Porsche 918 Spyder und Carrera GT
Mechanik gegen Digitalisierung

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Seinem Vorgänger ist der Porsche 918 Spyder wie aus dem Gesicht geschnitten, pflegt den gleichen dramatischen Auftritt wie der Carrera GT. In Hockenheim treffen sich die beiden Überflieger zu einem ersten Schlagabtausch der Supersportwagen-Generationen: Mechanik gegen Digitalisierung.

Porsche 918 Spyder, Porsche Carrera GT, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Mannomann, das ist wirklich schnell. Sauschnell. Unfassbar schnell. Schon beim Herausbeschleunigen aus der Linkskurve vor der Parabolica in Hockenheim hat das drängende Heck eine Warnung ausgesprochen. Wir wollten nicht hören, haben kurz gegengelenkt und weiter Vollgas gegeben. Dieser unerbittliche Schub. In jedem Gang gleich. Bam, bam, bam. Er schiebt, er drückt, er presst vorwärts. Und die lange Biegung des großen Kurses wird ganz plötzlich zu einer echten Kurve. Dann stehen beim Anbremspunkt vor der Spitzkehre 280 km/h auf dem Tacho – ein Irrsinn.

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Porsche 918 Spyder als Statement der Brutalität

Dass uns Unfassbares widerfahren würde, ließ bereits der Name in Anlehnung an den Porsche 917 als brutalsten und erfolgreichsten Rundstrecken-Porsche aller Zeiten erwarten. Und der Neue setzt sogar eine Nummer drauf, stellt sich in der Zahlenfolge über die Legende. Doch beim Design hat er ein anderes Vorbild: Der Porsche 918 Spyder deklariert den Carrera GT zu seinem direkten Vorgänger, schärft dessen Anmutung mit einem klaffend durchlöcherten Heck und deklariert das Ganze per Nummernschild als straßentauglich. Die letzten Zweifel am Performance-Willen räumt der Heckflügel über die gesamte Fahrzeugbreite streng aus.

Da mustert man also dieses Statement der Brutalität und kann sich trotzdem nicht entscheiden, ob einem nun der 918 Spyder oder der daneben parkende Carrera GT besser gefällt. Dessen Design ist bereits zehn Jahre nach Markteinführung auf dem Weg zur alterslosen Ikone, praktisch der 911 unter den Supersportwagen, den man – äußerlich nur leicht, innen dafür etwas stärker modifiziert – immer wieder als brandneu verkaufen könnte.

Beide stehen geschniegelt im Werk in Zuffenhausen, wollen es heute mal so richtig krachen lassen. Es ist ein Familientreffen, Vater und Sohn auf einem gemeinsamen Männerausflug. Von Beginn an galt der Carrera GT für die 918-Entwickler als Referenz – wer einsteigt, merkt sofort, warum: Vom etwas antiquierten Cockpit abgesehen, wirkt er frisch wie am ersten Tag.

Der Carrera GT muss gebändigt werden, sonst sieht man alt aus

Und der Carrera GT stellt seinen Fahrer sofort auf die Probe: Nur wer es schafft, die Keramikkupplung des Mittelmotor-Zweisitzers mit strammer, aber gefühlvoller linker Wade zu bändigen, ist ihm würdig. Das Wort Druckpunkt sollte man hier wörtlich nehmen – von Schleifweg kann keine Rede sein. Wer die Keramikkupplung nachlässig wie bei einem Mittelklassewagen behandelt, lässt den Zehnzylinder augenblicklich absterben – ohne dass sich der Supersportler auch nur einen Meter bewegt hätte.

Einen 918 dagegen kann jeder in Bewegung setzen: Ein sanfter Druck aufs Gaspedal – wir weigern uns, dieses anders zu nennen – lässt den Supersportler verstörend leise im reinen E-Modus lossirren. Ein Kupplungspedal gibt es erst gar nicht. Und kein Verbrennungsgeräusch.

30 Kilometer weit kann sich der Spyder mit der elektrischen Kraft von 210 kW mit bis zu 150 km/h fortbewegen. Doch wer nun an einen Hilfsmotor denkt, irrt: Von null auf hundert geht es ähnlich schnell wie in einem VW Golf GTI. Das reicht locker, um sich vom Beschleunigungsstreifen aus mitten hinein ins Geschehen zu katapultieren.

Um das V8-Biest im Rücken zu aktivieren, drückt man entweder das Gaspedal über den Kickdown-Widerstand hinaus oder schaltet am Lenkradrädchen auf den Hybrid-Modus. In beiden Fällen bellt der 4,6-Liter ansatzlos in die fast meditative Stille hinein – und steuert je nach Wunsch bis zu 612 PS zum Vortrieb bei.

Porsche 918 Spyder mit gepflogenen Umgangsformen im Alltag

Die Leistungsfähigkeit von Porsches Hightech-Boliden lässt sich erst ohne Exekutive im Nacken wirklich genießen. Also ab auf die limitfreie Rennstrecke – nicht ohne vorher die unbegrenzten Autobahnabschnitte dorthin voll auszukosten, um mindestens einmal die Welt jenseits der 300 km/h zu erkunden. Selbst hier läuft der Porsche 918 tadellos geradeaus; schwitzige Handflächen gibt es nicht. Eher schon im Carrera GT: Dessen Fahrer müht sich ebenso wie der 612 PS starke Zehnzylinder redlich, um dranzubleiben, schaltet fleißig, ist allerdings bei den Zwischenspurts chancenlos.

Hockenheim, Grand Prix-Kurs: Da dürfte der Porsche 918 Spyder seinen Vorgänger nicht so leicht abledern. Schließlich fühlte sich bereits der Carrera GT der reinen Lehre der Bewegungsenergie verpflichtet, ließ den Praxisnutzen kompromisslos außer Acht und huldigte nur maximaler Schnelligkeit. Schon äußerlich stellt die weit vorn kauernde Fahrgastzelle die territorialen Ansprüche des Triebwerks klar: Wie selbstverständlich nimmt es sich den Platz vor der Hinterachse, streckt sich der Länge nach in zwei fünfzylindrige Reihen.

Und tatsächlich sollte der V10 in Le Mans für Porsche Ruhm und Ehre erwerben, doch dazu kam es nie. Stattdessen haben die Ingenieure seine Manieren verfeinert, seine Aussprache gemäßigt und seinen Stoffwechsel geklärt. Rennmäßig exorbitant hoch blieb die Leistung von 612 PS, die aus der 5,7-Liter-Turbine ins Sechsganggetriebe samt Sperrdifferenzial fließen. Und rennmäßig blieb die kaum nennenswerte Schwungmasse, die das Anfahren für Ungeübte zur Bloßstellung ihres Könnens werden lässt.

Porsche verpflanzte dem Carrera GT 612 PS – und kein ESP

Andererseits dreht der Zehnzylinder damit aus dem Scheitelpunkt heraus so explosiv hoch, dass schnell mehr Leistung als Traktion anliegt. Wer dagegen feinfühlig ans Gas geht, erlebt eine beeindruckend gleichmäßige und gnadenlose Kraftentfaltung, ohne krasse Peaks oder schlaffe Durchhänger. Mehr noch als das Leistungsübersteuern kann allerdings das Kurveneingangsübersteuern für Abflüge sorgen: Der ESP-lose Carrera GT drängt schon auf der Bremse vehement mit dem Heck – am besten diesen Drift gleich im Ansatz abwürgen.

Der elektronisch hochgerüstete 918 dagegen gibt alles, um Quersteher im Keim zu ersticken. Beim Katapultieren aus Kurven hilft der E-Motor an der Vorderachse bis Tempo 265 mit, danach koppelt er sich ab. Das ESP wacht aufmerksam, ohne den Spaß zu verderben. Im Gegenteil: Bereits in der ersten Runde vermittelt der Supersportwagen das fürs Schnellfahren unbedingt notwendige Vertrauen.

Man muss kein Rennfahrer sein, um das Potenzial zumindest weitgehend auszuschöpfen. Anders als viele Extremsportwagen weist der 918 nicht ständig mit zickigen Reaktionen auf das Unvermögen seines Fahrers hin, sondern schmeichelt dessen Selbstbewusstsein mit unmerklicher und dezenter Hilfestellung.

Wer nun heldenhaft die Fahrhilfe abschaltet – entweder nur die Traktionskontrolle oder das gesamte ESP -, findet zumindest beste Voraussetzungen für die körpereigene Sensorik vor, Abwanderungsversuche von der Ideallinie aufzuspüren: Das Gefühlszentrum liegt nur 17 Zentimeter über dem Boden. Man sitzt praktisch mitten im extrem tiefen Schwerpunkt und spürt die Rückmeldung perfekt, etwa wenn die brachiale Kraft über die Hinterachse herfällt und die Reifen die weiße Fahne zu hissen drohen – so abrupt, dass das Spiel einem Reaktionstest gleichkommt.

1,7 Tonnen Gewicht erschweren dem Porsche 918 Spyder das Leben

Spätestens wenn das Heck mit kolossaler Macht auslenkt, drängt sich das enorme Gewicht des 918 Spyder ins Bewusstsein: über 1,7 Tonnen; alleine das Hybridsystem wiegt 314 Kilogramm – natürlich ein hoher Preis für die eindrucksvolle Effizienz. Und so mehren sich die Stimmen jener Kritiker, die den Porsche 918 sofort kaufen würden – aber ohne seinen Elektroballast.

Doch der Neue gibt sich technotronisch und zukunftsprall, will das gute Gewissen bereits serienmäßig liefern – ebenso übrigens wie ein internetfähiges Multimediasystem, das 800 Funktionen in sich vereint. Und natürlich werden als Erweiterung bereits diverse Apps entwickelt, man will ja keine Hinterwäldler-Firma sein.

Dagegen wirkt der Carrera GT geradezu eremitisch karg und aufs Wesentliche beschränkt. Der Carrera GT war der letzte analoge Sportwagen, der 918 Spyder ist der erste digitale Supersportwagen. Irgendwie will der GT einfach besser auf eine Grand Prix-Strecke passen. Was uns zurück zur eingangs beschriebenen Referenzkurve auf der GP-Strecke in Hockenheim bringt.

Der Oldie geht auf eine letzte fliegende Runde, nimmt in der Links vor der Parabolica maximal Schwung und lädt in der langen Rechts voll durch. Vierter Gang, voll ausgedreht, dann fünfter. Kurz vor dem Bremspunkt ein rascher Blick auf den Tacho: 270 km/h, nur zehn weniger als im 918 Spyder. Mannomann, das ist immer noch wirklich schnell. Sauschnell. Unfassbar schnell.

Meine Meinung

Wenn die beiden Elektromotoren den V8 beim Beschleunigen unterstützen, dann summiert sich das zu einem unglaublichen Schub. Das ist wirklich toll, hat aber seinen Preis – das enorm hohe Gewicht. Und schon sind wir beim größten Nachteil des Porsche 918: Er ist sehr schwer. Wie beschwingt wirkt dagegen sein direkter Vorgänger Carrera GT. Allerdings ist der ohne ESP ein echter Fall für Könner. Im elektronisch hochgerüsteten 918 wird ein Amateur deutlich mehr Fahrspaß erleben.

Technische Daten
Porsche 918 Spyder Porsche Carrera GT 5.7 V10
Grundpreis768.026 €452.690 €
Außenmaße4645 x 1940 x 1167 mm4613 x 1921 x 1166 mm
Kofferraumvolumen110 l76 l
Hubraum / Motor4593 cm³ / 8-Zylinder5733 cm³ / 10-Zylinder
Leistung447 kW / 608 PS bei 8700 U/min450 kW / 612 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit345 km/h330 km/h
Verbrauch3,1 l/100 km17,8 l/100 km
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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten