Schnellster Kombi der Welt im Supertest
Schnellster Kombi der Welt

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Manche sind längsdynamisch schneller, doch in unserer Welt zählt Querdynamik. Das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell holt sich den Rekord des schnellsten Kombis auf der Nordschleife.

Die schnellste Limousine, der schnellste Fronttriebler, der schnellste SUV – was wir von sport auto mit der sport auto-Trophy für das schnellste straßenzugelassene Nordschleifen-Fahrzeug einst 1995 im Kleinen losgetreten haben, hat sich längst zur Massenbewegung am Ring etabliert.

Heutzutage scheinen die Automobilhersteller fast süchtig nach marketingträchtigen Rekordrunden auf der Nordschleife zu sein. Man könnte jetzt kritisieren, dass die Rekordfahrten immer zweifelhaftere Züge annehmen, doch fänden Sie, liebe Kritiker, es besser, dass Themen wie E-Mobilität und autonomes Fahren bald das Interesse der Hersteller an der Nordschleife versiegen lassen? Eben drum, und so stellen wir in diesem Supertest die Frage, wer eigentlich der schnellste Serienkombi auf der Nordschleife ist.

Pampersbomber-Rekord

Ein Klick ins Netz. Den Rekord für den schnellsten Kombi am Ring hält bislang Seat mit dem Leon ST Cupra 280. 2015 prügelte Rennfahrer Jordi Gené den familientauglichen 280-PS-Kombi in 7.58 Minuten über die Nordschleife. Seit dieser Rekordfahrt ist es in der Liga der flottesten Pampersbomber erstaunlich ruhig geworden. Bis zum Supertest, in dem Mercedes-AMG mit dem E 63 S T-Modell 4Matic+ angreift!

Rein in die optionalen AMG-Performance-Schalensitze mit perfektem Seitenhalt. Angesichts der angenehm tiefen Sitzposition vergisst man beinahe die Dimensionen des Fast-fünf-Meter-Schiffs mit einem Kofferraumvolumen von bis zu 1.820 Litern.

Während man sich in anderen Power-Kombis mit Rennanzug und Rennhelm dicht unter dem Dach hockend komplett lächerlich vorkommen würde, lässt das T-Modell von Mercedes-AMG zumindest in puncto Sitzposition fast Tourenwagengefühle aufkommen. Okay, das war jetzt etwas übertrieben, aber zumindest fühlt man sich in der Kombi-Version des E 63 S 4Matic+ in Rennklamotten nicht ganz so unpassend gekleidet, wie wenn man mit einer Eishockey-Ausrüstung zum 100-Meter-Sprint antreten würde.

Sportliche Sitzposition hin oder her, auf der Waage kann das E 63 S T-Modell 4Matic+ seine Kastenzugehörigkeit nicht verheimlichen. 2.103 Kilogramm sind so sexy wie gehäkelte Unterwäsche. Ich bin ehrlich: Angesichts dieser Masse hält sich meine Lust, mit dem Schwergewicht auf Nordschleifen-Tour zu gehen, zunächst stark in Grenzen. Hoffnung auf einen doch unterhaltsamen Ausflug in den Grenzbereich macht jedoch die in den letzten Jahren bei Mercedes-AMG eingeschlagene Marschroute: Querdynamik regiert heute über dem lange in Affalterbach vorherrschenden Entwicklungsziel der Längsdynamik.

Starker Start: so schnell wie 997 GT3 RS

Drei, zwei, eins – Startschuss am Nordschleifen-Streckenabschnitt T13. Wie für jeden ausgewiesenen Sportwagen beginnt auch für das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell 4Matic+ hier die Zeitnahme auf der schnellen Nordschleifen-Runde. Einlenken – Hatzenbach, wir kommen. Sperrig fühlt sich bei diesem Power-Kombi nur sein Name an. Wanken, torkeln, pumpen? Kombiverdächtige Gefühlsausbrüche sind im Grenzbereich kaum zu spüren. Nachdem der E 63 den Hatzenbachbogen mit 151 km/h zur Vorspeise lässig auf Ex weggekippt hat, wird schnell klar, dass dieser Kombi nur auf dem Papier ein normaler Kombi ist.

Kurzer Blick in die Datenbank. Wer war an selbiger Stelle vor rund zehn Jahren genauso schnell unterwegs? Richtig, der Porsche 997 GT3 RS der ersten Generation. Ähnlich wie der aktuelle GT3 RS heute zählte der 1.424 Kilogramm schwere Hardcore-911 mit Sportreifen vom Typ Michelin Pilot Sport Cup damals zu den Rennstrecken-Präzisionswaffen seiner Zeit.

Mercedes-AMG E 63 S T-Modell - Kombi - Supertest
Hans-Dieter Seufert
2.103 Kilogramm schwer ballert der Power-Kombi in 3,4 Sekunden auf Tempo 100.

Ohne Worte! Heute rückt da so einer im Kombi-Gewand an und lässt eine GT3-RS-Legende alt aussehen. Abwarten, die Nordschleife ist lang. Abgerechnet wird nach 20,6 Kilometern. Doch auch in den Hatzenbach-Wechselkurven stellt sich der E 63 alles andere als ungeschickt an und zirkelt agil ums Eck. Auf der Bremse merkt man dem T-Modell jedoch schon nach den ersten Nordschleifen-Kurven leicht an, dass auch es die Physik nicht ganz außer Kraft setzen kann.

E 63 S T-Modell verheimlicht hohes Gewicht

Späte Bremspunkte sind nicht die Paradedisziplin des schnellen Schlachtschiffs, da es dann beim Einlenken leicht über die Vorderachse zu schieben beginnt. Das war es dann aber auch schon mit den Regeln, die man im Grenzbereich mit diesem ganz besonderen T-Modell beachten sollte. Wer den Power-Kombi lieber etwas früher vor dem Kurveneingang verzögert und das Bremspedal nicht ruckartig, sondern progressiv bearbeitet, der wird begeistert sein, wie der 2,1-Tonner fast spielerisch auf der Ideallinie entlangtanzt.

Im Klartext: Wer das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell 4Matic+ nicht schon am Kurveneingang vergewaltigt, dem präsentiert der Power-Kombi eine Vorderachse mit erstaunlich präziser Rückmeldung. Zum in der Kombi-Klasse derzeit direktesten Einlenkverhalten gesellt sich außerdem eine gut abgestimmte Lenkung. Die elektromechanische Adaptivlenkung vermittelt eine direkte, aber nicht zu spitze Rückmeldung um die Mittellage. Der Lenkwinkelbedarf ist nicht so groß wie bei einem Omnibus ausgelegt worden, sondern für die Fahrzeugklasse des E 63 relativ sportlich.

Dank der gelungenen Lenkungsabstimmung wirkt das T-Modell auch auf Landstraßen oder beim Rennstreckenausflug in Kurven nicht so behäbig wie ein Getränkelaster, sondern fast leichtfüßig. Das Handmoment der Lenkung ist in den Stufen Comfort, Sport und Sport Plus unterschiedlich ausgelegt worden. Sowohl Komfort-Fans, die eine etwas leichtgängigere Lenkkraftunterstützung bevorzugen, als auch Rennstreckenjünger, die es etwas straffer mögen, fühlen sich von der Lenkung des Power-Kombis verstanden.

V8-Biturbo-Powerplay

Apropos Power-Kombi. Gerade hat das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell 4Matic+ im Supertest die Doppelrechts am Flugplatz hinter sich gelassen und stürmt jetzt auf die Kuppe am Schwedenkreuz zu. „Stürmen“ ist hier das richtige Stichwort: Der V8-Biturbo tritt in der S-Version mit einer sagenhaften Nennleistung von 612 PS und einem maximalen Drehmoment von 850 Nm an. Auch in der stärksten Auslegung überzeugt der intern M 177 genannte Vierliter mit seiner guten Fahrbarkeit.

Erstmals wurden zwei Twin-Scroll-Turbolader verbaut. Abgesehen von der gesteigerten Leistung soll dadurch das Ansprechverhalten verbessert worden sein. Ähnlich wie der baureihenverwandte M-178-Vierliter der AMG-GT-Modelle hängt auch das E-63-Triebwerk für Turboverhältnisse sehr gut am Gas und punktet mit seiner relativ gleichmäßigen Leistungsentfaltung.

Wie bestialisch das Schlachtschiff dabei geht, zeigt die hohe Geschwindigkeit am letztgenannten Streckenabschnitt: Mit 268 km/h nimmt der E 63 die Schwedenkreuz-Kuppe nahezu unter Volllast genauso schnell wie sein Markenverwandter Mercedes-AMG GT S (Supertest 11/2016).

Während einige Serienfahrzeuge hier gerne mal mit der Hinterachse etwas nervös abheben, schluckt der Muskel-T die Kuppe fast unbeeindruckt und hebt nicht einmal nennenswert ab.

Abtrieb durch Masse? Spaß beiseite, an der Aerodynamik liegt das stabile Fahrverhalten hier nur bedingt. Das E 63 S T-Modell 4Matic+ hat, wenig überraschend, an beiden Achsen bei 200 km/h Auftrieb zu verzeichnen. Weniger die Aerodynamiker als vor allem die Fahrwerksentwickler haben hier einen Bombenjob gemacht. Egal ob Sprungkuppen, Bodenwellen oder Kurven, trotz seiner Körperfülle fällt der E 63 Kombi nicht durch nervige Wank- oder Nickbewegungen auf. Wenn der Power-Kombi ein fahrender Wackeldackel wäre, würde man sich auch nicht mit bis zu 250 km/h in die Fuchsröhre runterstürzen.

Sportliche Allradabstimmung

Im Vergleich zu den 0815-E-Klassen trägt das AMG-Modell eine eigenständige Vorderachs- und Hinterachskonstruktion. Neben dem sportlichen Fahrwerk mit dreifach verstellbarer Luftfederung (Modi: Comfort, Sport und Sport Plus) ist das S-Modell serienmäßig auch mit dynamischen Motorlagern ausgestattet. Klingt alles nach viel Sportwagentechnik unter dem Kombi-Mantel.

Doch nicht nur auf den schnellen Nordschleifen-Abschnitten legt sich das T-Modell ins Zeug, um schnellster Kombi auf der Nordschleife zu werden. Kann das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell auch auf den verwinkelten Kurvenpassagen des Streckenabschnitts Wehrseifen glänzen? Und wie er das kann! Voraussetzung: Wie schon erwähnt, nicht auf allerletzter Rille bremsen. Lieber etwas langsamer im Kurvenscheitel der engen Links sein und dafür wieder früh ans Gas gehen. Wer die Fahrweise beherzigt, wird erstaunt sein, wie agil der AMG-Sumoringer ums Eck tanzt.

Unter Last brilliert der Allradler nicht nur mit sehr guter Traktion, sondern speziell im Fahrprogramm Race mit einer sportlichen Allradauslegung. Zunächst zieht sich das schnelle T-Modell dann neutral, bevor es gen Kurvenausgang leicht mit dem Heck drückt. Ebenso wie die Limousinen-Varianten des E 63 tragen auch beide Versionen des T-Modells den neu entwickelten Allradantrieb mit erstmals variabler Momentenverteilung auf die Vorder- und Hinterachse.

Eine elektromechanisch geregelte Kupplung verbindet die ständig angetriebene Hinterachse variabel mit der Vorderachse. Die Drehmomentverteilung variiert je nach Fahrsituation und auch nach Fahrerwunsch. Dank des neuen Drift Mode kann auch das T-Modell als reiner Hecktriebler bewegt werden. Ein Spaßmodus, der aber auf der Nordschleife bei der Suche nach der schnellsten Kombi-Zeit nicht helfen würde und daher im Supertest auch keine Hauptrolle einnimmt.

Gut abgestimmte Neungangautomatik

Viel wichtiger ist auf den nächsten Metern die optionale Keramikbremsanlage. Hält sie oder hält sie nicht? Nachdem im Supertest des Audi TT RS die Anfahrt auf die Brücke von Breidscheid zum Epizentrum des Bremsversagens wurde, muss man sich beim E 63 S T-Modell zumindest auf den ersten Nordschleifen-Runden keine Sorgen machen. Der Druckpunkt der Optionsbremse bleibt konstant und gut dosierbar, sofern auf ausreichende Kühlphasen nach jedem Nordschleifen-Umlauf geachtet wird. Mehrere Runden am Stück im Attackemodus sind hingegen mit dem E 63 nicht empfehlenswert. Wenig verwunderlich, oder haben Sie bei aller Agilität schon wieder die 2,1 Tonnen Lebendgewicht vergessen?

Weiter im Nordschleifen-Protokoll. Dritter, Vierter, bergauf Ex-Mühle – nicht nur an diesem Streckenteil ist jetzt mal Lob für die Getriebe-Applikation der Neungangautomatik angebracht. Im Race-Modus schaltet die Automatik eigenständig hoch und runter. Dabei trifft das AMG-Getriebe die Schaltpunkte im Grenzbereich ähnlich perfekt, wie es sonst nur beim Porsche-PDK der Fall ist. Dabei muss der Fahrer nicht mehr selbst an den Schaltwippen ziehen – nicht die emotionalste Art der Gangwechsel, aber mit Sicherheit die schnellste.

Schneller als 997 RS und Superleggera

Anfahrt Bergwerk, hier heißt es wieder früh bremsen, um anschließend viel Schwung mit ins Kesselchen zu nehmen. Im Kesselchen macht sich dann das Gewicht des schnellen AMG-Kombis so stark wie nirgends sonst auf der Nordschleife bemerkbar. Voll durch den schnellen Linksknick stehen lassen? In einem Sportwagen mit einer halben Tonne weniger Gewicht und einem niedrigeren Schwerpunkt vielleicht, heute eher nein! Während der V8-Biturbo unbarmherzig marschiert, zieht es die wuchtige Masse des Kraftklotzes spürbar gen Kurvenaußenrand. Also lieber kurz lupfen, bevor die Räder auf der rechten Seite bei knapp über 220 km/h den Grünstreifen in den Kurvenverlauf unangenehm einbeziehen würden.

Erst bei der Anfahrt in Richtung Brünnchen merkt man, dass die Reifen langsam etwas abbauen. Der Power-Kombi aus Affalterbach beginnt beim Einlenken und beim Herausbeschleunigen unter Last jetzt leicht ins Untersteuern zu drängen. Insgesamt arbeitet der Michelin Pilot Sport 4S aber angesichts des massiven Fahrzeuggewichts lange auf einem hohen Gripniveau – und das, obwohl er kein ausgewiesener Sportreifen à la Michelin Cup 2 ist.

Pflanzgarten, Schwalbenschwanz, Galgenkopf – auf den letzten Nordschleifen-Abschnitten zeichnet sich immer klarer ab, dass das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell 4Matic+ den bisherigen Kombi-Rekord weit unterbieten und pulverisieren wird. Vorher galoppiert der Power-E mit 292 km/h auf die Bilstein-Brücke zu und erfordert im Knick an der Antoniusbuche noch etwas Mut.

Beeindruckend ist nicht, dass sich der E 63 die Rekordmarke für Serienkombis auf der Nordschleife holt, sondern mit welcher Zeit. Mit einer Rundenzeit von 7.45 Minuten stößt das Mercedes-AMG E 63 S T-Modell 4Matic+ in Regionen vor, die vor zehn Jahren noch von Sportwagen-Cracks à la eingangs erwähntem Porsche 997 GT3 RS (7.48 min) oder dem Lamborghini Gallardo Superleggera (7.46 min) regiert wurden.

Doch es reicht auch, vier Jahre zurückzublicken: Im Supertest 5/2013 absolviert der Audi R8 V10 Plus (Typ 42) die Nordschleife genauso schnell wie heute der E 63. Hut ab, Mercedes-AMG!

Fazit

Wenn Geld keine Rolle spielen würde und die Traumwagenhalle schon gut gefüllt wäre, würde ich mir jetzt zwei Mercedes-AMG E 63 S T-Modelle leisten. Warum gleich zwei? Das erste T-Modell wäre im Serienzustand der familientaugliche Helfer. Das zweite T-Modell würde ich zum Ring-Tool umrüsten. Wenn schon das Serienmodell auf der Nordschleife 7.45 Minuten fährt, was wäre dann noch möglich, wenn der Wagen beispielsweise 500 Kilo leichter wäre? So könnte die Gewichtskur aussehen: Innenraum komplett leer räumen, einen Carbon-Schalensitz installieren, Kotflügel, Motorhaube und Heckdeckel aus Carbon fertigen, Makrolon-Scheiben verbauen. Ach ja, und ein Gewindefahrwerk mit mehr Sturz und Semislicks dürfte es auch sein. Doch auch schon im Serienzustand kann man mit dem Kombi des E 63 S bestimmt für verdutzte Gesichter auf Trackdays sorgen.

Technische Daten
Mercedes AMG E 63 S T 4Matic Mercedes-AMG S
Grundpreis125.224 €
Außenmaße4933 x 1852 x 1475 mm
Kofferraumvolumen640 bis 1820 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung450 kW / 612 PS bei 5750 U/min
Höchstgeschwindigkeit290 km/h
0-100 km/h3,4 s
Verbrauch9,1 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten