Fahrbericht Lotus Evora GT430 & GT430 Sport (2017)
So fährt der leistungsstärkste Lotus

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Lotus steigert die Leistung des Evora auf 436 PS und nennt ihn GT430. Der Sportwagen beschleunigt so schnell wie eine Corvette Z06 oder ein Mercedes-AMG GT S. Das Prunkstück ist aber die Aerodynamik, die den Evora um Kurven fliegen lässt.

Lotus Evora GT430 - Sportwagen - V6-Kompressor
Foto: Jarowan Power / Lotus

Einen wirklich vollständig neuentwickelten Lotus werden wir frühestens in drei Jahren sehen. Bis es soweit ist, bringt der englische Sportwagenbauer von seinen Baureihen Elise, Exige und Evora von Zeit zu Zeit neue Derivate und zündet neue Leistungsstufen. Diesmal ist der größte und am komfortabelsten gestrickte Lotus dran. Den GT430 baut Lotus in zwei Karosserievarianten. Einmal mit Flügel und einmal ohne. Im letzten Fall trägt er den Zusatz „Sport“. Wir sind beide Modelle gefahren. Den beflügelten Mittelmotorsportwagen auf der Rennstrecke, sein unauffälliger gestaltetes Pendant auf Landstraßen und durch englische Ortschaften. Das haben wir während unseres Besuchs und auf der Fahrt gelernt.

Unsere Highlights

1. GT430 kostet so viel wie Porsche 911 GT3

Der Bau eines Lotus dauert drei Wochen, sobald das Chassis in der Fabrik ist. Egal, ob es sich um eine Elise, Exige oder einen Evora dreht. Fast alles bauen die Mechaniker per Hand zusammen. Bis auf die Seitenschweller, die Türen und das Dach. Da müssen die Maschinen ran. Weil schon ein Millimeter Abweichung reicht, damit zum Beispiel die Tür nicht richtig schließt. Von beiden Modellen legt Lotus je 60 Exemplare auf. Der GT430 Sport kostet in Deutschland 139.000 Euro. Das aerodynamisch ausgefeiltere Pendant veranschlagt Lotus bei 151.000 Euro. Zum Vergleich: Der Lotus Evora Sport 410 liegt bei 108.500 Euro. Ein Porsche 911 GT3 bei 152.416 Euro. Bei diesem hohen Preis reicht es allein nicht, einfach an der Leistungsschraube zu drehen.

2. Mehr Abtrieb als der Rennwagen Lotus 72

Die Exige Cup 380 ist wie eine Blaupause für den neuen Evora GT430. Beide tragen eine große Karbon-Spoilerlippe, entlüften über Kiemen auf der Oberseite die vorderen Radhäuser, tragen den Scheibenwischer aus Strömungsgründen in der Ausgangsstellung mittig und haben auf dem Heck einen großen Flügel.

Sowohl für den GT430 als auch den GT430 Sport gilt: Für die bessere Durch- und Umströmung wuchsen die Ausbuchtungen in der Frontschürze. Sie fassen außerdem Karbon-Inlets für die Luftführung. Das Nummernschild wurde für die Aerodynamik und die bessere Anströmung der Kühler höher gesetzt. Der Diffusor ist größer. „Eigentlich wollten wir erst einen Cup-Sportwagen aus dem Evora machen“, verrät Lotus-Geschäftsführer Jean-Marc Gales. „Aber wir haben bei der Aerodynamikentwicklung solch beeindruckende Ergebnisse erzielt, dass wir zusammen mit der Leistungssteigerung lieber einen GT gebaut haben.“ GT auch, weil der GT430 vom Rennwagen Evora GT4 aus britischen Meisterschaften abstammt.

Die Ingenieure konzipierten die Aerodynamik über CFD-Simulationen. Im Windkanal wurde optimiert. In zwei Sitzungen über jeweils zwei Tage. Man spürt den Anpressdruck des Evora GT430 vor allem auf der Rennstrecke. Schnelle Wechselkurven meistert der Mittelmotorsportwagen, ohne mit der Karosserie aufzuschaukeln. Du scheuchst ihn auf dem Lotus-Testgelände in Hethel präzise mit 120 km/h von Scheitelpunkt zu Scheitelpunkt, hältst ihn schön auf Zug und trittst am Ausgang des Geschlängels früh auf das Gaspedal. Schon hat er über 140 Sachen drauf. Und 64 Kilogramm pressen ihn unsichtbar auf die Straße. So viel, wie der Evora Sport 410 erst bei 241 km/h generiert.

Bei der Höchstgeschwindigkeit von 305 km/h pressen 250 Kilogramm den GT430 auf den Asphalt. Das ist laut Gales mehr Abtrieb als der Formel 1-Rennwagen Lotus 72 von 1970 aufbrachte. „250 Kilogramm sind im Verhältnis das Optimum. Mit 300 Kilogramm hätten wir die Bremsen zum Beispiel größer dimensionieren müssen. Das schlägt wieder auf das Gewicht.“

Jetzt muss man dazu sagen, dass es auf der Welt wohl keine Rennstrecke gibt, die so eine schnelle Kurve für den Evora bereithält, in der er den maximalen Anpressdruck wirklich ausspielen könnte. Das Abtriebsverhältnis zwischen Front und Heck beziffert Lotus auf rund 100 zu 150 Kilogramm. „Drei Viertel im Heck gehen auf den Flügel“, sagt Gales. „Der Flügel wiederum wirkt sich auf die Vorderachse aus. Ohne die Radhausentlüftung hätten wir dort zu wenig Grip und das Auto würde untersteuern. Anders herum würde das Auto ohne Heckflügel zu viel Anpressdruck vorne haben und hinten nur rutschen.“ Die bessere Durchströmung der vorderen Kotflügel bringt 40 Kilogramm Anpressdruck.

Der Evora GT430 Sport verzichtet auf die Karbon-Lippe, die Radhausentlüftung und den Flügel. Das kostet Abtrieb (er generiert maximal 100 Kilogramm), erhöht dafür das Maximaltempo auf 315 km/h und senkt das Gewicht gegenüber dem GT430. Bis zu zehn Kilogramm, wenn man auf die breiteren Reifen verzichtet, die für 2.800 Euro in der Preisliste stehen. „Manche Kunden wollen das Potential im Auto haben. Ihnen reicht aber das Wissen, was Motor und Chassis leisten können. Äußerlich halten sie es lieber dezent“, erklärt Gales den Gedanken hinter den zwei Karosserieformen. Im Prinzip verhält es sich mit GT430 und GT430 Sport wie mit Porsche 911 GT3 und Porsche 911 GT3 Touring-Paket – dem inoffiziellen Nachfolger des Porsche 911 R.

3. 26 bzw. 36 Kilogramm weniger als im Evora Sport 410

Ohnehin drückt Lotus das Leergewicht beider Sportwagen. Der GT430 wiegt leer 1.299 Kilogramm, die Sportversion wie gesagt zehn Kilogramm weniger. Gegenüber dem Evora Sport 410 bedeutet das eine Ersparnis von 26 bzw. 36 Kilogramm.

Die Front- und Heckschürze baut Lotus aus Karbon statt GFK (- 4,7 kg). „Der vordere Stoßfänger ist nur noch drei bis dreieinhalb Kilo schwer“, verrät Gales und ist sichtbar stolz auf die Leistung seines Teams. Eine leichtere Feder-/Dämpfereinheit bringt zehn Kilogramm. Neue Bremsen zwei weitere Kilos. Der serienmäßige Titanauspuff spart zehn Kilogramm. Dazu trimmt Lotus den flachen Unterboden und den Innenraum für weniger Gewicht. Der Sound des V6-Kompressors reicht nicht an die Emotionen des Sechszylinder-Boxers im 911 GT3 heran. In unteren Drehzahlen brabbelt der V6 etwas vor sich hin, ehe ab 2 600/min die vollen 440 Nm anliegen und der Evora ab 4 500/min die Klappen für mehr Gebrüll aufreißt.

4. Bremsen, Radsturz, Traktionskontrolle

Der GT430 fliegt mit rund 220 km/h auf eine Schikane zu. Runter vom Gas, rauf auf das Bremspedal. Das Heck ist auf die Straße getackert. Dritter Gang, zweiter Gang, rechts, links, rechts und schon stürmt man über ein kurzes Geradeausstück auf die nächste Kurve zu. Die Bremsen verzögern auf den fünf, sechs schnellen Runden auf der gut 3,5 Kilometer langen Rennstrecke mit ihren 15 Kurven dauerhaft konstant. Das Pedalgefühl ist gut. Ein echter Test wäre aber vielmehr die Nordschleife mit ihren Auf und Abs. Die Teststrecke in Hethel ist bolzengerade und hat kaum Bodenwellen.

An der Vorderachse verbeißen sich Vierkolben-Sättel in 370er Scheiben. Hinten sind sie 350 Millimeter breit. Die Bremsscheiben sind nicht gelocht, sondern mit vielen kleinen J-förmigen Einkerbungen versehen. „Die Beläge bleiben dadurch sauberer. Schmutz setzt sich schwerer ab. Außerdem sind die Bremsen leistungsfähiger“, heißt es von Lotus.

In den Radhäusern drehen sich zehn Millimeter breitere Reifen. Vom Typ Michelin Pilot Sport Cup 2. An der Vorderachse kippt sie Lotus um 2,2 Grad. An der Hinterachse um 1,1 Grad nach innen. Das erhöht die Seitenführungskräfte. Mechanischer Grip ist wie aerodynamischer Anpressdruck im Überfluss vorhanden. Das Heck keilt eigentlich nur aus, wenn man es über einen Lastwechsel oder bewusst übertriebenen Gaseinsatz herausfordert. Selbst, wenn man per Knopfdruck der Hinterachse mehr Schlupf zugesteht. Das geht so: Race-Modus für drei Sekunden drücken. Die Schrift färbt sich rot. Wieder drei Sekunden drücken. Und dann kann man über die Schalter TC+ und TC- die Traktionskontrolle einstellen. Die jeweilige Einstellung spielt einem der Evora unten rechts im Instrumententräger ein. Der GT430 & Sport kennt sechs Settings: 1, 3, 6, 9, 12 Prozent – und eine komplett abgeschaltete Traktionskontrolle. Das kennen wir schon von der Exige Cup 380.

Der bis dahin leistungsstärkste Lotus der Geschichte soll nicht über ausgefallene Driftwinkel begeistern, sondern über seinen Drang, der Ideallinie zu folgen. „Es verhält sich wie mit einem Rennauto. Maximaler Anpressdruck. Maximaler mechanischer Grip. Alles für die maximale Attacke“, sagt ein Lotus-Testfahrer. Gales ergänzt: „Das Auto ist schneller geworden, bleibt trotzdem beherrschbar. Um die verschiedenen Einstellungen der Traktionskontrolle zu spüren, muss die Strecke eigentlich nass sein.“

5. Neue Federn- und Dämpfer

Statt Bilstein-Dämpfern (Evora Sport 410) rüstet Lotus den GT430 (&Sport) mit Dämpfern von Öhlins aus. Sie kombiniert man mit Eibach-Federn. Das Paket wiegt zehn Kilogramm weniger. Die Aufhängung ist für die Hethel-Rennstrecke über die einstellbaren Dämpfer (je 20 Klicks für Zug- und Druckstufe) auf hart getrimmt. Bei der Anfahrt geht es über ein paar Hubel und durch ein paar Schlaglöcher. Es bockelt. Das Chassis fühlt sich so hart an wie die Schale einer Kokosnuss. Schläge dringen durch die dünn gepolsterten Karbon-Rennsitze, die jeweils sechs Kilogramm leicht sind. Für den glatten Belag und die flachen Kerbs passt das Setup. „Für die Nordschleife müssten wir das Fahrwerk deutlich weicher trimmen.“

Lotus Evora GT430 - Sportwagen - V6-Kompressor
Jarowan Power / Lotus
Änderungen am Fahrwerk senken den Schwerpunkt um 5 Millimeter.

Die Änderungen am Fahrwerk senken den Schwerpunkt um fünf Millimeter. Die Spur ist vorn um 2,5 Zentimeter und hinten um einen halben Zentimeter breiter. Für die Fahrt auf den Landstraßen und durch die englischen Ortschaften trimmt Lotus den GT430 Sport weicher. Übrigens unterscheidet sich der flügellose Sportwagen in der Mechanik nicht von seinem Bruder. Mit weicher getrimmtem Fahrwerk lässt sich trotz größeren Federraten (vorn um 47, hinten um 20 Prozent erhöht) kaum einen Unterschied zum Evora Sport 410 ausmachen. Zumal im Sportwagen noch die optionalen Sparco-Sitze mit Karbonrücken (je 16 Kilogramm) und deutlich mehr Polsterfläche verbaut sind. Man merkt Bodenwellen und Schläge zwar, wird von ihnen aber nicht durchgeschüttelt. Sprich: Du kannst im Evora auch für eine gewisse Zeit cruisen und verzweifelst auch nicht, wenn mal ein Lkw vor dir bummelt.

6. Beschleunigung, Lenkung, Schaltung

Die 436 PS entspringen dem bekannten V6-Kompressor mit 3,5 Liter Hubraum. Lotus änderte die Zündung, passte die zeitliche Steuerung der beiden Nockenwellen an und hinterlegte neue Parameter für die Benzineinspritzung in der Motorsteuereinheit. Die Maximalleistung liegt bei 7.000 Umdrehungen pro Minute an. Vielleicht eine Sekunde bevor der V6 in den Begrenzer rasselt. Den nächsten Gang legt man gern über den Aluminium-Schaltstock ein. Das Teil flutscht mit Widerstand durch die kurzen Gassen.

Spaß bereitet auch die hydraulisch angesteuerte Lenkung. Der Lotus zieht dahin, wo es der Fahrer will. Übertreibt man es, tendieren die Autos eher zu sanftem Untersteuern. Man hat immer das Gefühl, dass das Auto direkt mit der Fahrbahnoberfläche kommuniziert. Und nicht, dass irgendein Steuergerät zwischengeschaltet ist. Das ESP zieht sich zwar im Race-Modus zurück, bleibt aber im Hintergrund aktiviert. Erst, wenn man ein weiteres Mal für drei Sekunden drückt, streift der Evora die elektronischen Leinen ab.

Den Imagespurt auf 100 km/h meistern beide Modelle handgeschaltet in 3,8 Sekunden. So schnell wie die Corvette Z06 und der Mercedes-AMG GT S und eine Zehntelsekunde schneller als der 911 GT3.

7. Marktstart

Die ersten Autos hat Lotus bereits verkauft. Beide Modelle gibt es zunächst nur mit Sechsgang-Handschalter. Ab Dezember 2017 folgt das Automatikgetriebe mit 450 Nm Drehmoment. „95 Prozent werden zum Handschalter greifen. Die Automatik wird es vor allem in Kombination mit dem GT430 Sport und den bequemeren Sparco-Sitzen geben“, rechnet Gales.

Fazit

12.000 Euro hin oder her: Für echte Sportfahrer kommt nur der GT430 in Frage. „Ich würde ihn vorziehen“, gibt selbst der Lotus-Boss offen zu. Ich finde, dass der Sportwagen selbst durch den Heckflügel nicht zu dick aufträgt. Jetzt kommt das Aber: Lotus schaut gern zu Porsche. Und scheut auch nicht den Vergleich. Aber für den Preis eines GT430 bekommt man eben einen 911 GT3. Und würde der Lotus den in einem Test ausstechen? Wohl weder auf öffentlichen Straßen noch auf der Rennstrecke. Ohnehin wäre eher der hoffentlich bald kommende Cayman GT4 der wahre Gegner. Trotzdem: Was Lotus leistet, verdient allergrößten Respekt. Zwar schreibt das Unternehmen immer noch rote Zahlen (Geschäftsjahr 2016/2017: Ergebnis vor Steuern mit einem Verlust von 11,2 Millionen Pfund), doch der EBITDA war mit zwei Millionen Pfund immerhin schon positiv. Und durch die Übernahme von Geely hat man einen neuen Geldgeber und potenten Besitzer. Hoffentlich hilft das der Marke und verwässert sie nicht.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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