KTM X-Bow GT XR
Mit dem Rennwagen auf der Straße unterwegs

KTM hat sein GT2-Rennauto durch den TÜV geschleust und damit ein absolut einzigartiges Fahrerlebnis in Kleinserie gebracht. So fährt der 1.250 Kilo leichte 500-PS-Fünfzylinder.

KTM XBow 2022
Foto: KTM

Der offene X-Bow ist Geschichte, es lebe sein Nachfolger, der – beginnen wir mit den Hard-Facts – über ein Dach verfügt. Das heißt, eigentlich möchte man es bei KTM weniger als Dach verstanden wissen. Vielmehr sei es ein "Canapy" im luftfahrttechnischen Sinn, da es sich wie bei einem Düsenjäger nach vorne abspreizen lässt und somit gleichzeitig die Tür zum Cockpit darstellt.

Wie auch immer: Der KTM verwandelt sich damit vom Fahrspaßhobel für Draußensitzer zum echten Sportwagen. Und zwar nicht mehr nur in Bezug auf das Performance-Potenzial, sondern aufs gesamte Fahrerlebnis. Überhaupt, was heißt denn hier eigentlich Sportwagen. Vielmehr ist dieser Apparat die Direktübersetzung des Renngeräts aus der GT2-Kategorie, was genauso spektakulär gemeint ist wie es sich liest. Obgleich man dazusagen muss, dass das Kürzel ein bisschen in die Irre führt, vor allem wenn man nicht ganz so tief drinsteckt in dieser Motorsportmaterie. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Die GT2 nahm ihren Anfang in den 90ern, definierte zunächst die Klasse unterhalb der GT1, ging aber schlussendlich in ihr auf. Vor einigen Jahren wurde das Kürzel wieder ausgegraben, sortiert sich entgegen der Nomenklatur nun aber unterhalb der GT3-Kategorie ein. Zwar haben die Wettbewerbs-Fahrzeuge mehr Power als die der Topklasse, generieren aber weniger Abtrieb, was ihnen hier auf dem Red Bull Ring einen Rückstand von rund 1,5 Sekunden pro Runde einbringt.

Unsere Highlights

2,5 kg pro PS

Zusammen mit Reiter Engineering, die für die KTM-Einsätze in der Fanatec GT2 European Series zuständig sind, wurde das Einsatzauto nun sozusagen rückwirkend zu einem Homologationsmodell, sprich auf die Straße übersetzt, wobei die Entwicklung größtenteils parallel verlief. Den Kern beider Welten bildet das (in Details modifizierte) Kohlefaser-Monocoque des bisherigen X-Bow, einschließlich der vorderen Crashbox. Da eine tragende Motor-/Getriebe-Einheit per Reglement verboten ist, konstituiert sich das Heck aus einem Stahlrahmen, bei dessen Konzeption vor allem der Radstand ein Diskussionsthema gewesen sei. Die Stylisten wollten im Hinblick auf die Ästhetik der Serienumsetzung lieber eine kurze Fassung, die Performance-Fraktion plädierte für Länge. Der gemeinsame Nenner beträgt schließlich 2850 mm und misst damit exakt so viel wie bei einem Ford Mondeo.

KTM XBow 2022
KTM
Entspannung beim Fahren gibt es im KTM X-Bow GT XR nur selten.

Hinter der zweisitzigen Pilotenkanzel kauert – unterhalb des 160-Liter-Kofferraums – der quer eingebaute Audi-Fünfzylinder, von dessen Qualitäten sie bei KTM übrigens hellauf begeistert sind. Ein Büffel sei er, dazu unglaublich robust und trotz der Gussteile wie ein Rennmotor gebaut. In Zusammenarbeit mit den Antriebs-Spezialisten des Grazer Unternehmen AVL hat man dem 2,5-Liter-Turbo 500 PS entlockt. Damit liegt er glatte 100 diesseits des Einsatzfahrzeugs, dank des Gewichts aber auf Augenhöhe mit den ganz großen Kalibern aus dem Sportwagen-Business: 1.250 Kilogramm wiegt die Flunder in STVZO-Konfiguration inklusive vollem 96-Liter(!)-Tank. Ergibt ausdividiert: 2,5 kg pro PS, also das rechnerische Ebenbild einer Corvette C7 Z06.

Das UFO ist ready to race

Auf geht’s! Hier sogar in doppelter Hinsicht. Ein Tastendruck auf den Schlüssel, dann öffnet sich das Sesam elektrisch und das UFO ist ready for boarding – oder um im Markenslang zu bleiben: ready to race. Jetzt nur noch ohne Knöchelbruch einsteigen. Erst den rechten Fuß in die Aussparung in der Sitzfläche stellen, dann den linken übers breite Seitenteil heben, mit beiden Armen am Monocoque abstützen, die Beine in den schmalen Tunnel fädeln und flutschdiwupp liegt man drin in der Wanne, für deren Ergonomie einst ein LeMans-Prototyp Pate stand.

KTM XBow 2022
KTM
Die Lenksäule und die Pedalbox sind in einem weiten Bereich verstellbar, die gepolsterten Sitzkuhlen sind fix.

Die gepolsterten Sitzkuhlen sind fix, Lenksäule und Pedalbox in einem weiten Bereich verstellbar. Noch kurz umschauen: Startknopf, Ausströmerdüsen und Parkbrems-Schalter tupfen etwas Audi-Flair in die Kohlefaser-Höhle, kriegen den Puls aber auch nicht beruhigt. Das Bedienpult für Klima- und Audioanlage sitzt nebst Lukenöffner in der Mittelkonsole, das Infotainment muss man in Gestalt eines Bluetooth-fähigen Handys selbst mitbringen. Alle anderen Funktionen tummeln sich zusammen mit dem Instrumentendisplay auf dem Lenkrad, das einem nahezu auf Augenhöhe gegenübersteht, sich aber, nanu, sehr leicht bewegen lässt. Die Befürchtung erweist sich als Realität. Man hat dem GT XR in der Tat eine elektrische Lenkung eingepflanzt. Nur warum um alles in der Welt?

Abblas-Prusten und Rattern der Mechanik

Darum: Zum einen sei das hydraulische Woodward-System des Rennautos für den Serieneinsatz schlicht zu teuer, zum anderen – und das ist die spannende Geschichte dahinter – wollte beziehungsweise musste man für den Eintritt der neuen Safety-Regulations gewappnet sein. Die gesamte Entwicklung des GT XR sei ein Rennen gegen deren Stichtag gewesen. Und im Falle einer Niederlage wäre der Einbau von Assistenzsystemen wie einem aktiven Spurhalter obligatorisch gewesen, für deren Implementierung es – logisch –eine Lenkung braucht, die man fernsteuern kann. Am Ende sei es um Stunden gegangen, wie es heißt, doch tatsächlich huschte der X-Bow noch vor Ablauf der Frist über die Zulassungs-Ziellinie, sodass das Fahrerlebnis im Bereich der Oberarme nun zwar etwas lasch anmutet, dafür aber ohne das rituelle Abschalten diverser Helferlein beginnen kann. Außerdem arbeite man ja bereits fieberhaft an einer Lenkungs-Kennlinie mit höherem Handmoment, die dann vermutlich auch besser zur Bremse passen. Denn die kommt – genau wie beim Rennwagen – ohne Verstärker aus.

Letztlich ist es aber genau dieser Mix aus Hardcore-Flair auf der einen Seite und einer gewissen Kompromissbereitschaft auf der anderen, der den XR auf der Landstraße so einzigartig macht. Das Fünfzylinderbrodeln ist präsent, mischt sich mit Abblas-Prusten und dem Rattern der Mechanik, aber auch auf der Autobahn nie unangenehm in Gespräche ein; man sitzt de facto auf dem Boden, kann jedem Golf bis unter die Schürze gucken, trotzdem hält einem das statische Push-Rod-Fahrwerk (von Sachs) gröbere Stöße vom Leib; jeder manuelle Schaltbefehl wird von einem scharfen Zing-Geräusch der Metallpaddel begleitet; das geringe Gesamtgewicht amortisiert das an und für sich etwas tranige Ansprechverhalten des TFSI; Fahrzeugreaktionen erfolgen absolut unmittelbar, fühlen sich eher wie Reflexe an und transportieren die Motorsportassoziationen dadurch derart real, dass es unterm Strich fast egal ist, dass sich das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe nicht so recht aus seinem Großserienstand befreien kann: Manuelle Befehle werden zwar zackig ausgeführt, bloß kommen die Schaltvorgänge auch im schärferen Performancemodus etwas arg sachte daher. Die Belegung der manuellen Schaltgasse (Plus oben, minus unten) läuft zudem dem Rennsport-Thema zuwider, und dann wird vorm Begrenzer auch noch automatisch hochgeschaltet – je nach Modus zwar spät oder noch später, doch leider generell.

Ein mittig stehender Wischer

Die wahren Probleme sind dennoch andere, sie entstehen aus der Diskrepanz zwischen der Realität und dem Film, der sich im Moment des Einsteigens in deinem Kopf abspult. Das Kuppeldach, der mittig stehende Wischer, der Blick zwischen den mächtigen Vorderradhäusern hindurch, dazu die Sitzposition, der intensive Fahrbahnkontakt und der gewaltige Schub – was soll ich sagen: Irgendwann springt vorm inneren Auge eine Startampel auf Grün und man wähnt sich in Windschattenkämpfe mit der Ausflügler-Karawane verstrickt. Nur dass hier niemand Anstalten macht, den holländischen Wohnmobilen mal die blaue Flagge zu zeigen.

KTM XBow 2022
KTM
Das Bedienpult für Klima- und Audioanlage sitzt nebst Lukenöffner in der Mittelkonsole.

Und wenn sich doch mal eine Lücke auftut, boxenfunkt dir das Gewissen dazwischen, sodass eigentlich immer irgendein Pfropf im Fluss der 581 Newtonmeter steckt. Die Werbetafeln des Red Bull Rings, die hier in Zeltweg überall rumhängen, schreiben einem jedenfalls aus der Seele: "Life’s better on a racetrack." In diesem Sinne: Runter von der Landstraße und rauf auf die Strecke, wo man dann auch die Sorge mit den Rückspiegel-Kameras los ist. Nicht dass man die Abstände auf den Innenraumbildschirmen dort auf einmal besser einschätzen könnte, nein, gar nicht, allerdings ist es eben eher unwahrscheinlich, dass von hinten einer kommt. Unter einer Bedingung: Die Rennbremsbeläge sollten montiert sein. Sie verlagern den Druckpunkt gegenüber den Komfort-Pendants ein gutes Stück pedalweg-aufwärts, sind griffiger, haben mehr Durchhaltevermögen und entlohnen den erforderlichen Kraftaufwand mit höherer Verzögerung. Und das ist ein Segen auf der steirischen GP-Strecke, die so viel banaler aussieht als sie sich fährt.

Spannung auf die Pobacken

Im Grunde besteht der Kurs aus acht Kurven, von denen die Hälfte eigentlich nur Ecken sind. Doch die gehen entweder bergauf, bergab, hängen nach außen oder vieles zugleich. Immerhin: KTM-Werkspilot Reinhard "Reini" Kofler dübelt vorneweg. Als Orientierungshilfe. Im GT2-Renner. Na sauber. Doch siehe da, die Herausforderung ist weit geringer als das machbare Temponiveau, was übrigens explizit als Kompliment an das Auto zu verstehen ist und nicht als Eigenlob.

Nach ein paar Installationsrunden sitzt auch die Linie halbwegs, sodass wir sie guten Gewissen dazu bitten können. Ready? To race! Also runterdübeln auf die lange Start-Ziel-Gerade und rauf auf die Kuppe zu Ecke Nummer eins. Innencurb anpeilen, Last erhöhen und schööööön raustragen lassen bis an die Betonwurst. Hatten wir vorhin über die Lenkung geklagt? Ist hiermit revidiert. Weil: hochpräzise, hyperdirekt und absolut intuitiv.

Der einsetzende Schub treibt die mechanisch gesperrte Hinterachse ganz zart ins Übersteuern und schließlich mit Macht den nächsten Hügel hoch. Hangaufwärts dann wieder volle Pulle reinsteigen in die Stahlbremse (eine Keramikanlage folgt), wieder peilen, wieder früh ans Gas, wieder minimal korrigieren oder das tänzelnde Heck einfach per Shortshift zurück in die Spur watschen. Dritter, Vierter, Fünfter. Turbogeheul, Gänsehaut, danach volle Spannung auf die Pobacken, denn ab jetzt geht‘s bergab. Steil sogar. In der engen Rechts bloß nicht vertun, sonst heißt’s buddeln. Passt? Passt, wackelt beim Reinbremsen nur kurz und hat am Exit genug Luft zum Kiesbett – besser so!

Herrgott, fühlt sich das großartig an

Der kantige Streckenteil ist damit abgehakt und es warten die Bögen, deren Scheitelpunkte sich allesamt tief im Kurvenverlauf verstecken. Doch das kriegt man insofern bewerkstelligt, als der Grip ebenso hoch ist wie seine Kontrollierbarkeit am Limit. Klar, denken Sie, die Semis tun ihr Übriges. Denkste! Da der Cup-Reifennachschub ins Stocken geraten ist, wirft sich der GT XR heute mit konventionellen Michelin Pilot Sport 4S ins Getümmel. Und Sie werden lachen: Man fühlt sich zu der Aussage hingerissen, dass es mehr tatsächlich nicht braucht.

KTM XBow 2022
KTM
Der X-Bow ist leichter als ein Porsche 911 GT3 - und kaum schwächer.

Wie wir darauf kommen? Na ja, erstens ist wegen des geringen Gewichts während des gesamten 15-Minuten-Stints kein Abbauen des Gummis festzustellen – und das trotz Dauer-Attacke! Zweitens hilft der weiche Übergang in die Gleitreibung beim Herantasten, zumal sich Übermut grundsätzlich auf der Vorderachse bemerkbar macht. Sobald’s rubbelt, einfach etwas Gas zurücknehmen und die 235er packen wieder zu. Das Heck mit 295ern wirkt derweil wie mit der Linie laminiert, sodass man sich mit ordentlich Zug an der Kette durch die beiden Linkskurven und dann voll Stoff in den Gegenschwung hechten kann. Entspannung in den Pobacken? Nur kurz, denn das fiese Ende der Strecke kommt erst noch. Es besteht aus zwei Rechtsecken den Hang hinunter. Bei der ersten geht’s primär ums Treffen von Geschwindigkeit und Einlenkpunkt, bei der zweiten darum, den Schwung auf die Start-Ziel-Gerade mitzunehmen und eben nicht in die Auslaufzone. Taps auf die Bremse, reinkeilen, Feuer, und das Ganze gleich nochmal – Herrgott, fühlt sich das großartig an. Danach nochmal Durchbeschleunigen, nochmal Baden im Gebrüll, nochmal das kalte Metall der Paddel spüren, ehe Reini da vorn die Abkühlrunde einläutet, wobei sich dann die entscheidende Frage stellt.

Bei 340.000 Euro geht’s los

Wo steht der X-Bow GT XR im Konzert der großen Namen? Leichter als ein 911 GT3, kaum schwächer, dafür turbolgeladen! Sollte locker ja reichen für den U-Sieben-Minuten-Club auf der Nordschleife, spätestens dann, wenn die optionalen Sportreifen wieder zur Verfügung stehen. Allerdings bringt ihn die Preisgestaltung nun mal mit den ganz dicken Fischen ins Gehege. Knapp 340.000 Euro kostet der (zweifellos große) Spaß bereits in der Basisversion. Und da sind wir dann in Bereichen angekommen, wo man sich 500 PS auch mit dem Gewicht nicht mehr starkrechnen kann. Hinzu kommt, dass die Fahnenstange wegen des hohen Abtriebs bereits bei possierlichen 280 km/h endet.

Doch wer weiß, vielleicht geht’s beim GT XR gar nicht nur ums Standing im Kosmos der Seriensportwagen, sondern nebenbei um einen größeren Zusammenhang. Überlegen Sie mal: Mit den 100 Exemplaren, die man pro Jahr produzieren möchte, läge nämlich auf einmal auch eine Homologation für die GT3-Klasse im Bereich des Möglichen. Sprich: der Sprung auf die globale Bühne –nach dem Motto: vom Renn- zum Straßenauto, wieder zurück und dann rein in die Wahrnehmung!

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Fazit

500 PS mögen angesichts des Preisrahmens putzig erscheinen. Durch das niedrige Gewicht, das hochagile Handling und den Fünfzylinder-Schmäh verpuppen sie sich aber zu einem unvergleichlichen Fahrerlebnis. Das einzige, was dem neuen X-Bow wirklich fehlt, sind Ablagen im Innenraum. Aber wie sagt man? Because racecar!

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

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