VW Golf GTI TCR (2018) im Tracktest
Unterwegs im Renn-Golf für den Tourenwagen-Sport

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Verglichen mit dem VW Golf GTI TCR sieht der Straßen-GTI aus wie ein Mäuschen. Dank Rennauspuff klingt der Tourenwagen mit seinen 350 PS auch richtig kernig. Wir waren mit dem neusten TCR-Golf auf der Rennstrecke. Jetzt mit Video!

VW Golf GTI TCR (2018) - Tracktest - Autodromo Vallelunga
Foto: VW / Heinrich Hülser

Beim Schulsport freut man sich, als Erster gewählt zu werden. Es ist ein Zeichen der Anerkennung. Heute verhält es sich anders. Ich bin beim Tracktest für den überarbeiteten VW Golf GTI TCR, Modelljahr 2018. Es wird mein erstes Mal in einem Rennwagen auf der Rennstrecke. 350 PS, mehr als 400 Nm Drehmoment, 0-100-km/h in 5,2 Sekunden. Kein Antiblockiersystem, kein elektronisches Stabilitätsprogramm, keine Traktionskontrolle. Slicks drehen sich in den verbreiterten Radhäusern. Es ist kurz nach zehn Uhr, die Sonne versteckt sich. Luft und Asphalt sind noch kalt.

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Renn-Golf lärmt mit bis zu 114 dB

Ich bin der Erste an der Reihe. Danke auch. Der Frischling auf der Pole-Position. Durch meinen Kopf geistert ein Satz: nur nichts kaputtmachen. Ein halbes Dutzend wartet nach mir auf ein paar Runden im Renn-Golf. Keine zwei Minuten später schwitze ich in die feuerfeste Unterwäsche in meinem Rennoverall und in die Sturmhaube. Ex-Rennfahrer Hans-Joachim Stuck fährt voraus im VW Golf GTI Performance und führt mich heran an das Autodromo Vallelunga. Über einen blauen Knopf auf der linken Lenkradhälfte könnte ich das Gebläse für etwas frische Luft einschalten. Ich verzichte. Wir sind hier ja nicht im Wellness-Hotel.

Striezel Stuck biegt in die Boxenstraße ab, Feuer frei. Der VW Golf GTI TCR jagt aus der letzten 180-Grad-Rechtskurve auf Start-Ziel. Ich drücke das in der Normalstellung senkrecht stehende Gaspedal so durch, dass es beinahe waagerecht zum Bodenblech liegt. Über die rechte Schaltwippe auf der Lenkradhinterseite geht es vom dritten in den vierten Gang. Der Zweiliter-TSI legt sich mächtig ins Zeug, dann knallt es in der Auspuffanlage. Maximal lärmt der Renn-GTI mit 114 Dezibel. Eine schöne Art, mit tiefer Stimme guten Morgen zu sagen. Deutlich stimmgewaltiger, als es der Straßen-GTI macht. Es dauert einen Augenblick, bis das DSG von einer in die nächste Schaltstufe wechselt. DSG in einem Rennauto? Richtig gelesen. Die Ingenieure haben den Doppelkuppler aus dem Straßenauto übernommen, den ersten Gang gelängt und dafür den sechsten verkürzt. Dazwischen stimmten sie die Schaltung an die kürzere Übersetzung an. VW bietet den Golf GTI TCR sowohl mit DSG für 95.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer als auch mit einem sequentiellen Sechsganggetriebe für 115.000 Euro an.

Den Linksknick nach Start-Ziel nimmt der GTI TCR voll. Es folgt eine schnelle Rechts-Links-Kombination, die nur ein geübter Rennfahrer im Qualifying-Trimm mit Vollgas wagt. Bei 186 km/h bremse ich an. Rennfahrer Benjamin Leuchter erreichte bei seiner Proberunde wenige Minuten zuvor 22 km/h mehr. Durch die Kurve fliege ich im Scheitelpunkt mit 136 km/h. Er mit 185 Sachen. Ich bin überaus zaghaft. Der Respekt steckt in den Knochen, obwohl es „nur“ ein Golf ist. Sie kennen sicher den Spruch von Fußballtrainern, wenn der Underdog gegen den Favoriten untergeht. „Wir haben den Respekt nie abgelegt.“ So fühle ich mich nach dem Tracktest.

Viel Bremsgefühl ohne Bremskraftverstärker

Bis zur Doppelrechts steigt die Geschwindigkeit auf über 190 km/h. Anbremsen, runterschalten, es bollert im Abgasstrang. Es ist fast schon erschreckend, wie einfach sich das Bremspedal ohne Bremskraftverstärker mit dem linken Fuß dosieren lässt. Obwohl man es mit 60 bis 70 bar durchdrücken muss. Der TCR-Golf lenkt so ein, wie man es ihm über das Lenkrad vorgibt, klatscht mit den Rädern auf der rechten Fahrzeugseite am Randstein ab, treibt in einem Bogen weiter, um am Kurvenausgang wieder nach dem inneren Kerb zu suchen. Bis ihn die 420 Newtonmeter, die zwischen 2.500/min und 5.500/min über die Vorderachse herfallen, aus der Kurve ziehen. Dritter, vierter, fünfter, sechster Gang: Eine Schaltanzeige oben im Dashboard vermittelt dem Fahrer, wann er zu schalten hat. Auf drei grüne Balken folgen drei orange. Dann leuchtet nacheinander je ein rotes Lämpchen auf. Spätestens jetzt sollte der Fahrer hochschalten. Sobald sie zusammen aufflackern, ist es allerhöchste Zeit oder man landet im Begrenzer. Ich habe Schwierigkeiten, die Anzeige zu sehen. Der obere Teil des Lenkradkranzes versperrt bei meiner Sitzposition die Sicht. Deshalb muss ich den Kopf leicht senken. Im oberen Drittel der Anzeige lassen sich außerdem die Gangwahl, Geschwindigkeit und Drehzahl ablesen.

VW Golf GTI TCR (2018) - Tracktest - Autodromo Vallelunga
VW / Heinrich Hülser
Feuer frei: Der VW Golf GTI TCR beschleunigt auf die Zielgerade.

Der Vierzylinder-Turbo dreht bis maximal 6.800/min. Bei 6.250/min schieben den VW Golf GTI TCR 350 PS an. Man merkt die Mehrleistung in jeder Beschleunigungsphase. Ein Sperrdifferential stabilisiert bei Schlupf an der Vorderachse. Im Rennwagen arbeitet der Motor aus dem Golf R. Dieser leistet 310 PS und 420 Newtonmeter. Ein neues Mapping und eine geänderte Ansaugung beflügeln den Turbo-Benziner. „Der Motor hat außerdem eine andere Ölabscheidung. Ansonsten wäre die Ölverschäumung im Motor zu hoch. Das rührt von den Slicks und den höheren Seitenführungskräften her“, sagt VWs TCR-Projektleiter Eduard Weidl.

Die nächste Rechtskurve meistert das Rennauto ohne Probleme. An der Vorderachse sollten die Michelins 80 Grad warm sein, um zu kleben. Hinten wäre die gleiche Temperatur ideal, mindestens aber 65 Grad. Es gibt verschiedene Methoden, die Hinterreifen an einem Rennwagen mit Vorderachsantrieb aufzuwärmen. „Gas geben, bremsen, Gas geben, bremsen“, verrät Stuck. „Dadurch heizt sich die Bremsanlage auf. Sie strahlt wiederum auf die Felge ab, die die Wärme in die Reifen überträgt.“

Eine runde Linie und wenig Aggressivität

Rennfahrer Franz Engstler nennt weitere Möglichkeiten: „Du musst die Hinterachse in leichte Rutschphasen versetzen. Dafür lenkst du falsch ein. Du bremst das Auto zusammen und lenkst danach etwas aggressiver ein, als du es sonst machen würdest. Dadurch bricht die Hinterachse aus. Man darf es aber nicht übertreiben. Sonst überhitzt die Lauffläche. Es nutzt auch, Schlangenlinien zu fahren.“ In der TCR verhelfen die Teams ihren Autos mit einem einfachen Trick zur optimalen Haftung. Sie schrauben die Hinterreifen für eine Runde an die Vorderachse, um Temperatur aufzubauen. Für die eigentliche Quali-Runde werden die Gummis wieder zwischen den Achsen getauscht. Durch meine zu zaghafte Gangart kühlen die Reifen aus. In einer langsamen Linkskurve schwappt das Heck leicht auf der Bremse. Das linke Hinterrad ist zu kalt. Beim Einlenken droht der Renn-Golf kurz auszubrechen. Doch für einen Dreher bin ich zu langsam unterwegs.

Der Frontantrieb verlangt eine runde Fahrweise. Man sollte das Auto abbremsen, solange es gerade fährt. Wer zu tief in die Kurve bremst, bezahlt, weil der Rennwagen dann über die Vorderachse schiebt. Im schlimmsten Fall schwimmt bei einem zu großen Lenkwinkel mit zu hartem Bremsdruck das Heck weg. „Es macht wenig Sinn, hart zu attackieren. Wenn man mit Bedacht fährt, ist es erstaunlich, wie gut und genau das Auto in die Kurven biegt“, sagt Stuck. Engstler erklärt: „Wenn du zu tief in die Kurve reinbremst und einlenkst, überhitzen die Vorderreifen. Das Auto zieht nicht mehr rein, sondern schiebt über die Vorderachse. In einem Fronttriebler setzt man den Scheitelpunkt etwas später als in einem Hecktriebler. Am Kurvenausgang dosiert man das Gas und lässt sich raustragen. Im GTI TCR kann man ruhig einen Gang höher fahren, weil genug Drehmoment anliegt. In einem heckgetriebenen Auto kannst du früher ans Gas, weil du über das Heck dann mitsteuern kannst.“

Rennauto-Modellpflege für 2018

VW setzt den Rennwagen sei 2015 erfolgreich in der Tourenwagenserie TCR ein. Für 2018 spendiert man dem Auto ein Facelift. Die Regelhüter haben es erlaubt, obwohl der Golf in seiner aktuellen Generation eigentlich bis Ende 2019 technisch eingefroren ist. Die Überarbeitung beschränkt sich auf eine geänderte Frontschürze und andere Kotflügel vorn. Die Entwicklung kam zweimal in den Windkanal. Zuerst, um die DFD-Simulation abzugleichen. Später, um das Design zu optimieren. Die vorderen Scheinwerfer und die Rückleuchten passte man an das Design des Facelift-GTI an. Der Rennwagen baut auf dem VW Golf GTI Performance auf. VW beschwört, dass rund 65 Prozent der Teile dem Serienauto entsprechen. Die Entwicklung übernahm die Sportabteilung von Konzernschwester Seat, die mit dem Cup Racer schon früher mit einem TCR-Rennwagen dran war. Den ersten wirklich eigenentwickelten VW-TCR-Renner gibt es erst 2020. Sofern es die bislang florierende Rennserie dann noch in dieser Form gibt und der Konzern dabei bleibt.

VW schickt die Rohkarosse des GTI nach Martorell. Dort verbaut Seat den Käfig, um die Sicherheit zu stärken, und setzt den Renn-Golf nach und nach zusammen. Es dauert zwischen drei und vier Wochen, bis aus der Rohkarosse ein Rennwagen geformt ist. VW Golf GTI TCR, Seat Leon Cup Racer und Audi RS3 entstehen zu über 60 Prozent aus denselben Fahrzeugteilen. „Der Zweiliter-Motor ist selbstverständlich das größte Gleichbauteil“, sagt Weidl. „Dazu kommen unter anderem Komponenten der Radträger. Der vordere und hintere Hilfsrahmen sind gleich. Auch viele Kleinteile wie Schaltelemente und Bestandteile des Kabelbaums sind identisch.“ Eine Abteilung, drei Autos: Das spart kosten. Zum Beispiel in der Produktion und im Einkauf. „Es gibt noch einen Vorteil: Ein VW-Ingenieur kann genauso gut Audi und Seat unterstützen und umgekehrt. Und wenn bei einem mal was wirklich schiefläuft, können die anderen mit Tipps weiterhelfen.“

Breitere Backen, weniger Gewicht

Man erkennt die Verwandtschaft zwischen Serien- und Rennauto auf den ersten Blick. Obwohl sich die Abmessungen verändert haben. Der Serien-GTI ist 4,258 Meter lang. Das Rennpendant wächst durch einen Frontsplitter und Aluminium-Heckflügel auf 4,598 Meter. In der Breite misst der Rennwagen durch die ausufernden Kotflügel bis zu 16 Zentimeter mehr. Das Gewicht fällt von vollgetankt fast 1,4 Tonnen auf unter 1,3 Tonnen inklusive Fahrer. Mit diesem GTI wäre man auf dem Wörthersee-Treffen der King. Das Reglement schreibt vier Seitentüren vor. Alle müssen über die Originalgriffe von außen zu öffnen sein. Von innen muss der Fahrer beide Vordertüren öffnen können. Das Armaturenbrett entspricht der Serienform – wie auch die Türverkleidung – nur ohne Display und Instrumententräger. Darunter rissen die Techniker die Verkleidungsteile heraus. Über zwei Kippschalter vor dem DSG schaltet man Zündung und Benzinpumpe an. Über den roten Startknopf am Lenkrad erwacht der Renn-GTI.

VW Golf GTI TCR (2018) - Tracktest - Autodromo Vallelunga
VW / Heinrich Hülser
Der Renn-GTI ist deutlich breiter als das Serienpendant.

Das Rennauto erzeugt Abtrieb an beiden Achsen. Sechskolben Bremssätteln verbeißen sich vorne zuverlässig in 378 Millimeter große Scheiben. Das sind 3,8 Zentimeter mehr Durchmesser als im Straßen-GTI. Hinten sind im Rennwagen Zweikolben-Sättel verbaut, die sich an 272-Millimeter-Scheiben schmiegen.

Die Seriennähe hat die TCR zu hoher Popularität verholfen. Inzwischen bauen über zehn Hersteller eigene Rennautos. Der Boom könnte der Serie aber Schaden. Die FIA zieht in Erwägung, die Meisterschaft in die Familie aufzunehmen. Das würde gleichzeitig den Tod der Tourenwagen-Weltmeisterschaft WTCC bedeuten. Es heißt, Honda beende dort bald sein Programm. Ein WM-Status würde die TCR einerseits aufwerten. Auf der anderen Seite könnte es die Kosten nach oben treiben. Man hört die ersten warnenden Stimmen. „Es muss bezahlbarer Kundensport bleiben.“ Eine Saison in der nationalen TCR kostet ein Team aktuell rund 150.000 Euro. Für die internationale TCR müssen um die 450.000 Euro berappt werden. Was Kostenexplosion bewirken kann, zeigt die WTCC. Dort soll eine Saison inzwischen über eine Million Euro kosten.

Fazit

Er beschleunigt besser, fährt angespitzter und klingt cooler: klar, ist ja auch ein Renn-GTI mit dicken Backen, Frontsplitter, Heckflügel und Slickreifen. Es braucht kein Renn-Diplom, um den VW Golf GTI TCR zu bewegen. Wer ihn richtig schnell fahren will, braucht aber etwas Erfahrung und Übung. Denn dieser Golf lastwechselt, wenn man ihn provoziert.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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