Diebstahl von Hyundais & Kias als TikTok-Challenge
Kia bietet Hardware-Änderungen an

Manche Hyundais und Kias lassen sich mangels Wegfahrsperre simpel stehlen. Das zog Sammelklagen von US-Städten nach sich, gegen die die Hersteller vorgehen. Kia hat jetzt eine Hardware-Nachrüstung entwickelt.

08/2022, Logos Kia EV6 und Hyundai Palisade
Foto: Kia USA / Hyundai USA

In den USA stiegen die Diebstähle von Hyundai- und Kia-Modellen im Verlauf des letzten Jahres auffällig an, sogar bei relativ neuen Autos. Was daran lag, dass einige Modellreihen der Koreaner, die noch klassisch per Schlüsseldreh und nicht per Knopfdruck gestartet werden, mangels Wegfahrsperre besonders einfach zu knacken sind. Das führte wiederum zu einem anderen Phänomen: Es hat sich beim sozialen Netzwerk TikTok eine "Challenge" (Herausforderung) etabliert, in deren Rahmen die meist jugendlichen Nutzer dazu aufgerufen werden, Hyundai- und Kia-Modelle aufzubrechen und sie zu stehlen.

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Ursprung in Milwaukee

Die lokalen Polizeibehörden warnen vor Aufrufen, mit den Autos – oft sehr riskante und gefährliche – Spritztouren zu unternehmen oder sie sogar zu zerstören. Der US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA zufolge seien dadurch inzwischen mindestens acht Todesopfer zu beklagen. Auch die New Yorker Polizei hat bereits derartige Statements veröffentlicht – teils verbunden mit Tipps, wie sich die Besitzerinnen und Besitzer vor dem Diebstahl ihrer Autos schützen können. Dieser beispielhafte Tweet stammt vom 2. Januar 2023:

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Seinen Ursprung nahm das Phänomen in Milwaukee. In der Metropole im Bundesstaat Wisconsin wurde die TikTok-Challenge mutmaßlich von einer Gruppe von Jugendlichen, die sich "Kia Boys" nennt, im Sommer 2022 losgetreten. Die Welle war daraufhin auf andere Regionen in den USA übergeschwappt. In Los Angeles ist die Zahl der Hyundai- und Kia-Diebstähle Medienberichten zufolge um 85 Prozent nach oben geklettert, während es im Raum Chicago sogar einen Anstieg um unglaubliche 936 Prozent gegeben haben soll.

Simple Klaumethode

Die Klaumethode, die US-Behörden zufolge bei Autos anderer Marken nicht funktioniere, erscheint derart simpel, dass es kaum zu glauben ist: Die Diebe können die Autos ganz einfach starten, indem sie die Verkleidung hinter dem Lenkrad mit einem Schraubenzieher entfernen und dort ein USB-Kabel an einem bestimmten Schaltkreis anschließen. Normalerweise wird dies von der elektronischen Wegfahrsperre unterbunden, die als Voraussetzung zum Motorstart ein Signal des Schlüssels empfangen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass im Internet inzwischen viele Videos kursieren, die den Diebstahl-Trick erklären.

Tatsächlich haben Hyundai und Kia in den USA lange gebraucht, um flächendeckend Wegfahrsperren in ihren Modellen einzuführen. "Unsere Fahrzeuge erfüllen oder übertreffen die 'Federal Motor Vehicle Safety Standards', Wegfahrsperren gehören seit November 2021 bei allen neuen Hyundai-Fahrzeugen zur Standardausrüstung", heißt es in einer Stellungnahme von Hyundai Motor America. Kia America weist darauf hin, dass alle in den USA vertriebenen Fahrzeuge der Marke seit dem Modelljahr 2022 mit einer Wegfahrsperre ausgerüstet seien. Allerdings werden vor allem Autos früherer Modelljahrgänge gestohlen. Einen Rückruf haben bisher weder Hyundai und Kia noch die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA veranlasst.

Software-Upgrade als Diebstahlschutz

Immerhin bieten Hyundai und Kia seit Frühjahr 2023 – und damit fast ein halbes Jahr nach Start der Diebstahlserie – eine technische Lösung als Gegenmittel an. Dabei handelt es sich um ein kostenloses Anti-Diebstahl-Software-Upgrade, das bei Vertragshändlern der Marke innerhalb von einer Stunde aufgespielt wird und sich auf mehrere Steuermodule im Fahrzeug auswirkt. Beim Verriegeln des Autos per Fernbedienung wird eine "Ignition Kill"-Funktion aktiviert, die dafür sorgt, dass es sich nur dann starten lässt, wenn es ebenfalls per Fernbedienung wieder aufgesperrt wird. Öffnen und Schließen per Schlüsseldreh ist damit nicht mehr möglich. Hyundai verspricht jedoch, dass sich die Klaumethode dadurch nicht mehr anwenden lässt. Aufkleber auf den Fenstern sollen zudem potenzielle Diebe auf die Verbesserung hinweisen.

Hyundai Sonata 2018
Hyundai
Der Sonata der Modelljahre 2015 bis 2019 profitiert als eines der ersten Hyundai-Modelle vom neuen Software-Upgrade.

Die koreanischen Schwestermarken wollen insgesamt etwa neun Millionen Fahrzeuge mit der Software-Aktualisierung vor Diebstahl schützen. Zunächst waren mehr als eine Million Exemplare der besonders häufig gestohlenen Hyundai-Baureihen Elantra (Modelljahre 2017 bis 2020), Sonata (2015 bis 2019) und Venue (2020/21) dran. Seit Juni 2023 werden die Besitzerinnen und Besitzer von weiteren Baureihen oder anderer Modelljahre versorgt. Bei einigen Fahrzeugen der Modelljahre 2011 und 2022 ohne Wegfahrsperre kann das Software-Upgrade jedoch nicht durchgeführt werden. Deren Besitzerinnen und Besitzer müssen sich vorerst weiterhin mit Lenkradsperren oder Parkkrallen behelfen, deren Kauf die Autohersteller jedoch finanziell unterstützen.

Hardware-Nachrüstung

Allerdings scheint es Modelle zu geben, bei denen ein Software-Update nicht reicht. Für diese Modelle hat Kia jetzt eine Hardware-Nachrüstung entwickelt. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Zylinder-Schutz: Der Zylinder des Zündschlosses ist jetzt deutlich robuster ausgelegt. Dies soll ein unberechtigtes Entfernen des Zündschlosses deutlich erschweren. Eine kostenlose Nachrüstung mit dem neuen Zylinderschutz steht allen Kia-Fahrzeughaltern in den USA zur Verfügung, deren Modelle nicht für ein Software-Update infrage kommen. Welche das sind, steht in der nachfolgenden Tabelle.

Kia-US-Modelle für Diebstahlschutz-Hardware-Nachrüstung

Modell

Bauzeitraum

Sportage

2011 – 2016

Forte

2011 – 2016

Soul

2010 – 2022

Rio

2011 – 2021

Sedona

2014

Entschädigungen in dreistelliger Millionenhöhe

Bis Hyundai und Kia dem Problem auf offiziellem Wege begegneten, musste eine im Herbst 2022 eingeführte Zwischenlösung herhalten: In den Vertragswerkstätten konnten Wegfahrsperren der Firma Compustar nachgerüstet werden. Der Haken an der Sache: Weil es keinen offiziellen Rückruf gab, mussten die Kundinnen und Kunden dies selbst bezahlen. US-Medien zitieren Anwälte einer Kanzlei, die in dieser Sache Eigentümerinnen und Eigentümer fraglicher Autos vertritt. Die Juristen nennen Gesamtkosten von bis zu 750 Dollar (aktuell umgerechnet etwa 698 Euro), da neben den Teile- auch die Einbaukosten von der Kundschaft getragen werden müssten. Da kommt angesichts von etwa zweieinhalb Arbeitsstunden einiges zusammen.

Mitte Mai 2023 gaben US-Vertretungen von Hyundai und Kia bekannt, Geschädigte per Vergleich mit insgesamt 200 Millionen Dollar (aktuell umgerechnet etwa 186,2 Millionen Euro) zu entschädigen. Die Vereinbarung sieht einerseits eine Barentschädigung bei durch Diebstahl verursachten Fahrzeugverlusten oder Schäden vor, die nicht von der Versicherung gedeckt sind. Zudem erstatten die Hersteller Selbstbeteiligungen, erhöhte Versicherungsprämien und andere diebstahlbedingte Schäden. Nach einer anfänglichen Zustimmung lehnte ein Richter die Einigung allerdings mittlerweile ab, sodass dieses Verfahren nun zur Hängepartie gerät.

Versicherungen klagen gegen Autobauer

Trotzdem könnte es für die Koreaner deutlich teurer werden, denn sie kämpfen noch an einer weiteren juristischen Front. Bereits im März 2023 hatten verschiedene US-Versicherer gemeinschaftlich im kalifornischen Orange County eine Klage gegen die koreanischen Autobauer eingereicht. Sie fordern von Hyundai und Kia eine Rückerstattung der bereits geleisteten Entschädigungszahlen in Höhe von rund 190 Millionen Dollar (knapp 177 Millionen Euro). Insgesamt könnte diese Summe aber noch auf ungefähr 600 Millionen Dollar (fast 559 Millionen Euro) ansteigen, wenn sich weitere Versicherer der Klage anschließen.

Darüber hinaus haben insgesamt 17 US-Städte aufgrund des zögerlichen Handelns der Hersteller Klagen gegen Hyundai und Kia eingereicht, darunter Milwaukee, New York, Cleveland, San Diego und Seattle. Doch das wollen die Hersteller nicht akzeptieren, weshalb sie den zuständigen Richter aufgefordert haben, die Klage abzuweisen. In der Begründung weisen die Autobauer eine eigene Verantwortung von sich. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge argumentieren die Anwälte von Hyundai und Kia, dass sie nicht für die Diebstähle haftbar gemacht werden könnten, da diese "aus einem beispiellosen kriminellen Social-Media-Phänomen" resultierten. Außerdem hätten die "laxe Polizei- und Strafverfolgungspolitik" der Städte sowie die "Haushaltsentscheidungen, mit denen finanzielle Ressourcen für die öffentliche Sicherheit und die Verhinderung von Autodiebstahl und rücksichtslosen 'Joyridings' gekürzt wurden", die Straftaten stärker begünstigt als das Fehlen einer Wegfahrsperre.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Für die Kundinnen und Kunden der beiden Autohersteller zeigt sich längst eine weitere problematische Nebenerscheinung: Manche Versicherungen weigern sich, gefährdete Modelle zu versichern. Wer bereits ein solches Auto besitzt und versichert hat, musste mit empfindlichen Teuerungsraten rechnen. Derartiges wird beispielsweise aus St. Louis im US-Bundesstaat Missouri berichtet, wo die Zahl der Diebstähle von Hyundais und Kias um unfassbare 1.450 Prozent gestiegen ist. Bewohnerinnen und Bewohner anderer Städte seien von diesem Problem jedoch ebenfalls betroffen.

Müssen nun auch Besitzerinnen und Besitzer von Hyundai- und Kia-Modellen in Deutschland fürchten, dass ihre Fahrzeuge potenziell einfache Beute für Autodiebe sind? Hyundai Deutschland beschwichtigt: "In erster Linie scheint das Modelle in den USA zu betreffen, die in der Regel in Ausstattungen und Verkaufsvarianten stark von europäischen Modellen abweichen oder in Europa gar nicht vertrieben werden", heißt es auf auto-motor-und-sport.de-Anfrage. Auch die Schwestermarke sieht hierzulande kein Problem für ihre Kundinnen und Kunden: "Seit 1. Januar 1998 müssen alle neu zugelassenen Pkw in Deutschland mit einer elektronischen Wegfahrsperre ausgerüstet sein (§ 38a StVZO), die die Art von unbefugtem Zugang, auf die in der 'Challenge' hingewiesen wird, verhindert", sagt eine Sprecherin. Kia prüfe zudem fortwährend neue Möglichkeiten, die Sicherheit der Fahrzeuge zu verbessern.

Hinweis: In der Fotoshow listen wir jene Modelle auf, die von der Diebstahl-Problematik in den USA betroffen sind.

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Fazit

In Deutschland war die TikTok-Challenge rund um geklaute Hyundais und Kias bislang kein Thema. In den USA jedoch ein umso größeres, das beide Autohersteller noch teuer zu stehen kommen dürfte. Die Koreaner werden aktuell aus gleich drei Richtungen juristisch attackiert: Von den Privatpersonen, die betroffene Modelle besitzen, vonseiten der Versicherungen und aus den Rathäusern von 17 US-Städten. Der Ausgang dieser Verfahren ist derzeit völlig offen – milliardenschwere Strafzahlungen nicht ausgeschlossen.

Kia reagiert jetzt allerdings mit einer Hardware-Nachrüstung: Alle Modelle, die nicht für ein Software-Update geeignet sind, bekommen einen robusteren Zylinder für das Zündschloss. Außerdem kann sich jeder Kia-Halter der betroffenen Modelle bei seinem Händler ein kostenloses Lenkradschloss abholen.