Carlos Tavares im Interview (2018)
So soll Opel gerettet werden

Carlos Tavares (59) ist seit dem 1. Januar 2014 Chef der PSA-Gruppe mit den Marken Peugeot Citroën und DS. Seit Tavares im vergangenen Sommer auch noch die Marke Opel/Vauxhall für 1,3 Milliarden Euro von General Motors kaufte, ist der gebürtige Portugiese auch in Deutschland kein Unbekannter. Im Interview erzählt Tavares, wie es mit Opel und PSA weitergeht.

Carlos Tavares
Foto: Renault

Der leidenschaftliche Hobby-Rennfahrer Carlos Tavares reiste jüngst zum 24-Stunden-Rennen am Nürburgring an – und bestritt den international bekannten Langstrecken-Klassiker mit einem Opel Calibra TJ-R in einem Privatteam. Der Opel Calibra Baujahr 1998 trägt die Bezeichnung TJ-R und hat – im Vergleich zu den meisten Wettbewerbern – nur magere 235 PS, die aus einem Zweilitermotor kommen. Tavares hätte leicht einen Peugeot 308 mit gut über 300 PS wählen können. Das wollte der gebürtige Portugiese aber nicht. Wohl weniger aus Kostengründen, als des Zufalls wegen. Der langjährige Übersetzer Andreas Kuhnert fährt schon länger – ebenfalls in seiner Freizeit – Rennen. Als bei entsprechender Gelegenheit sich die beiden Hobby-Rennfahrer per Zufall trafen, hörte er von Kuhnerts Plänen mal die 24-Stunden in der „grünen Hölle“ zu bestreiten. Und meldete sich im gleichen Team an.

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Wir durften den Manager exklusiv bei seinem Rennen begleiten und haben ihn zu Opel, PSA und seiner Rennleidenschaft befragt.

Warum starten Sie in einem Privat-Team und mit einem – mit Verlaub – unterlegenen Auto? Sie könnten doch leicht in einem Opel-Werksteam fahren?

Tavares: Ganz einfach (lachend): Weil ich zu langsam bin. Es macht mir Spaß und ist seit über 30 Jahren meine Leidenschaft – aber eben auch ein rein privates Vergnügen. Außerdem trenne ich mein Berufsleben strikt von meinem Privatleben. Dazu kann ich nur raten.

Aber Sie könnten sich doch leicht ein Cockpit in einem besseren Auto leisten?

Tavares: Meinen Sie? Was die Sicherheit betrifft – ich habe eine Familie – eine Frau, drei Töchter und fünf Enkelkinder. Was die Kosten betrifft – kann man eine ganze Menge Spaß haben mit so einem Calibra VLN und in dieser Kategorie für das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.

Ihr Rettungsprogramm für Opel heißt passender Weise „Pace!“. Wie lautet Ihre Vision von Opel?

Tavares: Die gesamte Automobilindustrie ist einem darwinistischen Existenzkampf ausgesetzt. Hier muss man sich schnell bewegen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Zusätzlich leben wir in einer chaotischen Welt: Handelsbarrieren kommen und gehen, unterschiedliche Quoten werden beschlossen und eingeführt. Davon wird jede Vision beeinflusst, sogar mittelfristige und der Status Quo spricht eher gegen eine nachhaltige Zukunft der Autoindustrie.

Sie meinen den „Trump-Faktor“ oder die Einführung von Regularien in Brüssel oder China. Aber was bedeutet das für Opel und seine Zukunft?

Tavares: Mit Opel ist PSA der zweitgrößte Autohersteller in Europa und ein Hersteller mit niedrigsten CO2-Werten. Trotzdem brauchen wir noch mehr Schwung, um auch langfristig vorne zu bleiben. Unser Programm „Push to Pass“ für die Marken Peugeot, Citroën und DS beinhaltet mehrere Detail-Ziele, um technisch nachzuziehen und den ein oder anderen Wettbewerber zu überholen. Ich darf daran erinnern, dass die PSA-Gruppe eine sehr schnelle Trendwende geschafft hat: Wir haben im Geschäftsjahr 2017 eine operative Marge von 7,3 Prozent erzielt; gegenüber einer Minus-Marge von 2,5 Prozent im Jahre 2013.

Sie werden im August 60 – wie lange wollen Sie noch PSA-Chef bleiben?

Tavares: Schon noch etwas. Aber ich bereite den Konzern bereits darauf vor, dass ich einmal nicht mehr da sein werde. Und ich sehe das als meine Pflicht. Dafür zu sorgen, dass meine Führungsmannschaft den Konzern mit den richtigen Ideen und Maßnahmen in die Zukunft treibt und auf die nächste Generation vorbereitet.

Werden Sie Ihren PSA-Job und das Rennen fahren gleichzeitig aufgeben?

Tavares: Auf keinen Fall! Ich hoffe, ich kann noch viel länger rennen fahren.

Durch den gemeinsamen Einkauf sowie den Bau neuer Opel-Modelle auf nur zwei Plattformen und mit nur vier Motorenfamilien planen Sie Einsparungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro pro Jahr ab 2020; und bis 2026 soll der mögliche Einsparbetrag sogar auf 1,7 Milliarden jährlich ansteigen. Kriegen Sie 2018 schon eine knappe Milliarde Euro an Einsparungen hin?

Tavares: Selbst wenn ich es heute schon wüsste, dürfte ich es Ihnen nicht verraten. Nur so viel: Wir sind gut unterwegs und folgen unseren Plänen konsequent.

Warum soll Opel zu einer Art E-Marke werden?

Tavares: Nicht nur in Europa verschärfen sich die Emissionsziele. Wir haben das richtige Management und die richtige Technologie für batterieelektrische Fahrzeuge, Plug-in Hybride und Verbrennungsmotoren und können die richtigen Produkte kreieren. Wir beschreiten diesen Weg konsequent, werden aber den Fokus auf den Business Case nicht verlieren. Unser Plan lautet: 100 Prozent aller Opel-Modelle werden bis 2024 elektrifiziert sein; bis 2020 werden wir bereits vier elektrifizierte Modelle im Angebot haben, wie den Grandland X Hybrid und den vollelektrischen neuen Corsa.

Schaffen Sie die Elektrifizierung in der Gruppe alleine oder suchen Sie nach Partnerschaften – vielleicht mit einem großen Zulieferer?

Tavares: Wir entwickeln den Großteil der Komponenten, die wir benötigen, selbst. Für die Entwicklung von Elektromotoren haben wir mit der japanischen Firma Nidec ein Joint-Venture gegründet. Die gesamte Gruppe wird von dieser Partnerschaft mit einem Weltmarktführer profitieren.

Welche Vorbereitung treffen Sie innerhalb Ihrer Plattformen für die Elektrifizierung?

Tavares: Wie Sie vielleicht wissen, verwenden wir zwei globale Multi-Antriebs-Plattformen: die CMP (Common Modular Plattform) und die EMP2-Architektur. Diese beiden Plattformen teilen sich alle Marken. Die CMP verwenden wir für Fahrzeuge bis zur Kompaktklasse hinauf; auf der EMP2-Plattform basieren Fahrzeuge bis hinauf ins D-Segment. Auf beiden Plattformen werden wir E-Modelle bauen oder Plug-in-Hybride; beide Plattformen können aber auch problemlos mit einem konventionellen Motor kombiniert werden. Die Plattformen erlauben uns Verbrenner- und E-Fahrzeuge auf einer Produktionslinie zu fertigen. Wir genießen dadurch volle Flexibilität.

Heißt das, alle ihre Marken – und nicht nur Opel – werden jeweils eine E- oder PHEV-Variante in jeder Modellreihe bekommen?

Tavares: Das haben wir so noch nicht gesagt. Aber spätestens bis 2025 soll jede Modellreihe der PSA-Gruppe über so ein Angebot verfügen.

Wäre aber theoretisch auch schon vorher möglich, oder?

Tavares: Ja, klar, selbstverständlich. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob es auch aus Sicht der Kunden sinnvoll ist.

Welche Größenordnungen sehen Sie im Absatz von E-Fahrzeugen?

Tavares: Wir rechnen damit, dass 2020 ungefähr 50 Prozent unserer Fahrzeuge mit einem E-Antrieb ausgestattet sind. Bis 2023 sollen es dann 80 Prozent sein. Unser Rüsselsheimer F & E-Zentrum arbeitet zudem an der Brennstoffzellen-Langzeittechnologie für die gesamte PSA-Markenfamilie.

Und Sie planen dann sicherlich auch, dass Sie für die Modelle der Marken ein weltweites Produktionsnetzwerk schaffen – nach dem Vorbild von Volkswagen in etwa. Dann könnten Sie doch in den deutschen Opelwerken auch Peugeot- oder Citroën-Modelle produzieren, richtig?

Tavares: Das machen wir schon: Wir bauen im Cross-Manufacturing-Prinzip im spanischen Zaragossa-Werk für Opel und Citroën die B-SUVs und im Werk Vigo fertigen wir LCVs für Opel, Peugeot und Citroën. In unserem französischen Werk in Sochaux produzieren wir für Opel und Peugeot C-SUVs. Dies sind gute Beispiele für unsere zukünftigen Möglichkeiten in unserem europäischen Werksnetz.

Die Auslastung der Opel-Werke in Deutschland ist ziemlich niedrig. Was ist aus Ihrer Sicht die ideale Auslastung für ein Werk?

Tavares: Im vollen Drei-Schicht-Betrieb spricht man von einer „Überhitzung“; die Logistik ist nicht optimal, auch nicht die Kosten, die Krankheitsquoten, und so weiter. Das ist also nicht unbedingt erstrebenswert. Daher sollte man lieber den Zwei-Schicht-Betrieb eines Werkes verbessern.

Wollen Sie nur mit Opel auf den amerikanischen Markt oder gleich mit allen Marken?

Tavares: Ich sehe für unser Marken-Portfolio gute Wachstumschancen in den USA, aber wir haben noch keine Entscheidung getroffen. Wir gehen im Rahmen eines 10-Jahres-Planes schrittweise vor: Wir haben mit dem kleinen Startup „Free2Move“ gerade die Rückkehr auf den nordamerikanischen Markt begonnen und wollen später, in einem zweiten Schritt, dort auch wieder Autos verkaufen.

Planen Sie bereits ein Werk in den USA?

Tavares: Das ist jetzt noch zu früh. Wir müssen zunächst noch andere Aufgaben lösen und das Geschäft ausbauen, bevor wir uns diesen Plänen zuwenden. Außerdem benötigen wir nicht gleich ein Werk; wir könnten auch im Rahmen von lokalen Zulieferungen mit der Autoproduktion in USA starten.

Warum sprechen Sie nicht mit Sergio Marchionne und tun sich in den USA mit Fiat Chrysler zusammen?

Tavares: Ich glaube Sergio Marchionne hat bezüglich dieser Idee schon abgewunken, soweit ich weiß.

Aber er ist ein impulsiver Italiener und ändert vielleicht seine Meinung. Sprechen Sie nicht mit ihm?

Tavares: Wir sind immer offen für gute Ideen – egal von wem diese sind.

Schaffen Sie es innerhalb des „Pace!“ Plans aus Opel eine globale Marke zu kreieren?

Tavares: Das Opel-Management und die Opel-Mitarbeiter halten ihre Zukunft selbst in ihren Händen, da sie über alle Freiheiten verfügen. Ich finde man darf tollen Ingenieuren keine Fesseln anlegen, sondern man muss sie eher daraus befreien, damit sie tolle Produkte entwickeln können.

Wie hat Ihnen „die grüne Hölle“ gefallen – war das Rennen herausfordernd genug?

Tavares: Oh ja, die Strecke ist ziemlich anspruchsvoll. Sie hat ihren Ruf völlig zurecht.

Was fanden Sie am schwersten – die vielen Kurven, die Fahrt in der Nacht oder die vielen Überrundung durch Wettbewerber?

Tavares: Am schwierigsten ist der unterschiedliche Grip auf der Strecke. Das variiert wirklich sehr stark mit den schnell wechselnden Wetterbedingungen von Sonne und 23 Grad Celsius an Tag 1 und Regen, Nebel und nur 11 Grad an Tag 2. Man muss eigentlich nicht die Rennstrecke auswendig lernen, sondern die vielen unterschiedlichen Fahrbahneigenschaften.

Was nehmen Sie aus diesem Rennen mit ins nächste Meeting?

Das, was einem der Rennsport immer lehrt: Situation annehmen, sich anpassen und niemals aufgeben. Aber auch, dass es nicht so schlimm ist, einen Fehler zu machen. Wenn man es anschließend besser macht. Und: Du brauchst im Rennen wie in einem Unternehmen immer ein Team; denn schwierige Aufgaben kann man nur im Team lösen.