Lamborghini Revuelto
Unterwegs im Plug-in-Hybrid mit über 1.000 PS

Wie fährt sich Lamborghinis erster, 1.015 PS starker Plug-in-Hybrid-Sportwagen? Wirklich so gut, um berechtigterweise für zwei Jahre ausverkauft zu sein?

Na, jetzt bloß nicht abheben. Schön die Bodenhaftung bewahren, Zurückhaltung demonstrieren, nicht auf dicke Hose machen. In einem Lamborghini? Nahezu unmöglich. Erst recht in jenen Modellen aus Sant‘ Agata Bolognese, die von einem V12-Triebwerk durhc die Welt geschleudert werden. Also verwundert es auch nicht, dass alle schreien. Du selbst, das Zwölfzylinder-Trumm hinter dir, die imaginären Fans ganz bestimmt, überhaupt gleich die ganze Automobile Glaubensgemeinschaft. Jetzt, in diesem Moment, als der Lamborghini Revuelto abhebt. Unter Volllast. Bei Tempo deutlich jenseits von 200 km/h, rund 230 dürften es sein. Es geht über: Die Kuppe. Jene Kuppe des 6,2 Kilometer langen Handlingkurs im Nardò Tecnical Center, dort gelegen, wo sich Italien zu einem Steifelabsatz formt. Die Kuppe bildet nach Kurve 1 wohl den spektakulärsten Streckenabschnitt. Ein bisschen wie Pflanzgarten 1 auf der Nordschleife, nur mit besserer Aussicht. Ionisches Meer statt Kiesbett, Fangzaun und Eifel-Flora. Hier ditscht der V12-Saugmotor des Revuelto kurz an den Drehzahlbegrenzer bei 9.500/min, dann: Landung. Und weiter. Und zwar gerne. So ganz anders als im Aventador, den die Lamborghini-Truppe heute noch ein letztes Mal als SVJ zum Vergleich mit auf die Strecke schickt.

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Eine letzte Runde vor der Rente als Referenz für den Neuen? Gerne. Schließlich kennt man sich, begleitet den Aventador in einigen Evolutionschritten bis hierher. Dabei bedeutet Aventador immer: Kraftraum. Verpackt in einer dieser Plastikkapseln, die in Überraschungseiern stecken. Fühlt sich zumindest so eng an. Jedenfalls will der SVJ vor jeder Kurve über die Schulter in den Scheitel hineingeworfen und dann im Rautek-Rettungsgriff wieder herausgeworfen werden. Und das alles, während du mit dem Hintern auf der Vorderkante der Sitzfläche hockst und der Helm dennoch permanent an den Dachhimmel hämmert. Sicher, über die Jahre brachten sie dem Aventador eine Art Handling bei, vor allem die Hinterachslenkung half. Wirklich selbstverständlich fährt er noch immer nicht, klingt aber spektakulär und sieht – soviel Subjektivität sei gestattet – ebenso spektakulär aus. Nun, und wenn etwas nicht im Lastenheft des Nachfolgers stand, dann ein dezenteres Design.

Jetzt wird’s noch ernster

Genug mit dem Aventador gekämpft, umsteigen in den Revuelto, dessen Türen natürlich wieder nach vorne oben aufschwingen. Der Einstieg: Leicht, denn der Schweller fällt rund 20 Zentimeter schmaler aus. Und dann: Platz. Endlich. Danke. 79 Millimeter mehr Radstand, 24 Millimeter mehr Innenhöhe bei drei Millimeter niedrigerer Sitzhöhe – selbst mit Helm passt’s. Antrieb starten – Stille. Natürlich. PHEV. Selbst der Lamborghini-Truppe wird es heute immer mal wieder passieren, dass sie den Revuelto erst an, dann wieder aus und dann wieder anschalten, bis ihnen klar wird, dass da erstmal nichts passiert, so rein akustisch.

Dann die Anweisungen: Am oberen linken Drehknopf des Lenkrads den Cors-Modus einlegen. Schon wenn du bei Sport vorbeikommst, bellt der 6,5-Liter-V12-Sauger hinter dir los. Rechter oberer Drehknopf: Hybrid-Strategie auf Performance. Drehknopf links und rechts unten interessieren nicht, der eine bedient die Lift-Funktion für die Fahrzeugfront, der andere lässt den Heckflügel schon im Stand ausfahren. Apropos Fahren: Am rechten, Lamborghini-typisch fest an der Lenksäule, nicht am Lenkrad montierten Schaltpaddel ziehen, das Doppelkupplungsgetriebe legt den ersten seiner acht Gänge ein, spannt den zweiten vor. Raus auf die Strecke. Gleich Durchladen, haben sie gesagt, der Revuelto befände sich bereits auf Betriebstemperatur. Das 825 PS starke Aggregat tobt durch sein immenses Drehzahlband, ungewohnt locker, deutlich über 9.000/min, bei 9.500 Umdrehungen läuft es überraschend sanft in den Drehzahlbegrenzer. Drama geht hier nicht, wegen der dann zu hohen Temperaturen in den Katalysatoren und den damit verbundenen Emissions-Problemen. Also auf die Schaltempfehlung achten, am besten gleich am Paddel ziehen, sobald die Ziffer der Ganganzeigen knallrot leuchtet. Der virtuelle Drehzahlmesser müht sich, dem Treiben des mit 12,6:1 verdichteten Triebwerks zu folgen.

Links vier plus, macht zu

Kurve eins zieht sich ersten in die Länge und zweitens immer weiter zu, hui, was mag passieren, wenn wir in der nächsten Runde aus voller Fahrt hier ankommen. Schon jetzt aber offensichtlich: Wie viel agiler und leichter sich der Revuelto anfühlt – trotz rund 247 kg Mehrgewicht, zugegeben, im Vergleich mit dem Aventador SVJ, nicht der Basis. Beim Anbremsen springt er dich regelrecht an, verlangt aufgrund des extrem kurzen Pedalwegs Gewöhnung, ebenso wegen der überraschend leichtgängigen Lenkung, weshalb sich der Lamborghini nun vielleicht eine Idee zu motiviert von Kurve zwei zu drei wirft, eine enge Rechts, die kurz angebremst werden muss. Herausbeschleunigen. Beschleunigen? Steinschleudern trifft’s besser. Schon jetzt fordert dich der Revuelto auf, einfach mal draufzutreten. Er bekommt das mit dem Grip schon hin. Zwei E-Motoren an der Vorderachse helfen, eine mechanische Verbindung nach hinten existiert nicht. Im Mitteltunnel: Der 3,8 kWh große Akku mit 140 kW Leistung, der sich zwar extern aufladen lässt, den in der Regel immer so der Verbrenner speist, dass die E-Motoren ihren Fahrdynamik-Beitrag leisten können.

Moment mal: Leistung bei einem Akku? Ja, dabei handelt es sich um die maximale Abgabe-Leistung, die sich aus der Spannung und dem höchsten Entnahme-Strom ergibt. Sie beeinflusst somit maßgeblich die Systemleistung. Telekolleg Physik Ende. An der Vorderachse stecken zwei so genannte Axialfluss-Maschinen, die bei je 110 kW Leistung ein Drehmoment von 350 Nm entwickeln. Die hintere Radialfluss-Maschine kommt bei identischer Leistung nur auf 150 Nm. Vorteil also des Axialfluss-Prinzips: Ein höheres Drehmoment-Delta zwischen den Vorderrädern, was dem Effekt des so genannten Torque Vectorings zugutekommt, also das Fahrverhalten agilisiert. Und wie! Ungeachtet seiner Abmessungen suggeriert der Lamborghini stets, wie ein deutlich kleinerer Sportwagen zu fahren, spielerisch, verspielt, weit weg vom Gefühl, sich verzocken zu können. Eine trügerische Sicherheit? Nun, bestimmt kommt auch hier jener Punkt, an dem genussvolles Leistungsübersteuern schlagartig die Fratze des heftigen Heckschwenks offenbart. Doch der Lamborghini müht sich, dich möglichst exakt darüber zu informieren, wann das passieren könnte. Daher beispielsweise auch die gewählte Abstimmung der Lenkung: "Kurz vorm Grip-Limit reduzieren wir die Lenkkräfte sogar nochmal ein wenig", sagt Technikchef Rouven Mohr.

Bite my fire

Wie bei Lamborghini seit dem Huracan Evo üblich, stellt die Software im Auto unentwegt Prognosen über den voraussichtlichen Fahrzustand an, um alle relevanten Systeme agieren statt nur reagieren zu lassen. Hilft aber alles nichts, wenn du bei jedem Durchgang in Kurve fünf den Scheitelpunkt verpasst, weil du eben doch zu früh einlenkst. Dabei liegt der Scheitel ganz ums Eck, bevor du dann das Bergauf-Geschlängel hochtoben, dabei die Curbs (erst links, dann rechts) noch ein wenig mehr einschwärzen darfst. Dann folgt die lange Rechts, die dich allmählich zum spektakulärsten Punkt der Strecke führt, einer Art Abschussrampe. Der Revuelto liegt stabil, liegt dir in der Hand. Lenkwinkel vorgeben, halten, etwaige Korrekturen übers Gaspedal – wunderbar.

Den Bridgestone Potenza Sport-Reifen fehlt es sicher nicht an Temperatur, sie stecken in 20 Zoll vorn und 21 Zoll hinten auf geschmiedeten Felgen mit Titan-Radbolzen, was insgesamt acht Kilogramm Gewicht sparen soll. Relevant bei einer Fahrzeug-Gesamtmasse (Lamborghini gibt mal wieder nur ein Trockengewicht an, 1.772 kg) von über 1,9 Tonnen? Wohl kaum, derzeit aber insgesamt die sportlichste Rad-Konfiguration. Die größeren Felgen in 21/22-Zoll bekommen lediglich die Standard-Runflat-Reifen übergestülpt. Warum das? "Ein eher Performance-orientierter Reifen braucht einfach eine gewisse Flankenhöhe, um ordentlich zu arbeiten", erklärt Mohr. Semislicks? Derzeit nicht vorgesehen. Also zumindest nicht offiziell. Inoffiziell kreisen die Gedanken der Lamborghini-Entwickler bereits um schärfere Varianten ihres neues Topmodells, auch mit mehr Abtrieb. Dabei liegt der nun eh schon vorn um 30, hinten um 70 Prozent höher, dennoch stieg die aerodynamische Effizienz (also das Verhältnis zwischen Abtrieb und niedrigem cw-Wert) um 60 Prozent gegenüber dem Vorgänger zu.

Nützt jetzt alles nichts. Die Doppel-Rechts endet, der Revuelto treibt entlang der Streckenbegrenzung, zieht kurz vor Ende der Auslaufzone wieder Richtung Streckenmitte. Vierter Gang Volllast, über die Kuppe. Im Aventador wolltest du ab jetzt, dass es aufhört, zumindest, dass du den Helm abnehmen darfst, um halbwegs menschenwürdig sitzen zu können. Während da das Fingerhakeln mit dem Auto zum Konzept zählte, will dir der Revuelto ermöglichen, dass du dich auf seine Leistung konzentrierst, mit ihr arbeitest. Natürlich spielt sich hier immer der Verbrenner mit seinen 825 PS und 725 Nm in den Vordergrund, im Corsa-Modus kommen noch 140 kW konstanter E-Schub hinzu – und alles wirkt wie eine nie als etwas anderes konzipierte Einheit.

Wüste Harmonie

Kein Hin- und Herschalten zwischen einzelnen Komponenten, alles im Fluss, alles ein Orchester – und du bist der Dirigent, das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe dein Taktstock. Schaltvorgänge kürzer als der stärkste Grappa, schnelle Reaktionszeiten auf Paddelbefehle und sanfte Gangwechsel bei entspannter Fahrt. Dazu der Klang des V12: Bedrohlich tief gurgelnd ab 3.000/min, steigert er sich in zorniges Schreien, bellt wüst beim Gangwechsel-Zwischengas. So wie jetzt, beim Herunterschalten vor der letzten Kehre. Raus auf Start-Ziel, voll durchbeschleunigen. Kurz vorm Ende der Geraden zeigt das Display Tempo 310 an. Irre. Gut, bei aller Ernsthaftigkeit gestehen sie dem Antrieb ein bisschen Unfug zu, denn neben der ernsthaften Launch-Control (Nullhundert in zwofünf) haben sie ihm eine Zweite einprogrammiert, die Starts mit qualmenden Hinterreifen erlaubt. Fad? Och, Gegenlenken solltest du schon noch ein wenig können. Einen Driftmodus haben sie sich dann aber doch verkniffen, wenngleich auf Sport durchaus gewisse Schwimmwinkel gestattet werden. In erster Linie jedoch dreht sich beim Revuelto alles um Präzision, um die Beherrschbarkeit von Leistung und Tempo, um das Spiel mit der Ideallinie. Schön, als dass es noch Grund zum Jubeln, gar Schreien gibt. Für alle. Auch diesseits der Kuppe von Nardò. Nur keine falsche Zurückhaltung, bitte! Zeigt Lamborghini schließlich auch nicht: Der Revuelto kostet ab 502.585 Euro.

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Fazit

Ist das nicht herrlich? Jetzt, da Sie – ja, Sie! – eine Revuelto gekauft haben, muss diese Anschaffung nicht alleine über den wunderbaren Klang und das irre Design schöngeredet werden. Unter uns: So war das doch bei den meisten V12-Sportwagen mit dem Stier im Wappen. Der Revuelto zeigt schon beim Einsteigen, dass er es seinem Fahrer leicht machen will, die immense Leistung zu kontrollieren – und beweist das auch auf der Strecke mit lässigem Handling, viel Grip und bester Rückmeldung. Emotionen fließen dabei mit der Intensität von Wasser in einem C-Rohr der Feuerwehr durch den Sportwagen. Irre.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten