E-Auto-Start-up braucht mehr Geld
Saudis retten Lucid vor Schieflage

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Den Wandel an den Finanzmärkten spürt auch Lucid – der Elektroautobauer muss Mitarbeiter entlassen und neues Geld von Investoren eintreiben.

Lucid Air Dream
Foto: Jens Eser

Die Rückkehr von positiven Zinsen an den Finanzmärkten sorgt in Kombination mit einer andauernden Rekord-Inflation für kräftige wirtschaftliche Umwälzungen. Die auf die Finanzierung von Start-ups spezialisierte kalifornische Silicon Valley Bank ist im März 2023 zusammengebrochen – billiges Geld flüchtet aktuell nicht mehr so heftig in junge Unternehmen. Zwangsläufig sind auch Start-ups aus der Autobranche von den veränderten Finanzverhältnissen betroffen. Nachdem das Solarauto-Start-up Sono Motors aufgeben musste, schnallte mit Lucid im März ein weiteres Elektroauto-Start-up den Gürtel enger und entließ über 1.000 Mitarbeiter. Zum 31. Mai 2023 benötigte das US-Unternehmen, das Luxus-E-Autos bauen will, zudem eine weitere, milliardenschwere Finanzspritze der Investoren.

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Lucid sitzt im kalifornischen Newark und baut seine teuren Oberklasse-Elektroautos vom Typ Air in Casa Grande im US-Bundesstaat Arizona. Das meiste Geld bekommt Lucid vom saudischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF), der einer der weltweit größten seiner Art ist. Als Lucid 2021 mit der börsennotierten Zweckgesellschaft Churchill Capital Corp IV fusioniert ist, gelangte der Autobauer zwangsläufig auch an die Börse. Mit diesem Börsengang machte der Staatsfonds einen Gewinn in Höhe von 20 Milliarden Dollar (aktuell umgerechnet zirka 18,4 Milliarden Euro).

1.296 Mitarbeiter müssen gehen

Aber Lucid scheint nicht mehr genügend Geld zur Verfügung zu stehen, um seine Belegschaft zu bezahlen. "Automotive News" berichtete im März 2023, dass der Elektroautohersteller 18 Prozent seiner Mitarbeiter entlässt. Ende des Jahres 2022 hatte Lucid 7.200 Beschäftigte – demnach verlieren 1.296 Mitarbeiter demnächst ihre Jobs.

Bereits 2022 hatte Lucid einen Verlust in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) verbucht. Die Entlassungen sollen den Hersteller 24 bis 30 Millionen Dollar (22,4 bis 28 Millionen Euro) kosten. Lucid-Chef Peter Rawlinson betont, dass man bereits alle anderen Möglichkeiten zur Kostensenkung geprüft habe und nicht um eine Reduzierung des Personals herumkomme. Gleichzeitig hat der Hersteller Probleme, seine Produktion im gewünschten Tempo hochzufahren, was zusätzlich Geld kostet. Außerdem entsteht seit Mai 2022 ein Lucid-Werk im saudi-arabischen Dschidda, was ebenfalls erhebliche Kosten verursachen dürfte. Seit Mai 2022 betreibt Lucid zudem ein Geschäft in München und hat dort im Dezember desselben Jahres die ersten Air-Exemplare ausgeliefert. Aber der Absatz scheint weltweit nicht so zu florieren, wie sich Lucid das wünscht. Daran ändert auch das für Ende 2023 neu angekündigten Basis-Modell Lucid Air Pure (AWD) nichts. Im ersten Quartal 2023 vermeldete Lucid einen Verlust von 779,5 Millionen Dollar (727,7 Millionen Euro).

Entlassungen reichen nicht für Sanierung der Finanzen

Mit den Einsparungen beim Personal allein scheint Lucid seine Finanzen allerdings nicht wieder in den Griff zu bekommen. Am 31. Mai 2023 meldete Reuters, dass Lucid weitere drei Milliarden Dollar akquiriert hat. Ein Großteil stammt wieder vom saudischen Staatsfonds PIF, der 265,7 Millionen Anteile von Lucid zu einem Preis von 1,8 Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Euro) kaufte und damit mehr als 60 Prozent an dem Unternehmen hält. Insgesamt sind die Anteile des Staatsfonds, der vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman geleitet wird, rund neun Milliarden Dollar (8,4 Milliarden Euro) wert.

Finanzexperten schätzen, dass Lucid durch die Finanzspritze ein paar Jahre Zeit gewonnen hat, seine Probleme beim Absatz und in der Produktion in den Griff zu bekommen. Anfang Mai 2023 kassierte Peter Rawlinson erst seine einstigen Produktionsplanungen. Ursprünglich wollte der Lucid CEO 2023 bis zu 14.000 Fahrzeuge produzieren. Der aktualisierte Plan sieht nur noch 10.000 Fahrzeuge im laufenden Jahr vor.

Raue Bedingungen für Start-ups

Die zählebige und rekordverdächtig hohe Inflation lässt sicher manch einen Interessenten die Neuanschaffung eines mindestens 109.000 Euro kostenden Elektroautos überdenken. Hinzu kommen erhöhte Energie- und Materialkosten in der Produktion – und der Druck der Konkurrenz. Tesla hat jüngst seine Preise kräftig gesenkt und die etablierten Hersteller drängen zunehmend mit eigenen Elektroautos auf den Markt, die diese mit ihrer etablierten Produktions-Technik höchstwahrscheinlich günstiger herstellen können als die Start-ups.

Dass die Bedingungen für Start-ups erheblich rauer sind als noch vor zwei Jahren, ist keine Überraschung – weitere Meldungen zu Entlassungen oder gar Firmenschließungen dürften folgen. Elektro-Pick-up-Pionier Rivian hat im Februar 2023 beispielsweise ebenfalls Entlassungen angekündigt – sechs Prozent der Belegschaft müssen gehen.

In der Bildergalerie zeigen wir den Lucid Air.

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Fazit

In Zeiten von Negativzinsen ist viel Geld in Elektroauto-Start-ups geflüchtet. Die Unternehmer haben Mitarbeitern rote Teppiche ausgerollt, um ihre Firmen betreiben zu können. Jetzt hat sich der Wind gedreht – Geld vermehrt sich wieder durch Zinsen, die Investition in risikoreiche Start-ups ist nicht mehr in so hohem Maße nötig.

Auf der anderen Seite sind die Kunden nach einer anhaltenden Rekord-Inflation bei ihren Ausgaben vorsichtiger geworden. Hinzu kommt der Konkurrenzdruck durch die etablierten Autohersteller, die mit höchstwahrscheinlich günstiger produzierten Elektromodellen auf den Markt drängen. In dieser kritischen Gemengelage müssen selbst über Staatsfonds finanzierte Start-ups wie Lucid sparen. Dabei setzen sie auch einen Teil ihrer erst kürzlich angeworbenen Mitarbeiter wieder auf die Straße und müssen bei ihren Geldgebern weiteres Geld einsammeln, um weiter liquide zu bleiben und die notwendigen Investitionen zu schultern.