Mercedes-AMG GT (2023)
Erste Mitfahrt im Sportcoupé auf SL-Basis

Mercedes-AMG nietet ein festes Dach über den SL, der damit die Nachfolge des bisherigen GT antritt. Und der neue Chef des Hans-Dampf-Ablegers, Michael Schiebe, bittet zur Mitfahrt.

Mercedes-AMG GT 2023
Foto: Mercedes-AMG

Bereits an der Geschwindigkeit, mit der Michael Schiebe zum vereinbarten Treffpunkt am Firmensitz von Mercedes-AMG in Affalterbach, einbiegt, lässt klar erkennen, dass er seine neue Aufgabe nicht als Wander-Ausflug durch das Stuttgarter Hinterland begreift. Er eilt durch die große Lounge, will von seinen Mitarbeitern wissen, ob überhaupt noch Zeit für ein Getränk bleibt oder ob man nicht gleich aufbrechen müsse. Er spricht klar ohne erkennbaren Dialekt, in bestimmten Ton, angemessen laut, freundlich, aber eben auch: Unmissverständlich. Zum 1. März übernahm Schiebe das Amt als Vorsitzender der Geschäftsführung von Mercedes-AMG, bugsierte zuvor zwei Jahre lang den großen Konzern-Vorsitzenden Ola Källenius durch den vor Terminen überquellenden Alltag. Offiziell nennt sich so ein Posten "Assistent", inoffiziell auch mal "menschliche Firewall". Schiebe muss nun Mercedes-AMG ungeachtet allen Erfolgs mit Fahrzeugen, die von leistungsstarken Verbrennungsmotoren angetrieben werden, in das Zeitalter der Elektromobilität hinüber bugsieren.

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Sportlichster AMG mit mehr Alltagstauglichkeit

Zunächst jedoch darf er den S 63 in den Markt schicken, immerhin ein V8-Plugin-Hybrid und zum Ende dieses Jahres den GT. Der wiederum teilt sich das Unterzeug mit dem aktuellen SL, der erstmals von Mercedes-AMG entwickelt wurde und dementsprechend erheblich dynamischer fährt als sein Vorgänger. Doch reicht das, um die Rundenrekord-reiche Karriere des bisherigen GT der Generation C190 fortzuführen? Schiebe bittet zum nur noch leicht getarnten Vorserien-Exemplar des neuen GT, hebt zur Differenzierung zum SL an: "Tatsächlich muss sich der neue GT nicht nur am Vorgänger C190 sondern auch am SL orientieren. Der GT muss ein eigenständiges Profil haben. Allerdings haben wir viele Dinge schon für den SL neu gemacht – und wir haben sie gut gemacht. Also warum sollten wir da für den GT nochmal von vorne beginnen? Bereits der SL ist ein sehr steifes und stabiles Fahrzeug, der GT durch den festen Dachaufbau natürlich nochmals mehr. Schon das merkt man beim Fahren. Zudem haben wir dem GT in der Abstimmung der Antriebskomponenten und der Fahrmodi das gewisse Extra mitgegeben. Der GT fährt also nochmals sportlicher als der SL, er bleibt das sportlichste Fahrzeug im Portfolio bei gleichzeitig höherer Alltagstauglichkeit im Vergleich zum Vorgänger."

Nachdem Schiebe auf die im Vergleich zum SL breiteren Vorderräder hinweist, präsentiert er nicht ohne Stolz den tatsächlich beeindruckend großen Kofferraum, weist darauf hin, dass die Kundschaft durchaus mehr Alltagstauglichkeit wünsche. Nun müsse man aber wirklich los, befindet der Chef, gleitet auf den Fahrersitz, startet den V8-Biturbomotor, der 585 PS leistet – zumindest im SL 63. Technische Daten zum GT rückt AMG derzeit noch nicht raus. Die Dachform mit dem fließenden Verlauf in Richtung Heckabschluss bedingt ein angenehmes Raumgefühl, die Sitzpostion fällt tief aus – Sportwagen-Style eben. Prinzipiell ist der GT ein Zwei-plus-Zwei-Sitzer, die Sitzgelegenheiten sind jedoch Option, das Vorserienfahrzeug verfügt hier über eine Gepäckablage.

Höhere Spreizung der einzelnen Fahrmodi

Das Vierliter-Triebwerk rollt seinen typischen, warm wabernden Klangteppich hinter dem GT aus, als der zu einer Runde um Affalterbach aufbricht. Ein erstes Kennenlernen mit dem neuen Auto und dem neuen Chef, der Grenzbereich bleibt heute jenseits des Möglichen, für beide. Schiebe betont, dass beim GT die Spreizung der einzelnen Fahrmodi im Fokus stehe, damit der Kunde noch besser die Bandbreite des Fahrzeuges erleben könne. Glätte, Sport, Sport+, Race und Individual bietet hier der SL, ein Stück Klebeband über der Taste für die Modi lässt allerdings erwarten, dass der GT sich weiter abhebt.

Wichtig, um die Spreizung deutlicher herauszuarbeiten: Eine steif ausgeführte Rohkarosserie. Natürlich nutzt auch das Coupé den eigens entwickelten Aluminium-Spaceframe des SL, dazu kommen weitere Materialien wie Magnesium (Instrumententräger) und ein Mix aus Glasfaser und Carbon (Schlossbrücke). Beim SL erhöhte sich dadurch gegenüber dem alten GT Roadster die Quersteifigkeit um 50, die Längssteifigkeit um 40 Prozent. Durch das feste Dach sollten sich gegenüber dem vorherigen Coupé nochmals etwas bessere Werte realisieren lassen. Damit können sich nun die Stoßdämpfer und Federn an den Fünflenker-Achsen vorne und hinten stärker auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren, müssen weniger das Eigenleben der Karosserie berücksichtigen.

In einer langgezogenen Linkskurve geht Michael Schiebe progressiv ans Gas, benötigt ungeachtet des Radius kaum Lenkwinkel, spricht begeistert von der Hinterachslenkung, die bis Landstraßentempo das Auto agilisiere, darüber stabilisiere. Aber ein Unterschied zum SL? Der bleibt aus, was nicht allzu sehr überrascht, schließlich schmeißt der Roadster in seiner aktuellen Ausbaustufe bereits beim Start den letzten Rest Betulichkeit seiner Vorgänger (ja, die AMG-Varianten eingeschlossen), donnernd aus dem Chassis. Ein wenig unentschlossen zeigte er sich in den bisherigen Tests dennoch, wirkte fahrdynamisch weniger definiert als der GT Roadster, andererseits nicht unbedingt komfortabel – trotz aktiver Motorlager und Stabilisatoren. Doch wir erinnern uns: Der C190 benötigte auch die eine oder andere Evolutionsstufe, bis aus dem biestig einlenkenden und zuweilen abrupt auskeilenden Transaxle-Flieger ein hochrpäziser Sportwagen wurde – der zudem auf den Rennpisten dieser Welt vor allem als GT3 Sieg um Sieg einfuhr.

Motorsport-Plan steht

Bei den Kundenmotorsport-Teams erfreut er sich wegen seiner Zuverlässigkeit und den vergleichsweise niedrigen Unterhaltskosten großer Beliebtheit. Wie geht’s da weiter, Herr Schiebe? "Ich möchte Ihnen heute noch keine Details sagen, wie wir dieses Thema fortführen. Aber Sie können sicher sein, dass wir es fortsetzen. Wir haben einen Masterplan. Noch sind wir mit dem aktuellen Fahrzeug gut dabei, da es sehr robust und wartungsfreundlich ist, was in diesem Umfeld einen sehr wirtschaftlichen Betrieb für die Teams ermöglicht. Da darf das zukünftige Fahrzeug natürlich nicht schlechter sein. Motorsport ist unsere DNA. Viele Kunden verbinden gerade diese Kundenmotorsport-Fahrzeuge mit unserer Marke."

Schiebe scheucht den GT weiter über Land, bleibt immer brav im Rahmen der Legalität, ärgert sich jedoch merklich über das Safety Car in Form eines Fiat Punto, das ihn lange aufhält – auch wenn der Chef bemüht ist, den Frust im Verborgenen zu halten. Er schaltet zur Demonstration des GT-Potenzials immer mal wieder zwischen den Modi hin und her, tatsächlich wirkt das Auto im Comfort-Modus verschliffener als der zuletzt gefahrene Roadster. Das wahre Fahrdynamik-Potenzial bleibt aber aufgrund der äußeren Bedingungen noch im Verborgenen. Spätestens jedoch, als Schiebe darüber referiert, die Mitarbeiter mit "kompetitiven Wettkämpfen" zu besserer Fitness zu animieren, ist klar, dass es AMG künftig nicht an Dynamik mangeln darf – weder den Autos noch dem Team.

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Fazit

Mehr als ein erstes, kurzes Kennenlernen mit dem Mercedes-AMG GT war noch nicht drin, doch von der Theorie müsste das Coupé tatsächlich eine bessere Spreizung hinbekommen als der SL. Zumindest der Komfort wirkt ausgefeilter. Und falls es wichtig sein sollte: Der Kofferraum ist groß.

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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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