Lamborghini Aventador S (2017) im Test
Supersportwagen mit V12-Sauger auf der Rennstrecke

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Es gibt dynamischere Supersportwagen, wildere und sogar schnellere, aber es gibt keinen zweiten, der so überwältigend ist wie er. Ein himmlischer Höllenritt im neuen Lamborghini Aventador S-Modell.

Wie werden eigentlich neue Modelle erdacht? Nun, womöglich sitzt man zusammen in klimatisierten Konferenzräumen. Auf dem Tisch stehen Arrangements aus Saft und Selters, Thermoskannen werden rumgereicht, vielleicht gibt’s Knabberzeug. Dann wird fleißig losevaluiert, plattformiert und analysiert. Der Baureihenleiter fordert mehr Platz im Fond, die Stylisten präsentieren ihr frisch kreiertes Kanarienvogelgrau, die Aerodynamiker zoffen sich mit den Kollegen aus der Aggregate-Entwicklung um die Haubenschlitze.

Und irgendwann, wenn sich alle einig sind, kommt dann ein neuer Fünfer raus oder ein Dacia Dokker oder so. Bei Lamborghini dürfte die Wertschöpfung inzwischen ähnlich verkettet sein – spätestens seitdem sich die Audianer eingeklinkt haben. Okay, der Kaffee wird besser sein als in Ingolstadt, davon abgesehen jedoch sind auch dort die Tage vorbei, an denen man spätabends mit Ferruccio in der Trattoria hockte und mal schnell einen Urraco erfand. Oder zu ganz spä­ter Stunde einen LM002.

Lamborghini Aventador S: gelebte Tradition

Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass da neben den ganzen Hierarchie-Ebenen noch etwas ist, etwas anderes, irgendeine Art übergeordnete Unterweltinstanz, die am Ende noch mal ihren Servus unter die Projekte setzt. Siebtes Untergeschoss, Signore Diavolo, Durchwahl 666. Wer weiß.

Lamborgini Aventador S, Front
Rossen Gargolov
Das Grundkonzept des Aventador S geht zurück auf den Miura aus den 60ern. Zwei Sitze und ein V12-Saugmotor direkt dahinter, seitdem hat sich nichts geändert.

Anders ist es jedenfalls kaum zu erklären, dass dieses italienische Nest alle naselang solche Höllengeräte ausspuckt – solche wie dieses hier. Darf ich vorstellen: Aventador der Anderthalbte. Gerade hüfthoch, optisch irgendwo zwischen Science-Fiction-Insekt, Eiskratzer und Tarnkappenbomber, die jüngste Ausgeburt einer kaltblütigen Dynastie, die zurückreicht bis zum Miura – jenem Beauty-Biest der 60er.

An der Konzeption hat sich seither nichts geändert: zwei Sitze und ein V12-Saugmotor, der direkt dahinter sitzt. Gelebte Tradition sozusagen. Und dazu passt es auch, dass sich der Aventador von seinem kryptischen Nachnamen verabschiedete. Statt LP 740-4 heißt er nun ganz einfach S – S für... ja, für was eigentlich? Für „Sport“ etwa? Aus dem Stegreif scheint das niemand zu wissen, sodass am Ende immer ein Kollege in Italien angerufen wird. Das Dumme: Der mysteriöse Herr hat nie Empfang. Diavolo, Kellerbüro und so – ich meine ja nur.

Bei 350 km/h ist Schluss im S-Modell

Wo waren wir? Ach ja, Tradition. Mit 350 PS hatte die Mittelmotor-Saga vor gut 50 Jahren angefangen, ihre neueste Episode steht dank Optimierungen der Ventilsteuerung und der Ansaugung sowie einer auf 8.500/min erhöhten Maxdrehzahl nun bei deren 740 – also 40 oberhalb des bisherigen Aventador und nur zehn entfernt vom Superveloce. Drehmoment? Verbleibt bei 690 Nm, reicht nun aber hochprozentiger in höhere Drehzahlbereiche hinein und wütet mit den gut 1.800 Kilo derart derbe vorwärts, dass man bei 350 km/h den Hahn zudreht. Elektronisch, aus Gründen der Vernunft.

Na, kribbelt’s schon? Noch ein verstohlener Blick in die glutunterlaufenen Augen, dann schert die Tür auf. Drinnen haben sie die Audi-Bedienstruktur der verblichenen A4-Generation in Hexagone gepresst, die einteiligen CFK-Sitzwannen sind großzügig geschnitten, aber spärlich gepolstert – oder auf gut Deutsch: bockelhart. Kurz sammeln, jetzt hoch mit der roten Schutzklappe, von der wir nach wie vor nicht ganz sicher wissen, ob wir sie nun cool oder affig finden sollen. Egal jetzt. Starttaste gedrückt halten, und bämm, das Tier erwacht.

Das Startgebrüll lässt das Blut in den Adern gefrieren, nach ein paar gemeinsamen Metern jedoch taut es auf. Altbautiefgaragen sind der blanke Horror, die Rundumsicht ist diffizil, das Fahren als solches jedoch bedarf keinerlei extraterrestrischer Fähigkeiten. Vorausgesetzt, es kommt dazu. Denn egal wo du auftauchst mit dem Teil, vorm Discounter, auf einem abgeschiedenen Waldparkplatz, die Handy-Paparazzi schwirren um den evrosgelben Lack wie Motten ums Licht. Kontaktfreude hilft, die Menschenaufläufe zu ertragen, irgendwann, wenn man den dritten Grundschulwandertag durch den Innenraum geschleust hat, ergreift man aber unweigerlich die Flucht.

Lamborgini Aventador S, Motor
Rossen Gargolov
740 PS spuckt das mächtige 6,5-Liter-Aggregat mit 12 Zylindern aus. Schluss ist erst bei 350 km/h, aber nur weil er elektronisch abgeriegelt wird. Aus Vernunftsgründen natürlich.

Zumal das urbane Umfeld die Sache des Lamborghini Aventador S weiterhin nicht ist. Dafür reagiert sein Sauger zu biestig, kickt, wenn man Gas anlegt, bockt und ruckelt, wenn man es ihm nimmt, dazu die Schaltpausen, die im Strada-Programm wie Staustufen im Kraftfluss klemmen. Eh nicht seine Welt, sagen Sie? Stimmt schon, nur dass die meisten seiner Art in der Realität doch eher ihr Selbst darstellen müssen als ihre innere Wertigkeit. Deshalb hier noch mal der dringende Appell an alle Disco-Mogule, Youtube-Sternchen und Stürmer von Real Madrid: Zirkushaltung ist nicht artgerecht!

Jetzt aber. Ein Klick ins Sportprogramm, und der Lamborghini kommt zu sich, aus sich heraus, über dich her. Statt mit den Drehzahlbändern Schleifchen zu binden, klatscht es das automatisierte Schaltgetriebe nun zackig durch, die Lenkung gewinnt an Festigkeit, der Klang an Dramatik – vor allem bei plötzlichen Lastwechseln, wenn die Gassäule jäh in sich zusammenbricht und ihre Trümmer derart durch die Abgasanlage poltern, dass man Erschütterungen im Fußraum spürt.

Angepasst, aber rebellisch

Überhaupt, dieser Motor – ein wild gewachsenes Urviech im Zeitalter der Retortenbabys. Tyrannosaurisch in Anatomie und Charakter, frei von Aufputschmitteln aller Art, dank Zylinderabschaltung und Start-Stopp dem Zeitgeist angepasst, dennoch ein klares Statement dagegen. Die Zündfolge trägt er als Brosche am Kinn, um ihn herum schimmert das CFK der Karosseriestruktur, seine wahre Schönheit jedoch kommt von innen.

Zack, zack, zwei Gänge runter, Gasfuß durchstrecken, schon beginnt das Monstrum, nach und nach über alles herzufallen, was vor ihm liegt. Erstes Opfer: das Auto selbst. Einen ganz kurzen Moment scheint die Massenträgheit zu greifen, dann bricht der Widerstand, und man wird von der Vortriebsdetonation mitsamt der davorliegenden Geraden verschlungen. Drei Dinge blieben besonders im Gedächtnis dabei.

Erstens der filigranmechanische Beigeschmack seiner Brutalität, zweitens die markerschütternden Schläge, wenn das Getriebe den nächsten Gang reinbombt, und drittens die Unfähigkeit des menschlichen Körpers, sich auf das Szenario einzustellen. Normalerweise gewöhnt man sich ja an alles, kann sich gefasst machen auf Vehemenz, das hier aber ist wie in der Geisterbahn: Du weißt, dass du dich gleich erschrecken wirst, und erschrickst trotzdem.

Doch Davonlaufen is’ nicht, schließlich braucht der Thrust-Modus ein paar Anläufe, um sich einzuschießen. Also noch mal abfeuern, und noch mal fürchten, und noch mal, und noch mal, bis wir einsehen müssen, dass die Drei-Sekunden-Marke wegen der stickigen Luft heute nicht fallen wird. Wir befinden uns mittlerweile im Corsa-Programm, das den Wahnsinn auf die Spitze treibt und dazu – wie nett – erst mal das ESP reduziert. Am Mut hänge der Erfolg, hat Fontane gesagt. Der hat Nerven, aber hilft ja nix.

Immerhin: Die Keramik bremst 33-Komma-Werte in Serie, und auch im Slalom flutscht’s, was angesichts der Gegebenheiten schon überrascht. Die Hütchen stehen 18 Meter auseinander, das, was durchsoll, umfasst 9,7 Quadratmeter, trotzdem gelingt der Twist mit 71,3 km/h im Schnitt – schneller als mit jedem V12-Lambo zuvor. Grund? Die Hinterachslenkung – die einzige Neuerung von fahrdynamischer Relevanz.

Wechselbad aus Macht und Opferrolle

Im Alltag bleiben deren Vorteile zwar eher theoretisch, weil die Tatsache, dass sich zwei Meter Breite nun nicht mehr zwei Meter breit anfühlen, eben nichts daran ändert, dass sie es noch sind. Auf der Strecke jedoch fruchtet das eingesetzte Hüftgelenk: Eine glatte Einsnullneun wetzt er in den Kleinen Kurs, womit er trotz zivilerer Reifen und geringeren Aero-Grips genau auf dem Level des LP 750-4 Superveloce landet – oder, je nach Blickwinkel, klar hinter einem 911 Turbo.

Lamborgini Aventador S, Heck
Rossen Gargolov
Der Lambo sieht nicht nur breit aus. Mit 2,03 Metern fällt das Einparken nicht immer leicht, aber der italienische Sportler gehört ohnehin auf die Rennstrecke.

Egal wie, das Ergebnis steht am Ende eh im Schatten seiner Entstehungsgeschichte. Denn kein anderes Auto vermittelt ein ähnliches Fahrgefühl. Das Besondere: dieses Wechselbad aus Macht und Opferrolle, das im Optimalfall mit Überlebensfreude endet. Geradeaus terrorisiert er dich mit Schub, dem infernalischen Motordonnern und absurdem Speed, aber in Kurven liefert er sich artig aus. Pushrod-Fahrwerk und Magnetdämpfer halten den Fladen schön auf Zug, Stabilität und Einlenkverhalten profitieren vom Mit – und Gegendrehen der Hinterräder, das viele Gewicht jedoch drangsaliert ihn nach wie vor.

Umgangsform daher: zärtlich hineinfädeln, um ihn dann möglichst frühzeitig und möglichst radikal herauszupeitschen. Angst vor Querstehern? Absolut, aber unbegründet, da der Allrad Vortrieb und Traktion auch ohne ESC einwandfrei austariert bekommt, selbst wenn man volle Lotte über die Curbs räubert dabei. Und die Storys von Lambos, die sich gegen ihre Herren wandten? Legenden von anno dazumal!

Dann endet das Spektakel, und es wird zusammengeräumt. Wir stehen noch bei den Wärtern des Aventador, erfahren, dass es die SV-Version aus thermischen Gründen nicht ganz auf die 800 PS eines Ferrari 812 Superfast bringen wird, als bei einem der Jungs plötzlich das Handy bimmelt. „Pronto!“ Der mysteriöse Kollege ist dran, erzählt, dass das S hinter dem Aventador für „Super“ stehe wie damals bei Miura, Countach und Co., dann muss er auflegen – wer weiß, vielleicht steht ja Cheffe Domenicali mit einem Modellvorschlag in der Tür.

Fazit

Für einen Track Racer ist er zu korpulent, für den Alltag zu exaltiert und für die Landstraßen schlicht zu ausschweifend im Körperbau. Dennoch war und ist der Aventador genau wie er sein muss. Die Hinterachslenkung und den Ego-Modus – eine zusätzliche Set-up-Option, mit der sich Antrieb, Lenkung und Fahrwerk unabhängig voneinander modulieren lassen – darf man als kleines Entgegenkommen werten, der diabolische V12-Saugmotor stellt jedoch sicher, dass das Feeling außerirdisch bleibt. Scusi, aber so was bringt nach wie vor nur Lamborghini fertig, da kann der Donald noch so bedröppelt heruntergucken von seinem Werbeplakat.

Technische Daten
Lamborghini Aventador S S
Grundpreis335.050 €
Außenmaße4797 x 2030 x 1136 mm
Hubraum / Motor6498 cm³ / 12-Zylinder
Leistung544 kW / 740 PS bei 8400 U/min
Höchstgeschwindigkeit350 km/h
0-100 km/h3,0 s
Verbrauch16,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten