Mercedes S-Klasse W223
Eine S-Klasse für sich

Eine neue Mercedes S-Klasse, das sei ja früher immer ein Ereignis gewesen, meinen Sie? Ist es noch immer, meinen wir nach der ersten Fahrt mit dem vielleicht besten Auto der Welt.

Mercedes S-Klasse W223
Foto: Mercedes-Benz

Auf Seite 82 endlich wendet sich die Pressemappe, welche an Umfassendheit nichts zu wünschen übriglässt, den Motoren der neue S-Klasse zu. Auch hier wird es ein wenig dauern, bis wir zu den Reihensechszylindern kommen. Denn anders als zu Zeiten der früheren Generationen – des W109 als 6.3, des W116 als 6.9 oder des W140 als 600 mit V12 – treiben Motoren die Innovationskraft dieses Autos nicht so maßgeblich voran.

Was nichts daran ändert, dass diese S-Klasse wie jede vor ihr mit dem Anspruch antritt, das beste Auto der Welt zu sein. Und ist es nicht schön, dass es so etwas noch gibt – einen Wagen, der nicht Trends nacheilt, eine Mode begründen oder sich auf Äußerlichkeiten beschränken will, sondern nach Perfektion trachtet? Dabei erschien die ja bei der bisherigen S-Klasse W222 gerade in den Bereichen von Sicherheit, Assistenz und Komfort nahezu erreicht. Doch dem Nahezu noch näher zu kommen, das gelingt auch der neuen Generation.

Unsere Highlights

Die hat sich übrigens in der kurzen Version in der Länge um 5,4, in Breite um 5,5 und im Radstand um 7,1 Zentimeter auf nun 5,18, 1,95 und 3,12 Meter gereckt. Wichtiger jedoch, da 90 Prozent der Kunden sie wählen, ist das neue Maß der elf Zentimeter längeren, nun, Langversion. Sie bringt es auf 5,29 und 3,22 Meter. So bringt es der S 500 lang auf eine Grundfläche von 10,3 Quadratmetern, was nach sehr viel klingt, aber gar nicht mal so viel ist für all die Innovationen, welche die Ingenieure darauf untergebracht haben.

Beamer statt Scheinwerfer

Wo fangen wir da an? Na, am besten ganz vorn, denn statt herkömmlicher Scheinwerfern hat die S-Klasse nun optional Beamer. Beim Digital Light für 2.192 Euro lenken und positionieren 1,3 Millionen Mikrospiegel pro Scheinwerfer das Licht dreier leuchtstarker LED. Damit soll sich die Straße 100 Mal exakter ausleuchten und andere Fahrzeuge aus dem Dauerfernlicht ausblenden lassen als mit dem serienmäßigen Multibeam-LED-Licht mit 84 LED pro Scheinwerfer.

Mit Digital Light kann die S-Klasse vor Baustellen warnen, indem sie ein Baggersymbol auf die Straße projiziert, sie kann mit Leuchtstreifen eine Fahrspur um ein Hindernis herumlegen. Zudem erkennt das System die Topografie, also neben Kurven, Städten und Autobahnen nun auch Kuppen und Senken und passt den Lichtkegel dabei so an, dass der Mercedes nicht in den Himmel oder auf den Boden leuchtet.

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Digitallicht mit LED-Beamer: Genau genommen hat die S-Klasse mit Digital Light keine Scheinwerfer mehr, sondern zwei Beamer, die sogar einen Film projizieren könnten.

Dann hätten wir das Head-up-Display mit Augmented Reality-Inhalten (3.468 Euro), das auf einer Fläche projiziert, die einem Bildschirm von 77 Zoll Querschnitt entspricht. Darauf blendet das Navi blaue Pfeile ein, so prominent, als sei die eigene Route nur für dich mit Leuchtpfeilen ausgeschildert.

Dann das 3D-Fahrer-Info-Display (1.148 Euro): zwei Kameras im Instrumententräger überwachen die Augen des Fahrers und liefert so die Daten über den Blickwinkel, sodass die 3D-Anzeige etwa für die Navi-Karte fast in Echtzeit exakt passend animiert und positioniert wird. Weiter geht es mit dem kapazitiven Lenkrad, das fühlt, wenn der Fahrer seine Hände am Steuer hat. Also keine nervigen Warnungen mehr, das Lenkrad festzuhalten, nur weil man es lockerer hält oder einige Zeit lang nicht bewegte.

Der 12,8 Zoom große Zentral-Touchscreen nutzt OLED-Technik, seine Inhalte kann der Fahrer auch auf die Bildschirme der Passagiere im Fond schieben. Dazu regelt er alles, von Klima über Sitzmassage und natürlich das gesamte Infotainment des MBUX. Dessen Sprachsteuerung kann sich nun auf 27 Sprachen verständigen und von jedem Platz aus angesprochen werden.

Auch weil einiges nur über die fitzeligen Wischtasten auf dem Lenkrad gelingt, dauert es ein wenig, bis man sich das passend zusammensortiert hat, all die Funktionen, Anzeigen und auch die hervorragenden Sitze. Über bis zu 19 Stellmotoren lassen sie sich einstellen, dazu variieren sie auf langen Strecken immer mal minimal ihre Position, um Ermüdungen oder Verspannungen zu verhindern. Wärmen, kühlen oder massieren können sie auch – selbstredend.

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Hände am Steuer? Erkennt das kapazitive Lenkrad. Das Zentraldisplay gibt es mit OLED-Technik in 12,8 Zoll.

Den Fond möbliert entweder eine Dreierbank, die Komfortsitzgruppe oder die Executive-Liegesitze. Die haben übrigens (wie schon der zweitürige Renault Mégane von 2002) einen Airbag in der Sitzfläche, der bei einem Crash verhindert, dass die Passagiere unter dem Gurt durchtauchen. Wo wir eh gerade bei den Airbags sind, zählen wir mal durch. Denn neben dem Kniebag für den Fahrer gibt es noch: Frontbag, Sidebag vorn und hinten, durchgehende seitliche Kopfairbags, zwei Gurtbags hinten und dazu drei neue. Den Mittelbag zwischen den Vordersitzen, der verhindern soll, dass Pilot und Co bei einem Seitencrash mit den Köpfen aneinanderstoßen und zwei Fondairbags in den Sitzlehnen der Vordersessel. Macht also 14 Airbags – eine ziemliche Hüpfburg auf Rädern also die S-Klasse.

Aber eigentlich wollten wir ja erklären, wie das mit den Fondairbags funktioniert: Die Luftkissen entfalten sich auf 70 Liter Volumen aus einer Röhrenkonstruktion. Deren Funktionsweise kann sich wie das einer Karnevalströte vorstellen: Pustet man da rein, entfaltet sie sich nur dann komplett, wenn sie zuvor nicht gegen irgendetwas stößt. Genau dieses Prinzip nutzen die Fondbags, stoßen sie etwa gegen einen rückwärtsgerichteten Kindersitz, stoppen sie einfach, ohne Schaden zu verursachen – abschaltbar sind sie dennoch.

Ab Herbst hochautomatisiert unterwegs

Abschalten kann auch der Fahrer ab nächstem Jahr mal, denn dann kommt optional der Drive Pilot, den wir auch schon ausprobieren konnten. Bis Tempo 60 nämlich kann die S-Klasse hochautomatisiert auf Autobahnen selbst fahren. Der Drive Pilot wird über Tasten im Lenkradkranz aktiviert und folgt dann dem Vorausfahrenden Auto. Die Sensorik überwacht dabei aber auch weiter voraus- sowie hinterherfahrende Wagen. Fällt das Tempo im zähflüssigen Verkehr unter 30 km/h lenkt die S-Klasse auf die Seite, um eine Rettungsgasse zu bilden. Mercedes nutzt hochgenaue Karten, sowie GPS samt Fehlerkorrektur, so lässt sich die S-Klasse auf den Zentimeter exakt positionieren.

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Ab Herbst 2021 braucht die S-Klasse ihren Fahrer seltener. Dann hat sie optional den Drive Pilot dabei. Bis Tempo 60 fährt der Mercedes damit komplett selbstständig auf der Autobahn.

So, jetzt geht es aber endlich wirklich los. Startknopf, Wählheben auf D und Obacht in diesem verzwickt engen Parkhaus. Wobei, was haben sie denn mit dem gemacht, ansonsten verkantet man sich auf den Rampen doch schon mit einem Kompakt-SUV? Natürlich ist das noch dasselbe Parkhaus, aber die S-Klasse hat nun optional eine Allradlenkung. Bei der steuern die Hinterräder mit maximal zehn Grad (mit Schneeketten oder Mischbereifung sind es 4,5 Grad, mehr geht nicht wegen der Enge des Radhauses) gegensinnig. Das bewirkt eine virtuelle Radstand-Verkürzung und verringert den Wendekreis um bis zu 1,9 m.

Der gegensinnige Lenkwinkel wird bis 60 km/h kontinuierlich verringert, darüber lenken die Hinterräder für höhere Stabilität gleichsinnig ein (virtuelle Radstand-Verlängerung). Auch beim automatischen Ausparken lenken sie zuerst gleichsinnig. Das rückt die Räder vom Bordstein ab, damit sie beim Ausrangieren nicht daran verkratzen. Jedenfalls fährt sich die S-Klasse damit in der Stadt so handlich wie eine A-Klasse. Und draußen auf Landstraßen und Autobahnen noch souveräner.

Ja, man kann die Allradlenkung durchaus die spürbarste aller Neuerungen nennen. Denn der große, gut zwei Tonnen schwere Mercedes fährt so viel agiler mit der 15 Prozent direkter übersetzten, präzisen, geschmeidigen Lenkung, die mit Rückmeldung allerdings nicht gerade aufdringlich umgeht. Aber klar, schließlich ist das hier eine S-Klasse, die wird eine gewisse Besonnenheit auch in den Programmen Sport und Sport+ nie aufgeben. Doch es ist schon bemerkenswert, wie schnell, handlich und sicher sie nun um Kurven biegt und mit welch wuchtigem Grip sie sich dann herausdrückt und aufmacht, die nächste Gerade entlangzueilen.

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Abhängig von Tempo und Lenkwinkel lenken die Hinterräder über einen E-Motor um maximal zehn Grad gegensinnig ein. Das bewirkt eine virtuelle Radstands-Verkürzung.

Dabei ist die große, weite, durchaus eilige Reise noch immer die größte Kompetenz des Wagens. Leise nur umfächelt der Wind die strömungsoptimierte Karosserie (cw 0,22 mit versenkbaren Türgriffen). Der Innenraum ist so gut gedämmt, dass du nicht heraushören kannst, ob unter der Haube der Benziner oder der Diesel werkelt. Vor allem aber prägt die serienmäßige Luftfederung den Komfort. Ob kurze oder lange Wellen, sie überflauscht einfach alles, ohne dabei ins Stolpern oder Nachschwingen zu kommen. Später gibt es noch die E-Active-Body-Control mit vorausschauender, aktiver Dämpferanpassung. Mit ihr soll sich die S-Klasse auch bis zu drei Grad in Kurven legen können. Oder bei einem drohenden Seitencrash die Karosserie um acht Zentimeter anheben, damit der Unfallgegner statt der Türen den noch härteren Schweller trifft.

Wobei erst mal einer die S-Klasse erwischen muss. Vier Multimode-Radare, ein Fernbereichsradar, zwölf Ultraschallsensoren, eine Stereo- und vier Monokameras überwachen die Umgebung und liefern Daten für die Assistenzarmanda. Das Notbremssystem kann nun bis 100 km/h eine Kollision vermeiden, der Bremsassistent an Kreuzungen eingreifen, der aktive Spurführer eine Rettungsgasse bilden, der Ausweich-Assistent besser helfen, um Hindernisse herumlenken, der Nothalt-Assistent vor dem Stopp eine Spur wechseln und der Totwinkelwarner beim Aussteigen vor herannahendem Verkehr warnen. Dann blinkt das Ambiente-Licht, dessen Illuminierung 250 LED in 64 Farben leuchten kann.

Plug-in-Hybrid fährt bis 140 km/h rein elektrisch

Herrjeh, fast am Ende, und tatsächlich noch nichts über die Motoren geschrieben. Nun, die sind eigentlich auch das Unspektakulärste an der S-Klasse. Die beiden Reihensechszylinder S 450 und S 500 arbeiten mildhybridisiert, ein Startergenerator boostet ihnen mit 22 PS/250 Nm zu. Und ja, wie immer schon, ist so ein 500er ein überaus erfreulicher, kultivierter, annehmbar effizienter und überaus drangvoller Motor. Die beiden Diesel, ebenfalls Dreiliter-Reihensechszylinder, reinigen ihre Abgase nun mit einem SCR-System und zwei NOx-Kats. Nur unwesentlich weniger entschlossen und minimal weniger hochkultiviert stellen sie eine unauffällig-standesgemäße Motorisierung dar. Aber eben keine wirklich innovative.

Dafür braucht es dann schon den neuen Plug-in-Hybrid S 580 e. Bei ihm kooperiert der 367 PS starke Reihensechszylinder-Monoturbo mit einer 110 kW/150 PS starken permanenterregte Synchronmaschine. Gemeinsam bringen sie es auf eine Systemleistung von 375 kW/510 PS. 100 Kilometer weit soll der S 580 e rein elektrisch fahren können – bis zu 140 km/h schnell. Die Energie liefert der 28,6 kWh große Lithium-Ionen-Akku. Er wiegt 241 kg, baut niedrig, was einen ebenen Kofferraumboden ermöglicht, und lässt sich mit bis zu 60 kW Gleichstrom schnellladen. Das soll unter 30 Minuten für eine Vollladung dauern.

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Auch den neuen Plug-in-Hybrid mit vehementen 375 kW/510 PS Systemleistung konnten wir fahren.

Im E-Modus legt der 580 e eher entspannt als energisch voran, aber der leise, fugenlose Antrieb passt hervorragend zur S-Klasse. Über Schaltpaddel lässt sich die Rekuperation variieren – die stärkste Stufe mit bis zu 120 kW Rückgewinnungsleistung ist fast ein Einpedalmodus. Alternativ steuert die Elektronik das Rekuperieren automatisch, berücksichtigt zur optimalen Akkunutzung Topografie und Reiseroute, nutzt auch die Abstandssensorik.

Schaltet sich der Benziner zu – entweder weil der Batterie die Ladung ausgeht oder man einen Widerstand im Fahrpedal übertritt – geht es enorm vehement voran. Auch da ist der S derzeit, was sie insgesamt ist: eine Klasse für sich.

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Fazit

Vielleicht wird es uns bei dieser S-Klasse zum ersten Mal ganz klar, wie bewundernswert es ist, heute ein Auto mit dem Ziel zu entwickeln, dass es morgen das beste der Welt sein wird. Eines, das keinen Trends folgen, sondern die Zukunft mitgestalten soll. Ob die S-Klasse nun mit innovativer aktiver und passiver Sicherheit, Lichttechnik sowie automatisiertem Fahren das beste Auto der Welt ist? Keine weltfremde Idee.

Technische Daten
Mercedes S 450 4Matic Mercedes S 500 4Matic Mercedes S 350 d Mercedes S 350 d 4Matic Mercedes S 400 d 4Matic
Grundpreis118.262 €129.103 €107.814 €111.622 €118.881 €
Außenmaße5179 x 1954 x 1503 mm5179 x 1954 x 1503 mm5179 x 1954 x 1503 mm5179 x 1954 x 1503 mm5179 x 1954 x 1503 mm
Kofferraumvolumen550 l550 l540 l540 l540 l
Hubraum / Motor2999 cm³ / 6-Zylinder2999 cm³ / 6-Zylinder2925 cm³ / 6-Zylinder2925 cm³ / 6-Zylinder2925 cm³ / 6-Zylinder
Leistung270 kW / 367 PS bei 6100 U/min320 kW / 435 PS bei 6100 U/min210 kW / 286 PS bei 3400 U/min210 kW / 286 PS bei 3400 U/min243 kW / 330 PS bei 4200 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h250 km/h250 km/h250 km/h250 km/h
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten