Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé im Test
Wie gut ist der Panamera-Rivale?

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Sollen wir schon den Porsche Panamera erwähnen? Nein? Na, warten wir damit noch und stellen vor: Hier fährt das GT 4-Türer Coupé als 63 S von AMG aus Affalterbach. Es hat 639 PS, 900 Nm, einen exakt ausgemachten strategischen Gegner. Und einen anderen, der so nicht zu erwarten war.

Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

Oben, kurz vor dem Kloster, geht es rechts auf einen Wanderparkplatz. Das Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé rollt dort über knirschenden Kies, Steinchen bleiben an den warmen Reifen hängen. Aussteigen. Der V8 kühlt knisternd in der herbstfrischen Luft ab. Hör doch: Widerhallt da noch der Schrei des Biturbos die Hügel empor? Oder ist es das Echo einer vergangenen Zeit? Wie oft waren wir schon hier? Und wie lange wird uns das Bekannte noch den Atem rauben können? Herrje, so viele Fragen, Zweifel gar. Dabei schlängeln sich gleich da hinten die schönsten Kurven durch eine Gegend, die aus Einsamkeit und Landschaft besteht.

Ja, es wird manches zu hinterfragen geben bei diesem Wagen. Aber lieber beginnen wir damit, was er ist: eine Antwort nämlich. Die von Mercedes auf Porsches Panamera. Dem gleicht der AMG in Abmessungen, Preis und vor allem Konzept. Wie der Panamera versteht sich der Mercedes-AMG GT 4-Türer als sportliche Luxuslimousine. So dient auch das Fließheck mit gar nicht so großer Klappe eher der formalen Dynamik als einem gesteigerten Nutzwert – schon wegen der hohen Außen- und Innenkante, über die das Gepäck in den flachen Kofferraum gewuchtet werden muss.

Dessen Volumen steigert sich von 461 auf 1.324 Liter, wenn die dreiteilige Rücksitzlehne fernentriegelt umklappt und dadurch etwas Alltagsnutzen arrangiert. Obwohl drei Erwachsene sich auf der Rückbank mal zusammenkuscheln können, gilt weiter: Wer einen irrwitzig anschiebenden AMG besitzen, nicht aber auf die Möglichkeit verzichten will, die ganze Familie schwindelig zu beschleunigen und dabei stets ein, zwei Wäschetrockner mitzuführen, wähle weiterhin besser den Mercedes-AMG E 63 S 4Matic als T-Modell.

E-Klasse-Basis mit GT-Zutaten

Auf der E-Klasse basiert das neue Modell übrigens. AMG wiederum bemüht sich nicht gerade aktiv darum, Erwartungen zu dämpfen, dieses GT 4-Türer genannte Modell stamme vom AMG GT ab – also dem Front-Mittelmotor-Transaxle-Sportwagen. So gelingt es der Pressemappe, auf 47 Seiten exakte Details zum Entstehungsakt so gekonnt zu umgehen, wie man es sonst nur aus Geschichten über unbefleckte Empfängnis kennt. Dabei spart AMG keineswegs an Aufwand, wenn es darum geht, Tante E zu einem straßentauglichen Tourenwagen krawallzubürsten.

Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé, Motorraum
Hans-Dieter Seufert

Für den Mercedes-AMG GT 4-Türer spitzen die Ingenieure die Abstimmung des Fahrwerks weiter zu. Die Vorderachse mit Dreieckslenkern aus geschmiedetem Alu sitzt auf einem steiferen Integralträger, die Fünflenker-Hinterachse hat eine breitere Spur und eine neue Elastokinematik. Der Dreikammer-Luftfederung haben sie eine straffere Abstimmung verpasst und der variabel übersetzten Lenkung eine höhere Grunddirektheit (14,4 statt 15,5:1). Dazu lenken bei den V8-Modellen des GT auch die Hinterräder über zwei elektrische Stellmotoren mit – bis 100 km/h entgegen den Vorderrädern für mehr Agilität, darüber parallel zugunsten der Spurstabilität.

Der Motor ist der gleiche Vierliter mit zwei im V der Zylinderbänke positionierten Twin-Scroll-Turboladern. 1,5 bar Ladedruck plustern den V8 hier auf 639 PS und 900 Nm – 27 PS und 50 Nm mehr als beim E 63 S. Merkt hier keiner, doch in Zeiten inflationärer PS- und Nm-Zuwächse erinnern wir gern daran, dass diese Differenz dem ganzen Leistungs- und Drehmomentvermögen entspricht, über das ein Citroën 2CV 6 verfügte.

Zahlreiche Spielereien mit umständlicher Bedienung

Die ganze Wucht brandet erst mal an die Neunstufenautomatik, die mit einer nassen Anfahrkupplung ausgerüstet ist, um spontaner loszulegen. Damit das Beschleunigen noch stürmischer gelingt, hat der Mercedes-AMG GT 4-Türer bei gleicher Getriebeübersetzung einen kürzeren Achsantrieb als der E 63 S. Natürlich ermöglicht die serienmäßige 4Matic+ eine vollvariable Kraftverteilung, die in der Spielerei des Drift-Modes gipfelt, in dem alle Kraft an die Hinterräder geht. Alltagslogischer sind die Varianten dazwischen – von Comfort über Sport und Sport+ bis hin zum Race-Modus.

Neben ihrem Einfluss auf Lenkung, Antrieb und Federn/Dämpfung lässt sich ein Dynamikprogramm dazuschalten – von Basic über Advanced und Pro bis Master. Dabei straffen sich die schaltbaren Motorlager, ändert sich der Servograd der Lenkung und rückt die Balance auch unter Beteiligung des elektronisch geregelten Sperrdifferenzials an der Hinterachse zunehmend vom Neutralen ins Übersteuernde. Das abschaltbare ESP, klar, das hat auch eine Zwischenstufe, der Auspuff zwei Lautstärkevarianten und der Heckflügel, obwohl er den Anpressdruck automatisch regelt, vier anwählbare Stellungen.

Es mangelt nicht an Auswahl beim Mercedes-AMG GT 4-Türer, wobei auch Kram dabei ist, den man einmal ausprobiert und danach schamhaft verdrängt (genau, wir meinen die Launch Control). Dennoch muss vieles erst aussortiert und passend konfiguriert werden. Dass dafür mehr Zeit ins Land zieht, als man selbst mit 639 PS je wieder aufholen kann, liegt an der umständlichen Bedienung. Nebensächliches wie die Deaktivierung des Start-Stopp-Systems lässt sich auf einer Tastenleiste in der Mittelkonsole über einen prominenten Schalter bedienen – und zusätzlich auf einem der beiden Schalter am Lenkrad programmieren.

Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé, Interieur
Hans-Dieter Seufert

Für die Fahrmodi gibt es einen Drehschalter am Lenkrad und eine Direkttaste neben dem Wählhebel. Das bestens aufgestellte Assistenzarsenal gilt es, über kleine Tastflächen an den Lenkradspeichen zu aktivieren. Durchs Infotainment muss man sich über ein Touchpad fingern oder kann fast alles mit der Sprachbedienung bereden. Über die gelingt auch die trödelige Online-Navi-Zielsuche sowie die gewünschte Änderung der Ambientebeleuchtung. Und nein, das war es noch immer nicht, da wäre zudem das Wellness-Beduftungs-Musik-Programm, aber irgendwie reicht es jetzt an Nebensachen, oder?

Nicht so mitreißend als ein Panamera

Nun zum Hauptsächlichen? Aber gern: Startknopf, der V8 donnergrollt auf. Wählhebel auf D, Gas, und der AMG stemmt sich voran – nicht geschmeidig, sondern mit einer Dringlichkeit, als gelte es stets, einen Flug zu erreichen. Wie viele AMG zuvor charakterisiert das 4-Türer Coupé die Wucht des V8. Die Autorität, die sich gerade darin zeigt, mit wie wenig Anstrengung es in Geschwindigkeitsbereiche vordringt, welche in anderen Autos schon das Ende der Möglichkeiten bedeutet.

Ja, man kann gar sagen, dass sich damit die Kritik am rumpeligen Langsamfahrkomfort erledigt hat, wenn man das Langsamfahren so leicht vermeiden kann. Oberhalb von Stadt-tempo steckt die Federung bei aller Straffheit Unebenheiten ordentlich weg. Autobahndominanz aber zählt zu den erwartbaren Fähigkeiten des GT. Reicht das, um es mit dem Panamera aufzunehmen?

Mercedes-AMG GT 63 S 4Matic+ 4-Türer Coupé, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Wie der Panamera versteht sich der Mercedes-AMG GT 4-Türer als sportliche Luxuslimousine, gleicht dem Rivalen aus Zuffenhausen in Abmessungen, Preis und vor allem Konzept.

Die Sensation beim Porsche besteht darin, dass er sich trotz fladiger Ausmaße auf Landstraßen kompakt anfühlt, dass er den Fahrer vergessen lässt, dass sich hinter den Vordersitzen noch Fond und Kofferraum erstrecken. So gelingt es ihm, eine Innigkeit zu inszenieren, für die es eigentlich einen 911 bräuchte.

Diese Innigkeit fehlt dem Mercedes-AMG GT 4-Türer. Er fühlt sich immer so massig an, wie er ist. Auf breiten, ebenen Renn- und Messstrecken ist er eine Macht, enorm schnell bei Slalom und Spurwechsel. Doch draußen bekommt er das nicht so zusammen. Da fährt er neutral und selbst dann enorm sicher, wenn man es mal in den Sportmodi auf etwas Heckdrängen anlegt. Aber für den enormen Aufwand, den AMG für das Handling betreibt, fühlt es sich sperrig an. Und es bleibt immer eine Distanz, die verhindert, dass dich der Viertürer nicht nur voran-, sondern mitreißt.

Das liegt auch an der Lenkung: Trotz aller Direktheit und Präzision gelingt ihr nicht diese enge, nahtlose, ja eben innige Verbindung, die der Panamera aufbaut. Die bräuchte es, um ein Feuer der Begeisterung zu entwickeln, das nicht nur auflodert, wenn es wieder eine Gerade niederzustrecken gilt – mit einer Beschleunigung, die einem die Dauerwelle glatt ziehen könnte und für die der gripstarke Allrad sowie die Wucht des Motors immer gern sorgen.

Zylinderabschaltung? Symbolpolitik

Aber dann wiederum: So richtig beeindruckend ist das ja nun auch nicht mehr in Zeiten, in denen E-Autos wie der Jaguar I-Pace ein ebenso mächtiges, aber noch homogeneres und so leises Voranpreschen vorführen. Wer das kennt, dem fällt auch das tatsächlich ganz kurze Turboladerzögern des AMG auf und dass die Automatik mitunter ihre neun Stufen doch noch mal nachsortieren muss, damit es in Kurven passt. Dazu kommt der Verbrauch von 13,6 Litern Super Plus/100 km im Test.

Wer das Topmodell des 4-Türer-Coupés für rund 170.000 Euro kauft, dürfte zwar über Tankrechnungen erhaben sein, doch der GT 63 S versucht sich nicht mal ernsthaft an Effizienz. Dass der V8 bei sachter Last vier Zylinder abschaltet, ist ein schönes Beispiel für Symbolpolitik. So als futterte man vier Stücke Buttercremetorte in sich rein und erklärte dann mit großer Geste, als Ausgleich nehme man jetzt ja aber fettarme Milch statt Sahne in den Kaffee.

Wobei selbst das irgendwie rebellisch und in Ordnung wäre, hätte der Mercedes-AMG GT 4-Türer nicht mit anderen Plänen begonnen – im März 2017 als GT Concept mit einem Hochleistungshybrid und 600 kW Systemleistung. Der E-Motor sollte die Hinterräder antreiben, auch mal alleine. So sollte der Hybrid „auch in Zukunft ein einzigartiges Fahrerlebnis ermöglichen“.

Das 4-Türer Coupé mag das Beste bündeln, was AMG in der Vergangenheit entwickelt hat. Aber die Zukunft, wäre das denn nicht jetzt?

Vor- und Nachteile
Karosserie
gutes Platzangebot für vier, auch mal fünf Erwachsene
für die Klasse großer Laderaum und hohe Variabilität
wertvolle Materialien...
...aber das Digitalcockpit wirkt nicht so hochwertig
schlechte Rundumsicht
zu breit für die wirklich schönen Landstraßen
Kofferraum mit hoher Außen- und Innenkante
Fahrkomfort
guter Autobahnkomfort
haltintensive Schalensitze
rumpelige Federung bei niedrigem tempo
ab 180 km/h erhöhte Windgeräusche
Antrieb
dampframmiger V8-Biturbo
eilige, treffsichere Automatik
billante Fahrleistungen
kurzes Turbozögern
Fahreigenschaften
hervorragende Traktion
sehr sicheres Fahrverhalten
fein abgestufte ESP-Modi
präzise Allradlenkung...
...aber der fehlt es doch an Gefühl und Rückmeldung
Sicherheit
umfassende Assistenz- und Sicherheitsausstattung
sehr gute Bremsen
erhöhte Bremspedalkräfte
Umwelt
Ottopartikelfilter Serie
nur Zylinderabschaltung zur Effizienzsteigerung
selbst angesichts hervorragender Fahrleistungen sehr hoher Testverbrauch sogar auf der Eco-Runde
Kosten
sind gewöhnungsbedürftig hoch in allem: Anschaffung, Unterhalt, Wertverlust

Fazit

Vor zehn Jahren hätten wir den Mercedes-AMG GT 4-Türer für seine Wucht, Traktion, Kurvendynamik, Vernetztheit und den V8-Biturbo gefeiert. Heute? Fehlen uns Komfort, Innigkeit beim Handling und Zukunftsideen.

Technische Daten
Mercedes AMG GT 63 S 4Matic+ S
Grundpreis167.017 €
Außenmaße5054 x 1953 x 1447 mm
Kofferraumvolumen455 bis 1324 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung470 kW / 639 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit315 km/h
0-100 km/h3,1 s
Verbrauch11,3 l/100 km
Testverbrauch13,6 l/100 km