Probleme der Bremsenentwicklung und Ranking
Die besten und die schlechtesten Bremser

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Die Umwandlung kinetischer Energie in Wärme-Energie scheint nicht jedem Anbieter sportlicher Fahrzeuge gleich gut zu gelingen. sport auto blickt hinter die Kulissen und erklärt die Komplexität der Entwicklungsarbeit von Bremsanlagen am Beispiel von Porsche. Zudem zeigen wir die besten und schlechtesten Testwagen-Bremser.

Bremse, Glühend
Foto: Archiv

Es ist schwer geworden, moderne Sportwagen zu kritisieren. Die meisten Hersteller haben ein so hohes Maß an Perfektion erreicht, dass kritische Kommentare wie das zwanghafte Aufspüren des berühmten Haares in der Suppe anmuten. Das eine Auto mag zu wenig Leistung haben, das andere wiegt zu schwer oder ist zu teuer - doch nichts davon ist ein fundamentaler Makel im Sinne des Kunden, der ja immer noch die Wahl hat. Ausrutscher sind im Bereich sportlicher Automobile eine Mangelerscheinung.

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Bremsleistung von Sportwagen sorgt für Verdruss

Im sport auto-Supertest des BMW M5 beschrieben die Ergebnisse im Bremsenkapitel nichts weniger als einen offensichtlichen Mangel. Etwas später stand das sportliche Top-Modell der A-Klasse von Mercedes in der Diskussion - ein kleines Feuerchen am Bremsbelag enthüllte Defizite bei der thermischen Stabilität. Die garstigen Reaktionen der Leser legen nahe, dass sport auto wieder mal einen wunden Punkt getroffen hatte. Vielleicht einen der wenigen wunden Punkte, die heute überhaupt noch mit gewisser Regelmäßigkeit im Testbetrieb hochploppen: Denn die Bremsleistung von Sportwagen und jenen, die vorgeben, sich dafür zu halten, sorgt immer wieder für Verdruss.

„Die Bremsenproblematik des M5 (...) ist nicht nur ein Ärgernis für alle Käufer, sondern ein wirkliches Rätsel sowie eine Zumutung sondergleichen”, befand Ingo Lühr. Rolf Gallinat ätzte: „Da werden immer stärkere Motoren in immer schwerer werdende Kilogramm-Monster eingebaut, aber die Bremsen strecken nach ein paar schnellen Runden schon alle Flügel - geht’s noch?“ Thomas Schwitalla fragte sich: „Wie kann es sein, dass bei Supersportwagen wie dem M5 oder dem SL 63 AMG offensichtlich unterdimensionierte Bremsanlagen verbaut werden?“

Wir hätten dann auch noch eine Frage: Handelt es sich bei den genannten Beispielen um eine Häufung von Zufällen - oder um einen Trend? Ganz offenbar Letzteres, wie drei Befunde von sport auto aus den vergangenen Monaten nahelegen:
Mercedes A 250 Sport: Im Test überraschte der kompakte Sport-Benz nach zwei Runden in Hockenheim mit Überhitzung, beim Standard-Bremstest trat Fading, Qualm- und Flammenbildung auf;
BMW M5: Im Rahmen des Supertests wurde eklatante Schwächen bei der Fading-Stabilität festgestellt, dazu Geräuschbildung, Bremsrubbeln und unterdurchschnittliche Verzögerungswerte;
Audi TT RS: Leserbriefe und Diskussionen in Audi-Foren enthüllten Verschleißprobleme sowie Fading bei Verzögerungen aus hohen Geschwindigkeiten.

Schwächelnde Bremsen sind ein Reizthema

Fakt ist: In modernen Sportwagen reißen heutzutage weder Pleuel im Motor ab, noch brechen die Querlenker der Aufhängung. Doch schwächelnde Bremsen, die an den Mindestanforderungen für Sportwagen scheitern, sind seit Jahren eines der letzten großen Reizthemen im Testbetrieb.
 
Sortiert man im ersten Schritt die Probleme nach Fahrzeugklassen, so wird das Bild etwas klarer: Erstens bremsen reinrassige Sportwagen - meist zweisitzige Sport-Coupés - vorzüglich, ob sie nun in Europa, Japan oder Amerika produziert werden. Zweitens bilden die kompakten 200-PS-Sportler fast geschlossen die Schlusslichter unserer Bremsstatistik, was kaum verwundern kann, denn die Fahrzeuge liegen nicht nur PS-mäßig am unteren Leistungsspektrum, sondern auch preislich und damit in der Konsequenz auch bremsentechnisch. Drittens scheint die gängige Gewichtsspirale eine Rolle zu spielen, denn die Klasse der sportlichen Limousinen, die in den letzten zehn Jahren mühelos auf die Zwei-Tonnen-Barriere zuraste, produziert immer wieder Ausreißer. Der Zusammenhang zwischen Gewicht, Bremsendimensionierung, Kühlung und Fading-Stabilität scheint offenkundig.
 
Im Umkehrschluss kann es da nicht verwundern, dass sich unter den Top-15 der sport auto Bremsstatistik (Test und Supertest seit 2007) zwei Lotus-Fabrikate befinden - leichte Fahrzeuge bremsen eben besser als schwere. Viertens kommen Ausrutscher dazu, die nur schwer in Schablonen gepresst werden können, wie das Standfestigkeits-Thema beim Audi TT RS: Der Zweisitzer ist nicht zu schwer, hoch motorisiert und verfügt dem Augenschein nach über eine großzügig dimensionierte Bremsanlage.
 
Die zentrale Frage lautet: Sparen die Hersteller beim sportlichen Upgrade einer Baureihe an der falschen Stelle, nämlich an den Bremsen? Wohl gemerkt: Es geht hier nicht darum, einzelne Hersteller an die Wand zu nageln oder Salz in Wunden zu streuen. Es geht vielmehr darum, die Probleme einzukreisen und zu erklären, warum einige sportliche Fahrzeuge gut bremsen - und andere eben nicht.

Gute Brems-Performance ist kein Hexenwerk

Da könnte eine weitere Erkenntnis aus der sport auto-Statistik die Richtung weisen: Alle Porsche-Modelle bremsen exzellent - ob Sportwagen, Limousinen oder SUV, ob sie viel oder wenig wiegen, frontlastig oder hecklastig daherkommen. Eine gute Brems-Performance ist also kein Hexenwerk.
 
Konfrontiert man die Hersteller im Falle von Bremsproblemen mit den Ergebnissen, so erntet man entweder frostiges Schweigen oder wortreiche Ausreden: Offenbar sei aus Versehen ein Vorserienmodell geliefert worden... Ein Fehler bei der Bremsbelagwahl... Oder das Königsargument: Ein Messfehler der Redaktion, mit der Bitte um Rückgabe des Testwagens zur Überprüfung. Zwei Wochen später kommt ein Auto zurück, das viel besser bremst. Eine Wunderheilung? Und immer noch Serienstand, so wie ihn der Kunde auch beim Händler kaufen kann?

Die Delinquenten sind nur bedingt auskunftsfreudig. Deshalb haben wir den umgekehrten Weg gewählt und Porsche gebeten, uns zu erklären, wie man Bremsen für Sportwagen, aber auch für Limousinen und SUV auslegt, entwickelt und baut. Irgendwo in diesen Erklärungen finden sich sicher auch Antworten auf die Frage, warum sportliche Fahrzeuge anderer Hersteller oftmals weniger gut bremsen.

Wie entwickelt man Bremsen für Sportwagen?

Dass Autos immer schwerer werden, ist ein oft beklagter Umstand. Die Frage lautet nur, wie man ihm Rechnung trägt. Mit 2.028 Kilogramm spielt der Supertestkandidat Porsche Panamera Turbo S zweifelsohne in der Sumo-Klasse der automobilen Fortbewegung. Dennoch liefert er Bremswerte, die auch waschechten und viel leichteren Sportwagen sehr gut zu Gesicht stünden: Der Bremsweg von 100 km/h auf null beträgt 34,9 Meter.
 
Auf die Frage, warum dem so ist, sagt Peter Schäfer, Leiter Entwicklung Fahrwerk bei Porsche, drei zentrale Sätze: „Die Bremse ist bei Porsche ein konzeptionelles Thema, sie wird ganz früh in der Planung einer Baureihe mitberücksichtigt.“ Und das mit Priorisierung: „Das Thema Bremse genießt in unserer Kernkompetenzstrategie höchste Bedeutung, mit dem Ziel, dass wir in allen Baureihen klassenbeste Fahrdynamik und Brems-Performance erzielen.“ Schließlich folgt der wichtige Nachsatz: „Alles, was nicht von vornherein bereits im Konzept des Fahrzeuges vorgesehen ist, bekommt man später auch nicht mehr gesund.“
 
Die Brems-Performance leitet sich also aus dem Konzept des Gesamt-Fahrzeuges ab. Bezogen auf den Panamera Turbo S bedeutet das: Egal ob Bremsscheiben-Dimensionierung, Kühlung, Fahrwerkskonzept, Reifen oder Aerodynamik - bei jedem Schritt fließen die Anforderungen für die Bremse im frühesten Entwicklungsstadium mit ein.
 
Die Bremsen-Entwickler richten ihre Anforderungen im Gegenzug auf das Fahrzeug mit der höchsten Performance: „Wir wissen von Anbeginn, wie performant das Topmodell der Baureihe sein wird und auch, wie viel es wiegen wird“, erklärt Donatus Neudeck, Leiter Bremsen, Hydraulik und Betätigungssysteme. „Für diesen „worst case“ bestimmen wir unter Berücksichtigung der Bremsenkühlungseffizienz die mittlere Bremsleistung, welche die Basis für die Bremsendimensionierung ist.“
 
Diese enge Verzahnung stellt sicher, dass auch Panamera und Cayenne bremsen wie Sportwagen - weil sie wie Sportwagen entwickelt werden. „Unser Anspruch besteht darin, dass wir die Sportwagen auch in den Nicht-Sportwagen-Segmenten bauen, dass also Panamera und Cayenne Klassenbestwerte im entsprechenden Segment erzielen“, behauptet Peter Schäfer.

Nicht alle Modelle als Sportwagen konzeptioniert 

Daraus lassen sich Zwischenfazits ableiten: Die meisten Hersteller bauen primär Straßenautos, nur im zweiten Schritt auch mal einen Sportwagen. Da ist der Verdacht nicht auszuschließen, dass die Sportwagen nach den Kriterien der Straßenautos gebaut werden. Bei Porsche ist es umgedreht. Zweitens sind die Power-Limousinen der meisten Hersteller Destillationen aus Baureihen, die nicht als Sportwagen konzeptioniert wurden. Die Bremsauslegung geschieht auf Basis der Volumenmodelle, darauf aufgesetzt sind Applikationen für den Sonderfall Sportlichkeit. So steht zu vermuten, dass die Bremse für das Sportmodell einer Baureihe bei einigen Automobilherstellern mit niedrigerer Priorität angepackt wird als bei einem Sportwagenhersteller wie Porsche.
 
Das wird deutlich, wenn die Spezialisten von Porsche ihren Entwicklungsansatz im Detail ausbreiten. Porsche reklamiert für sich, den härtesten Kriterienkatalog der Branche in Anwendung zu bringen. Das beginnt in der Konzeptphase, wo die Bremsauslegung über die Fahrzeugdaten erfolgt, ergänzt um die gesetzlichen Anforderungen.

Größe der Bremsanlage wird über Bremsleistung definiert

Die finale Größe der Bremsanlage wird für jeden Fahrzeugtyp über die mittlere Bremsleistung definiert. Die wiederum leitet sich aus einem definierten Bremsenzyklus ab, den Porsche selbst entwickelt hat - und der als Eckpfeiler der Entwicklungsarbeit dient. „Der Fading-Bremszyklus ist ein Folgestoppprogramm, das wir auf der Kreisbahn in Nardo durchführen“, erklärt Donatus Neudeck. „Der Zyklus besteht aus 30 Bremsungen, das Geschwindigkeitsprofil umfasst dabei die Beschleunigung von 90 auf 240 km/h, gefolgt von einer Haltephase sowie der Bremsphase. Nach 25 Bremsungen haben die Bremsscheiben eine Temperatur von bis zu 700 Grad erreicht.“„Um die Kühleffizienz zu überprüfen, lassen wir die Bremsscheiben zwischen der 25. und 26. Bremsung auf 150 Grad abkühlen.“ Bei den letzten fünf Bremsungen wird dann kontrolliert, ob der Fading-Test zu Veränderungen beim Reibwertniveau führte.
 
Die Prozesskette beginnt schon lange vor der Fahrzeugerprobung, denn die Entwicklung der Bremstemperatur kann über die dynamische Auslegung bereits am Computer sehr exakt ermittelt werden. Die zentrale Frage lautet dabei: Wie viel Energie muss in Wärme umgewandelt werden?
 
Das hängt ganz wesentlich von den Faktoren Motorleistung und Gewicht ab. Deshalb wird bei Porsche nach Fahrzeuggruppen unterschieden: Die reinrassigen Sportwagen wie der Elfer müssen den oben beschriebenen ultraharten Brems-Zyklus bestehen, für die Limousinen und SUV wird das Anforderungsprofil dagegen leicht abgeflacht, weil die Rennstrecke im realen Kundeneinsatz eine untergeordnete Rolle spielt, „obwohl auch diese Fahrzeuge für den Einsatz im Sportfahrschulbetrieb absolut geeignet sein müssen“, wie Donatus Neudeck betont.
 
Wichtig ist für die Entwickler, dass alle Hardware-Größen (Bremsscheiben und Sättel) bereits im Konzept mitbedacht sind. „Das bezieht sich auf Themen wie Platzbedarf, aber auch Kühlung und Aerodynamik“, so Peter Schäfer. „Denn wenn die Bremskühlung für die höchste Motorisierungsstufe der Baureihe nicht von Anbeginn im Auto vorgesehen wurde, hat man später ein Problem.“ Simpel gesagt werden die Rahmenbedingungen für die Bremsanlage des Porsche Elfer auf das Topmodell ausgelegt - also auf den 911 GT2. Damit ist der Maximalfall schon in der Konzeptphase abgedeckt.

Doch schiere Größe ist nicht alles

„Man muss immer auch das Thema Gewicht der Bremse im Auge behalten, denn die Hardware gehört in die Klasse der ungefederten Massen, die wiederum einen großen Einfluss auf Fahrdynamik und Fahrverhalten hat“, so Neudeck. Bei den High-Performance-Varianten setzt Porsche daher konsequent auf die Keramik-Verbund-Bremse PCCB, die die ungefederten Massen um bis zu 30 Kilogramm reduziert.
 
Hier wiederum entsteht bei vielen Herstellern schnell ein neuer Zielkonflikt - nämlich die Kosten. Der Einsatz der PCCB-Bremse treibt natürlich auch den Preis nach oben. Bei Porsche ist die Richtung jedoch klar abgesteckt: „Für jedes Modell müssen die Lastenheftziele erreicht werden“, hält Peter Schäfer fest. „Natürlich suchen wir für diese Zielvorgaben die kostengünstigste Lösung, wir können da keine vergoldeten Teile ans Auto schrauben. Aber wir setzen keine Lastenheftziele herunter, weil wir die Kostenziele höher priorisieren.“
 
Man könnte es auch so formulieren: Der Sportwagenhersteller Porsche kommt von der Rennstrecke und leitet von hier Komponenten wie die Bremse für den Straßenbetrieb ab. Bei anderen ist es vermutlich oft umgekehrt - was gerade im Bereich Kühlung und Fading-Stabilität bei Sport-Limousinen immer wieder zu Auffälligkeiten im Testbetrieb führt. Bei Porsche wird das Kühlkonzept für die Bremse schon im CFD-Entwicklungsstadium festgeleg. Doch noch bemerkenswerter ist der Umstand, dass einzelne Baugruppen wie das Fahrwerk ebenfalls einen zentralen Beitrag zur Brems-Performance leisten müssen.
 
So haben die Ingenieure ein Achskonzept ausgeheckt, das optimal an den Kühlbedarf der Bremsanlage angepasst ist. Bei Porsche konzentriert man sich darauf, dass möglichst viel Kühlluft zentral in den Bremstopf eingeleitet wird. So wird viel Wärme über die Innenkühlkanäle in der Scheibe abgeleitet, was maximale Effizienz garantiert. Deshalb sind die Bremsscheiben bei Porsche auch laufrichtungsgebunden. Das Kühlkonzept kann aber nur deshalb umgesetzt werden, weil die Schwenklager so gestaltet sind, dass der Luftstrahl auch zentral auf den Bremsentopf geleitet werden kann.
 
Auch bei der Aerodynamik spielen die Anforderungen für die Bremskühlung eine zentrale Rolle, obwohl die Bremsbelüftung im direkten Zielkonflikt zu cW-Wert und Auftriebsbeiwerten steht, weil zum Beispiel Luft aus der Unterbodenströmung mittels Luftleitern zur Kühlung der hinteren Bremsen genutzt wird. Auch hier wird im Zweifelsfall kompromisslos auf maximale Brems-Performance gesetzt - weil das Gesamtkonzept die Bremse priorisiert.

Geräusch und Komfort sind wichtig

Geräusch und Komfort können ebenfalls zu Zielkonflikten bei der Brems-Performance führen. Auch hier ist entscheidend, wie stark das Thema bei einem Hersteller bewertet wird. Bei Porsche ist dieser Aspekt ganz besonders kritisch, denn Performance und Geräusch sind beim Bremsbelag sozusagen direkte Gegner - wie jeder weiß, der schon einmal einen Rennwagen mit quietschenden oder schabenden Geräuschen gefahren hat.
 
„Deshalb muss man das Gesamtsystem robust auslegen und mit den Herstellern einen Bremsbelag entwickeln, der sowohl unsere als auch die Geräuschanforderungen unter einen Hut bringt“, so Neudeck. Die Scheibe funktioniert auf Grund ihrer Eigenschwingung wie ein Lautsprecher, der Schall abstrahlt. Kunden akzeptieren solche Störgeräusche im Straßenbetrieb natürlich nicht. „Das ist ein sehr komplexes Feld mit unglaublich vielen Einflussgrößen“, unterstreicht Neudeck. „Natürlich besteht das Ziel darin, eine geräuscharme Bremse zu entwickeln.“ Porsche hat sogar einen Prüfstand, um komplette Bremsanlagen samt Achse und Fahrwerk auf das Thema Geräusch abzuklopfen. Bei der Fahrerprobung wird dieser Bereich mittels Messtechnik noch einmal überprüft, weil sich am Prüfstand nicht alle Umwelteinflüsse simulieren lassen.

Neue Vorschriften für Bremsenentwickler

Als ob der Job für die Bremsenentwickler nicht schon knifflig genug wäre, kommt auch noch der Gesetzgeber mit teilweise unausgegorenen Vorschriften ins Spiel. Ab 2021 darf in den USA beispielsweise in Bremsbelägen kein Kupfer mehr verwendet werden. Das sind schlechte Nachrichten für Neudeck & Co., denn gegenwärtig liegt der Kupferanteil der Beläge bei bis zu 35 Prozent. Und Kupfer spielt wegen seiner hohen Wärmeaufnahme und homogenen Ableitung bei High-Performance-Bremsbelägen eine zentrale Rolle. „Da fangen wir mit der Entwicklung noch mal ganz von vorn an“, so Neudeck.
 
Gleichsam am Ende der Bremskette steht der Reifen, der letztlich darüber entscheidet, wie viel Bremskraft real auf die Straße übersetzt werden kann. In dieser Hinsicht ist der Reifen sozusagen das wichtigste Bauteil der Bremse, was auch direkte Rückkoppelungen auf die Schlupfregelung hat, die ebenfalls stark an der Reifenqualität hängt. „Letztlich spielt sich bei der Bremskraft alles auf den vier Aufstandsflächen der Reifen ab“, so Peter Schäfer. Die Aufstandsfläche pro Rad liegt nur auf dem Niveau von Postkartengröße, und technologisch ist bei der Reifenentwicklung seit Einführung der Ultra High Performance Pneus (UHP) zudem eine gewisse Sättigung eingetreten.

Reifen und Elektronik verkürzen den Bremsweg

Die größten Sprünge bei der Verkürzung der Bremswege in den letzten Jahren gingen auf das Konto der UHP-Reifen, wie die sport auto-Statistik deutlich ausweist. Eng verknüpft mit dem Reifen ist die elektronische Kontrolle des Bremsvorgangs.
 
Hier sind komplexe dynamische Vorgänge im Spiel, wie Manfred Harrer, Leiter Entwicklung Fahrwerk, Fahrdynamik und Performance bei Porsche, erläutert. „Für den reinen Bremsweg ist der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn sowie die Radlast entscheidend. Wenn geregelte Dämpfer verbaut sind, kann die dynamische Radlaständerung und das Bremsnickverhalten positiv beeinflusst werden. Beim Porsche 911 hilft uns auch die hohe Hinterachslast. Doch es geht um übergreifende Themen wie das Achskonzept mit Anti-Dive-Wirkung und Längsfederung, wo eine konkrete Konfliktlinie zwischen Komfort, Kraftschluss und Radlast verläuft.“
 
Porsche kauft Komponenten wie Hydraulik, Steuergeräte und Software-Pakete bei den großen Zulieferern wie Bosch zu. Dazu werden eigene Elektronikmodule entwickelt, zum Beispiel das sogenannte Anbrems-Modul. Auch hier lauern Zielkonflikte zwischen Performance und Alltagsanforderung: „Natürlich könnte man Achskonzept und Regelung so trimmen, dass der Bremsweg auf trockener und ebener Straße extrem kurz ausfällt“, erläutert Harrer.
 
„Doch die Kundenrealität besteht aus Bodenwellen und verschmutzten Fahrbahnen mit wechselnden Reibwerten. Bei einer solchen extremen Fahrwerksabstimmung würden aber hier die Räder aufgrund des reduzierten Kraftschlusses und der ebenfalls reduzierten Radlast zu schnell blockieren. Daraufhin würde das ABS den Bremsdruck verringern - und dann verliert man beim Bremsweg richtig viel.“ Optimale Stabilität und kurze Bremswege unter Alltagsbedingungen sind wichtiger als fabelhafte Non-Plus-Ultra-Werte für die Pressemappe.
 
Letztlich entscheidet das Fahrergefühl, ob eine Bremsung als gut oder schlecht wahrgenommen wird. „Eine feinfühlige Anregelung der Bremse und ein kompaktes Pedalgefühl tragen zum Wohlbefinden des Fahrers bei“, so Harrer. „Auch hier spielen Kosten eine Rolle, weil die Applikation in der Fahrerprobung aufwendig und teuer ist.“ Es mag schwer geworden sein, moderne Sportwagen zu kritisieren. Doch in Anbetracht des Aufwands dürfte es nahezu unmöglich sein, Porsche für seine Bremsen abzuwatschen.

Die besten und schlechtesten Bremser in den sport auto-Tests ab 2007 zeigen wir in der Bildergalerie.

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Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

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