Audi Q6 E-Tron
Vorabfahrt mit der Verspätet-Plattform

Wie fährt sich der Audi Q6 E-Tron, der auf der neuen Elektro-Plattform PPE aus dem Volkswagen-Konzern aufbaut? Unterwegs im Prototyp des bis zu 380 kW starken SUV.

Zu früh? Auf gar keinen Fall. Im Gegenteil: Der Audi Q6 E-Tron trödelt ziemlich herum, sollte eigentlich in Kürze fertig entwickelt bei den Händlern stehen. Doch ach, die Software der neuen Premium Platform Electric, kurz PPE. Es hakte von Beginn an, weshalb sowohl der Audi als auch das Schwestermodell von Porsche, der E-Macan noch auf sich warten lassen.

Unsere Highlights

Im ersten Quartal 2024 soll es nun soweit sein, weshalb Audi schon mal zu einer Ausfahrt in einem Prototypen lädt. Und die beginnt bemerkenswert unspektakulär, trotz lustig-bunter Folierung. Denn im Q6 E-Tron ist es still, selbst für ein E-Auto außergewöhnlich still. Einfach mal: Nichts. Ruhe. Den Entwicklern gelang es, den Q6 E-Tron akustisch nahezu komplett auszuräumen, es floss (und fließt) viel Detailarbeit in das sogenannte NVH-Verhalten, was für Noise, Vibration, Harshness steht. So wirkt der SUV auf beeindruckende Weise knisterfrei, zugleich schwer und solide, ohne sich jedoch schwerfällig zu verhalten.

In sechs Sekunden auf Tempo 100

Gewaltige Beschleunigung? Ja, sicher, hat man ja heute bei den E-Fahrzeugen. Der 295 kW starke 55 Quattro soll in rund sechs Sekunden von Null auf 100 km/h sprinten, der SQ6 mit 380 kW im Boost sogar in 4,5 Sekunden. Vielmehr allerdings zeichnet das gesamte Fahrgefühl so etwas wie ernsthafte Leichtigkeit aus, wenn es das denn gibt. Zunächst überzeugt der Q6 mit seinem Federungskomfort, spricht selbst auf kurze Unebenheiten sensibel an – und das ganz ohne Beladung, die einer Einkammer-Luftfederung meist zu mehr Geschmeidigkeit verhilft. Ist hier nicht nötig. Die adaptiven Dämpfer kommen entgegen des aktuellen Trends mit einem gemeinsamen Ventil für Druck- und Zugstufe aus und auf den Prototypen stecken 21-Zoll-Räder (mit einem 40er-Querschnitt, immerhin), was alles nicht unbedingt für einen ausgewogenen Federungskomfort spricht. Der Q6 bekommt das aber hin, neigt im Comfort-Modus allerdings zu etwas arg ausgeprägten Vertikalbewegungen.

In Dynamic fährt er beruhigter, erlaubt absolut befriedigenden Restkomfort – der Modus der Wahl also. Zumindest für die Federung. Nicht jedoch für die Lenkung, die dann versucht, über ein völlig übertriebenes Handmoment Sportlichkeit zu suggerieren, ohne an Rückmeldung zu gewinnen. Letztere allerdings passt aber bereits im Comfort-Modus, fällt für einen Audi besonders hoch aus, doch seit dem Q8 E-Tron scheint sich da was getan zu haben.

Entspannung im Alltag

Und dann nutzt du die Lenkung, um den SUV in ein paar Kehren reinzuwerfen. Wie er sich da anstellt? Ziemlich talentiert, mit spontanem Einlenken, lange neutralem Eigenlenkverhalten und nur geringeren Wankbewegungen. Im Kurvenverlauf mehr Last abfordern? Kein Problem, in lang gezogenen Kurven bis zu einem Punkt, an dem vermutlich der eine oder andere Mitreisende mit den auftretenden Querkräften hadert. Der SQ6 soll hier noch mehr bieten, vor allem Lebendigkeit, Audi spricht von einem drückenden Heck, was allerdings auf der Testrunde nicht reproduziert werden konnte – zumindest nicht im legalen Rahmen. Offensichtlich dagegen: Die direktere Anbindung des S-Modells an die Straße durch eine grundsätzlich straffere Kennlinie des Fahrwerks, was natürlich zu Lasten des Federungskomforts geht – doch auch hier bleibt noch genügend übrig, um entspannt den Alltag zu bestreiten.

Einzig das Lenkgefühl erscheint in diesem Prototyp etwas eckig beim Anlenken, doch bis die ersten Kunden ihre Q6 übernehmen (vermutlich Ende des ersten Quartals 2024) dürfte das kein Thema mehr sein. Ein großes Thema dagegen: Reichweite und Ladeleistung. Über 600 Kilometer sollen möglich sein, wobei die Reichweitenanzeige bei einem Ladestand von 98 Prozent nur 430 km zeigt. Die maximale Ladeleistung liegt bei 270 kW, zudem sagt der Hersteller, dass innerhalb von zehn Minuten Energie für 250 Kilometer nachgeladen werden könne. Der flach zwischen den Achsen montierte Akku besteht aus 12 Modulen mit je 15 prismatischen Zellen mit einer 180-s-1-p-Verschaltung, was die hohe Spannung von 800 Volt ermöglicht. Die Kapazität beträgt 100 kWh, das Gewicht rund 540 kg – und damit etwa 160 kg weniger als der Akku des ersten E-Tron von 2018 mit ähnlicher Kapazität.

Recht forsche Rekuperation

Um die Batterie effizient zu nutzen, bedient sich der Q6 der Rekuperation, natürlich. Dafür steht sowohl ein Einpedal-Modus (Fahrstufe B) zur Verfügung, als auch zwei definierte Modi sowie ein adaptiver. Wichtig ist den Entwicklern, dass rund 95 Prozent aller im Alltag anliegenden Bremsvorgänge über die Rekuperation abgedeckt werden können. Das geht natürlich auch allein über das Bremspedal, wenn keine Rekuperationsstufe gewählt wird. Dabei fällt auf, dass das Pedal über einen vergleichsweise kurzen Weg verfügt und recht forsch anspricht, dennoch lässt sich der Audi nach kurzer Gewöhnung sacht bis zum Stillstand abbremsen. Jetzt aber: Beschleunigung. Die sanfte Wucht genießen, zumindest kurz, die Souveränität, dazu die herrliche Ruhe (schön, dass sich der Wummer-Sound im Dynamic-Modus deaktivieren lässt).

Und die Arbeitsbedingungen? Prima, denn der Q6 verräumt Fahrer und Beifahrer SUV-typisch hoch, aber im Pkw-Stil passend zum Instrumententräger. Welche Instrumente der Träger trägt? Tja, da hängen noch schwarze Tarnmatten darüber, Audi will sich noch Neuigkeiten aufsparen. Nur so viel: Am Vierspeichen-Lenkrad finden sich Touch-Flächen, doch deren Symbolen sind klar gezeichnet, bestens hinterleuchtet und ausreichend groß dimensioniert. Das passt also. Der kleine, rechteckige Schiebe-Wählhebel für die Fahrmodi ist ebenfalls gelernt. Die Bedieninsel in der Fahrertür hingegen weniger, die verwirrt zunächst. In der Armlehne stecken klassische Tasten für die vier Fensterheber, doch darüber, also im Anstieg des Handgriffs, versammeln sich in einer Touchfläche Licht- und Spiegeleinstellungen sowie die Speichertasten für die Sitzpositionen.

Preis dürfte bei ca. 60.000 Euro starten

Apropos Licht: Der Q6 E-Tron kann mit spezieller LED-Lichtechnik bestellt werden. Über die 122 Lichtsegmente der Scheinwerfer lässt sich nur die Fahrbahn optimal ausleuchten. Zusätzlich kann der Kunde individuelle Lichtsignaturen für das Tagfahrlicht wählen. Am Heck arbeiten 360 Lichtsegmente, die unter anderem bei Gefahr den nachfolgenden Verkehr mit einem Warndreieck informieren. Die Bedieninsel jedenfalls wirkt ein bisschen wie Resterampe, was vermutlich daran liegt, dass es genau das ist – und das wiederum passt nun gar nicht zum Anspruch des Q6 E-Tron. Der soll sich sowohl von den Abmessungen also auch vom Preis zwischen Q4 E-Tron (4,59 Meter, ab 51.900 Euro) und Q8 E-Tron (4,91 Meter, ab 74.400 Euro einordnen), trifft also genau das global populäre Segment der Mittelklasse-SUV. Besonders viele Elektro-Modelle fahren da noch nicht herum. Gut möglich also, dass es für den Q6 E-Tron nicht zu spät ist.

Umfrage
Hattet ihr in einem Elektroauto schon einmal Reichweitenangst?
3656 Mal abgestimmt
Ja, es war schon einmal richtig knapp
Nein, bisher habe ich immer ohne Probleme mein Ziel erreicht

Fazit

Die Eckdaten hinsichtlich Reichweite, Lade- und Fahrleistungen klingen vielversprechend, lassen sich allerdings noch nicht belegen. Eindeutig hingegen: Der hohe Geräuschkomfort, die ausgewogene Fahrwerksabstimmung und das für einen Audi geradezu außergewöhnlich definierte, präzise Fahrverhalten mit rückmeldungsintensivem Lenkgefühl.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten