Nissan GT-R Nismo gg. Chevrolet Corvette Z06
Hightech gegen Dampfhammer

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600 ist eine heilige PS- Grenze: Einige Jünger verzehren sich ein Leben lang nach so viel Leistung. Nie war es günstiger als heute, einen 600er zu fahren. Nie hat es mehr Spaß und weniger Stress bereitet. Corvette und Nissan locken mit einem irren Sechs-Faktor.

Nissan GT-R Nismo, Corvette Z06, Exterieur
Foto: Lena Willgalis

Der Rückspiegel dient zur Startfreigabe: Das Auge des Gesetzes ist geschlossen, dafür sind die Drosselklappen geöffnet. Vor uns baut sich eine mächtige Anhöhe auf: Vier Kilometer lang geht es auf dieser bayerischen Autobahn steil nach oben, immer in Richtung Himmel, unterbrochen von tanzenden Kurven. Oben im Ziel an einer Kuppe ahnt man einen kecken Linksschwung ins Nichts und ballert schnurstracks in das Stahlblau des Himmels. Der Nissan GT-R Nismo spuckt uns an der Kuppe mit 285 im sechsten Gang wieder aus. 285! Bergauf!

Wie kann man die Gewalt der Beschleunigung beschreiben, wenn sich ihre Zahlenwerte immer schneller beschleunigen? 0–200? 0–300? Was sagt das über die Brutalität einer Wärmekraftmaschine aus? Sehr viel – und sehr wenig. Wörter und Zahlen verlieren Traktion. Erfinden wir ein neues Testkriterium: die Bergaufbeschleunigung. Selbst erfahrensten Testern bleibt bei 600-PS-Autos spätestens am Berg die Spucke weg: drehen, schalten, drehen, schalten, drehen, schalten – bums, 285. 285! Trotz 10 Prozent Steigung und Kurven stiebt er den Berg platt! Geheime Superkräfte?

Nissan GT-R Nismo, Motor
Lena Willgalis
Der 3,8-Liter-V6-Biturbo des Nissan verleugnet seine Aufladung fast vollständig. Er hängt am Gas wie ein Sauger, vorgespannt, immer auf dem Sprung. Als kleinen Bonus gibts ein Autogramm vom Mechaniker gratis mit dazu.

Sportwagen verschieben Maßstäbe, das ist ihre Aufgabe. Vor drei Jahrzehnten produzierte Ferrari den F40 – eine Kanonenkugel mit Nummernschild und 478 PS. Aber wehe, es regnete. Wehe, man war nicht ausgeschlafen! Es gab viel Wehe damals! 30 Jahre später hat der Fortschritt die Bestürzung im Umgang mit der Superkraft ausgerottet: Beim Nissan GT-R Nismo mit 600 PS und der Corvette Z06 mit 659 PS zählen Zahlen nicht mehr.

V6-Turbo oder V8-Kompressor?

Trotzdem schlagen die Antriebe mit Strenge über jede Norm: Der 3,8-Liter-V6-Biturbo des Nissan verleugnet seine Aufladung fast vollständig. Er hängt am Gas wie ein Sauger, vorgespannt, immer auf dem Sprung. Sein Drehvermögen bis 7000/min ist ebenso beeindruckend wie der blitzartige Druckaufbau und die schiere Leistung, die alles unter sich begräbt. Für Sympathie sorgt die Titanabgasanlage, die mit einem fauchenden, kehligen Grundton überzeugt, aber dabei nicht den Fehler begeht, die Umwelt mit ihrem Klang totrotzen zu wollen. Sein Klang hat eine Aura der Würde – ohne jede peinliche Albernheit.

Corvette Z06, Motor
Lena Willgalis
Natürlich dürfen Exoten wie die Z06 auch Besonderheiten mit sich bringen. So öffnet sich die Haube zum 659-PS-V8-Kompressor-Aggregat nicht etwa wie im konventionellen Automobil, sondern in entgegengesetzte Richtung, natürlich dekoriert mit Logo.

Mit Trompetenklängen hat die Corvette nichts am Hut: Heavy Metal pur. Wenn der Klappenauspuff die Schleusen öffnet, ertrinkt die Umwelt im Gebrabbelsabbel. Fast schon obszön, aber man darf ja auch leise. Einerseits ist es enttäuschend, dass das Aufladungskonzept des 6,2-Liter-V8-Motors akustisch nicht durchdringt: Nicht mal ein mildes Jaulen wird dem massigen Kompressor gestattet. Andererseits wird die Z06 auf der obersten Stufe ihrer Tonleiter – bei den letzten 2000/min – zur Ella Fitzgerald der Achttonmusik.

3,8-Liter-V6 oder 6,2-Liter-V8, Turbo oder Kompressor? Es kann hier kein Besser geben, nur Vorlieben oder Sympathien. Beide schieben herausragend an, in allen Drehzahllagen – unten, oben, Mitte, völlig egal. Der Turbo ist eine Spur feinnerviger. So etwas wie das Nachschieben bei plötzlicher Gaswegnahme und niedrigen Drehzahlen, wie es die Corvette gelegentlich aufführt, käme ihm nicht unter. Doch wir reden von Marginalien. Beide sind zähnefletschende Bestien, Helden des Vortriebs.

600 PS in einer Hand

Beim zweiten Teil des Powertrains, also dem Getriebe, spreizen sich die Unterschiede. Der Nissan macht alles richtig: Mit dem Doppelkupplungsgetriebe ist der nächste Gang nur einen lächerlichen Fingerschnips entfernt. Das Getriebe ist der stumme Diener, der nur aufjault, wenn ihn die Stadt oder das Einparken quält. Bei 600 PS ist das eine Gnade: Nach nur drei Kilometern hat man es kapiert und abgespeichert. Der Kopf ist frei, um der GT-R-Stute die Sporen in ihre Bauchhaut zu treiben.

Der Siebengang-Handschalter der Corvette erfordert Achtsamkeit. Es ist es ein sympathisches Alleinstellungsmerkmal, dass Corvette dem Fahrer in einem 659 PS starken Sportwagen die volle mechanische Kontrolle über die Gangauswahl gestattet. Es ist aber auch ein Anachronismus, wie der Vergleich mit dem Nissan zeigt. Über 600 PS fahren nicht alleine, zumindest nicht schnell. Man braucht alle Sinne und volle Konzentration. Im Getrampel von 659 Pferden gehen 20 Prozent der Rechnerleistung im Hirn für das Handling des Getriebes drauf. Wer kann sich das leisten?

Corvette Z06, Interieur
Lena Willgalis
Passen Handschaltung und 659 PS zusammen? Wir meinen: eher nein. Alternativ zum manuellen 7-Gang- gibt es auch ein 8-Stufen-Automatikgetriebe, das in diesen Dimensionen sicher besser schmeckt.

Zweitens hat das Getriebe sieben Gänge, der letzte ist als Overdrive ausgelegt. Man opfert Platz für einen Gang, der kein Fahrgang ist, was zulasten der anderen sechs Gänge und damit der Schaltpräzision geht. So landet man oft in Gang 7, obwohl man Gang 5 wollte. Wer von 7 runter auf 6 will, landet auch mal bei 4 – so vertrackt verpuffen 20 Prozent Rechnerleistung. Drittens rasten die Gänge bei anliegender Querkraft nicht immer sauber ein. Ersatzweise könnte man die Z06 mit einer Achtgangautomatik bestellen. Die stammt zwar nicht aus der Lucky-Luke-Ära – aber mit einem Doppelkuppler wie beim Nissan GT-R kann sie nicht mithalten.

Wenn es darum geht, die motorische Kraft auf die Straße zu zimmern, ist der Nissan mit seinem Allradantrieb im Vorteil. Mehr Traktion gleich bessere Beschleunigung – trotz viel mehr Gewicht und 230 Newtonmetern weniger Drehmoment im Vergleich zur Corvette.

Wenn sich bei der puren Längsdynamik aber die Querdynamik einmischt, so wandelt sich das Bild zugunsten der Corvette. Warum? Die Konzepte sind unterschiedlich. Das sieht man schon im Stand: Gegen die drahtige und schleichige Corvette wirkt der Nissan GT-R wie ein mampfiger Kampfpanzer. Der 600- PS-Gorilla hockt in der Mitte zwischen Limousine und Sportwagen. Nicht Fisch, aber auch nicht Fleisch.

GT-R: drei Zentner Mehrgewicht

Die Corvette dagegen ist ein lupenreiner zweisitziger Sportwagen. Flacher, graziler, sehniger. Und der Konzeptunterschied schlägt überall durch, negativ wie positiv: Der Nissan bietet ganz banal mehr Platz im Cockpit. Der Fahrer sitzt höher, man steigt ein wie in eine E-Klasse, und einen vernünftigen Kofferraum hat man auch. In der Z06 spannt sich die Kabine wie ein Muscle-Shirt über die zwei Sitzplätze, der Einstieg verlangt in Abhängigkeit von Größe und BMI kamasutröse Gelenkigkeit. Dafür sitzt man dann wie in einem Rennwagen – tief eingepfercht und mitten drin im G-Punkt.

Nissan GT-R Nismo, Exterieur
Lena Willgalis
600 PS, Vorgespannt in einer Kampfzwille – der Nissan-V6 ist eine mechanische Waffe - mit ordentlich Platz in Innen- und Kofferraum.

Die praktische Opulenz bezahlt der Nissan GT-R jedoch beim Gewicht: 1.769 Kilo wiegt das Japan-Trumm, 1.618 Kilo der US-Athlet. Von hier spinnen sich die Konzeptfolgen ins Endlose weiter. Die Corvette wiegt nicht nur weniger, sie hat die bessere Gewichtsverteilung, den niedrigeren Schwerpunkt – und wegen der Reifenbreiten vorne auch noch die perfekte Balance. Beispiel Bremsen: mehr Reifenaufstandsfläche vorne gleich kürzerer Bremsweg – 31,3 Meter! Ja, natürlich, zu den Reifen kommen wir gleich noch.

Irrsinn der Schnellfahrpakete

Sind die Autos einmal in voller Bewegung, schrumpfen die Unterschiede – gleichzeitig addieren sie sich auf. Beispiel Bremse: Der Nissan ist leicht schlechter, steht aber auch schon nach 33,6 Metern. Beispiel Hochgeschwindigkeit: Beide Autos glänzen bei hohen Geschwindigkeiten mit unfassbarer Stabilität. In schnellen Kurven und bei Speedbereichen über 200 km/h wirkt Abtrieb: Wie Pistolenkugeln pfeilen GT-R und Z06 mit ballistischer Präzision durch alle denkbaren Kurvenradien.

Beide Kandidaten profitieren hier von den Goodies ihrer Schnellfahrpakete: Der GT-R mit dem Zusatz Nismo hat ein Aero-Upgrade vorne sowie einen grimmigen Heckspoiler. Die Z06 mit dem Z07-Performance-Paket hat mehr Downforce – dank einer etwas weniger grimmigen Hecklippenschaufel. In dem Paket sind übrigens auch noch die Carbon-Bremsen und die sogenannten ZP-Reifen inklusive.

Corvette Z06, Exterieur
Lena Willgalis
Auch die Aerodynamik wird großgeschrieben: Eine dicke Lippe drückt oberhalb der angetriebenen Achse in Richtung Fahrbahn.

Bevor die Räder endgültig durchdrehen, klären wir noch mal die Reifenfrage: Der Nissan kommt mit einem Semislick alter Schule (Dunlop SP Sport Maxx 600 GT): mehr Grip als bei allen gängigen Straßensportreifen. Die Corvette packt das Plattmacher-Geschütz aus: Speziell ziselierte ZP-Reifen von Michelin (Pilot Sport Cup 2 ZP), wie sie auch auf Porsche-GT-Modellen oder dem Mercedes AMG GTR zum Einsatz kommen. Das sind Ultra-Semis oder Fast-Slick-Reifen wie im Motorsport – mit Rillen als juristischem Feigenblatt.

Wie nicht anders zu erwarten, sind beide Varianten Spaß- und Fahrbeschleuniger. Der Nissan, dank Allrad eh schon ein Katapult, hat jetzt noch mehr Haftung. Der Doppel-Whopper aus Vierradantrieb und Sekunden-kleber verzaubert mit seiner Leichtigkeit: Kein anderes 600-PS-Auto kann man so leicht und stressfrei so schnell am Limit bewegen wie den GT-R. Fast schon könnte man meckern: ein Rennauto für Doofe.

Aber das stimmt so nicht: Der Nissan will auf Zug aus den Ecken kanoniert werden, dann entsteht über das Diff in den unteren Gängen eine sanfte Portion Übersteuern, die die Drehbewegung aus der Kurve heraus fast automatisch abrundet. Parallel darf man schon den Lenkeinschlag zurücknehmen – fast so, als würde man einen weniger brutal motorisierten Hecktriebler fahren. Sugoiyo!

Nissan GT-R Nismo, Exterieur
Lena Willgalis
Dank Allrad eh schon ein Katapult, verzaubert der GT-R vor Allem mit seiner Leichtigkeit: Kein anderes 600-PS-Auto kann man so leicht und stressfrei so schnell am Limit bewegen wie Ihn.

In Hockenheim pflügt der GT-R seine eigene Schneise: Randsteine sind für ihn nicht mehr als Kieselsteinchen. Zwei Räder im Gras? Egal! Der GT-R traktioniert alles platt, narrensicher. Dazu lenkt er superpräzise ein.

Die Fahrbarkeit ist der Schlüssel

Der direkte Umstieg in die Corvette sorgt für Bauchgrimmen: 659 PS und Heckantrieb – das muss eine letale Kombination sein! Nein, unter einer Bedingung: plus 20 Grad. Dann arbeiten die ZP-Super-Duper-Slick-Reifen, wie sie sollen. Der Grip ist abnorm, der Schrecken der Leistung domestiziert. Wer Auto fahren kann, wird in der Z06 seine helle Freude haben: Die Präzision ist bestechend, elektronische Helferlein wie Traktionskontrolle und ABS wurden penibel auf die Reifen appliziert. Das Handling ist schlicht irre – die Z06 inhaliert Kurven so schnell, wie sie Sprit verfeuert.

GT-R und Z06 sind gechillte Racer. Man muss keine Angst haben, wenn man einsteigt – trotz 600 PS. Die Fahrbarkeit ist der Schlüssel: Der GT-R macht Schnellfahren einfacher, als es ist, fast wie auf der Playstation. Die Z06 macht das Knifflige daran immerhin leichter.

Nissan GT-R Nismo, Corvette Z06, Rundenzeiten
Lena Willgalis
Auf dem kleinen Kurs in Hockenheim verbüßt der Nissan letzten Endes 2,2 Wertvolle Sekunden gegenüber der fast 40.000 € günstigeren Corvette.

Sie hätten da noch eine Frage? Warum die Corvette Z06 in Hockenheim zwei Sekunden schneller ist? Und auch sonst viele Wertungen knapp und den Vergleich deutlich gewinnt?

Schauen Sie auf das Bild unten: Sehen Sie den Konzeptunterschied? Der Nissan ist eine Sportwagen-Limousine, die Corvette ist ein kompromissloser Sportwagen. Zumindest fast. Warum die Z06 als Targa angeboten wird, weiß der Kuckuck, denn der Kompromiss bei der Torsionssteifigkeit ist eigentlich unakzeptabel für so ein Power-Performance-Prahl-Tier.

Drei Punkte bei der Rundenzeit, drei Punkte auf der Bremse – drei Punkte beim Preis: Über 50 Mille liegen zwischen Z06 und GT-R. Ein Sorry nach Japan, aber da kann es nur einen Sieger geben: 659 PS für 120.000 Euro – wo sonst gibt es das auf der Welt? Der Gipfel der Erschwinglichkeit. Da hat wohl jeder Mühe, seine Preise noch zu rechtfertigen.

Fazit

Wer mehr als 600 PS sein Eigen nennen will, hat recht. Der Genuss von Kraft ist unersetzbar, der Spaß wächst exponentiell. Übrigens nicht nur auf der Rennstrecke, sondern überall und immer. Die Corvette Z06 rammt den Pflock des lupenreinen Sportwagen in das Nismo-Fleisch. Den „Nachteil“, so viel Leistung nur an die Hinterräder loszulassen, kaschiert sie perfekt durch ihren besonderen Reifen – der aber andererseits auch die Vergleichbarkeit einschränkt. Wichtiger ist: Sie wirft die Konzeptvorteile eines echten Sportwagens in die Waagschale, wie beim Gewicht. Deshalb gewinnt sie nach Punkten. Der GT-R Nismo steht ihr kaum nach, doch im Mü-Bereich der Performance unterliegt er. Als Sportwagen-Limousine ist er ein Kompromiss. Aber ganz ehrlich: Selten hat mich ein Kompromiss mehr überzeugt!

Technische Daten
Nissan GT-R Nismo NismoChevrolet Corvette Z06 Coupé 6.2 V8 Z06
Grundpreis184.985 €129.100 €
Außenmaße4690 x 1895 x 1370 mm4514 x 1965 x 1239 mm
Kofferraumvolumen315 l287 l
Hubraum / Motor3799 cm³ / 6-Zylinder6162 cm³ / 8-Zylinder
Leistung441 kW / 600 PS bei 6800 U/min485 kW / 659 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit315 km/h315 km/h
0-100 km/h3,5 s
Verbrauch11,8 l/100 km14,1 l/100 km
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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten