Kommentar zur DTM-Zukunft
Was die Rennserie zum Überleben braucht

Die DTM sucht nach Lösungen, wie es mit der Tourenwagenserie 2021 weitergehen könnte. BMW kann sie alleine nicht tragen, so viel ist klar. Doch was braucht die DTM jetzt, um zukunftsfähig zu sein? Ein Kommentar.

BTCC - Rennserie - Großbritannien
Foto: BTCC

Gerhard Berger hat es wirklich nicht leicht. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als DTM-Chef im März 2017 gab Mercedes bekannt, dass man sich zum Ende der Saison 2018 von den Tourenwagen verabschiedet. Aston-Martin-Lizenznehmer R-Motorsport kam und gemeinsame Rennen mit den japanischen SuperGT-Herstellern Lexus, Nissan und Honda ließen Hoffnung aufkeimen, dass die Blüte "Class 1" und mit ihr die DTM prächtig wächst und gedeiht.

Doch im August 2020 ist die Realität eine andere. Im Januar gab R-Motorsport seinen sofortigen Rückzug aus der DTM bekannt. Ein Rückschlag, aber nichts im Vergleich zu dem, was am 27. April folgen sollte. Audi, seit 2004 werksseitig in der Serie aktiv, zieht ebenfalls den Stecker – und zwar zum Ende der aktuell laufenden Saison. Das Todesurteil für die DTM, wie wir sie heute kennen.

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BTCC - Rennserie - Großbritannien
BTCC
Die BTCC zeigt, wie eine Zukunft für die DTM aussehen könnte.

DTM braucht Serienrelevanz

Dreieinhalb Monate – nachdem die lange tickende Bombe platzte – scheint für DTM-Kapitän Berger noch immer kein Land in Sicht. Die Optionen sehen mau aus. Privatteams, die die jetzigen DTM-Autos von Audi kaufen? Keine Chance, viel zu teuer. Eine DTM nur mit BMW? Schließt man in München aus verständlichen Gründen kategorisch aus. GT3-Autos? Vielleicht. Doch eigentlich ist diese Sparte national vom ADAC GT Masters und regional von der GT World Challenge Europe schon erstklassig besetzt. Eine Art GT3 Plus mit mehr Leistung? Technisch nahezu unmöglich, sagen Insider. Elektrifizierung? Wieder ein "vielleicht" – aber allenfalls als langfristige Lösung und nicht für das akute Problem.

Doch was braucht die DTM, um sich zukunftsfähig zu machen? Erstens: wieder echte Tourenwagen. Eine DTM mit TCR-Autos ist nicht sinnvoll, so viel ist klar. Es würde dem Nimbus und auch dem Selbstverständnis der Serie nicht gerecht, mit einer weltweiten Formel zu fahren, die zudem auch noch von vielen als Einstiegsklasse in den Tourenwagensport gesehen wird. Doch zumindest sollten die Autos wieder echte Tourenwagen-Action zulassen, wie in den seligen Gruppe-A-Zeiten, denen heute ja noch nachgeweint wird. Serienkarosserie und der Wegfall von Aerodynamik-Schnickschnack wären da schon zwei gute Grundbedingungen.

Zweitens: Serienrelevanz. Die Akzeptanz für den Motorsport im Allgemeinen sinkt, deshalb muss gerade der Tourenwagensport nah an der Serie sein, um auch für Serienfahrzeuge etwas abzuwerfen. In den aktuellen DTM-Motoren steckt trotz ihrer Formel praktisch nichts aus dem Serienaggregat. Doch alle Konzerne haben für ihre Straßenmodelle einen Zweiliter-Turbomotor im Angebot, warum also nicht diesen als Basis nehmen? Und in Zeiten der immer flächendeckenderen 48-Volt-Mildhybridisierung noch ein kleiner Elektroantrieb dazu?

Drittens: ein knackiges, übersichtliches Rennformat. Dass es seit einigen Jahren zwei Rennen pro Wochenende gibt, ist sicher gut. Aber dass dann jedes fast eine Stunde dauert, unterbrochen von Pflichtstopps, und man dann auch noch immer DRS und Push-to-Pass im Blick haben muss, ist dann für den Zuschauer doch eher anstrengend und wenig unterhaltsam. Dazu kommen die Reifen, die seit Beginn der Turbo-Ära noch mehr gestreichelt werden wollen. Was früher als Lob galt, nämlich die Formel 1 mit Dach zu sein (technisch und aktuell ja auch noch sehr nah am Rennformat), ist heute eher kein Verkaufsargument mehr für die DTM. Also: Lieber zwei oder drei kurze Rennen, haltbare Reifen und so wenige künstliche Überholhilfen wie möglich. Die gesparte Rennzeit kann man für mehr Aktivitäten für und mit Fans verwenden.

BMW 330i M Sport - BTCC - Rennserie - Großbritannien
BTCC
BMW ist eine von neun Marken in der BTCC.

BTCC als Lösung

Wie sieht also die Ideallösung aus? Da bietet sich ein Blick nach Großbritannien an, wo vieles von dem schon geboten wird, was die DTM jetzt braucht. Die Britische Tourenwagenmeisterschaft (BTCC) hat ihre Fannähe nie verloren, jedes noch so kleine Team und jeder der rund 30 Fahrer hat seine Anhänger – egal ob es der kleine (Halb-)Bruder von Lewis Hamilton, ein Clio-Cup-Aufsteiger oder ein mehrfacher Champion ist.

Auf technischer Seite ist die Serie ihrer Zeit immer einen Schritt voraus. Supertourenwagen und S2000 waren Kinder der BTCC-Regularien. Seit 2011 kommen die Next Generation Touring Cars (NGTC) zum Einsatz. Die Formel steht auf drei Säulen: Serien-Karosserie, viele Gleichteile, Nachhaltigkeit. Hilfsrahmen, Getriebe, Bremse, Reifen, Turbo, Motorsteuergerät, Aufhängung und vieles Weitere ist standardisiert, trotzdem gibt es vom frontgetriebenen Kompaktsportler bis zur heckgetriebenen Mittelklasse-Limousine eine breite Fahrzeugpalette – in der aktuellen Saison sind elf Modelle von neun Marken am Start!

Einen Motor kann man entweder für ca. 35.000 Euro im Jahr leasen oder selbst entwickeln. Damit nicht jedes Mal der gleiche Fahrer gewinnt, bekommen die Top 10 der Fahrerwertung bzw. des vorherigen Rennens Zusatzgewichte. Da braucht es gar keine komplizierte BOP, da die Abstände durch die vielen Gleichteile sowieso extrem eng sind.

Toyota Corolla Hybrid - BTCC - Rennserie - Großbritannien
BTCC
Toyota Corolla mit Hybrid für die britische Tourenwagenmeisterschaft.

Zurück zu den Wurzeln

So können die seit 2012 homologierten und eingesetzten Honda Civic FK2 beispielsweise heute immer noch ums Podium fahren. Da hat sich der Anschaffungspreis, der komplett rennfertig bei rund einem Drittel eines DTM-Autos (ohne Motor!) liegt, schon mehrfach gerechnet. Klar, ein TCR-Auto ist noch günstiger, hat aber auch eine deutlich geringere Halbwertszeit. Ab 2022 gibt es ein Einheits-Hybridsystem, das als Überhol- und Verteidigungstool eingesetzt werden soll. Ein Konzept also, das auch für die DTM in Frage kommt? Denn schaut man sich die aktuellen Rennen der BTCC an, erinnert das sehr an die DTM der besagten Gruppe A in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren.

Dem Vernehmen nach gab es schon Gespräche zwischen Gerhard Berger und BTCC-Boss Alan Gow. Und es müsste ja gar nicht unbedingt das komplette Regelpaket sein. In der BTCC leisten die Zweiliter-Turbomotoren gut 350 PS und es sind sowohl Vorder- als auch Hinterradantrieb zugelassen. Würde man in der DTM 400 oder 450 PS freigeben und Hinterradantrieb vorschreiben, wäre das technisch eine Mischung aus Gruppe-A-Zeiten und dem, wie die DTM im Jahr 2000 in die erste Saison der Neuzeit ging.

Das Beste: BMW, die sich auch über 2020 hinaus als einziger Hersteller in der DTM verpflichtet haben, hat in Großbritannien sogar schon ein aktuelles Fahrzeug für eine mögliche "NGTC-DTM". Jetzt ist nur noch die Frage: Möchte die DTM zurück zu ihren Wurzeln und setzt auf spektakuläre Rennen? Oder bleibt man bei dem hohen technischen Anspruch, den man bisher als Alleinstellungsmerkmal verfolgte? So oder so bleibt zu hoffen, dass Berger und die DTM-Dachorganisation ITR einige gute Anreize aus anderen Serien übernehmen. Ein erneuter, kostspieliger Alleingang ist nämlich genau das, was die DTM nicht braucht.