Korrekturfaktor bei RDE-Abgasmessung
Das Märchen der EU-6d-Schlupflöcher

Die Abschaffung des so genannte Conformity Factors (CF) in der EU-Abgasgesetzgebung wäre überflüssig. Die Norm EU 6d Temp sorgt mit und ohne CF für die NOx-ärmsten Dieselabgase bislang. Eine Null-Abweichung der Praxis-Messwerte vom Labor-Grenzwert ist vor allem über die Lebensdauer von Autos unrealistisch – und unnötig, meint Gerd Stegmaier.

Messgerät
Foto: Hans-Dieter Seufert

Selbst der Abgasskandal hatte sein Gutes: Er beschleunigte die längst überfällige Neufassung der EU-Abgasgesetzgebung – und die ist mal richtig erfolgreich: Seitdem stoßen tatsächlich fast alle Neuwagen im realen Betrieb weniger NOx aus, als gesetzlich zulässig (bei Dieseln 80 mg/km). Möglich wurde das nicht durch niedrigere Grenzwerte, sondern durch realistische Messmethoden.

Statt wie zuvor superexakte und gut vergleichbare Werte im Labor nach dem anspruchslosen, fast 20 Jahre alten NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) zu ermitteln, müssen Neuwagen zur Typzulassung mit mobilen Messgeräten im Straßenverkehr nachweisen, dass sie die Grenzwerte weitestgehend unabhängig von Betriebszustand und Belastung unterbieten. Auch können Fahrzeuge aus dem Feld mit beträchtlichen Fahrleistungen herangezogen werden, nicht nur Neuwagen.

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Realistische Messungen sorgen für sauberes Abgas

Die Freiheitsgrade bei den Messbedingungen sind so groß, dass die Hersteller alle technischen Anstrengungen unternehmen müssen, um die Grenzwerte einzuhalten. Eigene Messungen von auto motor und sport mit Fahrzeugen, die nach der Abgasnorm Euri 6D Temp zugelassen waren, fanden praktisch kein Modell mehr, dass mehr als 80 mg NOx pro Kilometer emittierte. Bei Messungen früherer Euro-6-Abgasnormen (Euro 6, 6b, 6c) in den Jahren zuvor gab es hingegen teils Abweichungen um den Faktor 15, acht- bis zehnfach höhere Emissionen waren die Regel. Die besten Diesel mit neuester Abgastechnik (SCR-Kat und Harnstoffeinspritzung) emittierten hingegen (im Praxisbetrieb auf der Straße wohlgemerkt) nur mehr 12 bis gut 20 mg NOx pro Kilometer, also um den Faktor vier bis fünf weniger als der Grenzwert.

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auto motor und sport
So haben sich die real gemessenen NOx-Emissionen mit den Abgasnormen verbessert.

Die inzwischen perfektionierte Harnstoffeinspritzung erlaubte theoretisch sogar, den NOx-Ausstoß auf praktisch Null zu reduzieren. Das müssen die Hersteller aber bei Neuwagen vermeiden, denn die neuen Regeln verbieten auch eine zu starke Verschlechterung der Werte, wenn die Fahrzeuge altern. Beste Vorkehrungen für saubere Stadtluft auch in Zukunft. Wer einen 0-NOx-Diesel als Neuwagen auf die Straße schickt, müsste aber mit Zulassungsproblemen rechnen, wenn ein Modell nach sagen wir 60.000 Kilometern 70 mg NOx pro Kilometer ausstoßen würde, obwohl das noch unter dem Grenzwert läge.

Verschärfte Messungen ändern faktisch den Grenzwert

Weil die neuen Messungen nicht mehr unter jederzeit reproduzierbaren Bedingungen im Labor stattfinden, erlaubte die EU Abweichungen im Rahmen eines so genannten Conformity Factors. Er begann bei 2,1 und sinkt seitdem in Stufen. Aktuell liegt er bei 1,43. Das heißt, anfangs durften die Neuwagen bei RDE-Messungen statt 80 sogar 168 mg NOx pro Kilometer ausstoßen. Selbst das wäre noch um den Faktor fünf besser als gängige Werte zuvor; solche Werte traten aber kaum mehr auf, siehe oben.

Trotzdem entbrennt gerade eine Diskussion darüber, wie es mit dem Conformity Factor weitergehen soll. So schreibt der Spiegel: "Das Parlament will den CF-Wert schrittweise senken und bis September 2022 ganz abschaffen, die Bundesregierung will im Rahmen der Ratspräsidentschaft offenbar erreichen, dass der Übereinstimmungsfaktor erhalten bleibt" und zitiert Jens Müller, Verantwortlicher für Luftqualität beim europäischen Umweltverband "Transport & Environment" (T&E): Die Entscheidung über den Konformitätsfaktor klinge technisch, sei aber entscheidend für die Luftqualität. Sie bestimme, ob Abgasgrenzwerte auf der Straße tatsächlich eingehalten werden.

Messungen nicht nur von auto motor und sport, sondern auch des ADAC zeigen, dass genau das nicht der Fall ist. Selbst Müllers eigene Organisation (T&E) kam laut Spiegel "zu einem ähnlichen Ergebnis. T&E verglich 307 RDE-Messungen von Dieseln der Abgasnormen Euro-6d-Temp und Euro-6d – mit einem eindeutigen Ergebnis: 87 Prozent der Fahrzeuge lagen unter dem Grenzwert von 80 mg pro Kilometer. 59 Modelle lagen sowohl im Stadtverkehr als auch insgesamt unter 20 mg pro Kilometer, blieben also weit unter dem gesetzlichen Limit."

Der Korrektur-Faktor ist kein Schlupfloch

Dennoch sagt Jens Müller: "Jetzt ist die Gelegenheit, eines der verbleibenden Schlupflöcher in Abgastests zu schließen". Das Schlupfloch gäbe es nach den Messungen von T&E also für 13 Prozent der untersuchten Fahrzeuge. Daraus schließt Müller im Spiegel: "Die Daten der Hersteller zeigen, dass die meisten Dieselautos in den Tests bereits deutlich unter den Grenzwerten bleiben und gar keinen Konformitätsfaktor benötigen". Nur ein paar Hersteller nutzen die derzeitige Abgastechnologie nicht konsequent, so Müller. Die Industrie versuche, die Reihen zu schließen und diese Hersteller zu schützen".

Wie er darauf kommt, sagt Müller nicht. Der EU-Rat liefert eine mögliche Begründung: die Genauigkeit der Portablen Messgeräte (PEMS). Eine Neuregelung des CF-Werts könne nur erfolgen, wenn man Fortschritte bei der Messgenauigkeit der nötigen Geräte einschätzen könne, so ein Papier des Rates. Der plädiert dafür, den CF-Wert lediglich auf 1,32 zu senken, was 32 Prozent mehr NOx im Realbetrieb im Vergleich zum Prüfstand erlauben würde, also rund 106 statt 80 mg NOx pro Kilometer – oder 400 bis 700 mg weniger im Realbetrieb als vor der Neuregelung mit dem Conformity Factor von 2,1 zu beobachten waren.

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Ja, klar, wir werden noch lange Verbrenner kaufen und die sollen möglichst sauber sein.Nein, neue Autos sind sauber. Das Problem sind eher Bestandsfahrzeuge mit EU5 und EU6. Je schneller wir die durch E-Autos ersetzen, desto schneller wird die Stadtluft sauber.

Fazit

Euro 6d Temp brachte ohne Senkung der Grenzwerte die massivste reale Verringerung von NOx bei Dieseln von allen Abgasnormen. Das zeigt, dass die mit ihr einhergehende Verschärfung der Messvorschriften der richtige Weg war, deutlich wirkungsvoller als eine Viertelung der Grenzwerte. Ein Korrektur-Faktor, der aktuell eine 43 prozentige Erhöhung des nominellen Grenzwertes erlaubt, ist demzufolge nicht mit einer realen Überschreitung zu vergleichen.

Vielmehr ist der Conformity Factor wegen der geringeren Exaktheit von Messungen mit portablen Geräten auf der Straße und nicht im temperierten Labor sinnvoll. Und notwendig, weil zuvor ausschließlich fabrikneue Autos die Messungen im Labor bestehen mussten, während jetzt auch bei Gebrauchtwagen zählt, wie viel NOx sie wirklich emittieren. Und das sollte maßgeblich sein, für alle, die saubere Luft im Sinn haben.