Fahrbericht Serienmodell Pininfarina Battista
Atmen oder beschleunigen - beides geht nicht

Automobili Pininfarina lädt zur Ausfahrt im 1.900 PS starken E-Hypercar Battista. Das Erlebte ist schwer in Worte zu fassen, wir versuchen es dennoch.

Automobili Pininfarina Battista Elektro Hypercar Fahrbericht 2023
Foto: Automobili Pininfarina

Es ist eigentlich gar kein Hypercar, das die Italiener konzipiert haben. Sie selbst nennen ihn Luxus-Hyper-GT, weil der Battista auf die Landstraßen gehört. Nicht auf die Rennstrecke. Doch während jedes einzelne Steinchen, das die piemontesischen Weinbau-Traktoren aus dem Straßenbelag gelöst haben, gut hörbar durch die Radhäuser klickert, würden flankierende Curbs das Bild zugegebenermaßen auch nicht wirklich verzerren.

Der Starkstromer entsteht handgefertigt in Cambiano auf dem Werksgelände von Pininfarina. Und bevor die Fingerknöchel später am Lenkrad weiß hervortreten, machen wir einen Abstecher in ebendiese Wiege des Battista. Als vertrauensbildende Maßnahme sozusagen. An der Pforte steht ein Cisitalia 202 Coupé bereit, mit dem es bis an die Tür der Werkshalle geht. Was der Oldie von 1947 mit dem Neuzeit-Sportwagen gemeinsam hat? Eigentlich nichts. Vielleicht soll er mit seinem kleinen Fiat-Motor eine gewisse Kontrastwirkung entfalten.

Unsere Highlights
Cisitalia 202 Coupé Pininfarina
Automobili Pininfarina
Mit dem Cisitalia 202 hat Pininfarina das Sportwagen-Design revolutioniert. Mit dem Battista die Wahrnehmung von Geschwindigkeit.

Specs und Plattform

Wir treffen COO Andrea Novello und sein Team in einem Empfangsbereich, der einzig für die 150 ausgesprochen finanzstarken Käufer erdacht und erbaut wurde. Hier stellen sich die Kunden gemeinsam mit den Pininfarina-Designern Lack, Leder und Luxusapplikationen ihres Battista zusammen. Zehn Wochen dauert die Fertigung eines einzigen Exemplars. In dieser Zeit purzeln bei VW rund 87.500 Gölfe vom Band. Den technischen Unterbau des Battista liefert kein Geringerer als E-Auto-Pionier Mate Rimac. Dessen Hypercar Nevera hat hier also einen italienischen Zwilling. Zweieiig und etwas anders erzogen... äh, abgestimmt.

Kurz zu den Gemeinsamkeiten: Ein 120 kWh starker Akku speist vier Elektromotoren, die es auf eine Systemleistung von 1.400 kW (1.900 PS) und 2.340 Newtonmeter Drehmoment bringen. Damit beschleunigt der Battista laut Hersteller in 1,86 Sekunden auf 100 km/h, nach 4,75 Sekunden fällt die 200-km/h-Marke und bei 350 km/h ist Schluss. Die Power portionieren vier Fahrmodi (Calma, Pura, Energica und Furiosa).

Okay, schreiten wir zur Tat. Schließlich lesen Sie diesen Text, weil Sie wissen wollen, wie sich das Auto tatsächlich anfühlt. Loris Bicocchi nimmt die Einweisung vor. Ein Mann, der seit 1974 als Testfahrer unter anderem für Bugatti, Koenigsegg, Lamborghini und Pagani arbeitet. Ein Auto wie den Battista hat er in seiner langen Karriere bisher noch nicht erlebt, wie er mit einem sanften Lächeln gesteht.

Automobili Pininfarina Battista Loris Biocchi
Automobili Pininfarina
Ein Auto wie den Battista hat Profi-Testfahrer Loris Biocchi noch nie erlebt, sagt er. In den letzten 40 Jahren hat er unter anderem für Bugatti, Lamborghini und Pagani gearbeitet.

Der erste Kontakt

Auf dem linken Touchscreen handeln wir die Einstellung der Sitze und Außenspiegel ab. Auf dem rechten Display ignorieren wir Navi und Multimedia-Funktionen. Das Infotainmentsystem ist genau so, wie man es bei einem Fahrzeug dieses Schlages erwartet: zweitrangig. Links in der Tür sitzt der Drehregler für die Fahrmodi. "Wir starten immer in Calma. Du kannst niemanden, der zum ersten Mal fährt, gleich mit den höheren Fahrmodi auf die Straße lassen", erklärt Bicocchi. Er sollte Recht behalten, denn es gibt nichts, was einen auf das vorbereiten könnte, was gleich passiert.

500 kW stehen in Calma zur Verfügung, die Hinterachse schaltet sich nur bei Bedarf zu. In diesem Spar-Modus sollen laut WLTP bis zu 476 Kilometer Reichweite stecken. Wir wissen alle, dass niemand diese Zahl je erreichen wird und darum geht es auch nicht. Im Briefing am Vorabend empfiehlt Entwicklungsfahrer Georgios Syropoulos den Modus "Energica" für die Landstraße. Er muss es wissen. Allein im Jahr 2021 verbrachte der in München stationierte Ingenieur volle 46 Wochen hinter dem Steuer und nur 6 Wochen zu Hause.

Hinter einer von Rebstöcken gesäumten Kehre öffnen sich etwa 300 gerade Meter Asphalt. Der Zeitpunkt ist gekommen, das rechte Pedal fällt. Was dann passiert, fühlt sich an, wie eine Mischung aus dem ersten Kuss, Astronautentraining und einem leichten Schwips. Dass der Atem stockt, ist hier keine Floskel. Bei voller Beschleunigung fällt es wirklich schwer, Luft zu holen. Währenddessen versucht der Kopf zu sortieren, wie so etwas sein kann. Das Blut klebt indes samt und sonders an der hinteren Schädelwand. Der Battista kann diese Übung in reproduzierbarer Dramatik abhandeln – daran muss man sich erstmal gewöhnen.

Automobili Pininfarina Battista Elektro Hypercar Fahrbericht 2023
Automobili Pininfarina
Wer durchbeschleunigt, wird von der schieren Kraft kurzzeitig am Atmen gehindert.

Nun klingen 1.900 PS oder selbst die 1.500 PS im Energica-Modus nach reichlich überschüssiger Kraft für öffentliche Straßen. Doch was mit dem Battista möglich ist, avanciert auf der geschwungenen Route im Piemont zu einer neuen Sportart. Wie kurz kann die Verweildauer zwischen zwei Kurven sein? Viel Zeit bleibt nicht, um über diese Frage nachzudenken, weil einen das Ergebnis nach jeder Biegung aufs Neue überrascht. Als bekäme man schon während des vorletzten Schlucks das nächste Getränk serviert.

Dynamik und Komfort

Das soll nicht bedeuten, dass die Kurven selbst kein Erlebnis wären. Ab Energica meldet sich das Torque Vectoring System zum Dienst und zieht den immerhin rund 2,2 Tonnen schweren Battista mit messerscharfer Präzision in und durch die Radien. Besonders jetzt, wo die Michelin Pilot Sport Cup 2R auf Temperatur sind, erobert der Battista die Kurven im Sturm. Vielleicht auch, weil er so schnell ist, dass sie ihn gar nicht kommen sehen. Ein unscharfer gelber Strich im pittoresken Postkarten-Motiv Norditaliens. Erstaunlich dabei, wie gut das Auto seine Kilos kaschiert. Der Battista fühlt sich beinahe leicht an. Und klein.

Die adaptiven Dämpfer straffen sich, Seitenneigung kennt der mit dem konzeptbedingt tiefen Schwerpunkt gesegnete Elektro-Sportwagen nicht. Die Carbon-Schalen halten den Fahrer unterdessen unbeeindruckt in Position. Auch das Handmoment der Lenkung legt in den sportlichen Fahrmodi zu, bleibt allerdings eine Spur zu leichtgängig. "Das geht nicht anders, weil das System ausgereizt ist", wird Syropoulos später bei einem kühlen Drink einwerfen. "Wenn wir die Lenkung schon bei Geschwindigkeiten um die 100 km/h zusätzlich straffen, bleibt obenraus zu wenig Spiel und da müssen wir eine Steigerung haben. Das Auto verfügt eben über einen immensen Leistungsspielraum. Wenn du auf der Rennstrecke mit 300 Sachen einbiegst, sind deine Muskeln ohnehin angespannt. Hält die Lenkung dann nicht stärker dagegen, fühlt sich das Delta zwischen Lenkwinkel und Richtungsimpuls zu soft an."

Vor der nächsten Ortschaft geht es garstig auf die Bremse. Den Battista bringt das nicht aus der Ruhe. Neben der Karbon-Keramik-Anlage fungieren die aktiven Aero-Teile zusätzlich als Airbrake. Laut Automobili Pininfarina steht der Hyper GT aus 100 km/h schon nach 31 Metern. Das Blut schießt vom Hinterkopf zurück ins Gesicht. Flatsch. Vom diffusen Bremspunkt des Vorserienmodells hat sich der Battista definitiv verabschiedet. Sobald die Sinne einigermaßen beisammen sind, wandert der Drehregler zurück auf "Calma", um auf kopfsteingepflasterten Sträßchen den maximal möglichen Komfort zu ermitteln.

Das Ergebnis: überraschend. Keine rüde Härte rüttelt die Insassen zurück ins Hier und Jetzt. Selbst die Übersichtlichkeit taugt, trotz sparsam applizierter Fensterflächen. Der Innenspiegel ist ein Display, das dauerhaft das Bild der Rückfahrkamera überträgt. Das Blöde daran ist lediglich, dass diese Art "Spiegel" nicht für einen zwischenzeitlichen Check der Gesichtsfarbe taugt. Ein Kreisverkehr bringt schließlich einen ernst gemeinten Kritikpunkt aufs Tableau. Auf dem Lenkrad sitzt rechts und links eine Taste für den jeweiligen Blinker. Beim Ausfahren nötigt das dem Piloten eine kurze Hirn-Akrobatik-Einlage ab, wenn er versucht, zielgenau den richtigen Knopf am rotierenden Volant zu treffen.

Anwendung und Preis

Wir wollen den Battista allerdings nicht mit weiteren Einschätzungen zum Thema Alltagstauglichkeit beleidigen. Schließlich ist der Anwendungsbereich, das "Grand Touring", kein Tagesgeschäft, sondern ausgelebte Leidenschaft – und genau die weiß Automobili Pininfarina mit den passenden Qualitäten zu unterfüttern. In noch nie dagewesener Form. Nicht schlecht für ein Elektroauto-Start-up, das sein erstes Fahrzeug auf die Straße gebracht hat. Hoffentlich werden die 150 Exemplare ungeachtet des immensen Anschaffungspreises eben dort auch ausgiebigen Auslauf erhalten. COO Novello verrät: "Bei den vorsteuerlichen 2,2 Millionen Euro bleibt es eigentlich nie, weil unsere Kunden gerne die zahlreichen Individualisierungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen." Die Vorgabe: Es darf keine identischen Fahrzeuge geben. Was uns angeht, können wir sagen: Es gibt auf aktuell quasi keine vergleichbaren Modelle.

Automobili Pininfarina Battista Andrea Novello
Automobili Pininfarina
Andrea Novello (rechts) ist COO von Automobili Pininfarina. Er erklärt: Keines der 150 Exemplare gleicht dem anderen. Die Kunden individualisieren fleißig.

Battista "Pinin" Farina war eine Ikone unter den Automobil-Designern. Doch abseits aller zeitlosen Linien, hatte Farina stets den Traum, ein eigenes Auto zu konstruieren. Auf der geöffneten Fahrertür ist ein Zitat seines Ur-Enkels Paolo Pininfarina zu lesen. "Der Battista ist ein Traum, der wahrgeworden ist." Sein Namensgeber dürfte stolz sein, auch wenn er das Ergebnis seiner Vision nicht mehr live erleben kann.

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Na sicher. Die unfassbaren Daten sprechen doch für sich.Sicher nicht. Er ist nur ein Elektro-Hypercar unter vielen.

Fazit

Bei ultra-teuren, limitierten Sportwagen begegnet man der erlesenen Kundschaft nicht selten mit neidgespeister Missgunst. Im Falle des Battista müssen wir aber anerkennend nicken. Wem auch immer es vergönnt ist, dieses überirdische multimillionen-Geschoss in den Fuhrpark aufzunehmen, er hat eine gute Wahl getroffen und wird fortan einen neuen Bezugspunkt für die Definition von Schnelligkeit haben.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten