VW Tiguan (2024)
Probefahrt im frischen Erfolgs-SUV

Kein VW ist weltweit beliebter als der Tiguan. Damit das auch so bleibt werden Interieur und Technik großzügig umgekrempelt. Neue PHEV-Antriebe versprechen üppige E-Reichweiten und kurze Ladezeiten.

Unsere Highlights

Sie scheinen ja fast in Mode zu sein: kleine, gedruckte Scheibendekorationen, wie man sie beispielsweise von Mercedes kennt, wo Gottlieb Daimlers Unterschrift am Rand der Frontscheibe zu entdecken ist. Hier finden wir eine Tiger-Silhouette links und das Profil eines Leguans rechts in den Scheiben der Fond-Türen. Tig-uan, ist klar, oder? So klar wie die Rolle des Kompakt-SUV im Markenkosmos: Goalgetter, Bilanzliebling und Retter der Stunde. Denn mit dem schwächelnden Absatz der elektrischen ID-Serie, muss es der derzeit meistverkaufte VW weltweit mit Masse und Marge machen. Mit auf den Weg gab es drei Zentimeter mehr Außenlänge, neue Motoren, ein komplett umgestaltetes Interieur und neue Fahrwerkstechnik.

Die Wirkung eines Ventils

Und gerade die macht sich schon auf den ersten Metern bemerkbar. DCC Pro heißen die neuen adaptiven Zweiventildämpfer, die elektronisch getrennt in Zug- und Druckstufe bis zu eintausendmal die Sekunde angepasst werden können. Nun war der Vorgänger schon kein Komfortverächter, aber das neue Fahrwerk lässt den Tiguan im positiven Sinne schweben. Zwar ist das erste Ansprechen auf Bodenwellen gerade mit großen Rädern noch etwas rempelig – SUV-typisch eben – aber grobe Unebenheiten schwingt er mit je einer sauberen Hub- und Senkbewegung aus. Kein Nachschwingen, kein Getaumel, nichts. In den sanften Settings der 15 Einstellungsstufen taucht der Tiguan lediglich etwas tiefer ein, während die strafferen Einstellungen in Sport und darüber hinaus ihn zwar stabiler halten, aber die Bodenwellen schon spürbarer einschlagen lassen. So oder so: das Fahrwerk bekämpft wirksam Seitenneigung. Man muss den Tiguan schon mit grober Lenkarbeit überfahren, dass er etwas ungelenk in die Kurven schwappt. Saubere Seitenführung, initiiert von der sauber ansprechenden Lenkung, die mit ihrer progressiven Übersetzung im weiteren Lenkwinkelverlauf nochmal deutlich an Direktheit zulegt. Handmoment? Passt! Feedback? Nur gering ausgeprägt. Und so baut so ein Tiguan gerade mit den optionalen 20-Zöllern in stattlicher 255er-Breite rundum durchaus Querbeschleunigung auf und schafft es mit sauberen Bremseingriffen des elektrisch simulierten Sperrdifferenzials, die Kraft über die Vorderräder auf den Boden zu bringen.

Insgesamt legt der Tiguan spürbar an Komfort wie Dynamik zu, ohne sich von seiner zutraulichen und einfach zu fahrenden Art zu verabschieden. Loderndes Feuer und vorwitzige Dynamik sind aber auch weiterhin nicht sein Metier. Die Allradmodelle und die Plug-in-Hybride liegen zudem einen Zentimeter höher, was jedoch nicht wirklich zu spüren ist. Auf der Autobahn zischelt es leicht an den A-Säulen, sonst stimmt die Akustik. Und wer noch genauer auf Windgeräusche achten will, kann einen Teil der Fahraufgaben an den Travel-Assist abtreten der mit wenigen, ruhigen Lenkbewegungen sauber die Spur hält und sich auch auf engen Passagen nicht von Lkws, auf der Nebenspur kirre machen lässt. Auch bei VW gibt es jedoch noch einiges an Potenzial bei der Verkehrszeichenerkennung, die im Tiguan weiterhin eher eine Wette als eine echte Hilfe darstellt. Noch dazu werden ihre teils fraglichen Erkenntnisse als Grundlage für die neue EU-verordnete Tempolimitwarnung hergenommen, die bereits ab einem km/h Übertritt der vermeintlichen Geschwindigkeitsbegrenzung das Piepen anfängt. Positiv: kurzer Abschaltweg über den Touchscreen in nur zwei Schritten.

Bessere E-rreichbarkeit

Für Vortrieb sorgt eine reichhaltige Auswahl an Benzinern, Dieseln und Plug-in-Hybriden. Die neue PHEV-Generation basiert dabei auf dem 1.5-TSI-Vierzylinder, der mit einem 85-kW-Elektromotor zwischen Motor und Sechsgang-DSG in ein Arbeitsverhältnis gesetzt wird. Nur sechs Gänge? Ja, dank des üppigen Drehmoments der Hybridantriebe, braucht es die knappere Abstufung nicht. Das spart Kosten und Komplexität. Je nach Version leistet der Benziner 150 oder 177 PS. Systemleistung: 204 oder 272 PS, da bei der stärkeren Variante aggressiver geboostet wird. Je nach Leistungsstufe greifen bis zu 350 oder 400 Nm Systemdrehmoment an der Vorderachse an. Allradantrieb erhalten nur die Top-Benziner und -Diesel. Viel wichtiger: Dank 19,7 kWh-Batterie (beim Vorgänger: 10,6 kWh) Nettokapazität sollen knapp 100 Kilometer rein elektrisch möglich sein – die finale Homologation steht noch aus. Immerhin 91 km zeigt der vollgeladene Testwagen beim Start der Runde an. Erfreulich: Trotz der Positionierung des E-Motors vor dem Getriebe fährt der Tiguan elektrisch sauber und ohne Verzögerung an. Schaltrucke sind kaum zu spüren, das bekommen nicht alle Plug-ins so sauber hin.

Im Hybridmodus startet der Tiguan stets elektrisch und nimmt erst ab einer bestimmten Lastanforderung den Verbrenner hinzu, oder, wenn es kälter als Minus 10 Grad ist. Das Zuschalten geschieht ruckfrei und leise. In der von uns gefahrenen 204-PS-Variante gefällt das harmonische Zusammenspiel der Antriebe sowie das zackige und druckvolle Ansprechverhalten. Unter Volllast erwartet man aber etwas mehr von den 204 PS, die sich dafür akustisch angenehm zurückhalten. Die Batteriekapazität kann im Battery-Hold-Modus in fünf Stufen vorgehalten werden. Ein Reichweitenmanager zeigt anschaulich, was noch an Reichweite rauszuholen ist, wenn man etwa die Klimatisierung zurückfährt. Ist die Batterie leergefahren kann mit 11 kW an der Ladesäule oder der Wallbox geladen werden. Ladedauer: zwei Stunden, 45 Minuten. Erstmals bietet VW auch eine Schnellladefunktion mit bis zu 50 kW an. An passenden Säulen geht es dann von 10 bis 80 Prozent in nur 23 Minuten, sofern der Akku sich temperaturseitig einigermaßen wohlfühlt, sonst dauert es ein paar Minuten länger. Das kennt man ja bereits von Elektroautos. Und für Effizienz sorgen nicht nur die überarbeiteten Antriebe, sondern auch die strömungsgünstigere Karosserie mit cw 0,28 statt 0,33.

Viel Technik im kleinen-, bewährte Kost bei den großen Verbrennern

Nichts zum Aufladen in Sicht? Dann warten der überarbeitete 1.5 eTSI evo2 mit 130 oder 150 PS und Frontantrieb sowie der bekannte 2.0 TSI mit 204 und 265 PS, letzterer sogar mit Allradantrieb. Die kleinen Vierzylinder bekommen einen stärkeren 48-Volt-Riemenstartergenerator, der 14 kW beim Anfahren in den Ring wirft und den Motor schnell und vibrationsarm startet. Zudem erhielt der 1.500er mit Zylinderabschaltung einen neuen Lader mit variabler Turbinengeometrie. Der Motor läuft im Miller-Zyklus unter hoher Verdichtung und mit sehr früh schließenden Einlassventilen, was der Effizienz ebenso helfen soll wie eine verbesserte Brennraumkühlung. Plasmabeschichtete Zylinderlaufbahnen und in die Kolben gegossene Kühlkanäle verbessern Reibung und Verbrennung. Viel Technik, die den kleinen Motor nicht ganz aus seiner hubraumbedingten Behäbigkeit befreit. Gerade das Wiederanfahren aus langsamen Rollphasen geht trotz Elektroboost nur verzögert vonstatten. Liegen die 250 Newtonmeter jedoch erstmal an, kommt der Tiguan gut voran. Auffällig ist die erweiterte Segelfunktion, die den Motor oft schon bei mittleren Geschwindigkeit überland deaktiviert, immer wieder auch auf leichten Gefällstrecken, was nicht gerade angenehm ist, da der Tiguan dann plötzlich schneller wird. Selbst geschaltet wird gar nicht mehr. Jeder Tiguan ist serienmäßig mit DSG ausgerüstet. Das macht einen ordentlichen Job, sofern es um den Schaltkomfort geht. Zackiges Runterschalten, präzises Anpassen der Schaltstrategie an die Fahrsituation? Das können andere besser. Weniger sparsam dafür weit kräftiger und mit einem souveräneren DS-Getriebe ausgerüstet: die 2.0 TSI-Antriebe.

Und es gibt natürlich noch die Diesel-Fraktion: Zwei Mal 2.0 TDI, 150 oder 193 PS bzw. 360 oder 400 Nm, wobei jedoch nur letzterer mit Allrad zu haben ist. Zwar raubt Euro-6d-final etwas Wucht im Ansprechverhalten, doch ab knapp über 2.000 Umdrehungen regiert weiterhin der homogene, für ein SUV so passende TDI-Dauerdruck. Die letzten Nagelfrequenzen hat man ihm erfolgreich ausgetrieben, was den TDI weiterhin für alle mit Distanzbewältigungs- oder Zugaufgaben zum Motor der Wahl macht. Zugkraft? Bis zu 2.300 Kilogramm zieht der Tiguan, 200 weniger als bisher. Natürlich wieder mit Trailer-Assist zum automatischen Rangieren und einem neuen Fliehkraftpendel in der Allradkupplung zur Vibrationsneutralisierung. Ebenfalls neu: Im Anhängerbetrieb passt die 4Motion-Steuerung automatisch die Kraftverteilung an.

Genug getouched? Ida und ChatGPT helfen

Anpassung erfuhr auch der Innenraum und das nicht zu knapp. Vorbei ist es mit abgesetzter Klimasteuerung und Tasten. Es regiert der Touchscreen in seinen vollen 15 Zoll. Licht- und Scheibenheizfunktionen werden über ein berührsensitives Feld links des Lenkrads wie bei den ID-Modellen und dem Golf gesteuert, und auch die wenig bedienergonomischen Touch-Slider für Temperatur und Lautstärke sind verbaut – nun zumindest beleuchtet. Eine Ausnahme findet sich jedoch auf dem Mitteltunnel. Hier verbaut VW einen Drehschalter mit Display. Der steuert üblicherweise die Lautstärke, drückt man ihn einmal, ändert sich die Symbolik auf dem Display und man kann durch Drehen die Fahrmodi von Eco über Comfort bis Sport und Individual wählen – für die Allradler gibt es noch Offroad und Snow – und mit einem Wisch nach rechts die Farb- und Lichtgestaltung des Innenraums, genannt "Atmospheres", verändern.

Ein bisschen Spielerei, aber auch nicht ganz unpraktisch. Immerhin zeigt sich die touchlastige Bedienung trotz ihres hohen Ablenkungspotenzials insoweit verbessert, als dass der Screen nun zackig Befehle annimmt, schnell hochfährt und eine deutlich verbesserte und simplere Menüstruktur aufweist, auch dank Shortcuts und konfigurierbaren Schnellwahlleisten. Sprachassistentin IDA hilft unkompliziert und versteht viele Befehle, auch fahrzeugseitiges wie das Aktivieren des Head-up-Displays. Ab Mitte des Jahres wird sie zudem von ChatGPT unterstützt. Die KI soll Fragen beantworten, kann jedoch nicht mit Fahrzeugfunktionen zusammenarbeiten, um etwa eine Route zu planen. Nett: Allradmodelle erhalten Offroadanzeigen für Neigungswinkel, Höhenmeter und einen Kompass. Ebenfalls positiv: das miserabel zu bedienende Lenkrad mit touchsensitiven Flächen aus Golf und den IDs bleibt im Regal. Im Tiguan gibt’s nur echte Tasten am Lenkrad.

Große Raumgefühle

Fast schon ein Pflichtkreuz sind die optionalen Ergoactiv-Sitze. Neben reichlich Einstellvielfalt inklusive Sitzflächenneigung, Oberschenkelauflage und Kopfstützen-Tiefe, bieten die äußerst bequemen Fauteuils angenehmen Seitenhalt, sitzen jedoch immer noch leger genug, dass sie den Einstieg keineswegs behindern. Dazu gibt's Sitzkühlung und eine Sitzmassage, die weit mehr kann als in bisherigen VW-Modellen: Statt einer sich auf- und abpumpenden Lendenwirbelstütze gibt’s hier eine echte Aktuator-Druckpunkt-Massage in Sitzlehne und -fläche. In der Standardausführung der Sitze mit drei Kammern, in der Plus-Variante mit zehn Kammern und statt mit Mikrofaser-Bezug in feinem Leder. Da passt der Rest der Tiguan-Kabine gerade noch dazu, denn während die Kunststoffe überwiegend weich sind und Kunstleder einige Flächen bedeckt, startet das Hartplastik bereits ab den Türgriffen abwärts. Immerhin sorgen die schicken Zierleisten mit hinterlegter Ambientebeleuchtung für ein wohnliches Ambiente. Eine Reihe weiter hinten gefällt zunächst wie vorn der einfache Einstieg durch die großen Türen, hier wird der Sparzwang aber mit überwiegend in Hartplastik gefertigten Türtafeln und der plastikfaserigen Mittelkonsole deutlicher.

Dafür sitzt man auf der Rückbank auch als großer Mensch hervorragend, wird von der sanften Ausformung der Lehnen in Kurven im Sitz gehalten und muss sich keine Sorgen um taubes Sitzfleisch auf langen Fahrten machen, da die Sitzfläche lang genug und angenehm gepolstert ist. VW verspricht je rund einen Zentimeter mehr Knie- und Kopffreiheit. Für mehr als 1,90 Meter Körpermaß reicht es allemal. USB-Anschlüsse gibt’s natürlich genauso wie optional eine dritte Klimazone. Im Kofferraum gibt’s für die Benziner und Diesel 37 Liter mehr Stauvolumen als bisher. 652 bis 1.650 Liter verlädt der Tiguan, womit das Maximalvolumen auf dem Niveau des Vorgängers bleibt. Dafür wächst der SUV nicht in Breite und Höhe. Weiterhin arrangiert er sein Ladevolumen äußerst praktisch mit Haken, Seitentaschen und einem verstellbaren Ladeboden. Der entfällt mit den Plug-in-Hybrid-Antrieben, da der Tank den Platz unter dem Kofferraumboden einnimmt, was das Ladevolumen auf 490 bis 1.486 Liter verkleinert. Jedoch hat man außenherum etwas Platz für Kleinkram und die Ladekabel gelassen. Die deutlich größere Batterie sitzt nämlich unter der Rückbank vor der Hinterachse.

Zehn Prozent teurer

Dass VW den Tiguan nicht verschenkt, dürfte klar sein. Ab 36.600 Euro startet der 130-PS-Benziner in der Basislinie. Dafür gibt’s immerhin bereits DSG, Klimaautomatik, die vorgeschriebene Assistenzarmada, LED-Scheinwerfer, eine Rückfahrkamera und 17-Zoll-Leichtmetallräder. Life kostet 2445 Euro Aufpreis und kommt mit 3-Zonen Climatronic, Komfortsitzen, variablem Ladebode, Einparkhilfe, Adaptivtempomat, App-Connect und Ambientelicht. Danach folgen noch die Toplinien Elegance und R-Line, die mit besseren Scheinwerfern, Ergoactiv-Sitzen, größeren Räder und Akustikscheiben den Tiguan jeweils in Richtung Sportlichkeit oder Luxus trimmen – auch optisch, denn die R-Line tritt deutlich abgesetzter und aggressiver auf als Elegance. Darüber hinaus wird es wie üblich zahlreiche Optionen und Pakete für mehr oder weniger faires Geld geben. Darunter fallen auch die neuen IQ-Matrixscheinwerfer mit 19.200 Mikro-LEDs pro Scheinwerfer, die bisher dem Touareg vorbehalten waren. Für einen Diesel sind mindestens 41.025 Euro in der Basislinie aufzubringen, die Plug-in-Hybride starten erst mit der Linie Life ab 48.655 Euro.

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Fazit

Der Tiguan hat beste Karten, seine wirtschaftlich bedeutende Rolle bei VW fortzuführen. Viel Platz, toller Komfort in Kombination mit viel Infotainment und Sicherheitstechnik machen ihn weiterhin zum goldenen SUV-Schnitt, auch weil er kaum gewachsen ist und mit seinem gerade noch kompakten Format parkhaus- und altstadttauglich bleibt. Bisherige Tiguan-Kunden müssen sich aber auf einen harten Einschnitt bei der Bedienung einstellen. Einen großen Sprung machen die Plug-in-Hybridantriebe, die nun angenehmer fahren, ihren elektrischen Radius deutlich vergrößern und dank deutlich gestiegener Ladeleistungen flexibler nutzbar sind. Die Anhebung des Basispreises um 3.600 Euro ist stattlich, das Mehr an Ausstattung dafür aber zumindest spürbar.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten