A-Klasse Limousine holt den cW-Weltrekord
Mercedes bleibt Luftwiderstands-Weltmeister

Aerodynamik hilft Autos Energie zu sparen – unabhängig vom Antrieb. Jetzt hat der Mercedes-Windkanal einen neuen Weltmeister hervorgebracht – die Limousine der A-Klasse. Wir haben uns den Rekordhalter angesehen.

Na, wenn es die deutsche Fußballnationalmannschaft schon nicht hinbekommt, dann muss eben Mercedes die Sache mit dem Weltmeistertitel hinbiegen. Nur, dass dieses Spiel nicht auf dem Platz, sondern auf der Straße steigt: Die Rede ist von Aerodynamik. Wie der bisherige Rekordhalter, das CLA Coupé, bringt es auch die kommende A-Klasse Limousine auf einen cW-Wert von 0,22 und einen Luftwiderstand von 0,49 m² (errechnet sich auf der Stirnfläche von 2,19 m² und dem cW-Wert). Die Ingenieure nutzen dafür modernste Technik wie etwa CAE-Simulationen. Dabei lassen sich Luftströmungen rechnergestützt an einem digitalen 3D-Modell visualisieren. Das Geschehen auf dem Bildschirm wird dann per 3D-Brille verfolgt. „Ein großer Teil der Entwicklungsarbeit findet heute virtuell am Rechner statt. Es dauert eine Weile, bis man den ersten Prototypen im Windkanal hat“, erklärt Aerodynamik-Teamleiter Patrick Höfer.

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Mercedes A-Klasse Limousine Windkanal cW Weltrekord
Mercedes
Arbeiten mit 3D-Brille - "Computer Aided Engineering" nennt sich die rechnergestützte Arbeit mit den Simulationen.

Noch Ende diesen Jahres steht die A-Klasse Limousine beim Händler. „Von vorne bis zur B-Säule ändert sich nichts im Vergleich zum Fließheck-Modell“, fasst Typbetreuer Norbert Fecker zusammen. Am Heck zeichnet sich da natürlich ein anderes Bild, und zwar ein aerodynamisch günstigeres. Eine sanfte Spoilerlippe sorgt für ein höheres Druckniveau des Luftstroms auf dem Heckdeckel.

Mercedes A-Klasse Limousine Windkanal cW Weltrekord
Mercedes
Die Detailarbeit wird im Windkanal mit einer Rauchlanze gemacht, um das Strömungsverhalten an einzelnen Fahrzeugteilen zu überprüfen.

„Wir müssen verhindern, dass sich die Strömung von der Karosserie ablöst. Denn dadurch entstehen Verwirbelungen und die kosten Energie. Energie, die mit erhöhtem Kraftstoffverbrauch bezahlt wird“, weiß Höfer. Diesen Preis war das Team um Patrick Höfer offenbar nicht bereit zu bezahlen. Und so wurde die A-Klasse Limousine akribisch auf ihre Windschnittigkeit hin optimiert, auch wenn sich nicht alles umsetzen ließ. „An den Rückleuchten haben wir zwei kleine Wirbel, weil die Fahzeugform dort abgerundet ist, und keine Abrisskante eingefügt wurde. Allerdings hätte das auch so furchtbar ausgesehen, dass selbst wir Aerodynamiker es nicht befürworten konnten“, scherzt Norbert Fecker. Die Detailarbeit wird im Windkanal mit einer Rauchlanze gemacht, um das Strömungsverhalten an einzelnen Fahrzeugteilen zu überprüfen. Dabei arbeitet sich das Team an den Prototypen von vorne nach hinten durch, verpasst dem Wagen den aerodynamischen Feinschliff und fängt dann wieder vorne an. Schließlich haben schon kleinste Modifikationen einen Effekt auf das Gesamtkonstrukt.

Während die Entwicklungsarbeit der A-Klasse Limousine in Sindelfingen von Statten ging, läuft die Produktion der Kompakt-Limo in Rastatt und Aguascalientes, Mexiko. In puncto Motoren und Ausstattung wird für diese Karosserievariante der selbe Umfang wie für die Fließheck-Ausführung angeboten.

Der Aeroakustik-Windkanal

Der Weg führt durch einen breiten Gang des Mercedes-Entwicklungszentrums in Sindelfingen, der von Hebebühnen und getarnten Autos gesäumt ist. Die Schritte echoen bis unter die hohe Decke und verstummen urplötzlich beim Übertreten der Schwelle zu einer großen Halle, in deren Mitte die neue Mercedes A-Klasse steht. Diese gespenstische Stille ist so unheimlich, dass jeder Erst-Besucher dem Drang widerstehen muss, laut „Haaaaaaallo“ zu rufen. Schalldämmung überzieht vollflächig Decken und Wände, ein riesiges 26 Tonnen schweres Traversen-Gebilde spiegelt sich in dem glatten Boden und erinnert an den Raumschiff-Hangar aus James Camerons „Aliens“. Na hoffentlich will uns hier niemand fressen.

Mercedes Windkanal Sindelfingen Entwicklungszentrum
Patrick Lang
Keine Sci-Fi-Filmkulisse, sondern die Anlage, mit der bei Mercedes Windgeräusche gemessen werden.

„Damit können wir genau messen, an welcher Stelle der Karosserie welche Windgeräusche auftreten“, bringt Dr. Teddy Woll, Leiter der Abteilung Aerodynamik, Licht ins außerirdisch anmutende Dunkel. Über drei Parallelverschiebungs- und vier Rotationsachsen deckt die mit Mikrofonen und Sonden gespickte Anlage einen Messbereich von 19 x 14 x 5 Metern ab. Diesem Gerät ist es auch zu verdanken, dass die neue Mercedes A-Klasse im mittelfrequenten Bereich mit sechs bis acht Dezibel rund 30 Prozent leiser ist, als ihre Vorgänger-Generation. „Wie wir abteilungsübergreifend mit den Designern zusammenarbeiten, ist Teamplay vom Feinsten“, freut sich Woll. So wanderten etwa die Außenspiegel auf die Bordkante und wurden verkleinert. Das nämlich ist nicht nur eine gestalterische Frage, sondern führt dazu, dass das vom Spiegel im Fahrtwind erzeugte Unterdruckgebiet nicht mehr auf eine Fuge, sondern auf die glatte Fläche der Seitenscheibe trifft. Gemeinsam mit den neuen festeren Scheibendichtungen dringt so wesentlich weniger Geräusch in den Innenraum. Es ist die Summe aus vielen Kleinigkeiten, die hier zum Komfort-Gewinn zusammengebracht werden.

Sprit sparen durch Aerodynamik

Apropos Kleinigkeiten: Das lässt sich auch an den dreidimensional geformten Spoilern der Vorderräder verdeutlichen. „Allein dieses kleine Bauteil beinhaltet rund 20 variable Parameter, wobei etwaige Stüfchen und Käntchen noch nicht mitgerechnet sind“, erklärt Diplomingenieur Roger Schwolow. Allein mit der Anlaufgeometrie der Luftströmung könne man sich tagelang beschäftigen. Das Werk auf der anderen Seite dankt es dem Aerodynamik-Team, wenn am Ende ein Teil steht, das für jede Ausführung und Motorisierung verbaut werden kann. Das spart Kosten und Mühen und rechtfertigt die diffizile Arbeit im Windkanal. Doch nicht nur der Hersteller spart durch das Team von Teddy Woll – auch der Mercedes-Kunde (in diesem Fall der Käufer der A-Klasse) profitiert. Schließlich gehen mit einem für die Kompaktklasse bis dato unerreichten cW-Wert von 0,25 auch eine Verbrauchsreduktion (nach WLTP) von 0,15 Litern auf 100 Kilometer einher. Bei langen Autobahnfahrten sind es gar 0,24 Liter. Hätte man den Durst durch eine Gewichtsreduktion in gleichem Umfang eindämmen wollen, müsste das Auto dafür 100, beziehungsweise 200 Kilo abspecken. Bisheriger Rekordhalter ist übrigens die Mercedes CLA Limousine mit einem cW-Wert von 0,22. Ob man mit der A-Klasse Limousine diesen Rekord brechen werde? Woll und Schwolow grinsen: „Schlechter werden wir auf jeden Fall nicht rauskommen.“

Kleiner Fun Fact: Ein Radfahrer hat einen cW-Wert von 1 und wäre mit einer A-Klasse-Karosserie um sich herum windschnittiger unterwegs, obwohl sich seine Stirnfläche von 0,7 auf 2,2 Quadratmeter vergrößern würde. Was besagte Stirnfläche betrifft, ist „Vergrößern“ allerdings nicht das richtige Stichwort, obwohl Autos von einer Generation zur nächsten ja zumeist in ihren Dimensionen wachsen. „Wenn man ständig den cW-Wert verbessert, während die Stirnfläche bei jedem Modell größer wird, hat man es mit einem asymptotischen Wachstum zu tun. Es kommt der Zeitpunkt, da ist der Wert gesättigt und steigt wieder an, weil sich die Fläche nicht mehr durch aerodynamische Verbesserung kompensieren lässt“, erklärt Teddy Woll. Und so kommt es, dass die Stirnfläche der neuen A-Klasse – maßgeblich durch das Absenken des Daches – um 0,012 Quadratmeter verringert wurde.

Autos durchschneiden die Luft

Mercedes Sindelfingen Windkanal 2018
Patrick Lang
Für optimale Aerodynamik muss der Unterboden so glatt wie möglich sein.

Das übergeordnete Ziel einer gelungenen Aerodynamik ist es, die Luftströmungen am Heck so schnell wie möglich in einem geschlossenen Ringwirbel zusammenzuführen. Dafür ist es wichtig, dass die Abströmgeschwindigkeit aller vier Fahrzeugseiten möglichst gleich ist. Um diesen Umstand zu gewährleisten verfügen Autos über Dach- und Seitenspoiler, Heckdiffusoren und Abrisskanten. Außerdem ist es wichtig, dass der Unterboden mehrheitlich glatt ist, denn das Auto durchschneidet ja quasi die Luft, die sich, wie auch die Straße, selbst nicht bewegt. Blickt man unter die neue A-Klasse, sieht man hauptsächlich Leitbleche und Verkleidung. Nur dort, wo Luft etwa zur Kühlung benötigt wird, gönnt man sich gezielt kleine Öffnungen.

Um eine realistische Fahr-Situation im Windkanal des Entwicklungszentrums in Sindelfingen zu simulieren, verfügt die Anlage über ein Fünf-Band-System, das sich synchron zum Wind-Gebläse einstellen klässt. Unter jedem Rad läuft ein kleines Laufband und zwischen den Rädern ein neun Meter langes Mittenlaufband – alles auf einer Drehscheibe mit 12 Metern Durchmesser, damit die getesteten Fahrzeuge auch aus anderen Winkeln angeströmt werden können. Gleichzeitig fungiert die Scheibe auch als aerodynamische Waage und dient etwa der Bestimmung von Nick-, Roll-, und Giermoment. Doch allem voran heißt so ein Windkanal ja Windkanal, weil da Wind durch einen Kanal läuft. Doch wo kommt der her?

265 km/h im Flüsterton

Mercedes Sindelfingen Windkanal 2018
Patrick Lang
Dieser riesige Wärmetauscher kühlt den Luftstrom auf konstante 23 bis 24 Grad herunter.

Der Wind kommt von einem Gebläse mit einem Durchmesser von neun Metern und 18 Laufschaufeln aus Kohlefaser, die so leicht sind, dass man sie von Hand drehen kann. Da wirkt das maximale Drehmoment des Antriebsmotors von 202.150 Newtonmetern leicht übertrieben. Weil besagter Motor natürlich eine Menge Wärme erzeugt, trifft der Luftstrom bevor er ans Auto gelangt auf das, was Teddy Woll „den größten Kühlergrill der Welt“ nennt. Ein riesiger Wärmetauscher, der dafür sorgt, dass die Lufttemperatur konstant zwischen 23 und 24 Grad liegt. Die Leistungsaufnahme bei 250 km/h Windgeschwindigkeit liegt bei fünf Megawatt, 238 Umdrehungen schafft das Gebläse pro Minute. Maximal kann ein Windstrom mit 265 km/h erzeugt werden. Bei solchen Orkanböen fragt man sich, warum es da noch extra Warnleuchten gibt, die signalisieren, dass die Anlage läuft. Nunja, dank der eingangs erwähnten Schall-Isolierung hört man die Anlage selbst im Betrieb fast gar nicht. Und wenn man sich dann in die Luftströmung begibt, ist es bereits zu spät und man macht den Abflug.

Der Windkanal in Sindelfingen wurde nach der sogenannten „Göttinger Bauart“ errichtet, das heißt, es handelt sich um eine ringförmige Anlage. Die beschleunigte Luft trifft also am Ende ihres Weges wieder von hinten auf das Gebläse und wird erneut beschleunigt. Das spart eine Menge Energie. Bevor der erzeugte Wind auf das Fahrzeug trifft, wird er durch Siebe und Gleichrichter von Verwirbelungen und Turbulenzen befreit, um ein genaues Messergebnis zu ermöglichen. Am Auto selbst wird die Strömung durch Öl-Lanzen sichtbar gemacht. Diese verdampfen ein öliges Gemisch und erzeugen damit die charakteristischen Schlieren, die das Fahrzeug im Windkanal umspielen.

Autos sollten keine Räder haben

Nun haben wir bereits erfahren, dass die Designer längst nicht mehr die größten Feinde des Aerodynamikers sind, sondern gemeinsam für den optimalen Kompromiss arbeiten. Wenn sie aber ein Teil des Automobils eliminieren dürften, welches wäre das dann, fragen wir Woll und Schwolow. „Ich denke, Autos sollten keine Räder mehr haben. Dann wären wir im Handumdrehen bei einem cW-Wert von 0,15“, stellt Schwolow blitzschnell fest. „Ja, Räder sind der aerodynamische Horror“, pflichtet Teamchef Woll bei. Dieser Wunsch dürfte allerdings selbst die Kooperationsbereitschaft der Designer übersteigen. Ein Zugewinn sei es bereits, dass es bei Mercedes mittlerweile Aero-Felgen in allen Dimensionen gebe, stellt Roger Schwolow fest. Bei diesen Rädern wird nur so wenig Luft durchgelassen, wie nötig ist, um die Bremsen zu kühlen. Denn gerade bei Autos mit kurzen Überhängen strömt in das vordere Radhaus enorm viel Luft ein, die dort gewaltig verwirbelt und in „Verlust verwandelt“ wird.

Mercedes Sindelfingen Windkanal 2018
Patrick Lang
Dr. Teddy Woll (links) und Roger Schwolow erklären uns den Windkanal im Mercedes Entwicklungszentrum.

Bleibt die Frage, ob es jemals ein echtes Serienauto auf einen cW-Wert von unter 0,2 bringen wird. Eine Frage, die sich Aerodynamiker auf der ganzen Welt stellen. „Das ist machbar“, sagt Teddy Woll, „wir haben schon Studienfahrzeuge gemacht, die es unter 0,19 gebracht haben.“ Die Jagd nach der Eins hinter dem Komma hängt am Ende jedoch von der Kompromissbereitschaft der Kunden ab. Von bulligen Schultern, dem kräftigen „Stand“, müsste man sich verabschieden, und die hintere Spur entscheidend verringern. Eine Tropfenform ist generell das aerodynamisch günstigste Karosserie-Layout. Einen Koffer hinten quer einzuladen könne man dann allerdings vergessen, so Woll. Aktuell begeistern sich Autofahrer nicht nur aus fahrdynamischen Gründen für die attraktive breite Spur der Hinterachse. Mit einem Zäpfchen auf Rädern, die bestenfalls als Asphalt-Trennscheiben bezeichnet werden können, möchte heute noch keiner durch die Gegend kurven. „Aber man muss ja auch noch Ziele im Leben haben“, lächelt Woll spitzbübisch. Mal sehen, was uns der Windkanal künftig noch so alles in die Verkäufsräume bläst.

Wenn Sie sich das technologische Wunderwerk nun genau anschauen müssen, dann können Sie in unserer Bildergalerie einmal virtuell durch die Anlage marschieren. Denn ansonsten ist der Aeroakustik-Windkanal für Besucher nicht zugänglich.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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