Tesla Gigafactory Grünheide
Miese Zustände hinter verschlossenen Toren

Das deutsche Tesla-Werk galt als strahlendes Vorzeige-Projekt für die Region Berlin/Brandenburg. Doch die Stimmung scheint zu kippen – in der Belegschaft, der Region und der Politik.

Miese Zustände hinter verschlossenen Toren

Am Haupteingang der Giga Factory im brandenburgischen Grünheide schillert unter dem großen Tesla-Schriftzug eine gewaltige Glasfassade. Glas, das eigentlich für Licht und Transparenz steht und vielleicht sogar einen Blick hinein in eine der modernsten Autofabriken der Welt ermöglicht. Doch durch dieses Glas hier kann man nicht viel erkennen. Die Werkshallen selbst verstecken sich hinter Sicherheitsschleusen und dicken Betonwänden.

Unsere Highlights

Nun unterscheidet sich das Tesla-Werk in dieser Hinsicht nicht wesentlich von anderen Autofabriken. Doch gerade hier erzeugt der Kontrast zwischen transparenter Architektur und undurchdringlichem Beton eine fast zynische Symbolkraft. Auf der einen Seite steht der schillernde, kommunikationsstarke und zugewandte Firmenchef Elon Musk. Auf der anderen Seite mehren sich Berichte von miesen Arbeitsbedingungen, Angst vor digitaler Überwachung und strengen Verschwiegenheitsklauseln für Angestellte. Das sind längst nicht alle Themen, durch die Tesla und der Standort Grünheide in letzter Zeit an Glanz verlieren. Doch der Reihe nach:

Ambitionierte Ziele, hohes Tempo

Als Tesla-Chef Musk Ende 2019 völlig überraschend verkündete, seine einzige europäische Giga-Fabrik im Berliner Umland zu bauen, hätte die Euphorie hierzulande kaum größer sein können. Politiker klopften sich auf die Schultern, versprachen perspektivisch zehntausende Arbeitsplätze, machten Selfies mit dem Multi-Milliardär. In den folgenden Monaten wurde die Fabrik in unvergleichbarem Rekordtempo aufgebaut – mitten in der Corona-Krise.

Etwas hinter dem Zeitplan aber immerhin schon im März 2022 konnte Elon Musk das Werk mit einem Volksfest und der feierlichen Übergabe des ersten hierzulande produzierten Model Y offiziell eröffnen. Eng an seiner Seite: Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und die Spitze der Berliner und Brandenburger Politik. Das Märchen schien wahr zu werden. Sogar einen Betriebsrat hatten die bis dato knapp 3.000 Angestellten schon gewählt. Kurz darauf stieg die Produktion auf 1.000 Tesla-Modelle pro Woche.

IG Metall sorgt sich um Arbeitsbedingungen

Anfang 2023 arbeiten etwa 8.500 Beschäftigte am Standort Grünheide. Allein 1.200 Personen konnten seit 2020 von einem Sonderteam aus vier Jobcentern und vier Arbeitsagenturen vermittelt werden, das sich längst auf dem Gelände eingerichtet hat. Seit einigen Wochen läuft die Produktion erstmals im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr. Angepeilt wird das nächste Ziel: 5.000 Autos die Woche. Das wird Ende des ersten Quartals 2023 erreicht. Doch nicht erst jetzt mehren sich Insider-Berichte über miese, gar chaotische Arbeitsbedingungen.

Die IG Metall ist nicht selten die erste Anlaufstelle für unzufriedene Angestellte. Auch sie hat ein Büro ganz in der Nähe des Werks. Normalerweise vertritt die größte Einzelgewerkschaft der Welt (2,3 Millionen Mitglieder) die meisten Arbeitnehmer in der Automotive-Branche. "Dass bei diesem Aufbautempo nicht alles glattlaufen kann, war uns von Anfang an klar," betont ein Gewerkschafts-Sprecher. "Doch die Begeisterung aus der Anfangsphase lässt sehr deutlich nach. In der Belegschaft macht sich mehr und mehr Enttäuschung breit."

Lange Schichten, wenig Ruhezeit

Man höre von chaotischer Schichtplanung mit sehr kurzfristigen Änderungen, langen Schichten bei viel zu kurzen Ruhezeiten sowie ganz und gar nicht familienfreundlicher Rücksichtnahme. Manche Arbeitsverträge wurden sogar kurz vor der Unterschrift geändert oder danach neu aufgesetzt. "Viele Arbeiter haben den Eindruck, die ambitionierten Ziele werden mit großem Druck an sie weitergereicht," erzählt der IG-Metaller.

Das Ziel – damit sind mindestens 500.000 Elektroautos im Jahr 2025 gemeint, für die allerdings etwa 12.000 Beschäftigte nötig wären. Doch bis jetzt sollen noch nicht einmal grundsätzliche technische Standards eingehalten worden sein. Von schlechter Luft sei die Rede, zu kalten Hallen im Winter und Hitze im Sommer. Im September 2022 musste die Werksfeuerwehr Hilfe von Kollegen aus der Umgebung rufen, weil ein Brand nicht gelöscht werden konnte. Nur einige der vielen Zwischenfälle würden überhaupt nach draußen sickern.

Gehälter nicht auf Branchenniveau

Tesla hatte zu keiner Zeit versprochen, sich bei den Arbeitsverträgen an einem Flächentarifvertrag oder den der IG Metall zu orientieren. Damit ignorieren die Amerikaner wie zuvor schon der amerikanische Online-Händler Amazon ganz bewusst die deutsche Angestellten-Kultur großer Unternehmen. Unter den deutschen Autobauern steht Tesla mit dieser Vorgehensweise allein da.

Auch wenn sich die Gehälter laut IG Metall inzwischen dem der Tarifverträge angenähert haben und im vergangenen Jahr sogar um sechs Prozent erhöht wurden, so fehlt es doch an Zulagen. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Gewinnbeteiligungen oder gar Gehaltsentwicklungen werden in Tesla-Verträgen nicht berücksichtigt. Unterm Strich verdienen die Angestellten so im Schnitt etwa 20 Prozent weniger als etwa die Kollegen im 250 Kilometer entfernten VW Werk Wolfsburg.

Die Bezirksleiterin der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, Irene Schulz, stellte auf der Jahrespressekonferenz klar: "Tesla unternimmt nicht genug, um Arbeitsbedingungen zu verbessern und lässt zu wenig Raum für Freizeit, Familie und Erholung." Sie zeigte auf, dass die Geheimhaltungsklauseln in den Tesla-Arbeitsverträgen und die Suche nach einem internen Ermittler für das Werk bei den Beschäftigten viele Fragen auslösen.

Tesla sucht Geheimdienst-Ermittler

Schulz bezieht sich dabei auf eine Jobausschreibung, die Tesla offen auf der eigenen Homepage präsentiert. Gesucht wird ein deutschsprachiger "Security Intelligence Investigator mit mehrjähriger Erfahrung als Ermittler bei internationalen/nationalen Strafverfolgungsbehörden oder Nachrichtendiensten und/oder eine gleichwertige Zeit im Bereich Unternehmenssicherheit."

Laut der Ausschreibung geht es dabei auch um technisch-forensische Fähigkeiten, die innerhalb und außerhalb des Werksgeländes zum Schutz der Unternehmens-Interessen angewendet werden sollen. Angestellte und Medien sorgen sich offenbar zurecht, dass Tesla damit Informanten unter den eigenen Mitarbeitern aufspüren will.

Zur Erinnerung: Schon Anfang 2020 hatte Elon Musk sämtliche Abteilungen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aufgelöst und sein eher fragwürdiges Verhältnis zur Pressefreiheit offenbart. Unternehmensanfragen zum Thema Tesla und besonders den Standort Grünheide bleiben seither unbeantwortet. Jüngst bekam der Autobauer den Negativpreis "Verschlossene Auster" der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche verliehen.

Beschäftigte verlassen das Unternehmen

Über den Stand der Dinge und den Ausbau des Werks erfahren Tesla-Fans, Angestellte und auch die Presse vorrangig über die Twitter-Kanäle von Elon Musk. So wurde zum Beispiel ein halbes Jahr nach der Eröffnung ein Foto gepostet, auf dem Mitarbeiter neben einem Tesla Model Y mit einer aufgeklebten "2000" stehen. Das Produktionsziel von 2.000 Autos pro Woche wurde erreicht.

Wenngleich die nicht gerade ruhmreiche Geschichte von Elon Musk und dem Twitter-Kauf eine ganz andere ist, so trübt sie mittlerweile das Bild des Unternehmens Tesla. Wenn es auch keine offiziellen Zahlen gibt – es scheint, als würden Musk weltweit die Angestellten weglaufen. Ende 2022 waren irrwitzige 7.500 Stellen bei Tesla ausgeschrieben – doppelt so viele wie noch im Sommer. Für Deutschland weist die Tesla-Karriereseite derzeit mehr als 800 freie Jobs aus. Der größte Teil davon wird in der Gigafactory Grünheide gebraucht.

Wirtschaftsminister mahnt an

Auf die starke Personal-Fluktuation und die Missstände beim Brandenburger Vorzeigeprojekt werden auch immer mehr Politiker aufmerksam. Landes-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) stellte im Handelsblatt klar, dass angesichts des Fachkräftemangels nur die Unternehmen langfristig im Wettbewerb um Personal gewinnen, die auch attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Steinbach selbst war maßgeblich an der größten Industrie-Ansiedlung in der Geschichte Brandenburgs beteiligt.

Seine Genossin, die Chefin des SPD-Arbeitnehmerflügels, Cansel Kiziltepe, wurde da schon deutlicher. Tesla sei der einzige Automobilhersteller in Deutschland, ohne einen Tarifvertrag. "Wozu das führt, sehen wir jetzt: Überbelastung, Unsicherheit und Bespitzelung durch die Chefetage." Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, verlangte Aufklärung: "Elon Musk sollte die vorgebrachten Missstände transparent aufarbeiten und wo nötig abstellen."

Im gleichen Medium nimmt der Bundesvize des CDU-Arbeitnehmerflügels, Christian Bäumler, die Behörden in Deutschland in die Verantwortung. "Die Landesregierung in Brandenburg ist gefordert, ohne falsche Rücksichtnahme den Arbeitsschutz durch engmaschige Kontrollen bei Tesla durchsetzen", sagte Bäumler. "Die Geheimhaltungsvorschriften bei diesem Automobilproduzenten erinnern an eine Sekte".

Tesla erhält Kontrolle über Grundwasser

Gleichzeitig zum politischen Stimmungsumbruch werden Tesla in der Region immer mehr Sonderrechte eingeräumt. So dürfen die Amerikaner nun auf eigene Faust Grundwasservorkommen in der Region suchen, um die Wasserversorgung des Werks für die nächsten Ausbaustufen zu sichern. Mit den derzeit benötigten 1,6 Millionen Kubikmetern pro Jahr ist der zuständige Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) bereits ausgelastet. Demnächst wird aber die doppelte Menge Wasser benötigt. Schon jetzt rodet Tesla rund 70 Hektar benachbarten Wald, um Platz für neue Produktionshallen zu schaffen.

Für das zusätzliche Wasser könnte Tesla dann selbst verantwortlich sein und der Region buchstäblich das Wasser abgraben. Auch die Qualität des Grundwassers unter dem Werk darf Tesla zukünftig selbst überwachen. Der eigentlich zuständige Wasserverband wurde nämlich durch das Brandenburger Landesamt für Umwelt vom sogenannten Grundwassermonitoring ausgeschlossen – auf ausdrücklichen Tesla-Wunsch. Nun kann das Werk also selbst kontrollieren, ob Grundwasser vom eigenen Fabrikbetrieb verunreinigt wird.

"Dass die Behörden klammheimlich jegliche Kontrolle an Tesla abgegeben haben, ohne uns oder die Öffentlichkeit zu informieren, ist ein handfester Skandal", sagte André Bähler, Chef des Wasserversorgers WSE dem "Stern".

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Tesla

Ausgerechnet beim Thema Grundwasser hatte es Tesla in der Vergangenheit schon häufiger nicht so genau genommen. Bei besagten Löscharbeiten sickerte beispielsweise eine große Menge an Löschwasser ungehindert ins Erdreich. Gelöscht wurden angeblich nur leere Kartons. Und im April 2022 liefen bei einem Zwischenfall in der Lackiererei 15.000 Liter Chemikalien aus einem Tauchbecken aus. Alles wurde nach Werksangaben fein säuberlich aufgefangen.

Die Gigafactory steht mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet. Von hier aus werden Teile der Metropolregion Berlin/Brandenburg mit frischem Trinkwasser versorgt.

Dass Gefahrstoffe ungeschützt auf dem Werksgelände gelagert werden, damit beschäftigt sich seit Dezember nun auch die Staatsanwaltschaft Potsdam. Sie ermittelt gegen den Elektroautobauer wegen des Verdachts des unerlaubten Betreibens von Anlagen. Das Ermittlungsverfahren folgt auf eine Strafanzeige des Landesumweltamtes und stehe im Zusammenhang mit dem Betrieb eines temporären Gefahrstofflagers auf dem Gelände.

Weitere Angaben von Seiten der Justiz könnten auf Nachfrage wegen des laufenden Verfahrens nicht gemacht werden. Und auch Tesla selbst hat sich noch nicht zu diesem oder anderen durchgesickerten Missständen geäußert. Weder auf dem Twitter-Kanal von Elon Musk, noch bei der Belegschaft hinter der großen, transparenten Glasfassade am Haupteingang der Tesla Giga Factory Grünheide.

Umfrage
Wächst Tesla zum größten Autohersteller der Welt?
19779 Mal abgestimmt
Ja, deren Lauf ist noch lange nicht vorbei.Nein, irgendwann schwächt sich auch deren Wachstum ab.

Fazit

Politiker und IG Metall sorgen sich um die Arbeitsbedingungen im Tesla-Werk Grünheide. Tesla selbst kann nicht genug Arbeiter finden und binden. Umweltverbände kritisieren beschlossene Grundwasserhoheit des US-Autobauers in der Region.