Prof. Bratzel über Corona in der Autoindustrie
„Das ist nicht mehr aufzuholen“

Fabrikschließungen und Absatzeinbrüche in China sowie Teilemangel in der Fertigung. Wir fragten den Automobilexperten Professor Dr. Bratzel: Wie sehr trifft die Corona-Virus-Pandemie die Autoindustrie?

Corona Virus Absatz Produktion Verlust Hersteller
Foto: Hersteller / Patrick Lang

Prof. Dr. Stefan Bratzel ist promovierter Politikwissenschaftler. Nach Stationen in der Automobilbranche unter anderem bei MCC Smart wurde er 2004 Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach und Leiter des An-Instituts Center of Automotive Management (CAM) einem unabhängigen, wissenschaftlichen Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung.

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Herr Bratzel, wie nachhaltig könnte die Corona-Pandemie die in internationalen Produktionsnetzwerken organisierte Autoindustrie bei der Herstellung beeinträchtigen?

Prof. Bratzel: Ja, die Corona-Pandemie beeinträchtigt die Automobilproduktion. Wie sehr ist allerdings schwer abzuschätzen. Die Hersteller sind immer noch dabei, ihre Lieferketten abzuklopfen und versuchen auf alternative Anbieter auszuweichen oder gegebenenfalls die Logistik vom Schiff aufs Flugzeug zu verschieben. Am ehesten zu Engpässen kommen dürfte es bei vielfach in China gefertigten Elektronikteilen.

Könnten die vorübergehenden Produktionsausfälle ein Ausmaß annehmen, dass sie übers Jahr nicht wieder auszugleichen wären?

Prof. Bratzel: Das hängt natürlich von der Dauer der Ausfälle ab. Aber wenn, wie zu beobachten, Monate mit 40 Prozent Minus passieren, ist das nicht mehr zur Gänze aufzuholen.

Neben der Produktion könnte auch die einbrechende Nachfrage vor allem in China die Hersteller in Bedrängnis bringen, oder?

Prof. Bratzel: Der Automarkt China ist für viele Hersteller jahrelang ein Absatztreiber gewesen. Je größer der Absatzanteil, den sie dort verkaufen, desto größer die Abhängigkeit. Wenn der Markt ins Minus dreht, schlägt das entsprechend auf den Umsatz durch. Die Premiummarken Audi, BMW und Daimler können Einbußen im Jahresverlauf vielleicht einfacher ausgleichen, weil ihre absoluten Stückzahlen kleiner sind.

So groß ist das China-Geschäft

Hersteller

Anteil des China-Absatzes am Gesamtabsatz

Audi

ca. 37 %

BMW

ca. 29 %

Daimler

ca. 26 %

Geely/Volvo

ca. 70 %

GM

> 40 %

Honda

> 30 %

Nissan

ca. 30 %

VW

rund 40 %

Könnte das bei beobachteten Einbrüchen um bis zu 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat für manche Hersteller existenzbedrohend werden?

Prof. Bratzel: Existenzbedrohlich wird es bei den Herstellern in der Tabelle nicht. Wenn das Geschäft im März oder April wieder anspringt, werden aber sicher unangenehme Einbußen übrigbleiben. Geld, das die Hersteller in Zeiten der Transformation gut gebrauchen könnten.

Wie kann man das Absatz- und Umsatzminus in China aufs Gesamtjahr hochrechnen?

Prof. Bratzel: Das Minus von 40 Prozent in zwei Monaten könnte einen Rückgang von 30 Prozent im ersten Quartal und ein Minus von mindestens zehn Prozent im Gesamtjahr in China bedeuten. Schon 2019 schrumpfte der Gesamtmarkt in China um etwa acht Prozent. 2020 wird es sicher deutlich mehr.

Der VW-Konzern verkaufte 2019 etwa 4,2 Millionen Autos in China. Ist Corona daher für VW besonders bedrohlich?

Prof. Bratzel: VW trifft es massiv. Der Konzern hat in China einen Marktanteil von 16 Prozent. Andererseits konnte Volkswagen gegen den schrumpfenden Markt wachsen – das weckt die Hoffnung, VW möge sich jetzt wieder besser entwickeln als der Markt

Tesla hat die Giga-Factory in Shanghai in Rekordzeit hochgezogen. Trifft Corona die Amerikaner jetzt genau zum falschen Zeitpunkt?

Prof. Bratzel: Natürlich wird das Kratzer hinterlassen. Aber wenn der Produktionsanlauf in der neuen Fabrik flach ist, müssen sie nicht besonders tief sein – dann hätte man nur wenig Stückzahl verloren. Aber der Anlauf selbst verzögert sich so eben auch und die Bänder kommen entsprechend später auf den geplanten Maximaloutput.

Und die chinesischen Startups? Die haben doch im Vergleich zu etablierten Herstellern viel weniger Produktionskapazitäten und entsprechend weniger Absatzdruck, oder?

Prof. Bratzel: Startups sind vor allem erheblich kleiner, können entsprechend schneller auf äußere Faktoren reagieren, sich flexibler drauf einstellen und könnten mit kleineren Auswirkungen davonkommen. Andererseits haben sie meist nur wenige (Kooperations)-Partner und Investoren, sprich mehr Abhängigkeiten. Sollte beispielsweise ein wichtiger Investor seinerseits wegen der Corona-Pandemie Schwierigkeiten geraten, könnte die Kapitaldecke schnell dünn werden. Aber das müsste man sich konkret an den einzelnen Unternehmen ansehen.