AMG-Chef Michael Schiebe im Interview
„Für die Transformation bleibt noch etwas Zeit“

Michael Schiebe, seit 1. März Vorsitzender der Geschäftsführung von Mercedes-AMG spricht mit auto motor und sport über die Zukunft der Marke, seine neue Aufgabe – und warum es noch keinen Elektro-Sportwagen gibt.

Mercedes-AMG GT 2023
Foto: Mercedes-AMG
Wie differenziert sich der neue Mercedes-AMG GT vom SL, der ja bereits deutlich sportlicher und dynamischer fährt als sein Vorgänger?

Der GT darf da noch etwas mehr zeigen, bekommt beispielsweise an der Vorderachse etwas breitere Räder als der SL. Aber er ist eben auch im wahren Wortsinn ein Gran Turismo, unterscheidet sich vor allem von seinem Vorgänger dadurch erheblich, dass er nun ein Zwei-plus-Zwei-Sitzer ist. Unsere Kunden wünschen sich tatsächlich mehr Alltagstauglichkeit. Entweder können da also Personen mitreisen – okay, die sollten nicht übermäßig groß sein – oder eben Gepäck. Wobei das schon reichlich Platz im eigentlichen Gepäckraum findet. Letztlich erhöht auch der nun verfügbare Allradantrieb die Alltagstauglichkeit. Dazu zählt ebenfalls, dass wir in den einzelnen Fahrmodi eine deutlichere, stärker erlebbare Spreizung erzielen.

Unsere Highlights
Können Sie an diesem Punkt nochmals deutlicher die Differenzierung zum SL erläutern?

Tatsächlich muss sich der neue GT nicht nur am Vorgänger C190, sondern auch am SL orientieren. Der GT muss ein eigenständiges Profil haben. Allerdings haben wir viele Dinge schon für den SL neu gemacht – und wir haben sie gut gemacht. Also warum sollten wir da für den GT nochmal von vorne beginnen? Bereits der SL ist ein sehr steifes und stabiles Fahrzeug, der GT durch den festen Dachaufbau natürlich nochmals mehr. Schon das merkt man beim Fahren. Zudem haben wir dem GT in der Abstimmung der Antriebskomponenten und der Fahrmodi das gewisse Extra mitgegeben. Der GT fährt also nochmals sportlicher als der SL, er bleibt das sportlichste Fahrzeug im Portfolio bei gleichzeitig höherer Alltagstauglichkeit im Vergleich zum Vorgänger.

…und er bekommt wieder einen V8-Motor. Doch das berühmte "One Man, One Engine”-Prinzip wird in der Transformation an Relevanz verlieren. Können Sie die Mitarbeiter, die hier nicht mehr benötigt werden, künftig in neuen Bereichen weiterbeschäftigen?

Ja, das passiert aktuell sogar schon. Derzeit bin ich noch damit beschäftigt, alle Abteilungen besser kennenzulernen. Heute Morgen habe ich das Team getroffen, das für die Batterieentwicklung zuständig ist. Dort arbeiten bereits viele Kollegen, die vorher in der Motorenentwicklung tätig waren. Wir haben sie weiterqualifiziert und sie arbeiten nun mit ihren Pendants bei Mercedes und unserem Formel1-Motorenlieferant High Performance Powertrains in Brixworth zusammen. Doch wir gehen schon davon aus, dass wir noch einige Jahre hochtechnisierte Verbrenner bauen. Gerade haben wir zum Beispiel den S63 E-Performance vorgestellt, der von einem V8-Turbomotor in Verbindung mit einer E-Maschine angetrieben wird und zu dem wir sehr positive Rückmeldungen bekommen haben. Und der startet ja jetzt erst, es bleibt also noch ein bisschen Zeit für die vollständige Transformation. Aber natürlich denken wir darüber nach, was da alles passieren muss und sind aktiv in der Weiterqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Wie sind die Entwicklungspfade für sie? Wie sehen die künftigen Funktionen aus? Man darf andererseits aber auch nicht naiv sein. Es kann nicht jeder Mitarbeiter in der Motorenentwicklung künftig ein Ingenieur für Batteriezellen sein.

Im Bereich Motorsport spielt die E-Mobilität eine untergeordnete Rolle, gleichwohl ist Motorsport für AMG sehr wichtig. Und da sind wir wieder beim GT: Man hört, dass es ihren Entwicklern derzeit schwerfällt, auf der neuen Basis einen Nachfolger für den vor allem wegen seiner Zuverlässigkeit sehr erfolgreichen GT3-Rennwagen zu entwickeln. Fahren sie also auf absehbare Zeit weiter mit dem alten Auto Wettbewerbe?

Ja, der aktuelle GT3 ist sehr erfolgreich. Wir sind damit sehr aktiv im Motorsport und ich habe inzwischen auch viele unserer Kundenmotorsport-Teams kennengelernt, die mit dem GT3 sehr glücklich sind. Ich möchte Ihnen heute noch keine Details sagen, wie wir dieses Thema fortführen. Aber Sie können sicher sein, dass wir es fortsetzen. Wir haben einen Masterplan. Noch sind wir mit dem aktuellen Fahrzeug gut dabei, da es sehr robust und wartungsfreundlich ist, was in diesem Umfeld einen sehr wirtschaftlichen Betrieb für die Teams ermöglicht. Da darf das zukünftige Fahrzeug natürlich nicht schlechter sein. Motorsport ist unsere DNA. Viele Kunden verbinden gerade diese Kundenmotorsport-Fahrzeuge mit unserer Marke.

Ebenso verknüpft mit der Marke: Der Motorenklang der Straßenfahrzeuge. Doch AMG hat bereits 2012 mit dem SLS Electric Drive einen elektrischen Sportwagen vorgestellt. Warum gibt es das noch immer nicht in Serie?

Sie wissen selbst, wie komplex das Fahrzeug war. Die Zeit war noch nicht reif. Ich habe zu der Zeit selbst bei Mercedes im Bereich der E-Mobilität gearbeitet. Wir haben damals schon einiges getan, aber es war nur eine sehr überschaubare Anzahl an Produkten im Markt. Heute haben wir die richtigen Technologien, die aber noch nicht fertig sind. Wenn das soweit ist – und da spreche ich von 2025, vielleicht 2026 -, werden wir AMG-performante Produkte im Markt haben, die auch wirklich das Prädikat "pure" AMG verdienen. Das gilt für Produkteigenschaften wie die Dynamik auf der Straße und der Rennstrecke, aber natürlich auch die Reichweite. Wir sind da gut unterwegs.

Bis dahin hat sich AMG für eine sehr außergewöhnliche Art der Elektrifizierung entschieden, die im radikalen Konzept des C63 mit Vierzylinder-Plugin-Hybrid-Antrieb gipfelt, der extreme Leistung bei geringer E-Reichweite liefert. So richtig überzeugend funktioniert das allerdings nicht. War es dafür zu früh?

AMG steht immer für Technologieführerschaft. Das haben wir damit bewiesen. An diesem Fahrzeug scheiden sich die Geister. Beim C63 erhitzen sich die Gemüter vor allem am Vierzylinder-Motor. Beim S63 mit V8-Plugin-Hybrid ist das kein Thema. Führen wir also eine Technologie-Diskussion oder eine emotionale? Denn die Leistungswerte des C63 sprechen für sich. Ich kann aber verstehen, dass sich der V8-Liebhaber davon alleine nicht angesprochen fühlt. Aber für den haben wir ja auch noch andere Produkte im Angebot.

Michael Schiebe, Geschäftsführer AMG
Mercedes-AMG
„Das Konzept des Performance-Hybrids ist ein völlig neues und erhitzt durchaus die Gemüter“
Der Antriebsstrang wirkte beim uns im Test im Zusammenspiel der Komponenten nicht ausgereift, die erlebte Leistung entspricht nicht den reinen Daten und die Effizienz ist ebenfalls nicht außergewöhnlich.

Nun, keiner von uns ist perfekt. Auch Ihnen unterlaufen mal Fehler, uns ebenso. Wir geben neue Fahrzeuge durchaus sehr früh in Tests, wie Sie sie durchführen. Vielleicht war das Testfahrzeug noch nicht auf dem Stand, auf dem es hätte sein sollen. Wir müssen da an der einen oder anderen Stelle noch nachlegen, bevor die ersten Kunden ihr Exemplar bekommen. Aber noch einmal: Das Konzept ist ein völlig Neues im Vergleich zum Vorgänger und erhitzt auch deshalb die Gemüter. Wir glauben an den Performance Hybrid, auch wegen des immensen Drehmoments und der guten Gewichtsverteilung, die wiederum die Fahrdynamik begünstigt. Abgesehen davon lernen wir aus der Arbeit an diesem Antrieb viel für die Entwicklung unserer vollelektrischen Antriebe.

Sie fanden zum Arbeitsantritt bei AMG eine sehr ausufernde Modellpalette vor. Ist das in Ihrem Sinn oder müssen Sie da einmal durchfegen?

Wir haben schon die richtigen Sweetspots besetzt. Die Derivatisierung, die wir vornehmen, bleibt weiterhin unsere Philosophie. Gleichzeitig investieren wir in AMG-eigene Architekturen, wie wir es mit dem SL und dem GT, aber auch mit unserer Elektroplattform machen. Ich werde Ihnen nicht verraten, wie viele Varianten es künftig gibt. Aber wir sehen, dass es eine kontinuierlich steigende Nachfrage nach unseren Produkten gibt. Diese Kundenwünsche wollen wir natürlich bedienen.

Steht die steigende Nachfrage den Emissions-Zielen im Weg? Müssen Sie also früher und konsequenter elektrifizieren?

Nun, die Roadmap ist definiert. Mercedes-Benz kann bis 2030 ein Hersteller werden, der nur noch rein elektrische Fahrzeuge anbietet. Das gilt natürlich auch für Mercedes-AMG als 100-prozentige Tochter. Allerdings müssen es die äußeren Bedingungen hergeben. Wir sehen heute schon Märkte, in denen wir uns wünschen, dass die Entwicklung der Infrastruktur deutlich schneller voranginge. Deshalb haben wir uns entschieden, in einzelnen Märkten eine eigene Infrastruktur zu etablieren, um unseren Kunden ein entsprechendes Komforterlebnis zu bieten. Wir haben da die Notwendigkeit, schneller zu laufen, müssen aber nicht in Hektik verfallen.

Wie ticken denn Ihre Kunden? Fragen die nicht vermehrt nach einem Elektro-AMG?

Ich registriere eine gewisse Neugier auf die Elektromobilität. Wir haben viele Technologie-Fans in unserer Kundschaft. Die wollen immer das Neueste im Bereich Performance, Aerodynamik und Fahrdynamik. Die interessiert schon sehr, was die E-Mobilität da bringt. Für uns ist dabei aber auch immer die Alltagstauglichkeit wichtig. Dabei stehen eine hohe Dauerleistung und eine hohe Reichweite im Fokus. Längsdynamik? Ist nicht das Problem. Aber unsere Kunden sollen das Leistungserlebnis nicht nur bis zur ersten Kurve haben, sondern auch noch in vielen weiteren Kurven.

Mercedes-AMG wird vermutlich nicht Ihre letzte Karriere-Station innerhalb des Konzerns sein. Wenn Sie dann also einmal weiterziehen, was hinterlassen Sie? Was wird sozusagen der Schiebe-AMG sein?

Darüber denke ich nicht nach. Sehen Sie, ich habe 2004 bei Mercedes begonnen. Hätte ich damals ein Kreuz auf einer Liste machen dürfen, wo ich mal hin will, hätte ich Mercedes-AMG angekreuzt. Mit der Verantwortung für AMG, die G-Klasse und Maybach habe ich meinen Traumjob und bin glücklich, wenn ich jeden Morgen hier nach Affalterbach fahre. Es gibt viele spannende Projekte, die ich mit dem Team gemeinsam angehen möchte, darauf freue ich mich.

Und Affalterbach bleibt die Heimat von AMG?

Wir haben hier am Standort einiges investiert und werden auch noch mal ein kleines Stück wachsen, weil wir hier am Standort mit dem Einstieg in die Elektromobilität neue Anforderungen haben. Dazu zählen unter anderem neue Testzentren für die Kernelemente der Elektromobilität, also die Electric Drive Units und die Batterietechnologie. Da werden wir weiter Kompetenz aufbauen. Dabei hilft es sehr, dass wir wirklich sehr gut mit der Gemeinde Affalterbach zusammenarbeiten.

Vita

Michael Schiebe, Jahrgang 1983, studierte Internationale Betriebswirtschaft in Stuttgart und startete seine Karriere 2007 bei Mercedes in der Produktplanung. Der begeisterte Läufer verantwortete unter anderem den deutschen Markt und leitete zuletzt das Büro von Ola Källenius. Seit dem 1. März 2023 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung von Mercedes-AMG und verantwortet zusätzlich die Top End Vehicle Group, zu der Mercedes-Maybach und die G GmbH zählen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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