionsstark und anregend und somit bestens in extremen Fahrumgebungen wie auf Rennstrecken aufgehoben„, schreibt Lamborghini in seiner Pressemappe. Na, das klingt doch nach sport auto. Also Corsa-Modus an und ESC aus. Motor, Getriebe und Allradsystem spannen jetzt die Muskeln und sind bestens für den Rennstreckenbesuch vorbereitet.

Göttlicher V10-Saugmotor

Boxenampel grün, Einführungsrunde, Zündfolge 1–6–5–10–2–7–3–8–4–9 – schon beim Warmfahren stehen die Nackenhärchen Spalier. Ab sofort trompetet im Lamborghini Huracán die Ausbaustufe des 5,2-Liter-V10, die wir bereits aus dem Extremsten aller Extremisten namens Huracán Performante kennen. Etwas von “Einlassventilen aus Titan„ und einer “optimierten Leichtbau-Abgasanlage„ für “eine höhere Leistungsausbeute„ versprechen die Italiener. Dabei ist es eigentlich völlig egal, ob dieser Hochdrehzahlsauger statt mit 610 nun mit 640 PS aufgeigt.

Lamborghini Huracan Evo, Motorraum
Achim Hartmann
Ab sofort trompetet im Huracán die Ausbaustufe des 5,2-Liter-V10, die wir bereits aus dem Extremsten aller Extremisten namens Huracán Performante kennen.

Wenn man heutzutage zumeist mit Turbo-Triebwerken durch die Gegend “staubsaugt„, dann ist es einfach göttlich, von Zeit zu Zeit mal wieder so einen drehzahlgierigen, feinsinnig dosierbaren und einfach authentischen Saugmotor dirigieren zu dürfen. Der V10-Schrei erreicht das Motodrom. Hauptsache, die Jungs von Hockenheim fischen den Mittelmotorhelden angesichts seiner Stimmgewalt nicht wieder frühzeitig von der Piste.

Auch wenn das Evo-Modell so herzzerreißend klingt, als ob es sich um Geräuschhemmer à la OPF einen Teufel scherte, muss man sich als Trackday-Fahrer hier keine Sorgen machen, die schwarze Flagge zu sehen. Anders als der Aventador SVJ mit seiner überlauten Abgasanlage liegt der Lamborghini Huracán Evo unter dem zulässigen Lautstärke-Maximum in Hockenheim.

Start-Ziel-Gerade, jetzt zeigt sich, ob die Modellpflege auch einen querdynamischen Fortschritt gebracht hat. Längsdynamisch hält sich der messbare Fortschritt in Grenzen. Ob das letzte getestete Vorgängermodell Lamborghini Huracán LP 610-4 Coupé nach oben gestreut hat oder der Evo nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass der Evo langsamer beschleunigt als der in sport auto 8/2016 getestete Vorläufer mit 610 PS (LP 610-4: 0–100 Kilometer die Stunde: 2,9 s, 0–200 Kilometer die Stunde: 9,3 s).

Lamborghini Huracan Evo, Exterieur
Achim Hartmann
Modifizierte Aerodynamik: Im Vergleich zum Vorgängermodell mit 610 PS soll der Evo fünfmal mehr Abtrieb haben (Gesamtabtrieb Huracán LP 610-4 bei 200 km/h: 10 Kilogramm).

Anbremsen Nordkurve. Einen deutlichen Entwicklungssprung hat die ABS-Abstimmung gemacht. Das Vorgängermodell fiel vor allem auf der Rennstrecke mit den Optionsreifen vom Typ Pirelli Zero Trofeo R durch eine ungenügende ABS-Regelung auf. Besonders in welligen Anbremszonen regelte das ABS so ruppig, dass an späte Bremspunkte gar nicht zu denken war. Der Lamborghini Huracán Evo profitiert von der überarbeiteten ABS-Abstimmung, die bereits im Lamborghini Huracán Performante zum Einsatz kam.

Einlenken, präzise den Scheitelpunkt anvisieren – der größte Fortschritt aus fahrdynamischer Sicht ist mit der erstmals in der Huracán-Baureihe eingesetzten Hinterachslenkung gelungen. Bisher kannten wir diese bei Lamborghini nur aus den aktuellen Aventador-Modellen und dem SUV Urus.

Mit gripfreudiger Trofeo-Bereifung lenkte der Mittelmotorsportler zwar bisher zunächst direkt ein, speziell in engen Kurvenverläufen ließ die Vorderachspräzision gen Scheitel und spätestens beim Herausbeschleunigen aus der Kurve aber nach. Ein leichtes Leistungsuntersteuern konnte keine Version des Allradlers bisher verheimlichen. Dank der neuen Hinterachslenkung feiert der Lamborghini Huracán jetzt Kurven von Anfang bis Ende viel neutraler.

Agiler dank Hinterachslenkung

Um die Mittellage spricht die nun nicht mehr optionale, sondern zum Serienumfang gehörende LDS-Lenkung (Lamborghini Dynamic Steering) mit variabler Lenkübersetzung jetzt etwas spitzer an. Das subjektiv spontane Anlenkverhalten aus der Mitte heraus ordnet man zunächst der Vorderachslenkung zu, in Wirklichkeit ist aber die Kombination aus Vorderachs- und Hinterachslenkung dafür verantwortlich.

Anbremsen Bernie-Ecclestone-Kurve. An die direkte Ansprache der Lenkung muss man sich auf der Rennstrecke erst einmal gewöhnen. Beim Anbremsen und dementsprechend bei entlastetem Heck wird die Huracán-Hinterachse etwas nervös, und es sind sensible Lenkkorrekturen während der Anbremsphase gefragt.

Lamborghini Huracan Evo, Exterieur
Achim Hartmann
Anders als der Aventador SVJ mit seiner überlauten Abgasanlage liegt der Lamborghini Huracán Evo unter dem zulässigen Lautstärke-Maximum in Hockenheim.

Die Mischung aus straffen Lenkkräften und Präzision um die Mittellage im Corsa-Modus erfordert auch auf dem High-Speed-Bogen der Parabolika eine ruhige Hand. Schon kleinste Lenkbewegungen führen zu Richtungswechseln. Für die Rennstrecke mag die Kombination aus Sportreifen und hoher Lenkpräzision ja ideal sein, man darf im Gegenzug aber nicht erwarten, dass der Lamborghini Huracán Evo auf der Autobahn mit einem so spurtreuen Geradeauslauf wie ein Porsche 911 Turbo agiert.

Zwar mögen das Geradeauslaufverhalten, der Einstieg in die nur 1,165 Meter hohe Flunder oder auch die etwas unter das Dach gezwängte Sitzposition nicht ganz so komfortabel sein, aber dafür ist der Huracán Evo um Welten emotionaler als ein 911 Turbo. Wenn man sich nicht spätestens beim ersten Ausdrehen des Zehnzylinder-Saugers schwer verliebt hat, dann schlägt das Herz allerspätestens beim Anbremsen auf die Spitzkehre höher.

Sechster, Fünfter, Vierter, Dritter, Zweiter – viermal an der fest stehenden Schaltwippe links zupfen, und das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe prügelt die Schaltgänge salvenartig runter, während der V10 dabei einmal mehr seine phänomenale Saugmotorstimme präsentiert.

Lamborghini Huracan Evo, Hockenheimring
sport auto
Unser Fahrer Christian Gebhardt zeigt auf dem Hockenheimring was der Lamborghini Huracán Evo auf der Strecke drauf hat.

Auch in der Spitzkehre merkt man dem Evo die gewonnene Agilität an: einlenken, dann neutral und traktionsstark aus der engen Kurve herausbeschleunigen. Da die Hinterachslenkung den Lamborghini Huracán noch präziser ausrichtet, kann man viel früher als gewohnt wieder aufs Gas gehen.

Während der Allradler in engen Kurvenradien von der Hinterachslenkung klar profitiert und dort sehr agil wirkt, fühlt er sich in Highspeed-Kurven zunächst etwas zu agil an. Im ersten Moment des Anlenkens macht die Hinterachse beispielsweise im schnellen Rechtsknick vor der Mercedes-Tribüne einen leichten Seitwärtsschritt, der etwas gewöhnungsbedürftig ist. Wer verinnerlicht hat, dass a) man beim Evo-Modell etwas sensibler an der Lenkung arbeiten muss und b) die Hinterachse bis auf den ersten Anlenkmoment stabil die Spur hält, freundet sich am Limit schnell mit dem Lamborghini Huracán Evo an.

Lamborghini Huracan Evo, Exterieur
Achim Hartmann
Der größte Fortschritt aus fahrdynamischer Sicht ist mit der erstmals in der Huracán-Baureihe eingesetzten Hinterachslenkung gelungen.

Stichwort “schnell„: Eingang Motodrom, Sachskurve, Senke, Südkurve – auch die letzten Kurven feiert der Lamborghini Huracán Evo erfrischend fix ab, bevor er die magische Schallmauer von 1.50 Minuten auf dem GP-Kurs bricht. Doch das Faszinierende ist nicht, dass er sie bricht – sondern wie er sie bricht.

Fazit

Das Wichtigste vorweg: Die Evolution ist nicht zur Revolution ausgeartet, und auch der Lamborghini Huracán Evo bleibt seinem Hochdrehzahl-Saugmotor treu. In seinem Segment zählt der 5,2-Liter-V10 zu den emotionalsten Triebwerken, die derzeit auf dem Markt erhältlich sind. Mehr als die moderate Leistungssteigerung von 610 auf 640 PS macht sich der Einsatz der neuen Hinterachslenkung bemerkbar. Im Vergleich zum Vorgängermodell tritt der Allradler nun noch agiler auf. Das leichte Leistungsuntersteuern der Vergangenheit ist Geschichte. Ähnlich wie bereits beim Hardcore-Modell Lamborghini Huracán Performante wurde die ABS-Abstimmung überarbeitet und harmoniert jetzt besser mit der Trofeo-Bereifung.

Technische Daten
Lamborghini Huracán EVO
Grundpreis219.000 €
Außenmaße4459 x 1924 x 1165 mm
Kofferraumvolumen100 l
Hubraum / Motor5204 cm³ / 10-Zylinder
Leistung470 kW / 639 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit325 km/h
0-100 km/h3,2 s
Verbrauch13,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten