Fahrbericht VW ID.3 (2020)
So fährt die Serienversion des E-Autos

Jetzt muss der stille Revoluzzer liefern: Was kann der VW ID.3 wirklich? Wir fahren es raus.

VW ID.3 Serienversion
Foto: Volkswagen AG / Andreas Schleith

Alles kommt wieder, aber auf eine andere Weise. Behauptet jedenfalls der dänische Philosoph Kierkegaard. Und das, ohne jemals des ID.3 ansichtig geworden zu sein. Kunststück, der Däne starb bereits 1855, der ID.3 startet erst jetzt. Und mit ihm Volkswagen in die Elektromobilität. Endlich. Ziel: Weltmarktführerschaft E-Mobilität 2025. Kleiner hatten sie es nicht in Wolfsburg.

VW ID.3 mit Käfer-Layout

Andererseits muss man sich ja auch Ziele setzen. Und natürlich gab es da schon mal früher etwas Elektrisches von VW: vom Golf Stromer bis E-Golf und E-Up. Gar nicht mal so übel, die beiden letzten. Doch erst mit dem ID.3 zündet Wolfsburg das, was sie so richtig gut können: Einen Baukasten schaffen. Was der Modulare Querbaukasten (MQB) für die Verbrennungsmotoren-Clique von Golf bis Tiguan Allspace, das wird der Moulare Elektro-Baukasten (MEB) für die Elektromobile.

Unsere Highlights

Und was kommt nun wieder? Na, der Heckantrieb. Also ein echter, mit Motor und angetriebener Achse hinten (im Gegensatz zum Hinterradantrieb mit Motor vorn und angetriebener Hinterachse). ID.3 und Konsorten nutzen quasi das Layout des Käfers. Spannend, was? Schließlich gab zwischendurch mal ein cleveres Frontantriebs-Auto einer ganzen Generation den Namen und jetzt, wo der Typ in achter Generation langsam an Schwung verliert, da ziehen sie in WOB das elektrische Kaninchen aus dem Hut. Viel wurde geschrieben, ein wenig gefahren und jede Menge spekuliert. Auch über das Software-Problem. Ein desaströses, das für Spekulationen und Bilder sorgt, die keiner sehen will. Etwa, wie physisch fertiggestellte Autos auf Halde herumlungern, weil die Elektronik noch nicht soweit ist.

Vorn luftig, hinten mittelprächtig

Wie kommt man aus so einer Nummer raus? Indem man einsteigt. Endlich. Ins finale Auto. Tür auf, hinsetzen. Passt. Lenkrad mit reichlich Verstellbereich, Sitze mit mittelprächtig Seitenhalt, Anmutung mit Sinn für Rendite. Konkret: Viel harter Kunststoff, Armaturenträger mit weich geschäumten Partien, glänzender Hartkunststoff mit hohlem Klopfsound. Okay, ja. Liebevoll geht anders. Auch das Bedienteil für Spiegel und Fensterheber. Der Spiegelversteller könnte satter agieren, die Wechseltaste für Seitenscheiben vorn und hinten wirkt billig.

VW ID.3 Serienversion
Volkswagen AG / Andreas Schleith
Hinten knapst die strömungsgünstige Karosserieform spürbar an Kopf- und Schulterfreiheit.

Versöhnend: das Raumgefühl im 4,26 Meter langen ID.3, der von der äußeren Gestalt einem Golf Sportsvan ähnelt. Folge des im Unterboden ab der Vorderachse montierten Akku (hier rund 300 Kilo schwer), der einen höheren Wagenboden und damit eine höhere Dachlinie bedingt, die in etwa zwischen Golf und Sportsvan liegt. Der Radstand des ID.3 ist länger, ergo: Die Proportionen stimmen und durch die ökonomische E-Auto-Architektur gibt es viel Platz innen. Halt: Hinten knapst die strömungsgünstige Karosserieform spürbar an Kopf- und Schulterfreiheit. Für die Beine bleibt dafür jede Menge Räkelfreiheit auf Passat-Niveau. Eigentlich keine Überraschung, sondern eine Eigenschaft des MEB.

MEB: Auf's Gesamtkonzept kommt es an

Hier wiederholt sich Geschichte, denn als der Golf I kam, brillierte er ebenfalls nicht mit revolutionären Motoren, sondern kam übers gelungene Gesamtkonzept. An dieses Rezept hält sich auch der ID.3, parkt Klimakompressor, Lenkgetriebe und 12-Volt-System in den Vorderwagen, schraubt die Hochvolt-Flachbatterie in den Unterboden und den in die Hinterachse integrierten permanenterregten Synchronmotor sowie seine Leistungselektronik plus Eingang-Getriebe ins Heck. Dort kümmert sich eine neu entwickelte Multilenker-Achse um Bodenhaftung, während vorn eine ebenfalls neue Vorderachse arbeitet.

Damit wäre der Konzern-allgemeingültige MEB schonmal grob beschrieben. Um Differenzierung kümmern sich zwei unterschiedlich starke Motoren sowie drei unterschiedlich große Batterien. Unser Testwagen kommt als 1st Edition mit 204 PS und einem 58 kWh-Akku auf 38.986 Euro Startpreis, je nach Ausstattungsvariante (Plus oder Max) geht es dann rauf bis 48.734 Euro. Frei konfigurierbare Modelle starten mit dem 58 kWh-Akku bei 35.575 Euro. Im preiswertesten Basismodell des ID.3 arbeitet eine 150 PS starke E-Maschine mit einem 45 kWh-Akku für 330 Kilometer Reichweite, der Testwagen soll mit 58 kWh 420 km weit kommen, das Topmodell wiederum bunkert 77 kWh für bis zu 550 Kilometer (jeweils nach WLTP). Schon in der Basis bringt die 1st-Edition Sprachsteuerung, Navigation und kostenloses Laden für ein Jahr mit.

Nicht zu vergessen die Lichtspiele. Licht sei das neue Chrom, behauptet zumindest der VW-Designchef. Polierte Papi früher am Samstagnachmittag Leisten und Zierstäbe auf Hochglanz, bevor es das Belohnungsbier zur Sportschau gab, lässt er sich heute von Lichtsignalen begrüßen (bei Annäherung ans Auto mit einer Art Augenaufschlag), verabschieden und zwischendurch per LED-Band im Cockpit coachen. So quittiert die Leiste Befehle, unterstützt beim Navigieren oder warnt bei Gefahren, fordert rotleuchtend zum Bremsen auf. Coaching halt.

Software läuft, oder?

Coachen. Gutes Stichwort. Volkswagen behauptet, wie fein es sei, während der Fahrt nicht mehr auf Tasten und Knöpfen herumdrücken und drehen zu müssen, schiebt Fahrer und Beifahrer deshalb schwarzglänzende kapazitive Flächen unter die Fingerkuppen und hält ihnen ein imaginäres Mikrofon zur Sprachsteuerung hin (separat für Fahrer und Co., samt entsprechender Rückmeldung übers LED-Band). Das Mikrofon als neuer Drehdrücksteller. Zeitgemäß und fancy wie Telefonieren per Ohrstöpsel-Freisprech oder wie ein Toast vor's Gesicht gehaltene Mobilfunkgeräte.

Doch funktioniert das auch alles? Immerhin gibt es ja dieses Thema (neudeutsch für schwierig beherrschbare Situation, aka Katastrophe) mit der Software. Und zwar nicht nur beim ID.3, sondern auch bei Golf 8 und Geschwistern. Auf unserem Törn lief aber alles vom Instrumenten-Display vor dem Fahrer bis zum Infotainment. Befehle über Sprachsteuerung und die neuen Touch-Flächen kamen wunschgemäß an, das Headup-Display lieferte ebenfalls brav Infos, die zusätzliche Augmented-Funktion (Hinweise scheinen rund zehn Meter vor dem Wagen zu schweben) wird später per Update nachgereicht.

Flott beschleunigen, präzise lenken

Jetzt hätten wir über den ganzen Klimbim doch fast das Fahren vergessen. Was schade wäre, denn das bereitet Profis Freude, während es jedem E-Auto-Debütanten die Hürde gaaanz tief legt. Wählhebel nach vorn, Fahrpedal treten und ab geht‘s. Mit dem elektromotortypischen "Hui!" auf den ersten Metern. Drehmoment halt. Gleich. Sofort. Schön. Hier kommen TSI-Fahrer schon mal ins Grübeln, immerhin muss bei ihnen erstmal der Turbo pusten und das Getriebe den passenden Gang liefern. Der ID.3-Antrieb ist immer da. Immer. Und dieses süße Gefühl setzt das Handling fort, so handlich, sicher und akkurat der ID.3 Lenkbefehlen folgt. Kein heißblütiger Kilowatt-Vollstrecker, keine dröge Öko-Murmel, einfach ein rundes, sauber abgestimmtes Auto mit einer feinen, sogar etwas agilitätsfördenden Lenkung.

VW ID.3 Serienversion
Volkswagen AG / Andreas Schleith
Flott und agil ist er durchaus, der VW ID.3.

An dieser Stelle passen der Golf und er wieder auf ein Blatt. Nur dass der ID.3 mit seinen 1,7 Tonnen sowie dem niedrigen Schwerpunkt ein eigenes Handling-Aroma pflegt. Mit den 20-Zöllern straff abrollend und ein wenig hölzern auf Unebenheiten reagierend (adaptive Dämpfer optional), aber durchweg spaßig und komplett alltagstauglich bis hin zum flitzig kleinen Wendekreis von gut zehn Metern. Hier profitiert er vom Heckantrieb, der vorne Platz schafft und die Traktion speziell beim Beschleunigen verbessert. Antriebseinflüsse haben selbst bei reichlich Drehmoment keine Chance. Und: Während vorderradgetriebenen Autos bei plötzlichem Punch mit der entlasteten Vorderachse hadern, drückt der ID.3 seine angetriebenen Hinterräder satt auf den Asphalt.

Auch beim Bremsen kann er trotz dynamischer Radlastverschiebung hinten (dort mit Trommelbremsen) mehr Moment übertragen als konventionelle Kompakte. Rekuperieren kann er sowieso. Das funktioniert unauffällig, so wie die Beimischung der konventionellen Bremse samt transparentem, wenn auch etwas weichem Pedalgefühl.

Verbrauchen und Laden

Und der Verbrauch? Auf der gemischten Runde, vorwiegend im Stadtverkehr mit Stop and Go und etlichen Beschleunigungsmanövern, rund 18 kWh/100 km, bei ruhiger Autobahnfahrt mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 130 km/h sowie mit sanften Geschwindigkeitsänderungen sind es um 22 kWh. Alles nach Bordcomputer (one way). Wer an einen 100 kW-Schnelllader gerät, lädt sich in einer halben Stunde genug Strom für etwa 200 Kilometer Reichweite. Apropos Kilometer: Volkswagen gibt 160.000 Kilometer Garantie auf die Batterien.

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Für den Golf 8. Der wird auch in 9. Generation zukunftsfähig sein - als Plug-in-Hybrid.Für den ID.3. Den kann man auch in 5 Jahren noch ohne großen Wertverlust verkaufen.

Fazit

Der ID.3 ist kein E-Golf. Logisch, den gibt es ja schon. Er ist vielmehr ein reizvoller, mächtiger Schritt in die Kompaktwagen-Zukunft. Für alle, denen der Golf 8 bereits wie eine Revolution erscheint, womöglich ein zu mächtiger. Zumindest einer, der moderiert sein muss, angesichts der hochgradigen Digitalisierung, der analog-entrümpelten Bedienung und der neuen, teils reduzierten Anfass-Qualität. Kurz gesagt: Der erfreulich flink und unkompliziert fahrende ID.3 ist Morgen. Punkt.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten