Volvo EX30
Zurück in der Kompaktklasse

Mit chinesischem Unterbau sowie schwedischer Abstimmung und Gestaltung versucht sich Volvo zum ersten Mal seit dem V40 wieder in der Kompaktklasse. Was kann der Elektro-Crossover auf der Straße?

Volvo EX30
Foto: Volvo

52.950 Euro, 47.900 Euro und 49.444 Euro. So lauten die Einstiegspreise in die E-Mobilität bei den deutschen Premiumherstellern Audi (Q4 e-tron), BMW (iX1) und Mercedes (EQT). Wählt man Premium aus Schweden, geht’s schon bei 36.590 Euro los. Für einen solchen Kampfpreis muss sich der EX30 seine Plattform mit den Geely-Konzernbrüdern Smart #1 und Zeekr X teilen. Ein Handicap? Nicht wirklich, überzeugten Smart und Zeekr bisher ja auch mit ordentlichen Fahreigenschaften.

Unsere Highlights

Stoiker mit großer Kraft

So auch der EX30, der schon in der ersten spanischen Kehre klarmacht, wo es langgeht. Die Lenkung agiert sehr leichtgängig und wenig gefühlvoll, dafür sehr linear, ohne Spitzen, Rätsel oder sonstige Auffälligkeiten. Die Karosserie neigt sich tief in die Federn, die Reifen singen alsbald ihr Lied vom Gripverlust. Ihr habt von einem Volvo tatsächlich so etwas wie Handling erwartet? Nein, wir auch nicht. Warum aber auch? Die Federung mit MacPherson-Federbeinen an der Front und einer Multilink-Hinterachse schwingt Unebenheiten mit spürbaren Karosseriebewegungen aus, bleibt aber selbst mit optionalen 20-Zoll-Rädern auf der komfortablen Seite. Etwas weniger Fahrwerksgeräusche wären schön. Dank des kompakten Formats und der Lenkung, die sich in drei Stufen zwischen leicht, sehr leicht und superleicht verstellen lässt, ist der Volvo vor allem innerstädtisch angenehm zu bewegen. Dort glänzt er mit seiner Fahrwerksabstimmung und die hörbaren Windgeräusche bei höherem Tempo fallen bei niedrigen Tempi nicht mehr auf. Dabei bringt der Volvo den Wind schnell zum Rauschen: Selbst die heckgetriebenen Einmotorvarianten sprinten dank 200 kW (272 PS) schon in knackigen 5,7 bzw. 5,3 Sekunden auf 100 km/h. Im Twin-Motor-Performance-Modell wird der Hinterachs-Permanentmagnetsynchronmotor um einen zweiten an der Vorderachse ergänzt, trotzdem ist er kein dediziertes Sportmodell.

Außer einer größer dimensionierten Bremse und ein an die veränderte Gewichtsverteilung angepasste Fahrwerksabstimmung, gibt es keine dynamisierenden Modifikationen. Die resultierenden 315 kW (428 PS) Peak-Leistung sorgen dafür, dass der günstigste Volvo im Programm gleichzeitig der sprintstärkste wird. 3,6 Sekunden für den Standardsprint versprechen die Schweden. Für den E-Auto-gerechten Abschuss aus dem Stand muss im Menü der Performance-Allrad aktiviert werden. Um Schleppverluste zu vermeiden, wird der vordere Motor mit einer Kupplung normalerweise nur im Bedarfsfall, etwa bei Volllast oder erhöhtem Traktionsbedarf bei Regen oder Schnee, zugeschaltet. Erst in Peformance-Stellung reagiert der Antrieb so explosiv wie man es sich erhofft und lässt den knapp 1.880 Kilogramm schweren Massewürfel gen Horizont toben, zumindest bis zu 180 km/h schnell. Die Kraftabgabe in kurvigen Sektionen erfolgt harmonisch und neutralisierend, sofern man sich an die kleine Verzögerung bei der Umsetzung von Pedalbefehlen gewöhnt. Mit Übersteuern hat der fahrsichere EX30 trotz der stärkeren Heckmaschine nichts am Hut. Genausowenig wie mit einem transparenten Bremspedalgefühl. Das wirkt seltsam weich und matschig und gibt wenig Gefühl beim Verzögern und Rekuperieren. Apropos Rekuperation: Es gibt lediglich die Wahl zwischen Einpedal-Fahren und einer softeren Energierückgewinnungsstrategie. Immerhin setzt die Rekuperation weich und berechenbar ein. Einen Segelmodus oder dedizierte Fahrmodi gibt es gar nicht und auch aufwendig komponiertes Raumschiffgesumme sparte man sich. Viel wichtiger: Dank einer 69 kWh brutto und 64 kWh netto fassenden Batterie aus NMC-Zellen sind beim Twin-Motor bis zu 450 und beim Single-Motor-Extrende-Range bis zu 476 km nach WLTP möglich. Darunter sitzt der reguläre Single-Motor mit einer 51 kWh-LFP-Batterie (49 kWh netto). Reichweite? Da die finale Homologation noch fehlt, rechnet Volvo derzeit mit 344 km nach WLTP. Das ist jeweils mehr als bei den Plattformbrüdern von Zeekr und Smart. Mit cw 0,28 erreicht der Volvo den gleichen Wert wie der Zeekr und ist minimal strömungsgünstiger als der Smart. Wichtiger jedoch: Er hat die kleinste Stirnfläche der drei. Geht der Stromvorrat dennoch irgendwann zur Neige verspricht Volvo eine maximale Ladeleistung von 153 kW und eine Ladezeit für den Ladehub von 10 bis 80 Prozent von 26 Minuten für den größeren NMC-Akku. Der kleine LFP-Akku lädt ebenfalls in 26 Minuten auf 80 Prozent, schafft maximal jedoch nur 134 kW, was im Vergleich zu anderen LFP-Batterien recht konkurrenzfähig ist. An AC-Säulen sind 11 kW möglich, einen 22-kW-Bordlader gibt es nur für den großen Akku in der Toplinie Ultra. So sollen laut Volvo vier Stunden für eine Vollladung genügen, bei 11 kW sind es siebeneinhalb.

Fast fertig und doch ein Piepskonzert

Bereits serienmäßig gibt es einen Adaptivtempomaten und den mittlerweile vorgeschriebenen Spurhalteassistenten. Ab der zweiten Linie Plus sind dann auch aktive Spurführung und ein Spurwechselassistent an Bord. Stellt man die Systeme vor nicht allzu große Herausforderungen bei der Streckenführung, erledigen sie ihre Arbeit ordentlich. Die Spurführung strahlt Ruhe aus, der Spurhalteassistent greift meist korrekt ein und auch der Adaptivtempomat hält sauber den Abstand und verkneift sich Phantombremsungen. Erst wenn stärkere Autobahnkurven ins Spiel kommen, verliert die Assistenz etwas an Contenance und wird nervös. Auf die Verkehrszeichenerkennung sollte man sich auf keinen Fall verlassen, die Fehlerquote liegt hoch. Umso ärgerlicher, dass der EX30 schon von der neuen EU-Vorschrift der akustischen Tempolimitwarnung betroffen ist. Häufige Fehlalarme enden im Piepskonzert, noch dazu, weil der Assistent jedes neue erkannte Verkehrzeichen mit einem weiteren Piepston ankündigt. Auch der Spurhalteassistent meldet sich oft zu Wort statt einfach seine Arbeit zu machen. Immerhin sind die Töne im Menü deaktivierbar, für Spurhalteassistent und Tempolimitwarnung gibt es sogar Shortcuts. Ähnlich nervig: der Aufmerksamkeitswarner, der mit einer Eye-Tracking-Kamera die Blickführung überwacht. Auch der muss häufig eingreifen, da man den Blick von der Straße nimmt. Wofür? Na, um zu sehen, wie schnell man fährt. Schließlich verzichtet Volvo auf ein Tacho- und ein Head-up-Display und informiert nur im vertikalen Mitteldisplay übers Tempo. Das steht so mittig, dass man den Blick von der Straße nehmen muss, was der Aufmerksamkeitsassistent prompt und richtig als Ablenkung erkennt. Ein Systemfehler, der auch nur mit Deaktivierung gelöst werden kann. Ebenfalls nervig: Erkennt die Parkassistenz im Stau den umgebenden Verkehr und aktiviert die Kameras, legt sich das Bild über jedes gerade geöffnete Menü und lässt sich auch erstmal nicht mit einem X wegklicken.

Elon auf Schweden-Austausch

Zentraldisplay, kein Tacho, Fahrzeugöffnung via Smartphone oder Key Card, Fahrzeugstart durch einen simplen Tritt auf die Bremse, ein Lenkstockhebel zur Fahrstufenwahl und zur Aktivierung des Tempomaten und auch sonst kaum Tasten: Die Inspiration für den EX30-Innenraum kommt klar aus dem Silicon-Valley und auch klar aus der Controlling-Abteilung: Weniger Tasten, weniger Kosten, aber auch weniger Bedienergonomie. Scheinwerfer, Fahrassistenz, Lautstärke, so gut wie alles muss über den Touchscreen gesteuert werden. Der kommt mit seinen 12,3-Zoll-Diagonale da zum Teil an seine Grenzen, so dass manche Bedienfelder zu klein ausfallen. Praktisch: die Shortcuts zum Deaktivieren einiger Assistenzfunktionen. Das androidbasierte System erlaubt Google-Nutzern die direkte Anmeldung mit dem eigenen Konto, die passenden Apps gibt’s gleich mit dazu. Apple-Nutzer gehen dank Carplay nicht leer aus. Ergo navigiert und ladeplant man mit Google Maps was hinsichtlich der Echtzeit-Verkehrswarnungen sehr gut, hinsichtlich der Laderoutenplanung zumindest passabel funktioniert, denn Einstellungen und Präferenzen erlaubt der Routenplaner nur wenige und auch Aktualisierungen bei sich änderndem Fahrprofil kommen oft nur langsam. Immerhin gibt es klassische, etwas billig wirkende Lenkradtasten für Tempomat und Medien, die jedoch nicht sonderlich präzise reagieren. Darüber hinaus überzeugt die Ergonomie in Reihe eins. Die Integralsitze stützen vorzüglich und sind sehr bequem. Große Einstellbereiche von Sitz und Lenkrad erlauben großen wie kleinen Personen eine gute Sitzposition zu finden. Lautsprecher sucht man in den Türen vergebens. Stattdessen gibt es riesige Ablagefächer. E-Auto-typisch entfällt der Mitteltunnel. Dafür gibt es ein langes, zweistöckiges Ablagefach mit Klappe. Davor sitzen im Tesla-Stil zwei induktive Ladepunkte für Smartphones. Aus dem Mittelarmlehnenturm fährt nach vorn eine weitere Ablage aus, die entweder als Cupholder mit einer separat ausfahrenden Schablone genutzt werden kann oder als zusätzlicher Stauraum für Kleinkram. Lautsprecher wurden nicht vollständig weggespart, sie sitzen als Soundbar unter der Windschutzscheibe, ab der Toplinie Ultra sogar von Harman & Kardon. Der Klang? Klar, wuchtig, bassbetont, nur etwas Stereo-Effekt fehlt. Ebenfalls minimalistisch: Die Sitzverstellung, die alle Verstellparameter in einen einzigen Multifunktionsschalter an der Sitzkonsole packt.

Minimal bedient, maximal gestaltet

Darüber hinaus haben sich die Innenraumdesigner mächtig ausgetobt im EX30. Mehrere Innenraumthemen stehen zur Wahl. Sie enthalten etwa Sitze aus dem Volvo-eigenen Nordico-Textil aus Vinyl, PET, Kork und biologischem Material, das sich wie ein leicht gummierter Stoff anfühlt, oder auch aus kuscheligem grauem "Tailored Wool", der aus 70 Prozent Polyester und 30 Prozent Wolle besteht. Nordico gibt es auch in hellblau und grün, dazu noch verschiedene einzigartige Dekorleisten, etwa aus gewebtem Flax, recyceltem Jeansstoff und flockigen Kunststoffleisten aus recyceltem PVC, die jedoch stark an den Linoleumboden aus dem einstigen Klassenzimmer erinnert. Qualitativ wirkt das Ensemble trotz großzügiger Hartplastik-Verwendung in den tieferen Bereichen des Innenraums dank hübscher Details wie den Zierleisten und den schicken Metalltürgriffen und den rahmenlosen Außenspiegeln und feinen Stoffen hochwertig.

Kurzum: ein Blick in den Konfigurator lohnt sich ebenso sehr, wie das Überdenken des eigenen Platzbedarfs. Denn viel davon bietet der EX30 nicht. Klar, mit 4,23 mal 1,83 mal 1,55 Meter sind dem Platzangebot Grenzen gesetzt. Trotzdem fercht dich ein VW ID.3 oder ein Smart #1 bei ähnlichen Außenmaßen nicht im Ansatz so in den Fond. Die Knie stoßen an den Vordersitz, die Beine stehen steil, nur das platzsparende Glasdach verhindern den Skalpkontakt. Öffnet man die elektrische Kofferraumklappe mit der kleinen Taste auf Höhe der Rücklichter, zeigt sich der Kofferraum mit 318 bis 904 Liter eher sparsam bemaßt. Jedoch rechnet Volvo Ablagefächer im Gegenwert von 61 Liter nicht mit ein. Zusätzlich lassen sich Ladekabel in den kleinen aber ausreichend dimensionierten Frunk auslagern. Dank zweiteilig klappbarer Rückenlehne und einem zweistufig verstellbarem Ladeboden lässt sich der Kofferraum erweitern. Eine praktische Skizze an der Innenseite der Kofferraumklappe zeigt zudem die Maße der Ladefläche ohne in der Bedienungsanleitung herumzusuchen und stellt dar, was transportiert werden kann. Raumeffizienz ist trotzdem nichts, dass man dem EX30 zusprechen kann.

Preiswert oder edel

Der Einstiegspreis von 36.590 Euro für die 51 kWh Batterie beinhaltet zwar bereits eine brauchbare Serienausstattung mit Adaptivtempomat, Totwinkelassistent, Spurhalter, 18-Zoll-Rädern, Lordosenstütze, Einparkhilfe hinten, Wärmepumpe und dem vollen Infotainment-Umfang. Dennoch lohnen sich 5.800 Euro Aufpreis für die größere Batterie und die damit wachsende Reichweite. 3.000 Euro Extra kostet die Linie Plus mit besserer Ausstattung und Wahl des Innenraumthemas, wobei es die schicken Wollsitze nur in der Toplinie Ultra gibt (plus 7.200 Euro, nur für Single Motor Extended Range und Twin-Motor). Weitere 3.100 Euro werden für die Zweimotor-Variante fällig. Heißt: zwischen dem Basisakku in der Basisausstattung und dem 52.090 Euro teuren Twin-Motor in Ultra-Ausstattung liegen finanzielle Welten. Der EX30 kann günstig gefahren werden, Luxus kostet bei ihm aber gewohnt hohe Aufpreise. Trotzdem erwartet Volvo, dass der EX30 eines seiner meistverkauftesten Modelle der kommenden Jahre wird. Vorerst wird ausschließlich in Zhangijakou, China produziert, ab 2025 soll auch das Werk im belgischen Gent die Europa-Nachfrage bedienen.

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Super. Diese Klarheit würde man sich von einigen deutschen Herstellern wünschen.Riskant. Es könnte nach hinten losgehen, alles auf die Elektro-Karte zu setzen.

Fazit

Auf sachlicher Ebene mangelt es dem Volvo EX30 vor allem an Platz und einer ablenkungsfreien Bedienung. Die Assistenz nervt zeitweise und doch überzeugt er mit seiner komfortablen Art, der guten Sitzergonomie in Reihe eins und dem einzigartig und wertig gestalteten Hygge-Innenraum. Die Versprechen bei Reichweite und Ladeleistung muss er im ersten Test einlösen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten