Fahrbericht Italdesign Zerouno
Karbon-Kracher mit 600 PS

Italdesign, seit 2010 VW-Tochter, wollte auch mal ein eigenes Auto mit eigenem Logo bauen. Der Wunsch gipfelte in einer spektakulär gestalteten Karbon-Flunder namens Zerouno. 5 offene und 5 geschlossene Zweisitzer verkauft Italdesign, einen durften wir fahren.

Italdesign Zerouno
Foto: Italdesign

Diese Schnauze ist der Knaller: Ihre Haube endet vorn zwischen den schmalen LED-Scheinwerfern aus einem größeren Sechseck und fünf kleineren in einer Art Schnorchel. Er sieht aus wie die Front eines Formel-1-Monoposto der 60er-Jahre – nur platt gedrückt. Auch der Rest der Karosse zeigt zumindest beeindruckende Details – wie etwa der komplett abnehmbare Heckdeckel, der wahlweise aussieht wie der Rücken eines Reptils oder wie Darth Vaders überfahrene Gesichtsmaske. Beeindruckend sind zudem die Proportionen: Mit 4,85 Meter so lang wie ein VW Arteon, aber mit nur 1,20 Meter Höhe 25 Zentimeter flacher, 1,97 Meter breit – da bleiben viele Münder offen und wenn der Zerouno unter Leute kommt, ist es meist vorbei mit der Geschwindigkeit: Menschentrauben, in denen jeder zum Beweis seiner Schaulustigkeit ein Smartphone hochhält, bremsen den karbonierten R8.

Unsere Highlights

Indivdualisierbares Sportwageninterieur

Zur Innenraumgestaltung lässt sich wenig sagen. Erstens, weil Italdesign jedes der fünf Exemplare der Ultra-Mini-Kleinstserie individuell für jeden Kunden gestaltet – vielleicht hat sich einer deshalb gleich zwei Zerouno (italienisch für Nulleins) gekauft. Das sind 40 Prozent der Stückzahl für Coupé bzw. Cabrio. Zweitens ist der Innenraum des Testautos noch für keinen Kunden gestaltet, sprich eher pragmatisch gestückelt und nicht fertig. Aber vieles, was man sieht ist aus Karbon.

Das Passagierabteil insgesamt gibt keinen Anlass zur Kritik: Der Einstieg funktioniert problemlos, für eine Fahrzeughöhe von nur 1,20 Meter geradezu überraschend einfach. Innen sitzt man natürlich flach, aber auch bei 1,84 Meter Körpergröße ergonomisch korrekt und vergleichsweise entspannt. Die Übersicht nach vorne ist gut, nach hinten ist sie nicht schlecht – sie ist schlicht nicht vorhanden. Dafür schaltet sich beim Einlegen des Rückwärtsgangs eine Rückfahrkamera auf den zentralen Touchscreen. Nach vorne fällt der Blick auf die digitalen Instrumente von Audi – das ist kein Fehler: Ihre hochauflösende Grafik ist prima ablesbar und das animierte Auto im linken Bereich ist erkennbar ein Zerouno und nicht einfach ein R8. Außerdem erinnert die Optik auch an den Lamborghini Huracán. Klar, über den Audi R8 ist der Zerouno auch mit dem italienischen Mittelmotorsportwagen verwandt.

Hochdrehzahl-V10 und Doppelkupplungsgetriebe

Das hört man beim Motorstart: Der V10 bellt einem heißer ins Genick und hechelt selbst im anschließenden Leerlauf schon drehzahlgierig vor sich hin. Das Doppelkupplungsgetriebe setzt die spontane Gasannahme des V10 in einen geschmeidigen und völlig problemlosen Anfahrvorgang um. Losfahren mit dem Zerouno ist genauso einfach wie mit einem Automatik-Allerweltsauto. Nur die Drehmomentüberhöhung des Wandlers fehlt, behutsames Anfahren ist eher einfacher, die Software regelt die Lastanforderung für den Motor. Trotzdem ist die Karbonflunder sofort nach dem Verlassen des Werksgeländes bereit loszupreschen, wenn das Gaspedal kräftiger bewegt wird. Die feinnervige Reaktion des Hochdrehzahlantriebsstrangs begeistert. Der Sound ist im Testwagen auch in der Sporteinstellung laut den Italdesign-Leuten etwas dumpfer, weil hier statt der Titan-Auspuffanlage eine aus Stahl installiert ist. Das Geräuschniveau im Inneren ist südländisch fröhlich, aber nicht lästig, nach außen italienisch extrovertiert – in den Schaltpausen ist der eine oder andere „Handkorb“, diese typische Geste, die wir nur von unseren Nachbarn jenseits der Alpen zu kennen glauben, lautmalerisch eingearbeitet: Der V10 sprotzelt spektakulär aus dem Abgasstrang. Die Schaltvorgänge gehen zackiger als ein Sizilianer „precipitevolissimevolmente“ (italienisch für „Hals über Kopf“) sagen kann. Hier hat Italdesign nachgeschärft. Mit dem Effekt, dass der Fahrer sich ein ums andere Mal dabei ertappt, wie er einen Schaltvorgang zu viel einbaut, nur um sich an der rasanten Reaktion auf den Zug an der Lenkradwippe zu erfreuen – und am blitzartigen und wohltönenden Zwischengasstoß beim nächsten Runterschalten.

Reduziertes Gewicht, geschmeidiges Fahrwerk

Das Beste aber kommt beim Fahren auf kurvigen Landstraßen: Der Zerouno verzahnt sich mit dem Asphalt ohne dabei unkomfortabel zu sein – die Federung scheint vor allem akribisch auf innigsten Kontakt zwischen Reifen und Straße zu achten.

Dass der Zerouno etwa 260 kg leichter ist als der R8 (1655 kg) äußert sich in einem sehr agilen Handling – das fühlt sich eher nach Lotus als nach pfeilschnellem Superportwagen mit megastabilem Geradeauslauf bei hohen Geschwindigkeiten an – die (Höchstgeschwindigkeit: 330 km/h) ließ sich bei der Testfahrt nicht ausprobieren; trotzdem gab die sehr flotte Landstraßenrunde keinen Anlass, zu glauben, der Zerouno würde unruhig geradeaus fahren, egal bei welcher Geschwindigkeit. Im Gegenteil. Aber das spontane Einlenkverhalten im Kontrast dazu überrascht positiv, vor allem wenn man das Kaliber des Autos im Kopf hat.

Was sich auf der Probefahrt ernsthaft nicht mal provozieren ließ, ist Untersteuern. Allerdings schien die Elektronik im Testauto selbst im Sportmodus eher vorsichtig eingestellt. Regeleingriffe waren zwar keine zu beobachten, nicht mal bei voller Beschleunigung auf weniger griffigen Landstraßen mit Herbstlaub. Vielmehr wirkte der V10 ein wenig gehemmt, als wären noch nicht alle der 600 PS versammelt. Angesichts des Preises könnte man eine zurückhaltende Kennlinie schon verstehen.

Wer es dennoch schafft zu übertreiben, kann sich auf die Karbonbremsanlage verlassen, die einem bei Bedarf das Muster des Gurts auf die Brust prägt. Auch sie profitiert vom reduzierten Gewicht. Wenn die Bremsen einen dann nicht in der totalen Einsamkeit zum Stehen gebracht haben, bleibt man nicht lang allein – der Zerouno (Nulleins) ist ein Sportwagen für mehr als zwei.

Fazit

Die Idee, einen Mittelmotorsportwagen konsequent zu erleichtern und ohne Rücksicht auf die Kosten zu verbessern, findet im Italdesign Zerouno eine gelungene Umsetzung, die mit guter Alltagstauglichkeit überrascht und trotz aller Radikalität einfach zu fahren ist.

Als Daily-Driver dürfte der Zerouno aber angesichts der Exklusivität bei kaum einem Käufer Verwendung finden – womöglich steht manches Exemplar mehr als es fährt. Schade.

Selber kaufen und anders machen wird schwierig: Das Coupé ist ausverkauft und vom offenen Duerta sind auch nicht mehr alle der fünf Exemplare zu haben. Und dann bliebe noch der Preis von 1,9 Millionen Euro als Hindernis.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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