Range Rover TDV8 im Test
Britische Massenbewegung

Ein Range Rover folgt bekanntlich sofort dem Ruf der Wildnis. Nur: Sie ruft so selten. Daher muss sich der Geländewagen mit 340 PS starkem V8-Diesel dem Test auf ganz ordinären, befestigten Straßen stellen.

Range Rocer TDV8, Frontansicht, Gelände
Foto: Dino Eisele

Möglich wäre es schon. Einfach das Schlamm-Programm im so genannten, aufwendigen Auto Terrain Response-Allradsystem wählen. Dazu noch die Geländereduktion mit dem Faktor 2,93 einlegen und dann völlig ungerührt aus dem Autobahn-Stau über die Böschung fliehen. Da am Horizont die Blaulichter einiger Polizeifahrzeuge zucken, wäre dem Range Rover TDV8 – und vor allem seinem Fahrer – die ungeteilte Aufmerksamkeit der versammelten Schar an Freunden und Helfern sicher. Also lieber auf der Straße bleiben. So wie vermutlich fast alle der herrschaftlichen Geländewagen, die bestenfalls feinkörnigen Kies oder nasses Gras unter die 21 Zoll großen Räder bekommen. Freie Fahrt – und der Range Rover TDV8 nimmt Fahrt auf.

Kurz bevor der virtuelle Drehzahlmesser an die 2.000/min-Marke ditscht, bäumt sich der Vorderwagen auf – ein sicheres Indiz dafür, dass nun der Drehmoment-Gipfel von 700 Newtonmetern erklommen wurde. Bereits bei 4.000 Umdrehungen schiebt das Achtstufen-Automatikgetriebe sanft und hurtig die nächste Stufe rein. Mehr möchte das Getriebe dem 4,4-Liter-Diesel im Range Rover TDV8 weder im Sport- noch im manuellen Modus zumuten. Es bliebe vermutlich auch ohne entscheidenden Einfluss auf die Fahrleistungen, weshalb die über den markentypisch versenkbaren Drehknopf wählbare Stufe D eigentlich immer passt. Selbst dann, wenn überprüft werden soll, ob der Range Rover TDV8 tatsächlich in 6,9 Sekunden von null auf 100 km/h spurten kann. Das schafft er, zumindest fast – in 7,0 Sekunden.

Schwerer Range Rover TDV8 mit niedrigem Verbrauch

Auch beim Verbrauch hält der Range Rover TDV8 sich an die Vorgaben und schafft auf der auto motor und sport-Verbrauchsrunde 8,6 L/100 km. Dabei gilt die Faustregel, dass sich der hier ermittelte Wert am kombinierten NEFZ-Verbrauch orientiert, der im Fall des Range Rover TDV8 mit 8,7 L/100 km angegeben wird. Über die gesamte Testdauer schafft er einen Schnitt von 12,2 L/100 km. Das ist umso bemerkenswerter, als der Testwagen 2.647 Kilogramm auf die Waage wuchtet. Nur, liebe Briten, wie kommt Ihr bitte auf jene 2.360 Kilogramm, die das Datenblatt vorgaukelt? Wie genau möchte Jaguar Land Rover „seine Führungsrolle bei der Entwicklung besonders leichter High-Tech-Strukturen“ (Pressetext) unterstreichen? Immerhin: Der zuletzt gewogene Vorgänger kam auf 2.727 Kilogramm.

Von der versprochenen Agilität verschont der Offroader seine Insassen dennoch. Einzig bei einer Fahrbahnbeschaffenheit, die in etwa so viele Unebenheiten aufweist wie Ledersohlen rahmengenähter Schuhe, zeigt der Range Rover TDV8 einen Ansatz von Dynamik – solange der Fahrer brav unterhalb des auf Landstraßen zulässigen Tempos bleibt. Bei mäßigem Straßenzustand lässt die hoch aufbauende Karosserie starke Vertikalbewegungen zu, die indirekte Lenkung verhindert präzise Korrekturen.

Range Rover mit eingeschränktem Federungskomfort

Da hilft selbst die um eine serienmäßige Wankstabilisierung ergänzte Fahrwerkskonstruktion mit Doppelquerlenkern vorn und Mehrlenkerachse (überwiegend aus Aluminium) kaum, die adaptiven Dämpfer geraten ebenfalls an ihre Grenzen. Schwerfällig untersteuernd schiebt der Range Rover TDV8 zum Kurvenaußenrand, bleibt dabei also ganz auf der sicheren Seite und lässt sich auch nicht durch etwaige Lastwechselreaktionen aus der Ruhe bringen. Agiles Handling überlässt er gern anderen, aber einen flotten Stepptanz um Pylonen erwartet von einem solchen Brocken niemand – außer vielleicht der Hersteller selbst.

Viel wichtiger wäre ein oberklassiger Federungskomfort. Immerhin kümmert sich eine Luftfederung darum, dass die Insassen möglichst wenig von der löchrigen Realität des Straßenbaus mitbekommen. Tatsächlich sprechen die Feder-Dämpfer-Elemente mit Federwegen von bis zu 310 Millimetern brav auf Unebenheiten an, bringen das Schwergewicht Range Rover TDV8 auf langen Bodenwellen jedoch in ausgeprägte Schwingungen. Auf stark kariöser Piste poltern die großen Räder zudem ziemlich ungehobelt.

Hoher Sitzkomfort, veraltetes Infotainment

Umso besser, dass alle Passagiere einen hervorragenden Sitzkomfort genießen dürfen, inklusive prächtiger Rundumsicht. Sowohl die Sitze in der ersten Reihe als auch die Rückbank sind im Range Rover TDV8 großzügig dimensioniert, vielfach elektrisch verstellbar und bequem gepolstert. Ebenso gelungen: die Ergonomie hinterm Lenkrad, wenngleich sich der Sinn vollständig virtueller Instrumente nicht jedem sofort erschließt – vielen vermutlich nie. Die an der rechten Seite des berührungsempfindlichen Monitors in der Mittelkonsole angeordneten Bedienelemente erfordern einen langen Arm.

Im übrigen wirkt das Infotainment-System in einem deutlich über 100.000 Euro teuren Luxus-SUV so standesgemäß wie der Musikantenstadl-Wanderzirkus bei einer Familienfeier am britischen Hof. Zwar verfügt es über eine Sprachsteuerung, allerdings ohne jegliche Sprachbegabung. Und die Kartendarstellung wirkt im Vergleich zu einigen Wettbewerbern wie schnell von Hand hingekritzelt. Einzig der saftige Klang des Meridian-Soundsystems überzeugt – er lenkt den Fahrer von dem absurden Gedanken ab, einfach aus dem Stau mit dem Range Rover TDV8 über die Böschung zu heben. Die Geduld wird belohnt: Das Gaspedal verschwindet im dicken Bodenteppich, irgendwo ganz vorne knurrt der Achtzylinder, erneut hebt sich sanft der Bug. Ab ins Abseits? Ein anderes Mal vielleicht. Die Autobahn tut’s vorerst auch.

Vor- und Nachteile
Karosserie
Range Rover TDV8
sehr gute Übersichtlichkeit
großzügiges Platzangebot
gut nutzbarer Laderaum
angemessene Zuladung
hohe Verarbeitungsqualität
unpraktische Heckklappe
hohe Ladekante
mäßige Bedienbarkeit
veraltetes Infotainment
Fahrkomfort
hoher Langstreckenkomfort
sehr bequeme Sitze
niedriges Geräuschniveau
teils ausgeprägte Karosseriebewegungen
hölzernes Abrollen
Antrieb
kräftiges und kultiviertes Dieseltriebwerk
sanft schaltende Automatik mit passender Übersetzung
Fahreigenschaften
sicheres Fahrverhalten
gute Geländetauglichkeit
Untersteuerneigung
indirekte Lenkung
Sicherheit
umfangreiche Sicherheitsausstattung
mäßige Bremsleistung
Kollisionswarnung ohne Notbremsfunktion
Umwelt
niedriger Minimalverbrauch
guter Testverbrauch
Kein Start-Stopp-System
Kosten
umfangreiche Serienausstattung
lange Wartungsintervalle
umfangreiche Garantie
hohes Preisniveau
hohe Unterhaltskosten

Fazit

Dass der kräftige und sparsame Range Rover nicht sonderlich agil fährt, sei ihm gerne nachgesehen. Dass er unausgewogen federt und über ein veraltetes Infotainment verfügt, dagegen nicht.

Technische Daten
Range Rover 4.4 SDV8 Vogue
Grundpreis112.700 €
Außenmaße4999 x 1983 x 1835 mm
Kofferraumvolumen909 bis 2030 l
Hubraum / Motor4367 cm³ / 8-Zylinder
Leistung250 kW / 340 PS bei 4000 U/min
Höchstgeschwindigkeit218 km/h
0-100 km/h7,0 s
Verbrauch8,7 l/100 km
Testverbrauch12,2 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten