Fahrbericht Lamborghini Aventador SV
Die Bestie im Stier geweckt

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Mit mehr Leistung, weniger Gewicht und zwei Technikinnovationen macht Lamborghini den Aventador zum Superveloce. Ein exklusiver Fahrbericht des 750 PS Rennstrecken-Monsters.

Lamborghini Aventador SV 2015, Front, Fahrt
Foto: Ingo Barenschee

Da muss noch was sein, irgendwo tief unter den Werkshallen in Sant‘Agata. Eine Folterkammer vielleicht, ein Kerker oder ein Labor, etwas streng geheimes, wo sie aus rechtschaffenden Lamborghini wahrhaftige Bestien züchten. Jetzt ist es wieder passiert: 600 Aventador hat man dorthin verschleppt, um sie abzurichten, anzustacheln und danach wieder auf die Menschheit loszulassen. Entzähmt, beflügelt und gebrandmarkt als SV – dem Auto nicht mehr ganz von dieser Welt.

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Lamborghini Aventador SV steht für „super schnell“

Seine bloße Anwesenheit lässt das Blut in den Adern gefrieren. Schon wie er vor dir liegt – keine Eins-Zwanzig hoch, aber über zwei Meter breit – und zu dir hochstiert, als wolle er sagen: „Was? Du willst mich fahren? Dann komm mal her Du Würstchen!“  Selten war ein Auftritt so respekteinflößend. Und selten war ein Name so dermaßen Programm. Lesen wir kurz mal drüber – zum Runterkommen oder Antörnen, ganz wie es beliebt: Lamborghini Aventador dürfte allen klar sein. V12-Faustkeil, eher einer von den Bösen. LP? Longitudinale posteriore! Ins Allgemeine übersetzt: längs hinten; konkret: der Motor. 750-4 steht nacheinander für die PS sowie die Anzahl der Antriebsräder, und SV für superveloce, was übersetzt super schnell bedeutet und die Sache noch immer ziemlich auf den Punkt bringt.

In 2,8 Sekunden durchbricht der Lamborghini Aventador SV die 100-km/h-Marke, nach 8,6 Sekunden sind 200 fällig, bis 300 vergehen gerade mal 24, Schluss ist erst jenseits von 350 km/h. Keine Frage, super schnell ist er damit, superviel schneller als der – in Anführungszeichen – normale Aventador ist er nicht. Doch erstens geht es beim SV nicht um Längsdynamik. Nicht ausschließlich, nicht primär. Und zweitens ist er kein Auto, das sich relativieren lässt. Er ist absolut. 600 Stück werden gebaut, jeder kostet 389.356 Euro, nehmen Sie einen, oder lassen sie’s sein. Übrig wird keiner bleiben.

Und auch wenn es teurere gibt als ihn, reichlich exklusivere, sogar schnellere, der Kick hier ist ultimativ. Sobald die Fahrertür des Lamborghini Aventador SV aufschert, tut es gut, die ganzen Zahlen einfach auszublenden. Die Zahlen und viele andere Dinge am besten gleich mit: die vier Mitten-Endrohre, die der V12 in nacktem Alu durch den martialischen Diffusor reckt, die riesigen Kühlschächte, und die Horrorgeschichten, die SV-Veteranen gern von seinen Vorgänger erzählen. Sie handeln von Männern, von Hinterlist, von knappem Entrinnen, enden manchmal tragisch, aber danach wird immer schmutzig gelacht.

Lamborghini Aventador SV mit 50 Kilo weniger und 50 PS mehr

Drinnen finden sich dann die Indizien für die 50 Kilogramm Gewichtsverlust: kaum Dämmung, die Fußmatten sind zu labbrigen Aluplatten mit Antirutschgummierung degeneriert, Infotainment gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch und alles um einen herum ist aus CfK gebacken: Türverkleidungen, die harten aber großartigen Sitze, das Monocoque sowieso. Der Instrumenten-TFT leuchtet in grellem gelb, aus der Lenksäule wuchern die Schaltsensen, vom Lenkradkranz flaumt Alcantara, was jedoch in keinster Weise als Schmusekurs gemeint sein soll. Die vereinzelten Audi-Komponenten hemmen ganz kurz die Adrenalin-Zufuhr, die rote Schutzklappe über dem Startknopf feuert sie wieder an. Klick. Klack. Erst jault die Zündanlage, dann explo… Nein. Statt auszubrechen grollt der Vulkan zunächst nur mechanisch vor sich hin. Mit Betonung auf zunächst.

Der 6,5-Liter-Sauger klingt wie er ist. Authentisch, unverfälscht, ein bisschen urtümlich. In seiner Liga wird Leistung heute normalerweise mit Wachstumsbeschleunigern erzeugt: mit E-Motoren oder zumindest mit Turboladern, er hier züchtet sie noch ganz natürlich aus Hubraum und Drehzahl. Wobei das Wort „züchten“ den Entstehungsprozess schon etwas verharmlost. Bereits im zahmsten der drei Fahrmodi fällt er wie besessen über den Lamborghini Aventador SV her, frisst einen Gang nach dem anderen in sich hinein, dreht höher als bisher, dazu fleischiger und impulsiver als der 50 PS schwächere LP 700-4.

Laserpointer, Abrissbirne und beides zugleich

Doch auch wenn er wirklich abartig vorwärtswütet, dank Allrad kein Newtonmillimeterchen verschenkt,  in den Programmen „Sport“ und „Corsa“ die Intensität des Motors immer weiter auf die Spitze treibt und den Klang über die Abgasanlage entsprechend dramatisiert – das Bewusstsein erweitert vor allem das Getriebe, oder besser gesagt: dessen Arbeitsweise. Es sei das schnellste automatisierte Schaltgetriebe der Welt, sagt Lambo. Und ohne groß an Schaltzeiten herumzurecherchieren: Halleluja, das ist es fürwahr. Im Alltag mag es mit dem berühmten Gummibandeffekt beim Schalten das Tempo noch etwas verschleppen, im schärfsten Modus jedoch, wenn bei maximalen 8.500/min. der nächste Gang einschlägt, verdichtet es den gesamten Wahnsinn des Lamborghini Aventador SV in einen Schaltvorgang. Wie sich das anfühlt? Schwer zu beschrieben: die Präzision eines Laserpointers, die Vehemenz einer Abrissbirne, und beides zugleich.

Problem: schnell, rabiat, ekstatisch – all das war und ist auch der Aventador LP700-4. Wo also liegt die Rechtfertigung für das SV? Es sind Vier Punkte, die den Unterschied machen: Leistung und Gewicht sind der eine. Haben wir besprochen: Spürbar, aber alleine nicht entscheidend. Nummer zwei ist der offensichtlichste: Die Aerodynamik. 170 Prozent mehr Abtrieb sollen Leitwerk, Diffusor und Frontmaske generieren. Hierzu fehlt den Erkenntnissen auf dem klatschnassen Circuit de Catalunya heute leider jedoch ein bisschen die Grundlage.

Dass wir das Superveloce dennoch unterschreiben, liegt an den letzten zwei Aspekten: der neuen variabel übersetzten Lenkung, die das Einlenkverhalten ebenso anstachelt wie entkrampft. Und dem optimierten Fahrwerk. Es bleibt grundsätzlich zwar beim Pushrod-Prinzip mit horizontal angeordneten Schubstreben, wird aber nun um Magnetfeld gesteuerte Dämpfer ergänzt. Die arbeiten völlig unabhängig voneinander, steifen sich je nach Fahrmodus und – das ist das Besondere – situationsgerecht gemäß Lenkwinkel, Gierrate, Querbeschleunigunhg und so weiter. Zugegeben, klingt schwer nach Ingenieurs-Kleinklein, drückt aber tatsächlich ins Feeling des Lamborghini Aventador SV durch. Endeffekt: Mehr Stabilität, mehr Präzision, mehr Gelenkigkeit und mehr Vertrauen.

Lamborghini Aventador SV im Alltag: eher gewollt als gekonnt

Der Alltag? Sagen wir’s so: der Aventador ist stets bemüht. Zylinderabschaltung, Start-Stopp, Rückfahrkamers, Reste von Komfort, zumindest im „Strada“-Programm. Ein Leben mit ihm ist möglich, bleibt am Ende aber wohl die Ausnahme. Kompliziert wird die Beziehung vor allem durch die Ausmaße. Schade irgendwie, zumal er einen auf der Landstraße näher an sich heran lässt als jeder SV zuvor. Kein Mittelmotorgezicke, kein schmaler Grat zwischen Haftung und Abriss und ein feiner ESC-Sportmodus als Restschutzversicherung für alle, die sich nicht ganz ebenbürtig fühlen.

Doch nicht nur Richtung Zivilisation hat man sein Spektrum erweitert, sondern ganz offensichtlich auch am anderen Ende. In unter sieben Minuten geht der Lamborghini Aventador SV laut eines Videoclips um die Nordschleife. Das Ganze sei im Rahmen eines Reifentests geschehen und „nur mal eben so.“ Frei übersetzt: da geht noch was.  Zur Erinnerung: Porsche bereitete die Nürburgring-Runde seines Hyper-Hybird 918 Spyder einst akribisch vor: mehrere Piloten, mehrere Tage. Und feierte am Ende eine Zeit von 6:57. Denken Sie da ruhig mal ein bisschen drauf rum.   

Technische Daten
Lamborghini Aventador LP 750-4 Superveloce Superveloce
Grundpreis389.356 €
Außenmaße4835 x 2030 x 1136 mm
Kofferraumvolumen150 l
Hubraum / Motor6498 cm³ / 12-Zylinder
Leistung552 kW / 750 PS bei 8400 U/min
Höchstgeschwindigkeit351 km/h
Verbrauch16,0 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten