Heute Spitze – aber was ist morgen?
Audi verspätet seine Zukunft

Audi ist so erfolgreich wie nie – und blickt mit Sorge in die Zukunft. Verspätungen setzen dem Hersteller mächtig zu.

Audi Activesphere
Foto: Audi

Der neue Audi-Chef Gernot Döllner ist seit dem 1. September 2023 im Amt – und die VW-Konzernspitze setzt hohe Erwartungen in ihn. Schließlich ist Audi aktuell zwar ausgesprochen erfolgreich, aber seit Jahren angekündigte Elektromodelle verspäten sich immer weiter. 2022 war das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr in der Geschichte von Audi – und gerade auf dem hart umkämpften europäischen Markt haben die Ingolstädter außergewöhnlich gut performt. Für Audi-Kunden scheint die aktuelle Modellpalette zu passen – und der Vertrieb macht offensichtlich einen guten Job. Ob das so bleibt, darüber zerbrechen sich die Audi-Verantwortlichen den Kopf. Und Döllner macht Druck, wie das Handelsblatt von Insidern erfahren hat.

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Döllner dränge konfrontativ auf Veränderungen, heißt es aus Audi-Konzernkreisen. Einige Führungskräfte sollen sich inzwischen vor den Kopf gestoßen fühlen. Dabei dürfte Döllner wiederum den Druck aus der Wolfsburger Konzernzentrale spüren, die dringend die Gewinne aus Ingolstadt braucht. Schließlich befindet sich der gesamte VW-Konzern im Umbauprozess hin zur Elektromobilität und VW als Marke hat bei einigen seiner Elektromodelle aktuell mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen. VW-Chef Oliver Blume hat deshalb Audi sehr genau im Blick – und drängt auf Veränderungen.

Viele Probleme übernommen

Blume hatte in Döllners Vorgänger Markus Duesmann kein Vertrauen mehr. Dieser habe keine Führungsstärke gezeigt und die technische Abteilung nicht in den Griff bekommen. Diese Führungsstärke scheint Döllner jetzt mit seiner vermeintlich konfrontativen Art zeigen zu wollen – er dürfte dabei volle Rückendeckung aus Wolfsburg haben.

Und Duesmann hat Döllner einen Berg Arbeit überlassen. Audi hat eine Zeit mit vergleichsweise schnell wechselnden Vorständen hinter sich – von Opel ist dieses Vorgehen bekannt, von Audi bisher nicht. In dieser Zeit ist Audi entwicklungstechnisch ein bisschen gegenüber Konkurrenten wie Mercedes, BMW und Tesla zurückgefallen. Und das VW-Software-Desaster hat Audi anscheinend noch mehr zurückgeworfen als VW selbst.

Viele Verspätungen

Der Q6 E-Tron ist jetzt für Sommer 2024 angekündigt, was eine erneute Verspätung um mehrere Monate bedeutet – der ursprüngliche Premierentermin war für Ende 2021 vorgesehen. Die Verzögerungen beim Q6 E-Tron wirken sich auf alle nachfolgenden Modelle aus, während Mercedes und BMW derzeit fleißig neue Elektromodelle auf den Markt schieben. Dabei hatte Duesmann große Pläne – bis 2025 wollte er 20 neue Modelle auf dem Markt haben. Jetzt ist klar: Audi hat sich übernommen – dieses Ziel ist kaum zu schaffen.

Seinen A6 E-Tron Avant wollte Audi Anfang 2024 vorstellen – die dazugehörige Studie hatte Lust auf das Serienmodell gemacht. Auch große Firmenkunden sind auf den Kombi scharf, der schließlich rein elektrisch 750 Kilometer weit kommen soll und damit dienstwagentauglich wäre. Angeblich warten die Post und die Deutsche Telekom schon auf das Modell. Und beim Q8 hatte sich Duesmann mit der VW-Konzernzentrale offenbar überworfen: Audi wollte den großen SUV auf seiner neu entwickelten Elektroplattform PPE (Premium Plattform Electric) aufsetzen – aber Wolfsburg versagte die dafür notwendigen hohen Investitionen.

Audi Q8 könnte VW Atlas teurer machen

Also verspätet sich auch der Q8 massiv. Inzwischen überlegen VW-Entscheider, ob sich die Basis eines Q8 auch als Basis für einen VW-Atlas-Nachfolger nutzen lässt. Den Atlas bietet VW in den USA und China an, bis zum Ukraine-Krieg gab es ihn auch in Russland. Der auf der größten Ausprägung von VWs Modularem Querbaukasten (MQB) basierende SUV gilt als günstig – eine Umstellung auf Audi-Technik dürfte dies deutlich ändern.

Die Verzögerungen bei Audi sind kein reines Elektroauto-Problem. So geht der Q7 frühestens Ende 2025 in Produktion – die Auslieferungen starten dann Anfang 2026. Und beim Q5 gibt es wohl Probleme bei der Entwicklung der Achsen. Deshalb steht der Q5 frühestens Anfang 2025 bei den Händlern. Und dann nähert sich das Thema Verbrennungsmotoren im gesamten VW-Konzern langsam seinem Ende.

Top-Management und Entwickler verantwortlich

Audi-Insider berichten, dass sie jetzt die ambitionierten Pläne entzerren müssen. Probleme gäbe es fast überall – eine Verschiebung fast aller Neuerscheinungen um weitere neun Monate nach hinten wäre keine Überraschung. Beim Umbau der Pläne sehen anscheinend viele Audi-Verantwortliche Entwicklungs-Chef Oliver Hoffmann in der Pflicht. Außerdem brauche der Hersteller eine neue China-Strategie und anscheinend wünscht man sich auch eine familienfreundlichere Version des Marken-Slogans und damit auch des Markenauftritts "Vorsprung durch Technik".

Bei Audi heißt es, man habe das Autobauen nicht verlernt. Döllner versucht seine Angestellten mit Verweis auf seine jahrzehntelange Manager-Erfahrung bei Porsche zu beruhigen. Angeblich löst dies bei vielen Audi-Mitarbeitern Abwehrreflexe aus: Seit der Dieselkrise hat man in Ingolstadt das Gefühl, Wolfsburg hat Porsche lieber als Audi. Liegt das daran, dass eine der Keimzellen der Dieselkrise bei Audi lag? Audi-Projektmanager haben sowohl die Führungsetage als auch die Entwicklungs-Abteilung als verantwortlich für die aktuelle Zukunftsmisere ausgemacht. Die Entwickler hätten die komplexe Mechatronik und die Software-Entwicklung unterschätzt. Daraufhin habe die Unternehmensführung unter Druck gestanden – und organisatorische Fehler gemacht.

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Fazit

Audi führt seit Jahren Milliardengewinne an Wolfsburg ab – auch 2023 scheint wieder ein äußerst erfolgreiches Jahr zu werden. Gerade weil das so ist, dürfte VW-Konzernchef Oliver Blume bei Audi alles dran setzen, die Marke auch in Zukunft auf Erfolgskurs zu halten. Mit nicht enden wollenden Verzögerungen bei der Entwicklung von neuen Modellen funktioniert das nicht. Die Konkurrenz bedankt sich und zieht immer weiter davon – irgendwann uneinholbar.

Audi-Chef Gernot Döllner boxt jetzt Veränderungen durch. Mit voller Rückendeckung aus der Wolfsburger Konzernspitze fährt er einen konfrontativen Kurs – um Audi zu retten. Ob er mit seiner Art auf Dauer durchkommt und vor allen Dingen, ob Audi schnellstmöglich wieder zukunftsfähig wird, dürfte sich spätestens in einem halben Jahr zeigen.