Aston Martin wird zum Favoritenschreck
So gelang das grüne Wunder

Aston Martin startet als WM-Zweiter mit einem Podium und 23 Punkten in die Saison. Fernando Alonso sagt Ferrari und Mercedes den Kampf an. Das grüne Wunder ist bei genauer Betrachtung aber gar kein so großes Wunder.

Aston Martin - Formel 1 - GP Bahrain 2023
Foto: Aston Martin

Aston Martin 23, Mercedes 16, Ferrari 12: Das sind weder Börsenkurse noch Absatzzahlen. Es ist die WM-Wertung der Formel 1 nach dem ersten Rennen. Der dritte Podiumsplatz hinter den beiden Red Bull ging nicht an die Schwergewichte, sondern ein Team, das beim Saisonauftakt vor zwölf Monaten noch auf den Startplätzen 17 und 19 losfuhr.

Wer das letzte Jahr noch im Kopf hat, ist geneigt, das Ergebnis des GP Bahrain für Fake-News zu halten. Und doch ist es Realität und noch nicht einmal Zufall. Es deutete sich schon bei den Testfahrten an. Fernando Alonso untermauerte es mit zwei Bestzeiten in den freien Trainingssitzungen, dem fünften Startplatz und der Fahrt auf das Podium im Rennen.

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Das zweitbeste Auto im Feld

Der Aston Martin AMR23 präsentierte sich in der Summe seiner Eigenschaften als das zweitbeste Auto im Feld. Weil er im Gegensatz zum Ferrari und zum Mercedes alles kann. Die eine schnelle Runde und den Dauerlauf. Auf Red Bull fehlt am Samstag und Sonntag ungefähr eine halbe Sekunde.

Alonso musste nach einem schlechten Start seine Gegner von Ferrari und Mercedes auf der Strecke überholen, um zum 99. Mal auf dem Podium zu feiern. Weil die Red Bull in den letzten zehn Runden das Tempo reduzierten gibt es nur wenig belastbares Vergleichsmaterial.

In den relevanten Runden verliert Alonso konstant eine halbe Sekunde auf den Sieger. Der Spanier wäre aus seinem Aston Martin am liebsten gar nicht mehr ausgestiegen. "Ich hätte nach der Zielflagge noch eine Stunde weiterfahren können."

Fernando Alonso - Formel 1 - GP Bahrain 2023
Aston Martin
Alonso ist auch im hohen Alter noch voll motiviert.

Alonso treibt das Team an

Der 41-jährige Spanier hat Blut geleckt. Er merkt, dass er ein Auto hat, mit dem er aus eigener Kraft auf das Podest fahren kann und dass an einem schlechten Tag der Red Bull vielleicht doch noch der 33. GP-Sieg winkt. Der älteste Fahrer im Feld hat ausnahmsweise mal eine richtige Karriereentscheidung getroffen. "Ich glaube zu träumen. Der Plan war, mit Aston Martin innerhalb von zwei Jahren zu einem Top-Team zu reifen. Jetzt haben wir es schon in zwei Monaten geschafft."

Sein Elan ist ansteckend. "Alonso bombardiert uns mit Fragen und Anregungen. Der ist in seiner 20. Saison so heiß, als würde er gerade erst in der Formel 1 anfangen", amüsiert sich Sportchef Andy Stevenson. "Fernando ist ein Fahrer, der von A bis Z alles unter Kontrolle hat", schwärmt Teamchef Mike Krack.

Die Cockpit-Kamera spricht Bände. Kaum ein Auto schluckt die Bodenwellen so ruhig wie der AMR23. Kaum eines ist so stabil auf der Bremse. Kaum eines hat eine so gute Traktion. Untersteuern ist kein Thema. Das Heck klebt mit wenigen Ausnahmen auf der Straße. "Unter bestimmten Umständen bricht es in schnellen Kurven noch manchmal aus, aber das können wir mit der Fahrzeugabstimmung minimieren", verrät ein Ingenieur. Nur der Red Bull weist ähnliche Eigenschaften auf.

Aston Martin - Formel 1 - Bahrain Test 2023
Aston Martin
Im Vergleich zum Vorjahr hat kein Team mehr zugelegt als Aston Martin.

Größte Steigerung der jüngeren Geschichte

Die Aston-Martin-Ingenieure kündigen für das sechste Rennen der Saison schon ein großes Upgrade an, das einen deutlichen Schritt nach vorne verspricht. Die Windkanalregeln spielen Aston Martin einen Trumpf in die Hand. Der WM-Siebte des Vorjahres hat 37 Prozent mehr Windkanalzeit als Red Bull, 20 mehr als Mercedes, 25 mehr als Ferrari. "Nicht mehr lange", fürchtet Alonso. Im Sommer wird gemäß WM-Stand neu eingestuft.

Aston Martin verbesserte sich in einem Winter aus dem hinteren Mittelfeld an die Spitze. Im Vergleich zu den Qualifikationszeiten von 2022 gelang eine Steigerung um 2,4 Sekunden. Das hat in der jüngeren Geschichte der Formel 1 keiner geschafft. BrawnGP kam 2009 zwar aus dem Nichts zum WM-Titel, doch der Nachfolge-Rennstall von Honda profitierte von einem neuen Reglement und dem Doppeldiffusor-Coup, der die Konkurrenz auf dem falschen Fuß erwischte.

Diesmal blieben die Regeln nahezu gleich. Um den Weg zum Erfolg abzukürzen, setzte sich das Konstruktionsbüro extrem ehrgeizige Ziele. "Wir wollten mit dem AMR23 in allen Bereichen besser sein als der letztjährige Red Bull", erzählt ein Ingenieur. Gearbeitet wurde mit Werten, die man aus den GPS-Daten ermittelte. "Als wir dann tatsächlich diese Ziele übertroffen haben, dachten wir zunächst, dass uns ein Fehler unterlaufen sein muss."

Dan Fallows - GP Bahrain 2023 - Aston Martin
Aston Martin
Dan Fallows kam von Red Bull zu Aston Martin und hatte offenbar einige gute Ideen im Gepäck.

Input von Red Bull und Mercedes

Aston Martin hat richtig gerechnet. "Wir haben jetzt eine gute Basis für die Weiterentwicklung", bestätigt Krack. Red-Bull-Kollege Christian Horner spottet, dass man dem neuen Gegner gute Schützenhilfe geleistet habe. 2021 wechselten sieben Red-Bull-Ingenieure ins grüne Lager, darunter auch der neue Technikchef Dan Fallows und Aerodynamiker Andrew Alessi. Es stießen aber auch der ehemalige Mercedes-Chef-Aerodynamiker Eric Blandin und weitere Ingenieure aus Brackley dazu.

Daraus entstand ein Auto, das völlig neu gedacht wurde und laut seinen Ingenieuren auch einige Grauzonen auslotet. Dass der AMR23 Anleihen vom letztjährigen Red Bull nimmt, muss nicht verwundern. Das tun andere Autos auch. Das grüne Auto hat trotzdem ein eigenständiges Gesicht. Das sieht man schon an den Seitenkästen mit der tiefen Rinne, der Nase und dem Frontflügel und der entgegengesetzten Aufhängungsgeometrie vorne und hinten.

Der Rennstall aus Silverstone befindet sich im Umbruch. Als das Team noch Force India oder Racing Point hieß, war Überleben schon ein Sieg. Seit der kanadische Milliardär Lawrence Stroll das Zepter schwingt, sind die Geldsorgen verschwunden. Dafür stieg der Druck. Plötzlich waren Platzierungen im Mittelfeld nicht mehr gut genug. Stroll will gewinnen, und er will es erzwingen.

Baubeginn - Fabrik - Aston Martin 2021
Aston Martin / JCB
Auf der grünen Wiese errichtete Aston Martin eine neue F1-Fabrik. Nach dem Rennen in Aserbaidschan steht der Umzug an.

Umzug bringt neue Chancen

Geld allein reicht nicht. Mit einer Fabrik, die bei 750 Angestellten aus allen Nähten platzt, und in der Ingenieure weit versprengt in portablen Containerbüros arbeiten müssen, mit einem veralteten Simulator und einem Windkanal, in dem man nur Untermieter ist, gewinnt man gegen hochgerüstete Teams wie Red Bull, Ferrari oder Mercedes auf Dauer keinen Blumentopf.

Auch die Abhängigkeit von Mercedes kann kein Dauerzustand sein. Aston Martin darf nur am Freitag, Samstag und Sonntag den Mercedes-Windkanal nutzen und verliert bei der Neukalibrierung jeweils Zeit. Von der Nutzung des Simulators und der Analysewerkzeuge des Konkurrenten hat Aston Martin bereits Abstand genommen. Besser, in einem schlechteren Simulator eigener Herr zu sein, als sich irgendwo einzumieten.

Der Umzug in eine neue Fabrik ist bereits in vollem Gang. Gebäude Nummer 1 ist Ende April bezugsbereit. Dann werden fast alle Ingenieure in einem Großraumbüro arbeiten, das so groß ist wie ein Fußballfeld. Fallows nennt die bessere Kommunikation dank kürzerer Wege einen Gamechanger für die Zukunft: "Wir sind ein Team, das viel auf Zusammenarbeit setzt. Das ist in der aktuellen Konstellation nur schwer möglich. Mit der neuen Fabrik wird sich das ändern", freut sich Fallows.

Aston Martin - Formel 1 - GP Bahrain 2023
Aston Martin
Der dritte Platz in Bahrain soll nur der Anfang gewesen sein. Teambesitzer Lawrence Stroll will um den Titel kämpfen.

In der Lage Siegerteams zu ärgern

Der neue 360-Grad-Simulator wird Ende des Jahres zusammengebaut. Er wird aber noch bis 2024 auf den Einsatz warten müssen, bis das Gebäude drumherum fertig ist. Das Gleiche gilt für den eigenen Windkanal. Technisch ist Aston Martin noch von Mercedes abhängig. Motor, Getriebe und Hinterachse kommen aus Brixworth und Brackley. Das schränkt die Freiheiten der Designer im hinteren Bereich des Autos ein.

Krack will keine Aussage über die künftige strategische Ausrichtung des Teams machen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Aston Martin mittelfristig mehr in die eigene Hand nimmt. Für viele ist der Rennstall aus Silverstone bei Einzug der neuen Motorenformel 2026 der beste Landeplatz für Honda. In einer Zusammenarbeit mit den Japanern wäre Aston Martin kein Kundenteam mehr, sondern ein verkapptes Werksteam.

In den Köpfen hat der Wandel schon stattgefunden. Alle sind auf bedingungslosen Erfolg eingeschworen. Dafür hat Aston Martin in den letzten Jahren bei den Siegerteams Red Bull und Mercedes gewildert und die Neuzugänge in Schlüsselpositionen gehoben. Und man hat sich von Mitarbeitern getrennt, die lieber eine ruhige Kugel schieben wollten.

Für Geschäftsführer Martin Whitmarsh ist Aston Martin noch kein Siegerteam, aber immerhin nun in der Lage, die Siegerteams zu ärgern. Er ist überzeugt: "Wenn uns noch einmal ein halb so großer Schritt gelingt wie der, den wir letzten Winter geschafft haben, dann sind wir auf der Zielgerade."