Haval Jolion HEV & H6 von Great Wall
Wie die 20.000-Euro-SUV aus China fahren

Der Name Haval ist im GWM-Konzern für kompakte und mittelgroße SUV vorgesehen. Wir durften zwei Exemplare ausprobieren: den Jolion mit konzerneigenem Hybrid-Antrieb sowie den H6 mit Zweiliter-Benziner. Der Preis ist heiß, aber es gibt Nachteile.

Great Wall Motors GWM Haval Jolion Collage
Foto: GWM / Patrick Lang

GWM – hinter dem Kürzel steckt Great Wall Motor, einer der ältesten (1984 gegründet) und erfolgreichsten chinesischen Autobauer. Der Konzern mit über 70.000 Beschäftigten fertigt pro Jahr über eine Million Autos, unter anderem unter den Namen Ora, Haval, Wey oder Tank. Dazu wird gerade in Kooperation mit BMW ein Werk zur Fertigung des Elektro-Mini gebaut.

2,70 Meter großer Radstand

Der Jolion HEV stellt sich als erster zur Probefahrt – ein ansehnlicher Kompakt-SUV mit zur 4,5 Metern Außenlänge und 2.700 mm Radstand. So passt er gut in die aktuelle Landschaft, da ist man gar nicht so weit weg von RAV4, CR-V, Tiguan, Kuga etc. Im Design übrigens auch nicht. Gleichwohl der Jolion keine ausgesprochene Auto-Schönheit ist, fügt er sich harmonisch ins Straßenbild – ein moderner SUV in freundlichem Azurblau-Metallic, wie viele andere. Dass der Wagen hier gar nicht so auffällt, liegt daran, dass wir auf einer Küstenstraße rund 100 km westlich von Melbourne unterwegs sind. Haval ist bereits seit rund zehn Jahren auf dem australischen Markt vertreten, der eine oder andere ältere Haval kommt uns unterwegs entgegen.

Unsere Highlights

Der Inneneinrichtung haben die Chinesen offenbar viel Aufmerksamkeit gewidmet: Auf den ersten Blick wirkt das Interieur freundlich und wohnlich eingerichtet. Die GWM-Gestalter orientieren sich dabei am Mainstream: Zwei große Bildschirme für Hauptanzeigen und Infotainment, Bedienung über Touchscreen und Lenkradtasten.

Damit kommt man auf Anhieb zurecht. Einige Tücken im Umgang mit dem Jolion zeigen sich erst auf der weiteren Fahrt. Als Wahlschalter für Getriebefunktionen dient im Haval ein Drehknopf, der den Ausführungen in diversen Kia-, Hyundai- und Ford-Modellen zum Verwechseln ähnelt. Bei unserem Hybrid-Jolion sind die Positionen R, N und D vorgesehen, für P muss ein Knopf in der Mitte des Drehknaufs gedrückt werden. Die Gangwahl funktioniert mehr schlecht als recht, weil sich der Knauf über die Endpositionen herausdrehen lässt – welche Fahrstufe eingelegt ist, lässt sich nur an eher schummerigen Leuchtzeichen am Wahlknopf ablesen.

Für die Topausstattung werden 26.645 Euro fällig

Interessanter ist da die Technik hinter dem Getriebeschalter. Unser Jolion ist die HEV-Version. Sie verfügt über einen leistungsverzweigten Hybridantrieb mit zwei Elektromotoren sowie einem 1,5-Liter-Vierzylinder und einem Zweigang-Getriebe. Dabei kann das System sowohl als serieller als auch paralleler Hybrid arbeiten. Außerdem gibt es Fahrsituationen, in denen allein der Verbrenner für Vortrieb und gleichzeitiges Aufladen des Akkus zuständig ist. Wie bei allen gut gemachten Hybriden bekommt man während der Fahrt nicht allzu viel mit, selbst der Benzinmotor hält sich akustisch sehr zurück. Das liegt freilich auch daran, dass die australischen Landstraßen und Autobahnen streng tempolimitiert sind und das Leistungsvermögen des Antriebs nur selten wirklich fordern. Zu den überschäumenden Hybdridantrieben gehört der im Jolion nicht.

Laut der spärlich verfügbaren technischen Daten liefert er eine Systemleistung von 140 kW sowie 375 Nm kombiniertes Drehmoment. 75 kW und 125 Nm kommen dabei vom Verbrenner, die beiden Elektromotoren können 115 kW und 250 Nm beisteuern. Damit lässt sich der 1,5 Tonnen schwere Jolion einigermaßen angemessen beschleunigen, jedenfalls so lange man in legalen Geschwindigkeitsbereichen bleibt. Dazu passt das eher gemütlich abgestimmte Fahrwerk. Es verarbeitet Anregungen selbst auf gröberen Fahrbahnen sehr geschmeidig, damit lässt es sich sehr gut leben. Hier stört nicht, dass die dynamischen Qualitäten etwas darunter leiden. Der Jolion wirkt bei schneller Kurvenfahrt wenig agil und behäbig, die Lenkung taub und wenig mitteilungsfreudig.

Wohler fühlt sich der Wagen beim gemütlichen Cruisen, gern mit der adaptiven Geschwindigkeitsregelung, die ebenso wie ein Paket der heute üblichen Assistenzsysteme serienmäßig an Bord ist. Dabei wäre einem manchmal etwas weniger Assistenz lieber, denn ständig scheint zumindest eines der Systeme in Aufregung, warnt mit unterschiedlichen Pieptönen, wobei oft nicht erkennbar ist, was nun gerade los ist. Zudem scheint der aktive Spurhalter ständig ins Lenkrad zu greifen, versucht das Auto oft in der Mitte einer imaginären Fahrspur zu halten. Oder die Geschwindigkeitsregelung verlangsamt auf der Autobahn selbst bei harmlosen Biegungen von gerade noch legalen 105 auf deutlich unter 100 km/h. Bei Biegungen wohlgemerkt, die in Deutschland jeder Fahrschüler ohne zu zucken mit Richtgeschwindigkeit durcheilte. Das nervt, doch offenbar ist diese Art der Abstimmung auf dem Heimatmarkt gewünscht. Für einen Einsatz auf dem europäischen Markt wäre freilich eine etwas ausgefuchstere Abstimmung der Assistenzsysteme wünschenswert. Immerhin wird der Verkauf des Jolion in Europa nicht ausgeschlossen. Was den Blick auf die Preise in Australien interessant macht: Den Jolion HEV in Topausstattung gibt es für rund 41.000 Dollar (26.650 Euro). Die billigeren Versionen des Jolion gibt es gar ab rund 26.000 Dollar (umgerechnet 16.900 Euro).

Mazda CX6-Konkurrent H6

Rund 5.000 Euro teurer als der Jolion HEV ist der größere H6, den es auf dem italienischen Markt bald für 20.000 Euro zu kaufen geben soll. Er konkurriert in Australien mit Mazda CX6 oder Hyundai Santa Fe und ist auch in einer Schrägheck-Variante namens GT im Angebot. Die steht hier zu einer weiteren Probefahrt zur Verfügung. Der H6 ist als Hybrid und PHEV lieferbar, unser Exemplar kommt mit Zweiliter-Benziner und Doppelkupplungsgetriebe sowie mit Allradantrieb. Der Motor leistet 211 PS, entsprechend geht er etwas wuchtiger zur Sache als der Hybrid im Jolion. Groß ist der Unterschied jedoch nicht, die gut 200 Pferde im H6 scheinen von der eher zahmen Sorte zu sein. Der Fahreindruck ähnelt jenem im Jolion. Gleich sind zudem Bedienung und Infotainment, auch hier gibt es einige Ungereimtheiten zu entdecken. So funktioniert Navigieren nur per Car Play, und das ausschließlich per USB-Kabel.

Schwierig wird es zudem, wenn der Infotainment-Monitor durch die Navi-Anzeige belegt ist, der Touchscreen aber dennoch bedient werden muss. Etwa um einen Radiosender zu suchen oder die Klimaanlage zu bedienen. Tief in die Menüs muss man abtauchen, wenn einer der vielen Pieps-Assistenten stillgelegt werden soll oder etwa gar die Sitzheizung eingeschaltet werden will. Dass der H6 im Übrigen deutlich größer ist, merkt man sowohl von außen als auch von innen erst auf den zweiten Blick. Auffällig bei beiden: Der Platz in der ersten Reihe scheint eher knapp bemessen, hier fühlen sich Insassen jenseits der 1,80 m schon recht beengt untergebracht. Dafür gibt es sehr viel Platz im Fond, wodurch die Kofferräume für diese Klassen ebenfalls recht spärlich scheinen.

Vor dem H6 tut sich die Great Ocean Road auf, eine Küstenstraße am Pazifik, die auf 243 Kilometern zwischen der Surfer-Metropole Torquay und Allansford immer wieder atemberaubende Aussichten auf Ozean, einsame Buchten und wilde Felsformationen bietet. Der erste Abschnitt östlich von Torquay wurde vor genau 100 Jahren eröffnet. Hier schwimmt der Haval unauffällig im Verkehr mit, das Tempolimit variiert zwischen 80 und 60 km/h, keine Herausforderung für H6 und Insassen. Hinter Angelsea wird der Verkehr etwas flüssiger, doch so wirklich engagiert fährt hier keiner um die vielen Kurven. Womöglich wegen der strengen Verkehrsüberwachung oder weil immer wieder von den Felswänden gebröckelte Steine unterschiedlicher Größen tückisch auf der Ideallinie lauern. Wir umkurven sie gelassen, der H6 warnt immer wieder akustisch, wenn das jeweils gültige Limit überschritten wird. Aber das kennen wir ja bereits aus dem azurblauen Jolion.

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Fazit

Antriebsseitig zeigen Jolion und H6 mit Hybrid- und Benzinerantrieb einen hohen Reifegrad, auch wenn sie beide mit recht gedämpften Temperament unterwegs sind. Fahrwerk und Assistenzsysteme könnten noch etwas Feinschliff vertragen, wenn es etwas werden soll auf dem europäischen Markt. Der Preis des Jolion ist zumindest in Australien sehr günstig.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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