Porsche Taycan Turbo S gegen Tesla Model S P1000D
Elektro-Oberklasse der Extraklasse

Spät kommt eine deutsche Antwort auf das Tesla Model S – aber mit über 1.000 Nm Drehmoment umso heftiger. Der Porsche Taycan Turbo S fordert im Vergleichstest den Vorreiter heraus.

Porsche Taycan Turbo S, Tesla Model S P100D 4X4, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Die eine Seite verspricht 611 PS, die andere 625 beziehungsweise im Overboost sogar 761. Im einen Fall soll das für 2,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h reichen, im anderen sogar für 2,7 – aberwitzige Leistungsdaten geloben aberwitzige Beschleunigung, welche in aberwitzige Zeiten mündet. Da tränt das Performance-Auge vor Glück.

Obwohl beide Limousinen rein elektrisch sirren, geht es beim Taycan Turbo S und beim Model S P100D nicht ums Retten der Welt. Bei Porsche standen hehre Ziele dieser Art ohnehin nie auf der Prioritätenliste ganz oben. Schon die Benennung als Turbo S erklärt den Geist des Modells. Und das P in der Bezeichnung des Tesla steht für "Performance".

Unsere Highlights

Kein Testwagen erhältlich

Auch die gewetzten Ankündigungen von Firmenchef Elon Musk thematisieren selten Ressourcen-Sparsamkeit. Sie lassen sich stattdessen als Kräfteprotzen zusammenfassen: Wer hat den Stärksten und Schnellsten? Ohne dass es freilich erwünscht wäre, dies von einem Fachmedium klären zu lassen. Mehrfache Anfragen nach einem Testwagen ließ Tesla unbeantwortet. Wir haben uns deshalb ein Model S gemietet. Erstzulassung 2019, mit allem, was damals ging, und mit sämtlichen Updates.

Tesla Model S P100D 4X4, Exterieur
Achim Hartmann
Die gewetzten Ankündigungen von Firmenchef Elon Musk thematisieren selten Ressourcen-Sparsamkeit.

Beginnen wir den Vergleichstest auf der Messstrecke in Lahr mit dem vor wenigen Kilometern vollgeladenen Tesla, denn der legt die Messlatte: Längst haben wir den Modus "Von Sinnen+" angewählt, woraufhin das System nicht nur das Drehmoment maximiert, sondern auch den Batteriepack auf die optimale Temperatur konditioniert. Diese Wellness-Anwendung dauert 25 Minuten. Erst dann dürfen wir wie von Sinnen beschleunigen. Zuvor müssen laut Anleitung die Bremsen warm gefahren und die Luftfederung auf das niedrige Niveau gebracht werden. Dann das Bremspedal mit links durchtreten, der rechte Fuß geht aufs Fahrpedal – schon zeigt das Display den Launch-Modus an. Nun das Bremspedal loslassen. Und hyperventilieren. Japsen. Luft schnappen.

Schwindel und schwindelig

Der initiale Schub beim stehenden Start übersteigt selbst den Erlebniswert eines Supersportwagens, weil die Gewalt ohne Ansage über den Tesla hereinbricht. Da grölt kein Hubraummonster. Da pfeift kein Turbolader. Nichts, was die nahende Abrissbirne ankündigt – sie schlägt einfach ein. Gerade war man noch hier, jetzt ist man dort. Und die Wahrnehmung wabert durchs Hirn. Es dauert eine Weile, bis der Schwindel nachlässt und sich die Welt wieder auf ihr Fundament setzt.

Model S schafft die Spurt-Angabe nicht ganz

2,7 Sekunden versprach Elon Musk seinen Käufern 2019, mittlerweile vermeldet er sogar 2,5 Sekunden. Doch das Messgerät zeigt nach dem ersten Versuch 3,2 Sekunden an. Weshalb wir das Ganze nochmals angehen. Gleiches Prozedere, diesmal ist es ein Zehntel weniger. Versuchen wir es weiter, vielleicht landen wir ja noch bei den Werksangaben. Doch die Folgewerte lauten: 3,4. 4,5. 6,1.

Tesla Model S P100D 4X4, Interieur
Achim Hartmann
Selbst wer das Autopilot-Paket für derzeit 7.500 Euro bucht, erhält weniger Assistenz- und Sicherheitssysteme als im Porsche.

Der Taycan dagegen zeigt stabile Werte zwischen 2,8 und 2,9 Sekunden, während der Tesla schon beim dritten Versuch deutlich nachlässt. Der Taycan serviert hingegen Höchstleistungen in Folge: Wir haben den Porsche zehnmal hintereinander aus dem Stand auf Tempo 250 gestresst. Zehnmal hat die Abrissbirne das Bewusstsein verschoben, zehnmal wurden unsere Mägen angehoben, zehnmal sind wir kurz ins Schwummerland gereist. Ermüdungserscheinungen? Bei uns ja, bei der Technik nein.

Sind solche Versuchsreihen sinnvoll, relevant? Für den Alltag sicher nicht. Aber vollmundige Versprechen schreien nach Überprüfung durch ein Fachmagazin. Der Interessent hat das Recht, zu erfahren, ob spektakuläre Werte nur getwittert oder auch geliefert werden.

Welchen entwicklerischen Aufwand Porsche beim Taycan betreibt, haben wir an anderer Stelle längst beleuchtet, deshalb hier nur kurz: Dreh- und Angelpunkt ist das Kühl- und Heizsystem, welches die Batteriezellen ins Sandwich nimmt und kritische Temperaturen bereits im Keim erstickt.

Das Thermomanagement läuft so subtil, dass der Fahrer zumeist nicht einmal die Lüfter sirren hört. Anders beim Model S – auf der Vergleichsfahrt begleitet Staubsauger-Rauschen aus den Tiefen des E-Werks nahezu jeden Zwischenstopp.

Porsche Taycan Turbo S, Exterieur
Achim Hartmann
Der Porsche Taycan Testwagen kostet 188.836 Euro.

Gebremster Vortrieb

Wir sind mittlerweile in unseren Lieblingshügeln mit ihren twistigen Sträßchen. Wiederholt vorgetragene Leistungswünsche im Modus "Von Sinnen+", also Spurts von etwa 60 auf 100 km/h aus Kurven heraus, quittiert der Tesla nach einer Weile mit gebremstem Vortrieb: Statt Abrissbirne-gegen-Hauswand folgt auf Vollgas nur noch Hammer-gegen-Nagel. Offensichtlich ein Selbstschutz-Mechanismus, der die Batterie vor Schäden bewahrt. Zu diesem Zeitpunkt gibt das Display übrigens knapp unter 30 Prozent Füllstand an. Ähnlich wie im Porsche, der aber nach wie vor aus vollen Kraftreserven schöpft.

Selbst mit höchstem Engagement fiel es dem Model S zuvor schwer, am Konkurrenten mit dessen optionaler Wankstabilisierung dranzubleiben. Zwar scheint die stattliche US-Limousine der Fliehkraft in lang gezogenen Biegungen trotzig zu widerstehen; doch in engen Kurven geht der Vorderachse beim Pushen der Ehrgeiz aus: Der Tesla untersteuert – während der Porsche wie am Schleppseil gezogen aus dem Scheitelpunkt schnalzt.

Tesla Model S P100D 4X4, Interieur
Achim Hartmann
Wir haben den Modus "Von Sinnen+" angewählt, woraufhin das System nicht nur das Drehmoment maximiert, sondern auch den Batteriepack auf die optimale Temperatur konditioniert.

Das wirkt weder leichtfüßig noch filigran noch behände. Man spürt das enorme Gewicht, der Taycan fühlt sich nach großem Wagen an. Aber es drängt ihn kaum zum Kurvenaußenrand: Der tief montierte Akkublock zieht gravitätisch Richtung Erdmittelpunkt, der 2,3-Tonner bleibt bei magenverschiebender Querbeschleunigung stoisch in der Spur. Und man ist froh darüber, dass die Sportsitze so viel Seitenhalt bieten. Auch darüber, dass Lenkung und Chassis so gut rückmelden.

An jener Interaktion fehlt es dem Model S. Die Lenkung arbeitet zittrig und synthetisch, transportiert kaum Grip-Informationen der Vorderachse, hält sich um die Mittellage im Ungefähren auf. Darunter leidet der Geradeauslauf auf der Autobahn; dort fallen übrigens auch hohe Windgeräusche auf. Die adaptive Luftfederung gibt sich redlich Mühe, kommt aber an die Gelassenheit des Porsche-Fahrwerks nicht heran. Sie spricht schlechter an und lässt auf der Landstraße stärkere Karosseriehübe zu.

Auf derben Unebenheiten rappelt die Radaufhängung, knarzt das Armaturenbrett, bei Regen rattern die Scheibenwischer. Mit welligem Leder, abstehenden Dichtgummis sowie ungefähren Kunststoffpassungen und Karosseriespalten entspricht das Verarbeitungsniveau etwa dem Prototypen-Status eines Premiumprodukts. Dem gegenüber steht eine nahezu vollständige Serienausstattung.

Fragwürdige Warnhinweise

Das Bedienzentrum, der riesige 17-Zoll-Monitor, der den Innenraum ebenso wie die öffentliche Wahrnehmung dominiert, bleibt zwiespältig. An Präsenz, Größe und Schärfe lässt er die Produkte der Konkurrenz verblassen. Natürlich ist so ein Bildschirm vor allem für den Hersteller günstig – er kostet weniger als Taster und Knöpfe, sieht aber beeindruckend nach Fortschritt aus.

Die Generation Smartphone dürfte die kleinen Buttons und zahlreichen Untermenüs intuitiv bedienen können – im Stand. Denn während der Fahrt lenkt das Herumtippen und -wischen selbst Digital Natives gewaltig vom Verkehr ab.

Tesla Model S P100D 4X4, Interieur
Achim Hartmann
Die Karaoke-Funktion blendet den Text ein - selbst während der Fahrt.

Auf Bediensicherheit hat Tesla ohnehin keinen Schwerpunkt gelegt: Verlockungen des Internets lassen sich sogar bei hohem Tempo nutzen. Hinzu kommen fragwürdig formulierte Warnhinweise, etwa als Fahrer keinesfalls den groß eingeblendeten Text der Karaoke-Songs mitzulesen, sondern nur auswendig mitzusingen. Oder der juristisch zweifelhafte Kniff, Autopilot-Funktionen als Beta-Version zu deklarieren. Ebenfalls negativ: Essenzielle Funktionen wie Umluft verstecken sich in Untermenüs. Das wäre okay, stünde die Sprachbedienung an dieser Stelle hilfreich zur Seite. Doch den frei formulierten Befehl "Schalte Umluft ein!" versteht das System nicht.

Ohnehin offenbart ein Blick hinter die Kulissen der Fortschrittsinszenierung gewisses Defizit: Selbst wer das Autopilot-Paket für derzeit 7.500 Euro bucht, erhält weniger Assistenz- und Sicherheitssysteme als im Porsche; etwa fehlen im Model S Knieairbag, Querverkehrs- und Ausstiegswarner sowie ein Nachtsichtsystem.

Keine Verbrauchsrekorde

Beim Stromkonsum können wir leider auch keine Niedrigrekorde vermelden: Der Tesla kommt im Testdurchschnitt auf 35 kWh/100 km und schafft eine Distanz von 294 Kilometern, der Porsche nimmt 33,9 kWh und muss spätestens nach 272 Kilometern an die Ladesäule. Auf der Elektrorunde mit ökonomischer Fahrweise kamen der Tesla auf 23,5 und der Porsche auf 24,9 kWh. Daraus ergeben sich maximale Reichweiten von 437 (Model S) und 370 Kilometern (Taycan).

An Schnellladesäulen bediente sich der Tesla im Peak mit knapp 150 kW, der Porsche zog mit bis zu 250. Anders sah es an der redaktionsinternen 22-kW-Wallbox aus. Hier speiste das Model S seinen Akku dreiphasig mit je 24 Ampere und benötigte für eine komplette Füllung 6,4 Stunden. Der Taycan hing 8,3 Stunden am Kabel und beschickte seine Batterie dreiphasig mit je 16 Ampere; er nutzte also nur 11 kW aus.

Tesla Model S P100D 4X4, Exterieur
Achim Hartmann
Auf unserer besonders zurückhaltend gefahrenen Eco-Runde ist der Tesla sparsamer als der Porsche.

Fazit

1. Porsche
475 von 1000 Punkte

Er geht unfassbar vorwärts und ums Eck, federt gut, bremst stoisch, hat tolle Sitze und zeigt sich bei den Sicherheitsextras auf Höhe der Zeit. Aber er ist schmerzhaft teuer.

2. Tesla
459 von 1000 Punkte

Er schiebt beeindruckend an, bietet mehr Reichweite, einen großen Kofferraum und einen riesigen Bildschirm. Negativ: Verarbeitung, Lenkgefühl und Lücken bei der Assistenz.

Technische Daten
Tesla Model S P100D 4x4 PPorsche Taycan Turbo S Turbo S
Grundpreis145.420 €197.740 €
Außenmaße4970 x 1964 x 1445 mm4963 x 1966 x 1378 mm
Kofferraumvolumen894 bis 1792 l336 l
Leistung450 kW / 611 PS bei 5000 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h260 km/h
0-100 km/h3,1 s2,8 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km22,0 kWh/100 km
Testverbrauch35,0 kWh/100 km33,9 kWh/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten